Simon Wiesenthal (1908-2005) hat ein Archiv von rund 8.000 Akten hinterlassen: eine einmalige Sammlung von Zeugenaussagen, Gerichtsakten, Dokumenten aus der NS-Zeit und Korrespondenz. Dieses Archiv soll gemeinsam mit dem ebenso außergewöhnlichen Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde der Kern des neuen Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI) werden. Dahinter stehen renommierte Forscher des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien oder des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.
Die Finanzierung für das geplante Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien ist allerdings noch immer unklar. Es gebe zwar grundsätzliche Zusagen von Bund und Stadt Wien, die genaue Höhe der Förderung sei aber offen. Der Institutsvorstand und Politikwissenschafter Anton Pelinka sagt, dass der Umbau rund zehn Millionen Euro kosten würde, und rund 2,5 Millionen Euro jährlich für den Betrieb aufzuwenden wären.
In das Institut eingebracht werden soll neben dem Nachlass des im Vorjahr verstorbenen \“Nazijägers\“ auch das Archiv der jüdischen Kultusgemeinde Wien. Sollte das Institut in Österreich nicht zu Stande kommen, drohe der Verlust des Wiesenthal-Nachlasses ans Ausland. Interesse habe zum Beispiel das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, ein weiterer Interessent wäre die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Ein erstes Lebenszeichen gibt das Institut gleichwohl bereits von sich: Am 7. und 8. Juni 2006 veranstaltet der Trägerverein (beteiligt sind unter anderem die Israelitische Kultusgemeinde und das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands) eine hochkarätig besetzte Tagung über "The Legacy of Simon Wiesenthal for Holocaust Studies".
Im Zentrum der Tagung steht das \“Wiesenthal Memorandum\“ an die österreichische Regierung von 1966, in dem der Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums auf die Beteiligung auffallend vieler Österreicher an den NS-Verbrechen hinwies. Zur Tagung angemeldet hat sich unter anderem Raul Hilberg, der 1939 aus Wien emigrierte Mitbegründer der modernen Holocaustforschung. Die Konferenz wird unter http://www.vwi.ac.at live im Internet übertragen.
Programm:
Mittwoch, 7. Juni 2006
9:15
Begrüßung
Hans Belting, Direktor des IFK
Friedrich Stadler, Vorstand des IfZ
Anton Pelinka, Vorstand des VWI
Zur Idee eines Wiener Wiesenthal Instituts
Einleitung und Moderation: Bertrand Perz
10:00
David Bankier
Antinazi Exiles’ Reactions to Antisemitism and the Holocaust
11:00
Kaffeepause
11:30
Atina Grossmann
Entangled Histories and Lost Memories.
Jewish Survivors in Occupied Germany 1945–1949
12:30 Mittagspause
Moderation: Hans Safrian
14:30
Isabel Heinemann
Humangenetik und Regionalplanung statt Rasse und Raum:
Die Rasseexperten der SS in der Nachkriegsgesellschaft
15:30
Christian Gerlach
Das nationalsozialistische Österreich als \’extrem gewalttätige Gesellschaft\‘
16:30 Kaffeepause
17:00
Peter Black
Handlanger der Endlösung:
Die Trawniki-Männer und die Aktion Reinhard 1941-1943
18:00 Ende
Donnerstag, 8. Juni 2006
Moderation: Dirk Rupnow
9:30
Wlodzimierz Borodziej
Die strafrechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen in Polen, 1944–1956
10:30
Michael Wildt
Die Strafverfolgung der Täter des Reichssicherheitshauptamtes im Nachkriegsdeutschland
11:30 Kaffeepause
12:00
Omer Bartov
Guilt and Accountability in the Postwar Courtroom:
The Holocaust in Czortków and Buczacz, East Galicia, as Seen in West German Legal Discourse
13:00 Mittagspause
Moderation: Lutz Musner
15:00
Tom Segev
Simon Wiesenthal and the Holocaust Memory in Israel
16:00
Bertrand Perz
Das Wiesenthal-Memorandum und die Frage nach der österreichischen Verantwortung für die NS-Verbrechen
17:00 Kaffeepause
17:30
Raul Hilberg und Walter Manoschek im Gespräch, Abschlußdiskussion
18:00 Ende
Konzeption: Avshalom Hodik (Israelitische Kultusgemeinde Wien), Lutz Musner (IFK, Wien), Bertrand Perz (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien), Ingo Zechner (Israelitische Kultusgemeinde Wien)
Kontakt:
Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI)
Rabensteig 3
A-1010 Wien
office@vwi.ac.at
Quelle: Peter Daser, Ö1 Inforadio, 6.6.2006; ORF.at (Wien), 6.6.2006; News networld vom 6.6.2006