Abschiedsbriefe der Lübecker Blutzeugen

Während des 20. Jahrhunderts haben mehr Christen und Christinnen aufgrund ihres Lebenszeugnisses für Jesus Christus einen gewaltsamen Tod erlitten als in den vorangegangenen Jahrhunderten. In der russischen Revolution, unter den Regimen von Nationalsozialismus und Stalinismus und in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurden sie wegen ihres Glaubens, ihres Einsatzes für verfolgte oder ihnen anvertraute Menschen sowie ihres Widerstands gegen die Diktatur inhaftiert, gefoltert und getötet.

Der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink, seit 1934 an der Lutherkirche in Lübeck, wurde zusammen mit den drei jungen katholischen Geistlichen Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller am 10. November 1943 enthauptet. Gemeinsam hatten die vier Geistlichen Predigten des Bischofs von Münster, Graf von Galen, vervielfältigt und verteilt, in denen dieser sich gegen die Vernichtung psychisch und physisch Kranker wandte. Auf Gruppenabenden in der katholischen Herz-Jesu-Kirche war offen über die Sinnlosigkeit des Krieges diskutiert worden. Zusammen mit einigen Laien wurden die vier Geistlichen Anfang April 1942 verhaftet, nachdem Stellbrink nach der Bombardierung Lübecks am 28./29. März 1942 diese in einer Predigt als Strafe Gottes bezeichnet hatte. 

Im Juni 1943 wurden Stellbrink, Prassek, Lange und Müller vom eigens aus Berlin angereisten Volksgerichtshof wegen "landesverräterischer Feindbegünstigung\“, \“Wehrkraftzersetzung\“, Vergehen gegen das \“Rundfunkgesetz\“ und das \“Heimtückegesetz\“ zum Tode verurteilt und im Gefängnis von Hamburg-Hohenglacis mit dem Fallbeil hingerichtet; die Laien bekamen Zuchthausstrafen. 

In den folgenden Monaten ging es um die Frage, ob die Abschiedsbriefe der vier Lübecker freigegeben werden könnten. Es bestand nämlich die Sorge der NS-Justiz, durch eine Verbreitung der Abschiedsbriefe könnten die vier Geistlichen als Märtyrer angesehen werden. So wurden nicht nur Langes und Prasseks an den Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning, sondern auch ihre und Pastor Stellbrinks Briefe an die Familien nicht ausgehändigt. Klemens-August Recker entdeckte schon vor einigen Jahren Langes und Prasseks Abschiedsbriefe an Bischof Berning. Aber erst in diesen Tagen fand der Historiker Peter Voswinckel die Briefe Karl Friedrich Stellbrinks und Johannes Prasseks an ihre Angehörigen. Seinen Fund verdankt Voswinckel sowohl der Ordnungsliebe der Nationalsozialisten wie der notorischen Sammelleidenschaft der DDR. Die Briefe lagerten im Zentralen Staatsarchiv Potsdam und liegen nun im Bundesarchiv Berlin in Lichterfelde.

Der Kaplan Johannes Prassek schrieb am Tag seiner Hinrichtung Briefe, die allesamt nicht weitergeleitet wurden. Voswinckel entdeckte alle, und auch einen, der 1970 schon in einer DDR-Publikation verkürzt und ohne Quellenangabe von Luise Kraushaar, einer Mitarbeiterin von Anna Seghers, publiziert wurde. Mit der Entdeckung der Quellen fällt, so bemerkt Martin Thoemmes im Feuilleton der FAZ, eine neue Wendung in der Geschichte des Gedenkens an die Lübecker Märtyrer zusammen. Denn Ende November wird das Seligsprechungsverfahren der drei katholischen Geistlichen eingeleitet, das es in der evangelischen Kirche nicht gibt. Gleichwohl werden evangelische und katholische Kirche anlässlich des Seligsprechungsprozesses eine gemeinsame Stellungnahme herausgeben, in der die Verbundenheit des evangelisch-lutherischen Pastors Stellbrink und seiner drei katholischen Mitbrüder im gemeinsamen Glauben an Christus betont wird.

