Der »Codex Maximilianeus« in Traunstein

Am 21. März 2021 starb nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren Dr. h. c. Dietrich Freiherr von Dobeneck. Der erfolgreiche Unternehmer und begeisterte Bergsteiger avancierte in den letzten Jahren seines erfüllten Lebens zu einem großzügigen und selbstlosen Mäzen des Traunsteiner Kulturlebens, wie es ihn in der langen Geschichte der Stadt wohl kaum gegeben hat. „So unterstützte er die Anlage des Salinenparks in der Au und stellte eine Million Euro zur Verfügung. Er förderte das Heimathaus Traunstein und überwies 500 000 Euro. Und Dietrich von Dobeneck spendete schließlich sein gesamtes Vermögen an die Stadt Traunstein“ [Pültz, Gernot: Unternehmer und Mäzen, in: Traunsteiner Wochenblatt, Nr. 72, 27.3.2021, S. 9] – mit der Auflage, es vorrangig in Projekte zu investieren, die das reichhaltige kulturelle Erbe der Stadt attraktiver zu machen. „Es war ihm wichtig, in Traunstein etwas zu bewegen und Spuren zu hinterlassen. Ich denke, das ist ihm gelungen.“ [ebd.] Mit dieser Einschätzung liegt Otto Huber, sein Weggefährte und enger Freund, ohne jeden Zweifel richtig.

Auch das Stadtarchiv Traunstein profitierte von der Großzügigkeit dieser außerordentlichen Persönlichkeit. Wertvolle Fotodokumentationen seiner bergsteigerischen Pioniertaten, darunter ein Album der legendären „Traunsteiner Hindukusch-Expedition“ 1961, sowie einige historische Dokumente, Bücher und Nachschlagewerke konnte das Stadtarchiv Traunstein vor Kurzem übernehmen. Darunter befindet sich auch ein Kleinod zur bayerischen Rechtsgeschichte, das in der Bibliothek des Stadtarchivs bislang fehlte und das auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen über dessen Schwester Lore von Dobeneck und den Traunsteiner Kreisarchivar Albert Rosenegger den Weg hierher gefunden hat: Der „Codex Maximilianeus“, das Bayerische Landrecht von 1616, eines der bedeutendsten Gesetzgebungswerke des Alten Reichs, das das gesamte bürgerliche und öffentliche Recht für Ober- und Niederbayern zusammenfasst.


Abb.: Die als kunstvoller Kupferstich gestaltete Titelseite („Titelkupfer“), eine Allegorie auf die Rechtsprechung (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Benannt ist es nach Herzog Maximilian (seit 1623 Kurfürst; * 17. April 1573, † 27. September 1651), dem politisch bedeutendsten Herrscher der altbayerischen Linie der Wittelsbacher, einem der hochrangigsten Fürsten seiner Zeit. Maximilian sanierte das Land finanziell und machte es wirtschaftlich leistungsfähig. Durch die Ausschaltung der ständischen Mitwirkungsrechte [Als Landstände bezeichnet man die politischen Vertretungen der Stände (Klerus, Adel und Bürger) in den europäischen Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit gegenüber dem jeweiligen Landesherrn] wurde er der eigentliche Begründer der absolutistischen Herrschaft in Bayern. Gleichzeitig war er eine prägende Person der Gegenreformation und der katholischen Reform. Seine innere Konsolidierungspolitik vergrößerte die außenpolitischen Spielräume des Landes. Und zu seinen zahlreichen herausragenden Leistungen gehörte eben auch das Landrecht von 1616.

Begonnen hatte diese Gesetzesrevision bereits unter seinem Vater Wilhelm V. [* 29. September 1548, † 7. Februar 1626; von 1579 bis zu seiner Abdankung 1597 Herzog von Bayern]. 1612 war ein erster Entwurf erschienen. Maßgeblich an der Entstehung dieses Codex, bei dem die Elemente des römischen gegenüber denen des germanischen Rechts in den Vordergrund traten, waren die Hofkanzler Johann Gailkirchner und Simon Wangnereck sowie der Münchner Stadtschreiber [heute einem geschäftsleitenden Beamten vergleichbar] Georg Lochner.

Er besteht aus insgesamt neun Teilen:

  1. Summarischer Prozess = beschleunigter Zivilprozess ohne umständliche Längen;
  2. Gantprozess = Verfahren bei Versteigerung und Konkurs;
  3. Gerichtsordnung = ordentlicher Zivilprozess;
  4. Landrecht = meist privatrechtliche Normen, eng an das reformierte Landrecht von 1518 angelehnt;
  5. Landesfreiheitserklärung = nahezu identisch mit der von 1516, hier wurden vor allem die Rechte des Adels, insbesondere der Umfang der in den adeligen Hofmarken ausgeübten Niedergerichtsbarkeit [Aburteilung von geringen Alltagsdelikten, die mit Geldbußen oder geringen Leibstrafen geahndet wurden] festgeschrieben;
  6. Land- und Polizeiordnung = Rechte und Pflichten zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der allgemeinen Wohlfahrt, Aufnahme der Bestimmungen von 1516 und 1553;
  7. Forstordnung = Vorgaben zur Forsterhaltung;
  8. Jagdordnung;
  9. Malefizprozessordnung = Regelung des Strafverfahren – unter einem Malefizverbrechen verstand man eine Gewalttat, die mit dem Tode bedroht war und von der hohen Strafgerichtsbarkeit, auch „Blutgerichtsbarkeit“, geahndet wurde.


