Crailsheimer Schadensplan dokumentiert Kriegsschäden

»Die ganze Innenstadt war ein einziger Trümmerhaufen«.

Im Stadtarchiv Crailsheim gibt es eine umfangreiche Karten- und Plansammlung. Ein Plan der Stadt Crailsheim ragt dabei besonders heraus, er zeigt den Grundriss der Innenstadt östlich der Jagst. Rechts und links der beiden Hauptstraßen, der Langen Straße und der Karlstraße, stehen die Häuser dicht an dicht. Kleine schiefe Gässchen führen zu den größeren Plätzen, zum Markt- und zum Schweinemarktplatz, zum Kirchplatz, Karlsplatz und Schlossplatz. An letzterem ist noch die Vierflügelanlage des Crailsheimer Schlosses zu sehen. Der Plan zeigt somit das alte Crailsheim, das mittelalterliche fränkische Städtchen, das nach Meinung von zeitgenössischen Städteplanern „ein abgerundetes, gutes Stadtgebilde in der Art der Städte Dinkelsbühl oder Nördlingen“ war.

Doch dieses Crailsheim gab es zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr: Der Plan ist einer von mehreren Plänen des Stadtarchivs Crailsheim, auf denen unmittelbar nach der Zerstörung der Stadt in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges die Kriegsschäden dokumentiert wurden. In seiner unbedarften Buntfarbigkeit vermittelt er dem Betrachter erst auf den zweiten Blick die ganze traurige Wirklichkeit: Die Legende zeigt, dass alles, was gelb markiert wurde, total zerstört war, orangefarbig markierte Häuser waren schwer zerstört, leicht- bzw. unbeschädigte Gebäude waren mit den Farben rot und braun gekennzeichnet.


Abb.: Schadensplan der Stadt Crailsheim, Maßstab 1: 2500, 75 x 58 cm (Stadtarchiv Crailsheim)

So ist sehr gut zu sehen, dass die braun markierten Gebäude der unteren Wilhelmstraße und der Spitalstraße fast keine Schäden zu verzeichnen hatten. Der Bereich dazwischen, die komplette historische Altstadt also, wurde gelb bzw. orange markiert: total oder schwer zerstört. Abgesehen von den Gebäuden rund um die Johanneskirche waren nur zwei weitere Gebäude in der Stadt unversehrt geblieben. Crailsheim war damit im Innenstadtbereich zu 95 Prozent dem Erdboden gleichgemacht. Die einzelnen Strukturen der Gebäude waren praktisch nicht mehr zu erkennen. Ein Leben war in der Stadt kaum mehr möglich. Zeitzeugin Marie Wohlmann hielt in ihrer Familienchronik fest: „Es herrschten wahrhaft chaotische Zustände in der Stadt. Die ganze Innenstadt war ein einziger Trümmerhaufen, von den Brandbomben stieg der Rauch noch lange aus den Ruinen hoch, und der Brandgeruch lag noch wochenlang über der Stadt.“

Die Zerstörung der Stadt hatte sich über mehrere Wochen hingezogen. War Crailsheim zunächst noch einigermaßen vom Kampfgeschehen verschont geblieben, gab es am 2. Februar 1945 den ersten Bombenangriff, bei dem Menschenleben zu beklagen waren: das Konsumgebäude in der Grabenstraße wurde dabei durch einen Volltreffer zerstört. Am 23. Februar war das Bahnhofsareal Ziel eines konzentrierten Bomberangriffes. Das Gelände war nach der Detonation von 928 Bomben (laut Einsatzbericht der amerikanischen Achten Luftflotte) wie umgewühlt, auch zahlreiche Wohn- und Industriegebäude, etwa das Gaswerk, sowie der Rathausturm wurden schwer getroffen bzw. zerstört. Bei den beiden Angriffen starben 70 Menschen.

Hanna Westhäußer, geb. Leiberich, berichtete in einem Brief über diese ersten Bombardierungen und hielt dabei die nicht greifbare Widersprüchlichkeit von Kriegszeiten fest: „Ich weiß, daß ich bei allem Durcheinander noch nie einen so schönen, warmen und trockenen Frühling erlebt habe.“ Doch diesen Frühling zu genießen, dazu hatten die Crailsheimer endgültig keine Gelegenheit mehr: Nach schweren Bombardierungen am 4. April, die unter anderem dem Fliegerhorst galten, kamen zwei Tage später überraschend amerikanische Soldaten mit Panzern in der Stadt an und nahmen diese ohne wesentliche Gegenwehr ein. Die vorher aus der Stadt geflüchteten SS-Truppen nahmen Crailsheim unter Artilleriebeschuss und fügten somit der Stadt weitere schwere Schäden zu, unter anderem rund um den Schweinemarktplatz. Womit nicht mehr zu rechnen war: Die Deutschen „eroberten“ die Stadt zurück – die Amerikaner zogen sich am Abend des 10. April hinter die eigenen Linien zurück. Dabei legten sie an mehreren Stellen Feuer, welches zu weiteren Schäden und Zerstörungen von Gebäuden führte.

Die auf deutscher Seite hochstilisierte und gefeierte „Rückeroberung“ brachte neue Bombardements durch amerikanische Jagdbomber. Ziele waren die Hauptstraßenkreuzungen, die Eisenbahnbrücke, erneut das Rathaus, der nördliche Teil der Stadtmitte. NSDAP-Kreisleiter Hänle ließ ab 14. April in der schon schwer getroffenen Stadt Panzersperren errichten. Noch am Abend des 20. April ließ die SS die Jagstbrücke sprengen. Die Amerikaner nahmen den Widerstand als Aufforderung zum Beschuss mit Phosphorgranaten. In der Nacht zum 21. April 1945 ging die Stadt endgültig unter. Als eines der letzten Gebäude brannte das Schloss aus. Manche brennenden Gebäude konnten wegen fehlender Infrastruktur nicht gelöscht werden. Sie steckten benachbarte Gebäude in Brand, die bis dahin noch unversehrt geblieben waren. Beim Einmarsch notieren die Amerikaner: „Die Brände sind gefährlicher als der Feind.“

Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch wenige Menschen in der Stadt, viele waren in die Vororte oder in die umliegenden Dörfer geflüchtet. Berichte von Augenzeugen, Luftfotografien, Notizen des amerikanischen und deutschen Militärs liefern nur ein unvollständiges Bild, wie die Stadt nach und nach unterging. Der Schadensplan im Crailsheimer Stadtarchiv hält den traurigen Endzustand fest.

Info:
Die Berichte der Zeitzeugen wurden entnommen aus Hans Gräser (Hrsg.): Die Schlacht um Crailsheim. Das Kriegsgeschehen im Landkreis Crailsheim im 2. Weltkrieg. Crailsheim 1997.

Kontakt:
Stadtarchiv Crailsheim
Marktplatz 1 (Gebäude: Arkadenbau)
74564 Crailsheim
Tel.: 07951 / 403-1290
www.stadtarchiv-crailsheim.de

Quelle: Dr. Helga Steiger, Stadtarchiv Crailsheim, Archivale des Monats April 2021

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