Quelle: Martin Thoemmes, FAZ, 15.11.2004, 36; BBKL; Ökumenisches Heiligenlexikon

Düsseldorfer Stadtmuseum entdeckt die Museumspädagogik

Als die Direktorenstelle des Düsseldorfer Stadtmuseums im letzten Jahr mit Susanne Anna neu besetzt wurde, wurde zugleich die Gelegenheit genutzt, eine Neukonzeption des alten, dreigeteilten Speeschen Palais in Auftrag zu geben. Damit ist Düsseldorf die erste Stadt in Deutschland, die sich den Luxus eines so gut wie neuen Stadtmuseums leistet. Jahrzehntelang galt vor allem die Devise, das Bestehende zu erhalten und möglichst wenig zu investieren. Besonders die Stadtmuseen leiden unter den Sparzwängen der vergangenen Jahre. Sie gelten oft als unattraktiv und haben, im Vergleich etwa zu den großen Kunsthallen, kaum Spektakuläres zu bieten. Selbst in der ehemaligen Residenz- und heutigen Landeshauptstadt Düsseldorf fristete das Stadtmuseum ein Schattendasein.

Die neue Direktorin Susanne Anna wurde nun aber nicht nur mit weitreichenden Befugnissen, sondern auch mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet. Der Ausstellungsetat allein wurde auf eine viertel Million Euro verfünffacht, und für die Sanierung des Hauses stehen im nächsten Jahr 500.000 Euro zur Verfügung. Die Umbauphase soll im Mai 2005 beginnen, die Wiedereröffnung ist für Januar 2006 geplant. Bis dahin wird der Altbau mit seinen fast 50 Räumen von Grund auf saniert. Etliche Wände werden entfernt und alle mit Pappe verklebten Fenster geöffnet.

Die Dauerausstellung soll chronologisch und thematisch geordnet werden. Herausragende Gestalten der Stadtgeschichte, wie Johannes Ey oder Joseph Beuys, bekommen eigene Räume. Dazwischen stehen immer wieder Computer, an denen sich die Besucher umfassend informieren können. Zudem werden sie mit PDAs (Portable Digital Assistents) ausgestattet, die sie durch die Ausstellung begleiten. Auch wird es Projekträume geben, in denen aktuelle Bezüge zwischen dem Museum und der Stadt hergestellt werden können. Insgesamt wird es zwar weniger zu sehen geben – etwa zehn Prozent der rund 100.000 Exponate. Dafür wird das Düsseldorfer Stadtmuseum, das 30 festangestellte Mitarbeiter hat, aber künftig freien Eintritt gewähren: am Wochenende bis 24 Uhr, unter der Woche bis 20 Uhr.

Kontakt:
Stadtmuseum Düsseldorf
(ehem. Palais Spee)
Berger Allee 2
40213 Düsseldorf
Tel. 0211/8996170
Fax: 0211/8994019
gabriele.frind@stadt.duesseldorf.de

Quelle: Peter-Philipp Schmitt, FAZ, 15.11.2004, 8.

Reußen-Prozess um Immobilien-Rückgabe geht weiter

Nach mehr als neunmonatiger Unterbrechung wird der Prozess um Immobilien-Forderungen des durch die sowjetische Besatzungsmacht nach 1945 enteigneten Fürstenhauses Reuß im Dezember vor dem Verwaltungsgericht Gera fortgesetzt. Nach Informationen von MDR 1 Radio Thüringen will die Familie Dokumente aus russischen Archiven zur Enteignung präsentieren. Dabei geht es um eine so genannte Schutzliste. Vermögen, die auf dieser \“B-Liste\“ der sowjetischen Besetzungsmacht standen, waren von Enteignungen verschont. Das Fürstenhaus war auf einer \“B-Liste\“ im Moskauer Staatsarchiv vermerkt, nicht aber auf einem Papier im Weimarer Staatsarchiv

Die Reußen möchten erreichen, dass die Enteignung ihres Vorfahren Heinrich XLV. durch die sowjetischen Militärbehörden für unrechtmäßig erklärt wird. In diesem Fall müßten mehrere Immobilien in und um Gera zurückgegeben werden, darunter Schloß Osterstein. Das Adelshaus argumentiert, dass Erbprinz Heinrich XLV. außer der deutschen auch die englische Staatsbürgerschaft besessen habe. Er hätte damit nicht enteignet werden dürfen. 