Abb.: Teil 6 des Codex, die „Landts- und Policey-Ordnung“, beinhaltete auch eine Fischordnung, wie sie „auff der Thonaw [= Donau], Ihn [Inn], Iser, Salzach und sonst allenthalben in unseren Fürstenthumben gehalten werden soll. An deren Ende sind die Maße festgelegt, die als untere Grenze bei der Entnahme der einzelnen Fischarten sowie von Krebsen einzuhalten waren. Diese Mindestmaß wurde allerdings nicht mit einer der damals üblichen Längeneinheiten in Zahlen angegeben, sondern mit einer Zeichnung im Originalmaßstab bildlich veranschaulicht (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Beigebunden ist diesem monumentalen, mehr als 800 Seiten umfassenden juristischen Standardwerk zudem eine 1665 von dem kurfürstlichen Hof-Buchdrucker, Verleger und Buchhändler Johann Jäcklin († 1710) [Nach ihm ist in München, Bezirk Ramersdorf-Perlach, die „Jäcklinstraße“ benannt] herausgegebene Anleitung (157 Seiten) über das „Feldmessen“ (Landvermessung) [der Originaltitel lautet in voller Länge und im damaligen Wortlaut: „Ein begründter und verständiger Bericht von dem Feldmessen: Wie man Aecker, Wisen, Gärten, Höltzer, Weyer unnd andere Grundstuck ihrer Grösse nach und wievil deren jedes Jucharten, Rueten und Schuech aigentlich in sich halte, messen, auch dieselbige in etliche gleiche oder ungleiche Thail abthailen soll. Deßgleichen, wie solche Gründ nach ihr jedes Form und Gestalt in den Grund gelegt, dem verjüngten Maß nach auffgerissen und folgends auff dem Pappier leichtlicher, als zu Feld mögen, gemessen werden. Item, wie man die Weite von einem Orth zum anderen, als zwischen Stätt, Schlösser, Dörffer und anders, messen, auch derselben Revier und wie sie zu Land gelegen, auff das Pappier reissen soll. Mit einem kurtzen Underricht, wie man dise Messerey an allen Orthen leichtlich brauchen künde.“ – In der Digitalen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek online einsehbar] sowie ein „Repertorium oder General-Register nach Ordnung des Alphabets“ (136 Seiten).


Abb.: Der voluminöse „Neuzugang“ des Stadtarchivs, der „Codex Maximilianeus“ von 1616, mit den beiden beigebundenen Ergänzungen, dem alphabetischen Gesamtregister und der Anleitung zur Landvermessung von 1665 (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Einer der Vorbesitzer dieses – man darf es mit Fug und Recht so ausdrücken – prachtvollen und nach mehr als vier Jahrhunderten immer noch gut erhaltenen Bandes war, so kann man einem auf dem Vorsatzblatt hinterlassenen, handschriftlichen Vermerk vom 26. März 1853 entnehmen, Dr. Ferdinand Theodor Hopf, 1846 Rat am Ober-Appellationsgericht des Königreichs Bayern, [Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Bayern, München 1846, S. 137] zuvor Rat am Wechsel- und Merkantilgericht für die Oberpfalz und von Regensburg [Schwarz, Jakob Heinrich: Adreß-Handbuch für den Regierungs-Bezirk der Oberpfalz und von Regensburg im Königreiche Bayern, Regensburg 1840, S. 13]. Wie viele weitere hochrangige bayerischen Juristen ihn zuvor schon in ihren Händen hielten, muss eine offene Frage bleiben, die den Zauber, den jedes Relikt aus längst vergangener Zeit stets umweht, nur verstärkt.

Fakt ist: Als Grundlage der Rechtsprechung hat der „Codex Maximilianeus“ lange schon ausgedient; moderne Rechtsnormen sind an seine Stelle getreten. Für das Verständnis der bayerischen Geschichte aber bleibt er unverzichtbar. Und das Stadtarchiv Traunstein ist mit einigem Recht stolz darauf, ihn – dank der großzügigen Donation Dietrich von Dobenecks – künftig seinen Benutzerinnen und Benutzern bei Bedarf für ihre Forschungen anbieten zu können.

Kontakt:
Stadtarchiv Traunstein
Stadtplatz 39
83278 Traunstein
Tel.: 0861 / 65-250 und 0861 / 65-287
Fax: 0861 / 65-201
franz.haselbeck@stadt-traunstein.de

Postanschrift:
Stadtverwaltung Traunstein
Stadtarchiv
83276 Traunstein

Quelle: Stadtarchiv Traunstein, Archivale des Monats Juni 2021

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