Tod in Stasi-Haft: Das Leben des Matthias Domaschk

Podcast über Peter Wensierski und sein neues Sachbuch „Jena-Paradies“.

Im April 1981 starb der 23-jährige Matthias Domaschk in Gera in der Untersuchungshaft der Stasi. Sein Tod war ein schockierendes Ereignis für seine Freunde, mit langanhaltenden Konsequenzen. Was aber genau führte zu diesem Moment? Der Journalist und Autor Peter Wensierski, der seit Jahrzehnten auch in Stasi-Unterlagen recherchiert, hat sich an die Rekonstruktion des Lebens und der letzten Tage von Matthias Domaschk gemacht. Im Gespräch mit Dagmar Hovestädt, Leiterin der Abteilung Vermittlung und Forschung des Stasi-Unterlagen-Archivs im Bundesarchiv und frühere Kollegin in der ARD-Kontraste-Redaktion, für den Podcast „111 Kilometer Akten. Der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs“ (Folge 75 vom 14.12.2022) gibt er einen Einblick in seine aufwändige Recherche für ein neues Buch „Jena-Paradies. Die letzte Reise des Matthias Domaschk“.

Auszug aus dem Transkript zur Folge 75 des Podcasts „111 Kilometer Akten“:

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Menschen mit dem Fall Matthias Domaschk beschäftigt. Als du vor zwei Jahren zu uns ins Stasi-Unterlagen-Archiv kamst, haben wir die Recherche noch mal ganz neu angelegt. Was war für dich denn wichtig im Zugriff auf die Unterlagen? Wo hast du angefangen, und wie hat sich das Feld möglicherweise verändert im Laufe der Recherche?

Die Stasi-Akten sind schon ein ziemlich heftiges Archivmaterial, man kann zwar manchmal auch lachen über die Schreib- und Tippfehler, die Formulierungen und das Unwissen mancher Offiziere, aber es ist ein Trauerspiel, was da vor einem liegt. Doch die Dokumente sind sehr nützlich zur Erkenntnisgewinnung und ein Schatz, ein seltener Fundus, um aus der Geschichte zu lernen. Ich habe nicht erwartet, der Weisheit letzten Schluss allein aus Stasi-Akten zu ziehen. Für mich waren die Gespräche mit den Zeitzeugen extrem wichtig. Ich sprach mit immer mehr Freunden und Freundinnen von Matthias Domaschk, die ich zum Teil überhaupt erst mal ausfindig machen musste. Und auch mit MfS-Mitarbeitern. Allerdings sind Zeitzeugenaussagen allein auch problematisch. Jeder hat andere Erinnerungen, es wird sich mitunter falsch erinnert. Auch in den Stasi-Akten stehen fehlerhafte Sachen, vor allem in den IM-Berichten.

Erst die Kombination von Zeitzeugengesprächen, von alten Fotos und anderen persönlichen Dokumenten, von MfS- und vielen anderen Akten ergibt dann ein Gesamtbild. Deshalb suchte ich auch in Archiven der Volkspolizei, der Transportpolizei, in Staats- und Landesarchiven, im Archiv von Carl Zeiss Jena, in polnischen und tschechischen Archiven.

Die Kerngeschichte ist, dass Matthias Domaschk in Stasi-Haft umgekommen ist und bis heute nicht so richtig klar ist, unter welchen Umständen. War das ein Ehrgeiz für dich, das mit dieser erneuten Recherche herauszufinden?

Ich wollte vor allem aus dem Leben von Matthias und dem seiner Freunde erzählen, denn das ist mir bisher zu kurz gekommen. Was war das für ein Jugendlicher, wovon träumte er, was wollte er? Was haben er und seine Freunde eigentlich genau gemacht? Mich interessierte der Ausbruch aus dem Reich der Eltern, der Aufbruch zu neuen Ufern. Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre ging es vielen jungen Menschen im Westen wie im Osten um eine Veränderung der jeweiligen Gesellschaft. Jena war in der DDR ein besonderer Kristallisationspunkt, eine Stadt der Jugend, mit Universität und Tausenden in den Lehrlings- und Jungarbeiterwohnheimen. Hier entstanden schon Mitte der 70er-Jahre legendäre Wohngemeinschaften. Das waren in den Augen der Ordnungshüter unkontrollierbare Treffpunkte. Die Jugendlichen versuchten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sie hatten Spaß am Zusammensein, an Kunst, Kultur, Büchern, Musik, Filmen. Sie trampten kreuz und quer durchs Land, zu Bluesfestivals, bis nach Polen, Bulgarien, Rumänien. Matthias interessierte sich sehr für die politischen Entwicklungen, als in Polen gestreikt wurde und die Solidarność entstand. Da hatten sie den Westdeutschen einiges voraus.

Ein Stück weit hast du das auch in den Akten nachvollziehen können?

Man muss sich Zeit nehmen für die Archivarbeit. Und gerade bei Stasi-Akten muss man nach Gegenüberlieferungen und Zusammenhängen suchen, aus einer IM-Akte allein geht zu wenig hervor. Die Recherche nahm teilweise kriminalistische Züge an. Dann war es auch sehr wertvoll, dass ich mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern sprechen konnte, die natürlich auch Zeitzeugen sind. Nun gelten Stasi-Leute nicht als die Glaubwürdigsten, aber wenn sie was erzählen, kann man das abgleichen mit Akten, mit den Erinnerungen anderer Zeitzeugen, auch mit den Erzählungen anderer Stasi-Offiziere. Das lohnt und ist seit 30 Jahren zu wenig gemacht worden.

Als Journalist muss man bei einer Recherche ja immer mit möglichst vielen Leuten sprechen, die unterschiedlichsten Quellen nutzen. Von Betroffenen bis zu möglichen Tätern und Experten.

Link: Hier geht’s zur gesamten Folge des Podcasts „Tod in Stasi-Haft: Das Leben des Matthias Domaschk
Folge 75 vom 14. Dezember 2022″


Abb.: Informationsbericht des Operativen Einsatzstabes „Kampfkurs X“, datiert vom 10.04.1981 (Signatur: BStU, MfS, BV Gera, AP, Nr. 1097/81, Bl. 12-17)

Link: Ch. Links Verlag: Tod nach dem Stasi-Verhör – Das viel zu kurze Leben von Matthias Domaschk

Link: Matthias Schmidt (MDR KULTUR-Literaturkritiker): „Jena-Paradies“: Packendes Sachbuch über den Tod des DDR-Oppositionellen Matthias Domaschk, MDR Kultur, 15.3.2023

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