Quelle: Die WELT, 16.11.2004

Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945

Bereits 1998 wies das Hessische Finanzministerium die Finanzbehörden des Landes an, in ihren Aktenbeständen nach Unterlagen zu suchen, die die Beteiligung des Fiskus an der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung in der Nazizeit belegen. Die Übergabe der in Hessen aufgefundenen Dokumente an das Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, das zu diesem Zeitpunkt bereits über einschlägiges Schriftgut der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung und über Unterlagen jüdischer Rechtsanwälte sowie einen Bestand an Schriftgut aus dem Bereich der Wiedergutmachung in sehr erheblichem Umfang verfügte, gab Anlass zu einem Dokumentations- und Forschungsprojekt, das vom Fritz Bauer Institut durchgeführt wurde. Die gesichteten Devisenakten, Steuerakten, Vermögenskontrollakten und Handakten jüdischer Rechtsanwälte belegen eindrücklich die fiskalische Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung Hessens im Dritten Reich. 

Das Forschungsprojekt des Fritz Bauer Instituts bildete die Grundlage für eine gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk (hr) konzipierte und realisierte Ausstellung sowie den Film „Der große Raub“ (hr, 2002). "Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945" lautet der Titel der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des hr, die das Geschehen der fiskalischen Judenverfolgung auf regionalgeschichtlicher Ebene dokumentiert. Noch bis zum 4. Dezember kann die Ausstellung von Mittwoch bis Samstag in der Zeit von 11 bis 18 Uhr besichtigt werden. Zur Vor- und Nachbereitung eines Ausstellungsbesuches steht eine Mappe mit Arbeitsmaterialien und Bearbeitungsvorschlägen zur Verfügung. Zur Ausstellung ist außerdem in der Reihe s-selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ein Katalog erschienen.

Begleitprogramm

Mittwoch, 17. November, 19.30 Uhr 
„Rückerstattung und Wiedergutmachung. Vermögensrestitution in der Amerikanischen Besatzungszone und ihre Folgewirkungen für die Rückerstattung in der BRD“ 
Vortrag von Peter Heuss 
Ort: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Rheinstr. 23-25 

Mittwoch, 24. November, 18 Uhr 
Depotführung im Museum Wiesbaden mit Dr. Renate Petzinger und Dr. Volker Rattemeyer 
Treffpunkt: Eingang Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2 

Samstag, 27. November, 10 – 12 Uhr 
\“Archivgut im Hessischen Hauptstaatsarchiv zur fiskalischen Ausplünderung der Juden unter der NS-Diktatur\“ 
Ort: Hessisches Hauptstaatsarchiv
Es wird um Anmeldung gebeten unter der Telefonnummer 0611 / 8810 in der Zeit von Montag bis Freitag von 9 – 12 und 13 – 15 Uhr. 

Samstag, 27. November, 15 Uhr 
Erzählcafé mit Gertie Mayer-Jorgensen 
Bistro „Durchblick“ in der vhs 
Ecke Schiersteiner Straße/Willy-Brandt-Allee, 65197 Wiesbaden, 
ESWE-Buslinien 5,8,15, Haltestelle Willy-Brandt-Allee/Volkshochschule 

Dienstag, 30. November, 19.30 Uhr 
Deutschland, ich komme wieder 
Lesung mit Moritz Neumann 
Thomas Richter (Flöte), Peter Bechtel (Fagott) und Karin Scholz (Gitarre) spielen Kompositionen von George Dreyfus 
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Rheinstr. 23-25 
Eintritt: 5 €, erm. 2,50 € 

