Eine neue Serie über wichtige Nachlässe eröffnete das Wiesbadener Tagblatt heute mit einer Folge über das Vermächtnis Ludwig Gärtners. In seinem Testament vermachte der 1864 in Wiesbaden geborene Justizbeamte und Heimatforscher Ludwig Gärtner 1949 der Stadt seine umfangreiche Sammlung „Wiesbadener Erinnerungen, Bücher und Bilder“.
Unterlagen der Stadtverwaltung seien heute das „Hauptgeschäft“ des Wiesbadener Stadtarchivs, erklärt dessen Mitarbeiter Jochen Dollwet. In ihrer Archivsatzung verpflichtet die Landeshauptstadt Wiesbaden ihre Dezernate, Ämter und Betriebe, alles Schriftgut und alle sonstigen Informationsträger, die zur aktuellen Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden, „unverzüglich auszusondern und dem Archiv zur Übernahme anzubieten.“ Das bedeute nicht, dass man alles nehme, meint Dollwet. Es müsse schon historischen Wert haben.
Neben den städtischen Akten bewahrt das Archiv auch Nachlässe, Sammlungen und einzelne Schriftstücke aus dem Besitz von Privatpersonen, Verbänden und Parteien. Beim Blättern in der Bestandsübersicht trifft man auf bekannte Namen, etwa die der beiden ehemaligen Wiesbadener Oberbürgermeister Carl von Ibell (1847-1924) und Georg Buch (1903-1995).
Vermutlich weniger geläufig dürfte dagegen der Name des Justizbeamten und Heimatforschers Ludwig Gärtner (1864-1953) sein. Seine in den 1940er Jahren testamentarisch verfügte „Stiftung Ludwig Gärtner“ rangiert bis heute an erster Stelle der „Privata“ des Stadtarchivs.
Nicht allein wegen ihres Umfangs – immerhin 409 Mappen und sieben Regalmeter – handelt es sich um einen wichtigen Nachlass, dessen Bedeutung die Archivmitarbeitern noch heute zu würdigen wissen. Ohne Gärtners Stiftung, so heißt es, wäre in den vergangenen fünfzig Jahren das Wiesbadener Stadtarchiv als Institution sehr wahrscheinlich nicht lebensfähig gewesen. Gärtners umfangreiches und vielseitiges Material zur Vergangenheit Wiesbadens bildete den Grundstock für die öffentlich nutzbare Bibliothek des Stadtarchivs, dessen Foto-, Postkarten- und Plakatsammlung sowie die Sammlung der Stiche und Zeichnungen.
Vor allem aber die 1911 von Gärtner angelegte Kartei mit bibliographischen Nachweisen zur Stadtgeschichte ist noch heute „Herzstück“ der Auskunftstätigkeit des Stadtarchivs. Bis zu seinem Tod 1953 hat Gärtner über 10.000 Literaturstellen darin verzeichnet. Von der Aartalbahn und Adlerapotheke über Mundart, Neroberg, Prinzenraub, Rathaus oder Postkutsche bis „Zum schwarzen Rappen“ findet man zu fast jedem Stichwort, das einem so einfällt, mindestens einen Literaturhinweis.
Im Fall „Postkutsche“ beispielsweise kann man unmittelbar zu einem Band der von Gärtner seit 1926 gesammelten Zeitungsausschnitte greifen und erfährt beim Lesen eines Tagblatt-Artikels aus dem Jahre 1939, dass „wegen Eröffnung des Schienenweges Wiesbaden-Langenschwalbach“ am 15. November 1889 die letzte Stunde des hiesigen Postkutschenverkehrs nach Rüdesheim geschlagen hatte. Da wir gerade das Tagblatt erwähnten und das Staatstheater in Wiesbaden der Sanierung bedarf, sei auch noch die von Gärtner aufbewahrte Probenummer unserer Zeitung vom 16. September 1852 zitiert. Die nur vierseitige Ausgabe machte unter anderem bekannt, dass „bei Erneuerung des Oelfarbenanstrichs an der Blitzableitung des hiesigen Theaters vorkommende Dachdecker-, Schlosser und Tünchearbeiten … öffentlich wenigstnehmend auf dem Rathause dahier versteigert“ werden. Gemeint war damals allerdings das alte Theater.
Wie es sich Gärtner gewünscht hatte, konnte seine Kartei im Rahmen der personellen Möglichkeiten des Stadtarchivs bis 1997 fortgesetzt werden, zwar nur „rudimentär und unsystematisch“, aber immerhin. Eine elektronische Erfassung der inzwischen auf insgesamt 165.000 Datensätze angewachsenen Kartei erfolgte in den Jahren 1992 bis 1997. Zu Recht gilt die Gärtner-Kartei allgemein als Generalkatalog für eine „Auskunftei Stadtarchiv“ und hat auch dieser Serie über Nachlässe in Wiesbaden gute Dienste erwiesen.
Gärtners Sammlung war zwischen 1942 und 1945 im Wiesbadener, nach dem Krieg im Biebricher Rathaus untergebracht und öffentlich zugänglich, wie ein Besucherbuch der Jahre 1942 bis 1953 belegt. Aus dem reichen Bestand der Gärtnerschen Hinterlassenschaft veröffentlichte Jochen Dollwet 1994 das Tagebuch des Uffenheimer Stadtvogts Ludwig Friedrich Christoph Schmid über seinen Kuraufenthalt 1765 in Wiesbaden („Wer an seinem Schöpfer sündiget …“, Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden, Band 3).
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Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 9.9.2003