Kriminalität im Frankfurt des 18. Jahrhunderts

Für seine Habilitationsschrift hat der Historiker Joachim Eibach die „Criminalia“, also die Prozessakten aus den reichsstädtischen und freistädtischen Zeiten Frankfurts untersucht. Die Mitschriften von 11.000 Strafverhandlungen in der Zeit vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lagern im Archiv des Instituts für Stadtgeschichte im Karmeliterkloster. 700 Fälle hat Joachim Eibach, der unter anderem als Privatdozent an der Justus-Liebig-Universität in Gießen lehrt, ausgewertet. Sein rund 480 Seiten schweres Buch „Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert“ ist jetzt erschienen

Darin konzentriert der Autor sich nicht auf die Skizzierung der Verbrechen, sondern sucht nach Hinweisen auf die damaligen Lebensverhältnisse. „Die Akten enthalten Aussagen von Delinquenten, Opfern und Zeugen. Sie sind häufig Angehörige einer Schicht, über die es sonst kaum schriftliche Zeugnisse gibt.“ Aspekte wie Stadtfrieden, Ehre und Nahrung spielten eine zentrale Rolle für die Bürger.

Neben Nachbarschaftsquerelen, Diebstahl und Betrug wurden auch Mord und Totschlag verhandelt. Aber statistisch gesehen waren die Frankfurter vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weniger gewalttätig als heute. Die verhängten Strafen spiegeln den wachsenden Einfluss der Aufklärung wieder. „Die Strafe erhielt einen neuen Zweck: Nicht mehr Sünde oder Reue stand im Vordergrund, sondern Erziehung“, so Joachim Eibach. Der Pranger oder der hölzerne Esel, mit denen die Delinquenten dem öffentlichen Hohn ausgeliefert wurden, verloren an Bedeutung.

  • Joachim Eibach: Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert, Schöningh Verlag Paderborn 2003, 44 Euro.

    Weitere Titel von Joachim Eibach zum Thema:
  • Kriminalitätsgeschichte zwischen Sozialgeschichte und Historischer Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift (1996).
  • Städtische Gewaltkriminalität im Ancien Régime, in: Zeitschrift für Historische Forschung (1998).

Quelle: FR, 3.7.2003

Hamburger Stadtteil-Gedächtnisse gelöscht

Die 14 Hamburger Geschichtswerkstätten, deren Zuwendung von jährlich 539 000 Euro im Kulturetat 2004 entfallen soll, wollen eine große Öffentlichkeit gegen diese Radikalkürzung mobilisieren. Noch vor den Haushaltsberatungen im September und der Etat-Abstimmung in der Bürgerschaft wird neben lokalen Aktivitäten eine Großkundgebung organisiert. Außerdem sollen Freunde in allen Fraktionen der Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen für den Protest gewonnen werden. Im Ansatz für den Kulturetat 2004, der um 15,9 Millionen Euro steigt, sind die Geschichtswerkstätten die einzige Einrichtung, bei der gespart werden soll, ohne dass dies begründet worden wäre. Die Komplettkürzung dürfte das Aus für alle 14 bedeuten.

Kultursenatorin Dana Horáková hat unterdessen zur Streichung des Etats der 14 Hamburger Stadtteilarchive mitgeteilt, dort sei jetzt „ehrenamtliches Engagement gefragt“. Genau das aber zerschlägt die Senatorin mit ihrem Plan, den Geschichtswerkstätten sämtliche Zuwendungen zu streichen. Denn in den Archiven gibt es insgesamt nur 12 feste MitarbeiterInnen – und rund 200 Menschen, die dort regelmäßig Stadtteilrundgänge anbieten, Veranstaltungen organisieren oder die Archive während deren Öffnungszeiten geöffnet halten. Die Entscheidung der Kultursenatorin, sagten gestern VertreterInnen der Geschichtswerkstätten, „ist ein Schlag ins Gesicht von Ehrenamtlichen“.