Donnerstag, 2.12., 20 Uhr 
Die Akte Joel 
Caligari FilmBühne 
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden 
Eintritt: 5 €, erm. 4 € 

Samstag, 4.12., 15 Uhr 
Stadtführung zu den Stätten der Ausplünderung in Wiesbaden 
mit Dorothee Lottmann-Kaeseler, Aktives Museum Spiegelgasse 
Treffpunkt am Rathaus; Abschluss in der Spiegelgasse 11, 
Anmeldung: Tel. 0611-305221 

Rückfragen
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst
Elisabeth Abendroth
Tel.: 0611/32-3471 
e.abendroth@hmwk.hessen.de 
Hessischer Rundfunk
Dr. Bettina Leder-Hindemith 
069 / 1554038 
Fritz Bauer Institut
Katharina Stengel 
069 / 798322-40

Quelle: hr, 12.11.2004

Fiskalische Judenverfolgung

Noch bevor die deutschen Juden in den Konzentrationslagern ermordet wurden, raubte man ihnen die materielle Existenz. Zu den wichtigsten Akteuren im Prozess der wirtschaftlichen Ausplünderung der deutschen Juden gehörten die staatlichen Finanzbehörden. Die fiskalische Verfolgung umfasste vor allem steuerliche Diskriminierungen, die Sperrung und Beschlagnahmung von Emigrantenvermögen, Sonderabgaben (insb. die "Judenvermögensabgabe") sowie die Einziehung und Weiterverwertung des Eigentums der Deportationsopfer ("Aktion 3").

Erstmals stellte nun ein seit Sommer 2001 laufendes Forschungsprojekt der Universität München eine Untersuchung zu diesem deutschlandweit bisher wenig beachteten Thema der fiskalischen Judenverfolgung vor. Das 900 Seiten starke Ergebnis der vom bayerischen Finanzministerium angestoßenen und mit rund 375.000 Euro geförderten Forschung verdeutlicht die Methoden der staatlichen Finanzbehörden in diesem Geschehen. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: die erste ist die der steuerlichen Diskriminierungen und Sonderabgaben. In diesem Zusammenhang kam es gegenüber Juden zur Außerkraftsetzung zweier zentraler steuerrechtlicher Grundsätze – nämlich die Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen und die Leistungsbezogenheit der Steuern. Den zweiten Bereich der Judenverfolgung bildete der große Komplex der Verwaltung und Verwertung konfiszierten Eigentums von jüdischen Emigranten und später von Deportierten ("Aktion 3"). Hier war die Finanzverwaltung ausführender Arm einer umfassenden staatlichen Ausplünderung. 

Das mit dem Forschungsprojekt beauftragte und unter der Leitung von Hans-Günter Hockerts (LMU München) arbeitende Historiker-Trio Axel Drecoll, Christiane Kuller und Tobias Winstel wertete mehrere tausend Akten aus, die bis dahin teils Verschlusssache waren, durchforstete dabei – mit Mundschutz ausgerüstet – verschimmelte Archivbestände in München oder Nürnberg. Dabei versuchten sie genau die Wege der jüdischen Besitztümer nachzuzeichnen, von der Enteignung und Versteigerung bis hin zu ihrer teilweisen Rückgabe nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Profiteur dieses ungeheuren fiskalischen Raubzugs und gleichzeitig zentrale Vermittlungsinstanz war vor allem der Staat. Aber auch weite Kreise der Bevölkerung erzielten ihren Vorteil. Was das Finanzpräsidium oder öffentliche Einrichtungen selbst nicht verwenden konnten, wurde von den Stadtverwaltungen verkauft. 

