Von Schmie nach Ulm zum Landesturnfest – Ein turnhistorischer Rückblick

Seit dem 19. Jahrhundert werden Turnfeste durchgeführt. Die Teilnahme ist bis heute für jeden Turnverein etwas Besonderes. Vor sechzig Jahren nahm der TV Schmie am 48. Landesturnfest in Ulm teil, was das Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg in Maulbronn (IFSG) zu einem Rückblick veranlasst.

„Für die aktiven Turner ist es eine Selbstverständlichkeit, beim Landesturnfest in Ulm den von ihren Vätern vor 30 Jahren errungenen Sieg zu verteidigen“ – mit diesem Satz, zu lesen in der 100-Jahr-Chronik, stimmten sich die Aktiven des 1899 gegründeten Vereins aus dem Maulbronner Stadtteil auf das dritte Landesturnfest im Schwäbischen Turnerbund (STB) nach dem Krieg ein, das vom 29. bis 31. Juli 1955 stattfand. Bereits 1925 hatte der TV Schmie an einem Turnfest in Ulm teilgenommen. 1955 waren aus der Region auch die Turnvereine aus Illingen, Mühlacker und Lienzigen dabei. Wie Schmie gehörten sie damals zum Land- und Turnkreis Vaihingen/Enz. Erst 1956 wurde der Turngau Neckar-Enz als Zusammenschluss von Vaihingen-Enz und Ludwigsburg gegründet.

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Abb.: Die Musterriege des TV Schmie beim 48. Landesturnfest in Ulm 1955. (Foto: IFSG)

Die Teilnahme an einem Landesturnfest war schon damals ein Höhepunkt für jeden Turnverein, da man sich im direkten Vergleich mit anderen Vereinen maß. Entsprechend wurde eine besondere „Musterriege“ gebildet. Darunter verstand man nach Rudolf Gaschs „Handbuch des gesamten Turnwesens und der verwandten Leibesübungen“ von 1920 „besonders zusammengestellte und eingeübte Riegen geübter Turner, die eine schwierige Übungsgruppe in vorbildlicher Haltung bei Schauturnen und Turnfesten darstellen.“

1845 wurde in Reutlingen das erste Turnfest abgehalten, seitdem fanden sie in Württemberg in regelmäßigem Turnus statt. Ulm konnte auf eine lange Turnfesttradition zurückblicken: Dort waren bereits vier Landesturnfeste veranstaltet worden. Hugo Schweizer, 1955 Oberturnwart des Schwäbischen Turnerbundes, bezeichnete die Landesturnfeste als „Feiertage des turnerischen Schaffens“. Schweizer weiter: „Die Grundsätze der turnerischen Ideale und der turnerischen Erziehung sollen an diesen Tagen spontan ihren sichtbaren Ausdruck erhalten. Pflichtbewusstsein, Selbstzucht, Bekennermut, Gefolgschaftsgeist, Opferwille und Treue sollen als selbstverständliche Tugenden im Mittelpunkt eines solchen Festes stehen.“

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Abb.: Die „Morgenfeier“ vor dem Ulmer Münster. (Foto: IFSG)

Nicht nur rhetorisch herrschte damals noch ein merklicher Gegensatz von Sport und Turnen. Als bewusstes Gegenbeispiel zum Sport mit seinem „hektische[n] Getriebe des Leistungssports“ waren die drei Festtage durch vielfältige Formen der Leibesübungen geprägt. Neben dem klassischen Geräteturnen mit den Deutschen Turnvereins-Meisterschaften, wurden Turnspiele abgehalten sowie Leichtathletikdisziplinen – das sogenannte „Volksturnen“ – und Schwimmwettkämpfe angeboten.

Eingebettet waren die Disziplinen in einen straffen Programmablauf mit „Antreten“, „Einmarsch“ und der „Unterweisung“ der Turner. Ebenso wichtig wie der sportliche Aspekt war aber auch die Erfahrung der Geselligkeit und der Gemeinschaft mit anderen Vereinen. Wie bedeutend die Veranstaltung war, sieht man auch daran, dass die Bahn neun Sonderzüge einsetzte und die Veranstaltung im Film „Turnen – Quell der Freude“ dokumentiert wurde.

Schließlich wurde die Veranstaltung auch für den kleinen Turnverein Schmie zu einem großen Erfolg. Nochmals die Chronik: „Hart und unermüdlich werden die Übungen unter der Leitung von Willy Gaupp gedrillt. Ein 1. Platz ist der wohlverdiente Lohn.“ Die Musterriege erkämpfte schließlich einen Siegerkranz. Das Riegenbild wird noch heute sorgsam im Vereinsarchiv aufbewahrt Die beiden Senioren Ewald Link (82) und Wolfgang Vallon (81), damals Turnwart und Turner im TV Schmie, erinnern sich gerne an die Fahrt mit Postbus und Zug nach Ulm und an den Anblick des Ulmer Münsters mit dem abendlichen Feuerwerk.

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Abb.: Wolfgang Vallon (links) und Ewald Link erinnern sich im Vereinsarchiv an ihre Teilnahme beim Landesturnfest vor 60 Jahren. (Foto: IFSG)

Der Festzug aller Turner durch Ulm war ebenfalls ein unvergessliches Erlebnis. Für Link, Vallon und den gesamten TV Schmie bildete die Teilnahme am Turnfest einen Vereinshöhepunkt, zumal ebenfalls 1955 die Einweihung der eigenen Turnhalle erfolgte. Die beiden erinnern sich sehr zufrieden: „Wir übten dreimal pro Woche Synchronturnen. Unser Ziel war, den Erfolg unserer Väter vom Ulmer Turnfest 1925 zu wiederholen. Schließlich erreichten wir im Wettkampf auch 37,7 von 40 Punkten.“

Bis in die 2000er Jahre nahm der Verein regelmäßig an Landesturnfesten und Deutschen Turnfesten teil. Leider ist diese Entwicklung rückläufig, da immer weniger Aktive zur Teilnahme bereit sind – eine Beobachtung, die auch für viele andere Vereine gilt.

(Markus Friedrich, IFSG)

Info:
Das Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V. (IfSG) mit Sitz in Maulbronn sammelt Quellen zur Sportgeschichte des Landes. Die Sammlungsbestände umfassen Festschriften, Akten, Bild- und Filmmaterial sowie Objekte. Internet: www.ifsg-bw.de

Quelle: Enzkreis, Pressemitteilung 410/2015 (Aus der Serie „GESCHICHTSORT ARCHIV“), 3.11.2015

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