Hungern für Karl Valentins Nachlass

Nachdem die bunten Blätter bereits über den Hungerstreik zweier Münchner Wirtinnen, darunter die stadtbekannte Performance-Künstlerin Petra Perle (Link), berichtet hatten, ist diese Aktion, die Karl Valentins Nachlass von Köln nach München heim holen soll, nun auch Thema der Feuilletons, denen es freilich wie ein verspäteter Faschingsscherz erscheint.

Zum Volkssänger, Komiker, Literatur- und Filmemacher Karl Valentin haben die hungerstreikenden Frauen ein direktes Verhältnis. Sie bewirtschaften das Turmstüberl im Münchner Valentin-Musäum. Die Damen, die von Statur und Umfang das Hungern vermutlich eine Weile durchhalten könnten, vielleicht sogar den Nebeneffekt einer Gewichtsabnahme in der Fastenzeit listig einkalkulierten, sprechen von einer Streikdauer von bis zu zwei Wochen. Falls „die Kölner“ bis dahin nicht zu Kreuz kriechen sollten, wird es ernst. Ein „Protestmarsch“ gen Norden ist avisiert. Die Valentiade der Wirtinnen wurde in der vergangenen Woche durch die Anfrage zweier der CSU-Opposition angehörender Stadträte ausgelöst, wie München es denn in Zukunft mit Karl Valentin zu halten gedenke (siehe dazu die Pressemitteilung des Münchner Kulturreferates vom 1.3.2004).

Die Frage berührt eine himmelschreiende Peinlichkeit. Um den genialen Spaßmacher, den größten, den Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert hervorbrachte, macht München seit seinem Tod einen Bogen. Ja, noch zu Lebzeiten wurde er dort vergessen. Der Mann, dem manche den Rang eines Chaplin beimessen, verbrachte seine letzte Lebenszeit als Lagerist und Depotarbeiter im Münchner Stadtmuseum. Er starb verarmt 1948. Sowohl in der NS-Zeit wie in den frühen Nachkriegsjahren paßte der „traurige Hanswurst“, wie ihn der Münchner Literat Ernst Hoferichter genannt hat, nicht in die politische Landschaft.

Von den Indianern und Eskimos abgesehen, bemerkte er einmal, sei er nirgends so wenig bekannt wie bei seinen Landsleuten. Als seine Witwe 1953 den Nachlaß Valentins der Stadt München für 7.000 Mark anbot, schlug diese ihn aus. Und noch einmal, in den Achtzigern, bekundete sie ihr Desinteresse, als über die Möglichkeit diskutiert wurde, Valentins Geburtshaus in der Au zu einer Gedenkstätte zu machen, der eine Forschungsstelle hätte angegliedert werden können.

Aufgekauft wurde der Nachlaß von dem Theaterhistoriker an der Universität Köln, Carl Niessen. Vermutlich hat es ihn befriedigt, den Fang seinem Kontrahenten, dem Münchner Theaterprofessor Arthur Kutscher, vor der Nase weggeschnappt zu haben. Wie viele obsessive Sammler saß Niessen dann zunächst einmal auf seiner Beute fest, auch nachdem er sie für 380.000 Mark 1959 an die Universität Köln verkauft hatte. Er wollte die Papiere selbst bearbeiten. Dazu kam es nie. Nach seinem Tod 1969 gab es ein langes Trauerspiel mit der Witwe um die Auswertung des Nachlasses. Erst 1985 wurde er durch richterlichen Beschluß öffentlich zugänglich gemacht. In einem Stiftungsvertrag mit dem Land Nordrhein-Westfalen wurde verfügt, die Privatsammlungen Niessen an Ort und Stelle zu belassen. Ob das die Münchner Wirtinnen wissen? Sie mögen noch so effektvoll hungern, marschieren, zetern – rechtlich haben sie keinerlei Chance. „Die Kölner“ haben den Valentin schließlich nicht geklaut.

Valentins Texte liegen inzwischen in einer zum Teil heftig befehdeten kritischen Gesamtausgabe des Piper Verlags vor. Und ob der Nachlaß in Köln oder München bearbeitet wird, ist für die interessierte Nachwelt unerheblich. Allerdings ist bisher von einem größeren Interesse daran nichts zu hören. Dabei wäre dort nach Auskunft von Wolfgang Till, dem Leiter des Münchner Stadtmuseums, der den Katalog anläßlich einer Ausstellung zum 100. Geburtstag Valentins herausgab, durchaus einiges zu entdecken. Laut Till ist Valentins Bildwelt noch wenig erforscht. Der Künstler, den man heute „multimedial“ nennen würde, sammelte Postkarten, Fotos, Plakate als Anregung für seine Texte und Filme.

Quelle: FAZ, 3.3.2004, Nr. 53, S. 39

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.