Link: Projekt \“Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern\“ an der LMU München:
http://www.geschichte.uni-muenchen.de/ngzg/hockerts/forschung_finanzverwaltung.shtml 

Kontakt:
Prof. Dr. Hans Günter Hockerts
Besucheradresse:
Schellingstr.12 / I
Lst.Hockerts[at]lrz.uni-muenchen.de

Postadresse des Lehrstuhls:
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Tel: 089/2180-2495
Fax: 089/2180-2862

Quelle: Julia Lenders (dpa), Stern, 12.11.2004; Christiane Kuller: Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Antisemitische Fiskalpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, 13.09.2004.

Quellen zur badischen Landeskirche im Dritten Reich

Nach den in den Jahren 1991 bis 2003 erschienenen umfangreichen Dokumentenbänden I-IV zur Geschichte der badischen evangelischen Landeskirche während des Dritten Reiches konnte nunmehr mit Band V (1933-1945) der letzte Dokumentenband dieser Quellensammlung vorgelegt werden (2005 soll noch ein abschließender Generalregisterband folgen).

Dieser von mehreren Autorinnen und Autoren aus der Fachkommission des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden bearbeitete Band unterscheidet sich – ebenso wie sein vor Jahresfrist veröffentlichter Vorläufer – in seiner Herangehensweise von den älteren Bänden der Quellensammlung: Es sollte hierin weniger um (staats-)kirchenrechtliche Auseinandersetzungen und institutionelle Fragen gehen, sondern vielmehr konkretes Verhalten der Kirchenleitung und der Pfarrerschaft sowie kirchlicher Einrichtungen und Einzelpersonen in der Gemeinden der Landeskirche in den Blick genommen werden.

Der vor allem aus den Archivalien des Landeskirchlichen Archivs Karlsruhe, hiesigen Staats-, Anstalts- und Gemeindearchiven sowie aus zeitgenössischen Periodica bestückte Dokumentenband beinhaltet auf mehr als vierhundert Druckseiten rund 300 Quellen zu folgenden, wiederum mehrfach untergliederten Oberthemen: 1. Das Verhalten in der Landeskirche angesichts von Eugenik-Gesetzgebung und Euthanasie-Aktionen, 2. Die Innere Mission in Baden während des Krieges, 3. Widerständiges Verhalten in der Landeskirche, 4. Der Einfluss des Krieges auf die Arbeit in der Landeskirche, 5. Der Neuanfang in der Landeskirche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Juni 1945 bis Februar 1946.

Bei dem ältesten Dokument dieses Bandes handelt es sich um die bereits publizierte Treysaer Resolution des Central-Ausschusses für Innere Mission (IM) vom 20. Mai 1931, in der die evangelische „Fachkonferenz für Eugenik“ in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise programmatisch die IM-Position für eine „differenzierte Fürsorge“ und gegen die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ formulierte. Zwar fordere die ärztliche Ethik unbedingte Hilfsbereitschaft, doch sollten erhebliche Aufwändungen nur für solche Gruppen Fürsorgebedürftiger gemacht werden, „die voraussichtlich ihre volle Leistungsfähigkeit wieder erlangen“.

Bei dem jüngsten Dokument der Quellensammlung handelt es sich – abgesehen von Inschriften auf Gedenksteinen, an Mahnmalen und Gedenkstätten – um ein Solidaritätsschreiben von Landesbischof D. Julius Bender (1946-1964) an den zeitweilig wegen vermeintlicher „Tötung von geisteskranken Kindern im Unterschwarzacher Hof bei Mosbach“ angeklagten Pfarrer und ehemaligen Anstaltsleiter Robert Wilckens vom 14. Juli 1948. Als im Sommer 1940 auch aus der kirchlichen Anstalt Mosbach Transporte von Heimbewohnern in staatliche Vernichtungsanstalten im Rahmen der sog. „Aktion T4“ durchgeführt wurden, habe Wilckens jedoch um die „Erhaltung Ihrer Pfleglinge gerungen“, so Landesbischof Bender 1948. – 1951 wurde Wilckens die Wichernplakette des Central-Ausschusses für IM für wertvolle Dienste in der Diakonie verliehen.

