Im Schloss surren Scanner für die Mormonen

Prunkvoll steht das elegante Schloss Kossenblatt (Oder-Spree) inmitten eines Wäldchens. Ein massives Eisentor und der Zaun schirmen den Barockbau von der Außenwelt ab. Auf dem herrschaftlichen Anwesen surren Scanner und filmen Kameras. Um vergilbtes Archivmaterial oder Namensregister der Nachwelt zu erhalten, werden diese auf Mikrofilm gebannt. Haltbarkeit: rund 500 Jahre.

Zu dem Material, das die 21 Mitarbeiter der Mikrofilm-Center Kossenblatt GmbH auf Spezial-Zelluloid „verfilmen“, gehören Einwohnermelderegister aus dem 18. Jahrhundert, uralte Leichenpredigten oder kaum noch identifizierbare Adressbücher aus dem 17. Jahrhundert. „Durch unsere Arbeit erhalten wir unwiederbringliche Unterlagen der Nachwelt“, sagt Gottfried Keßler, Prokurist der Film-Firma. Schon als Zentralstelle für Reprografie der DDR genoss das Unternehmen Weltruf. Heute ist Schloss Kossenblatt die bedeutendste „Kopierstelle“ der neuen Bundesländer. Trotz voller Auftragsbücher hatte die Mikrofilm-Firma vor 15 Monaten Insolvenz beantragen müssen. Mittlerweile schreibt sie nach Angaben Keßlers aber wieder schwarze Zahlen.

Einen ganz besonderen Auftrag zogen die Mikrografen aus Ostbrandenburg im US-Bundesstaat Utah an Land. Hier lebt der größte Teil der weltweit mehr als zwölf Millionen Mormonen. Und die forschen auf dem gesamten Erdball nach ihren Vorfahren. Ihrem Glauben nach soll so „eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart in die Zukunft“ gebaut werden, heißt es in einer Erklärung der europäischen Mormonenvertretung in Frankfurt/Main. Um die Recherche nach Urahnen aus dem deutschsprachigen Raum zu forcieren, soll das Kossenblatter Unternehmen alte Kirchenbücher und Namensregister auf bis zu 30 Meter lange Filmrollen bannen. Je nach Bedarf werden die Unterlagen dann später ausgewertet.

Geschäftspartner ist die 1894 gegründete Genealogische Gesellschaft von Utah (GGU) der Mormonen. In ihrem Auftrag durchstöberten Gottfried Kessler und seine Mitarbeiter schon etliche Archive. „Etwa zweimal im Jahr bekommen wir Besuch von den Mormonen, die sich dann nach dem aktuellen Stand der Dinge erkundigen“, sagt Kessler. Bereits jetzt lagern Tausende von Kossenblatter Filmrollen in einem atombombensicheren Granitgewölbe bei Salt Lake City in Utah. In den Felsblock in den Rocky Mountains passen insgesamt sechs Millionen Rollen Mikrofilm.

Um die zu füllen, bräuchten mehrere Mikrofilm-Betriebe noch Jahre, so Reprografin Sandra Dallmann. Die Werkräume der in Deutschland einzigartigen Verfilmungsstelle wirken da doch eher schlicht. In roten Behältnissen, die Bäckerei-Kisten aus Plastik ähneln, liegen jahrhundertealte Kirchenschriften und Zivilstandsregister. Der Prokurist plaudert über Historie und Leben der Mormonen. Er selber sei kein Mormone, betont der kleine Mann mit Krawatte. Einige Beschäftigte sitzen im flachen Kopierraum, den nur Schummerlicht etwas erhellt. Lediglich die riesigen Verfilmungs- und Kopiermaschinen spenden Licht.

Quelle: Morgenpost, 3.11.2003

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