Reutlingen erinnert an historischen Weinbau

Am 1. Oktober 2012 hat der gebürtige Rottenburger Dr. Roland Deigendesch (49) die Nachfolge von Dr. Heinz Alfred Gemeinhardt als Leiter des Stadtarchivs Reutlingen übernommen. Deigendesch hat in Tübingen und Wien Germanistik und Geschichte studiert, promovierte über das Thema "Kartause Güterstein" und arbeitete von 1990 bis 2008 als Archivar und Museumsleiter bei der Stadt Münsingen. Danach war er in Kirchheim/Teck ebenfalls für das städtische Archiv und das Museum verantwortlich. Der Nachfolger des Ende Juni 2012 in den Ruhestand verabschiedeten Heinz Alfred Gemeinhardt möchte seine Arbeit auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen sachgerechter Aufbewahrung und historischer Forschung konzentrieren und "der Betrachtung der Reutlinger Geschichte einen angemessenen Raum geben", berichtet die Südwest Presse.

Jetzt erinnert eine Wandvitrinenausstellung des Reutlinger Stadtarchivs an den historischen Weinbau ("Das Ende einer \’großen Kellter\‘ unter der Achalm 1937"). Vor 75 Jahren, zum Jahresende 1937, wurde mit dem Abbruch der Reutlinger Spitalkelter an der Burgstraße begonnen. Es war die letzte der drei großen Keltern aus reichsstädtischer Zeit gewesen. Ihr Name leitete sich von ihrer vormaligen Eigentümerin ab: der Hospital-Pflegschaft, einer Stiftung aus hochmittelalterlicher Zeit, die nicht zuletzt das Spital am Markt unterhalten hatte.

Neben der Spitalkelter hatte bis 1928 die Armenkelter gestanden, die dann dem Neubau des Hallenbads weichen musste. Vor allem diese beiden Kelternstandorte waren bis ins 20. Jahrhundert hinein der zentrale Schauplatz des Reutlinger „Herbstes“ gewesen: Das Lesegut aus den Reutlinger Weinbergen wurde in deren großflächigen Innenhöfe in voluminöse Bütten gefüllt und später unter einem der insgesamt 15 mächtigen Kelternbäume ausgepresst.

In vorindustrieller Zeit hatte Reutlingen eine „Weingärtner-Bürgergesellschaft“ besessen. Wohl seit der Zeit der Stadtwerdung im 13. Jahrhundert und der Kultivierung der Abhänge von Achalm und Georgenberg als Rebflächen machten Weingärtnerfamilien rund 20 % der Stadtbevölkerung aus. Der Kelternbetrieb konzentrierte sich spätestens seit dem 16. Jahrhundert auf die Standorte der kleineren, 1913 abgebrochene Stadtkelter an der Mauerstraße sowie der Armen- und Spitalkelter.

Mit dem rapiden Rückgang des achalmstädtischen Weinbaus im 20. Jahrhundert waren schließlich auch die Tage der Spitalkelter gezählt. Zwischen innerer und äußerer Kelterstraße sollte an ihrer Stelle ein neues Polizeidirektionsgebäude entstehen. Dessen Bau verhinderte der Zweite Weltkrieg. Die Freifläche wurde in der Nachkriegszeit zu einer Grünanlage umgewandelt, auf der seit 1957 eine Bronze-Skulptur („Großes Reh“) des Bildhauers Fritz von Graevenitz steht.

Mit einer Wandvitrinen-Ausstellung vor seinen Diensträumen im Rathaus-Erdgeschoss erinnert das Stadtarchiv Reutlingen an ein untergegangenes Relikt des historischen Reutlinger Weinbaus. Neben Fotos des Kelternbetriebs in den 1930er Jahren oder einem „Verzeichnis über die in der Spitalkelter befindlichen Weinbütten-Orte nebst deren Besitzer“ von 1893 ist auch ein Güterverzeichnis der Reutlinger Hospital-Pflegschaft von 1749 zu sehen.

In diesem Band, einem sogenannten Lagerbuch, ist die Anlage mit ihren acht Pressen in der Sprache der damaligen Zeit beschrieben als „eine große Keltter, sambt einem Kelttern-Stüblen mit acht Böhm, so rings mit einer Mauer eingefaßt, in der Obern Vorstatt“. Die kleine Archivalienschau kann bis Ende November 2012 zu den Öffnungszeiten der Rathaus-Eingangshalle besichtigt werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Reutlingen
Marktplatz 22
72764 Reutlingen
Telefon: 07121 303-2386
Telefax: 07121 303-2758
stadtarchiv@reutlingen.de

Quelle: Stadt Reutlingen, Pressemitteilung, 11.10.2012; Jürgen Spieß, Südwest Presse, 18.10.2012

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