Die beiden vorgestellten Quellen, die mit der Euthanasie nur eines der im Buch angesprochenen Themenfelder berühren, verweisen gleichwohl auf ein allgemeines Dilemma kirchlicher Existenz im Nationalsozialismus: Die badische Kirchenleitung nahm die Entwicklungen im Kontext der „Endlösung der Sozialen Frage“ zwar am Rande wahr, bezog aber keine Stellung. Die Innere Mission reagierte, als auch kirchliche Anstalten vom Massenmord an Heimbewohnern betroffen waren, auf verschiedene Weise. Es gab verwaltungsinterne Proteste wie auch eine widerstrebende Beteiligung an den Todestransporten. Äußerungen aus der Nachkriegszeit machen deutlich, so formuliert es Hans-Werner Scheuing in dem von ihm verantworteten Abschnitt des Dokumentenbandes, dass die Innere Mission in der NS-Zeit in erster Linie für den Erhalt ihrer Einrichtungen gekämpft habe. So hätten dann die kirchlichen Einrichtungen das Dritte Reich „überlebt“, während ein großer Teil ihrer Bewohner sterben musste.

Info:
Die Evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich. Quellen zu ihrer Geschichte,
im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe gemeinsam mit einer Fachkommission herausgegeben von Gerhard Schwinge,
Band V: 1933-1945/46, Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden, Bd. 61,
PV Medien Verlag Karlsruhe 2004, ISBN 3-87210-916-2

Zugang zu Archiven in Rumänien gefordert

Nachdem der scheidende rumänische Präsident Ion Iliescu vor einem Jahr eine 30-köpfige internationale Expertenkommission unter dem Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel zur Untersuchung des Holocaust in Rumänien während des Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatte, stellte er nun in Bukarest den fast 1.000 Seiten starken Abschlussbericht der Kommission vor. Dem Bericht zufolge waren die rumänischen Machthaber des Militärdiktators Ion Antonescu die Haupttäter des Holocaust, bei dem ab 1941 in Rumänien und in den von Rumänien kontrollierten Gebieten bis zu 410.000 Juden und 25.000 Roma ermordet worden sind. Außer Deutschland sei kein Land in einem solchen Ausmaß in Massaker an Juden involviert gewesen. 

Allerdings verbindet die internationale Expertenkommission auch Kritik an der aktuellen "Vergangenbewältigung" mit der Vorstellung ihres Bericht, verweist unter anderem auf den Umstand, dass es seit dem Ende des Kommunismus in Rumänien mehrere Fälle gegeben habe, wo Kriegsverbrecher rehabilitiert wurden. Des weiteren mahnt die Kommission an, vorhandene Gesetze anzuwenden oder zu verbessern, und fordert schließlich die rumänische Regierung auf, ein ständiges Gremium einzurichten, das über die Umsetzung des Berichtes wacht und die Forschung über den Holocaust weiter vorantreibt. Dazu, so die Kommission, sei der unbeschränkte Zugang zu den Archiven der rumänischen Regierung unbedingte Voraussetzung. Zwar war der Kommission dieser unbeschränkte Zugang zugesichert worden, die Archive der Verwaltungsbehörde der Securitate waren jedoch ebenso nur bedingt zugänglich, wie auch die Archive der katholischen Kirche in Temeswar. 

Quelle: Barbara Oertel, taz Nr. 7511 vom 11.11.2004, 10

Quellen zur Geschichte der Anstaltspsychiatrie in Westfalen

Das Hungersterben in den psychiatrischen Anstalten im Ersten Weltkrieg, die Weimarer Geisteskrankenfürsorge im Zeichen von Reform und Weltwirtschaftskrise, der nationalsozialistische Vernichtungsfeldzug gegen die psychisch Kranken und geistig Behinderten sowie die Psychiatrie der 1950er Jahre zwischen politischem Neuanfang und Reformbeginn, zwischen Verdrängung und Aufarbeitung – das sind die Schwerpunkte des soeben in der Veröffentlichungsreihe des LWL-Instituts für Regionalgeschichte erschienenen zweiten Bandes der großen Quellensammlung zur Geschichte der Anstaltspsychiatrie in Westfalen. Die Publikation knüpft an den ersten, ebenfalls epochenübergreifenden Band von Thomas Küster an, der den Zeitraum von 1800 bis 1914 umfasst. Eine vergleichbare Quellensammlung zur Psychiatriegeschichte gibt es bislang für keine andere deutsche Region. 

