Einigung im Nachlassstreit um Weimars Kulturschätze

(StZ) Zuerst die gute Nachricht: Weimars größte Schätze werden nicht privatisiert. Das Goethe-und- Schiller-Archiv fällt nicht zurück in herzogliche Hände, auch bleiben sämtliche Bestände der Anna-Amalia-Bibliothek, die Fürstengruft mit den Särgen von Goethe und Schiller sowie die Kunstsammlungen zu Weimar im Besitz der Öffentlichkeit. Der jahrelange Streit zwischen dem Land Thüringen und dem Herzoghaus Sachsen-Weimar-Eisenach um diese Kulturgüter ist vorbei. Eine letztinstanzliche gerichtliche Klärung wurde vermieden, dennoch kehrt Sicherheit ein, denn die Adelsfamilie zieht ihre Ansprüche zurück. Zum Ausgleich erhält sie 15,5 Millionen Euro.

Wenig Geld für einen großen Verzicht, könnte man mit Blick auf den unschätzbaren Wert des Nachlasses sagen. So, als Verzichtende, sähe sich auch die herzogliche Familie gern dargestellt. Man sei bestrebt gewesen, keine weiteren Belastungen zu erzeugen, sondern sich der mäzenatischen Tradition zu stellen, welche die Familie geprägt habe, kommentierte ihr Rechtsanwalt den nun gefundenen Kompromiss. In Thüringen, wo man noch idealistische Vorstellungen vom Mäzenatentum hegt, hat diese Bemerkung mokante Mienen erzeugt. „Wir dachten immer, Mäzene bringen Geld“, heißt es im Umkreis der Stiftung Weimarer Klassik über die Nehmerqualitäten des deutschen Adels.

Die juristische Basis der herzoglichen Ansprüche ist zweifelhaft. Das seit 1994 geltende Entschädigungsgesetz, das verlangt, Adligen und Privatsammlern, die nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurden, ihre bewegliche Habe zurückzugeben, hätte für den Zugriff auf das Klassikerarchiv vermutlich nicht ausgereicht. Gefahren aber bestanden für das Inventar anderer Einrichtungen, zumal für die im Schlossmuseum befindlichen Kunstsammlungen. Daher Thüringens Zahlungsbereitschaft, darum wird wohl auch kein Betroffener dem Kompromiss die noch ausstehende Zustimmung versagen.

Gleichwohl bleibt ein übler Nachgeschmack. Als Walther Wolfgang von Goethe, der letzte Enkel des Dichters, testamentarisch verfügte, der Nachlass seines berühmten Großvaters solle in das Eigentum der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach übergehen, war dies nicht als Geschenk an eine Privatperson gedacht, sondern im Vertrauen darauf, dass nun die Obrigkeit den Nachlass schützt und pflegt. So entstand nach Walthers Tod 1885 das Archiv.

In der Folge zeigte sich, dass die großherzogliche Familie allein zur Erschließung und Pflege immer weniger in der Lage war. Von 1925 bis 1947 bestritt das Land Thüringen 48 Prozent des Haushalts des Goethe-und-Schiller-Archivs, 20 Prozent kamen von der Goethe-Gesellschaft, und die fürstliche Schatullverwaltung begnügte sich mit dem verbleibenden Drittel. Auch heute wäre die herzogliche Familie nicht imstande, die hohen Kosten zu tragen, die der Unterhalt der Archivalien verlangt. Hinzu kommt, dass sie, wie einst Großherzogin Sophie, weder als Stellvertreterin der Nation legitimiert ist noch verlangen dürfte, sich Güter anzueignen, welche die öffentliche Hand seit rund hundert Jahren mitfinanziert. Zumindest moralisch fehlt ihr dazu jedes Recht.

(Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 2.6.2003)

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.