Der über 800 Seiten umfassende Band von Franz-Werner Kersting und Hans-Walter Schmuhl spiegelt und vertieft die breite zeithistorische Forschung zur Geschichte (und Vorgeschichte) der NS-Psychiatrie. Gleichzeitig greifen die beiden Herausgeber erstmals systematisch über die Zäsur von 1945 hinaus. Sie bieten eine Auswahl von 210 Einzeldokumenten unterschiedlicher Herkunft. Ihre Zusammenstellung berücksichtigt die Perspektiven der Akteure – und Täter – aus Verwaltung, Ärzteschaft und Pflegepersonal, trägt aber auch den leidvollen Erfahrungen von Patienten, Opfern und betroffenen Familien Rechnung. Alle Dokumente sind mit textkritischem Kommentar und ergänzenden Erläuterungen versehen. Eine umfangreiche Einleitung führt in die Gesamtthematik und in die Quellenauswahl ein.

Gleichwohl bildet der Band keine Aktenedition im strengen herkömmlichen Sinne. Er versteht sich vielmehr als \“Studienausgabe\“, die den Leserinnen und Lesern mit Hilfe aussagekräftiger Quellen den Einstieg in ein vielschichtiges und schwieriges Problemfeld erleichtern möchte. In diesem Sinne wendet sich die aktuelle Veröffentlichung des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte ganz bewusst nicht nur an Wissenschaft, Forschung und Studierende, sondern auch an heutige oder ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter psychiatrischer Einrichtungen innerhalb wie außerhalb Westfalens.

Info:
Franz-Werner Kersting/Hans-Walter Schmuhl (Hg.), 
Quellen zur Geschichte der Anstaltspsychiatrie in Westfalen.
Bd. 2: 1914-1955, "Forschungen zur Regionalgeschichte", Band 48. 
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004.
ISBN 3-506-71694-8, Euro 64,-. 
Subskriptionspreis bei Abnahme der Bände 1 und 2: 
Bd. 1: Euro 44,-
Bd. 2: Euro 52,-.

Mitverantwortung für das kulturelle Erbe

Die evangelischen Kirchenarchive in Deutschland sind im Verband kirchlicher Archive in der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche zusammengeschlossen. Der seit 25 Jahren bestehende Verband hat das Ziel, das Archivwesen in Mitverantwortung für das kulturelle Erbe auf allen Ebenen zu fördern und erfüllt dabei Aufgaben, die von einzelnen kirchlichen Archiven nicht geleistet werden können.

In einer kleinen, aktuellen Selbstdarstellung im Rahmen der Publikationsreihen, die durch den Verband kirchlicher Archive erscheinen (Aus evangelischen Archiven, Rundbrief, Kleine Schriften), werden Struktur und Geschichte des Verbandes (9-12), seine Publikationsreihen und Medien (Mailingliste und Internetauftritt www.evangelische-archive.de) (13-15) ebenso kurz vorgestellt wie archivische Grundsatzfragen angesprochen werden (17-20). Zu den Aufgaben des Verbandes gehören zudem Archivberatungen und die Erstellung von Gutachten (21-22) sowie die Durchführung von Fachtagungen, Fortbildungen und Kooperationen (23-29).

Ein Schwerpunkt in der archivischen Arbeit des Verbandes wird auch künftig der Einsatz von neuen Medien im Archiv sein. Dabei gehe es im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit unter anderem um die Frage, wie die archivischen Serviceleistungen noch transparenter und benutzerfreundlicher gestaltet werden können. Das Internet biete hier bereits entscheidende Vorabinformationen für die Benutzerinnen und Benutzer, erhöht dadurch auch die Chance für eine "emanzipierte" Archivbenutzung.

Info:
Verband kirchlicher Archive. Struktur – Aufgaben – Leistungen,
erarbeitet i.A. des Verbandes kirchlicher Archive von Bettina Wischhöfer, Gabriele Stüber und Annette Göhres,
Kassel 2004, 33 Seiten, ISBN 3-937564-01-2

Bezug:
Landeskirchliches Archiv Kassel
Lessingstraße 15A
34119 Kassel
info@evangelische-archive.de

Positionen des AK Archivische Bewertung im VdA

Nachdem sich im Dezember 2001 erstmals der Arbeitskreis Archivische Bewertung im VdA – Verband deutscher Verband deutscher Archivarinnen und Archivare getroffen hatte, konnte er nunmehr in seiner siebten Sitzung, die am 12.10.2004 in Berlin stattfand, ein in dieser Zeit erarbeitetes Positionspapier zur archivischen Überlieferungsbildung vorstellen.

Durch den Bewertungsvorgang formen Archivarinnen und Archivare aus den Unterlagen des politischen und gesellschaftlichen Lebens die Basis der geschichtlichen Forschung und den Rahmen des künftigen historischen Wissens. In dem vom Arbeitskreis Archivische Bewertung erstellten Positionspapier werden inhaltliche und methodische Eckpunkte für die notwendige fachkundige archivische Überlieferungsbildung genannt.

Neben grundsätzlichen Hinweisen zum Bewertungskontext beinhaltet das Papier Thesen zum Bewertungsverfahren, zur Bewertung massenhaft gleichförmiger Fallakten, zur Bewertung statistischer Unterlagen, zur Bewertung elektronischer Unterlagen und schließlich zur Bewertung audiovisueller Unterlagen.

Vor der Festlegung von Bewertungsentscheidungen und Bewertungsmodellen müsse, so heißt es im Positionspapier, eine Festlegung der Dokumentationsziele erfolgen, die mit der Überlieferungsbildung im betroffenen Bereich verfolgt werden. Die Ziele seien auf der Grundlage einer eingehenden inhaltlichen Analyse zu definieren, bei der potenzielle Auswertungsmöglichkeiten erfasst und bewertet werden. Die Bewertung sollte möglichst zeitnah zum Entstehen der Unterlagen erfolgen und grundsätzlich unter Beteiligung der aussondernden Stellen erfolgen. Archive unterschiedlicher Träger sollten sich bei Überschneidungen bzw. Berührungen so weit wie möglich abstimmen, um die Überlieferungsbildung zu optimieren und bei Anerkenntnis unterschiedlicher Perspektiven die jeweils wechselseitigen Interessen zu berücksichtigen. Dies sollte sich als Standard etablieren. Die archivübergreifende Überlieferungsbildung nach den Grundsätzen der so genannten vertikalen und horizontalen Bewertung habe sich bewährt. Sie setzt jedoch eine verlässliche strukturierte Akten- und Registraturführung voraus. Bei jeder Bewertungsentscheidung sei eine mögliche Beteiligung von Vertretern der Forschung bzw. von Nutzerkreisen zu prüfen. Jede Bewertungsentscheidung müsse dokumentiert und zumindest pauschal begründet werden.

Info:

  • Ergebnisprotokoll der 7. Sitzung des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare am 12. Oktober 2004 bei der Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Berlin (doc-Datei) (pdf-Datei)
  • Positionen des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare zur archivischen Überlieferungsbildung vom 15. Oktober 2004 (doc-Datei) (pdf-Datei)

Kontakt:
Leiter des Arbeitskreises: Dr. Robert Kretzschmar
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Konrad-Adenauer-Str. 4
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/212-4335
Fax: 0711/212-4360
Kretzschmar@s.lad-bw.de