Und der widerspreche der vom Senat selbst proklamierten Politik. Dessen Ziel ist nach eigenem Bekunden, ehrenamtliches Engagement zu stärken. In den Geschichtswerkstätten sind gerade viele ältere Menschen engagiert – die sich jetzt durch die Kultursenatorin gedemütigt fühlen, wie Michael Joho von der Geschichtswerkstatt St. Georg sagte.

Die Werkstätten kooperieren eng mit Schulen, Hochschulen, Museen, Künstlern, Vereinen und den BewohnerInnen der Stadtteile. Gerade viele neu Zugezogene informieren sich dort über die Geschichte ihrer Umgebung. Aber auch als außerschulische Bildungsstätte sind die Werkstätten von Bedeutung: Sie werden von SchülerInnen für Geschichtsarbeiten und von ganzen Klassen für Stadtteilrundgänge und Archivarbeit frequentiert. Das Stadtteilarchiv Ottensen beispielsweise unterhält ein denkmalgeschütztes Gebäudeensemble mit historischen Maschinen, die „Ottensener Drahtstifte-Fabrik“. Hier werden speziell für SchülerInnen von 8. Klassen, die in Industriegeschichte unterrichtet werden, Führungen angeboten. Die meisten Schulen in Altona und auch viele 8. Klassen von Gymnasien und Gesamtschulen aus der ganzen Stadt, sagte Brigitte Abramowski vom Stadtteilarchiv Ottensen, „nutzen dieses Angebot“.

Eine Architekturstudentin erzählte, dass auch viele ihrer KommilitonInnen die Stadtteilarchive intensiv nutzen: „Für Architektur- und Stadtplanungsstudenten sind sie unverzichtbar.“ Intensiv ist die Zusammenarbeit auch zwischen Schulen und der Geschichtswerkstatt in Hamm: Diese betreibt das einzige Bunkermuseum der Stadt.

Geerd Dahms vom Bergedorfer Kultur- und Geschichtskontor beschreibt die Geschichtswerkstätten auch als „Mittler zwischen den Generationen“. In Bergedorf werden „Erzählcafés“ veranstaltet, in denen ältere Mitbürger ihre Erlebnisse im Stadtteil schildern. Deren Erfahrungen werden in Büchern veröffentlicht, die regelmäßig jährlich erscheinen. Davon wurden bisher rund 27.000 Exemplare verkauft – überwiegend an jüngere BewohnerInnen des Stadtteils.

Hintergangen fühlen sich die MitarbeiterInnen der Geschichtswerkstätten auch deshalb, weil die Senatorin vor ihrer Entscheidung nicht einmal das Gespräch mit ihnen gesucht hatte. Sie haben erst aus der Bild-„Zeitung“ erfahren, dass ihre Existenz bedroht ist. Joho aber weiß inzwischen, dass im Kulturausschuss der Bürgerschaft „kein monolithischer Block“ in dieser Frage besteht. Dass die Entscheidung Horákovás revidiert wird, so der Mitbegründer der Geschichtswerkstatt St. Georg, „halte ich für denkbar“.

Quelle: TAZ, 2.7.2003, Hamburger Abendblatt, 2.7.2003.

Schriften zur Gießener Stadtgeschichte 6

Kurz vor der Feierstunde in der Friedhofskapelle, die am Sonntag aus Anlass des 100. Jahrestages der ersten Beisetzung am 6. Juli 1903 stattfindet, ist Band 6 der Schriften zur Gießener Stadtgeschichte erschienen. Die beiden Autoren, Stadtarchivar Ludwig Brake und der Leiter des städtischen Garten- und Friedhofsamtes, Jürgen Friedel, stellten am Dienstag das in einer Erstauflage von 600 Exemplaren erschienene Werk der Presse vor.

„Ein Friedhof ist Natur, Kunst und Kultur pur.“ Diese Maxime von Jürgen Friedel gilt in besonderer Weise für die wechselvolle Geschichte des Neuen Friedhofs auf dem Rodtberg. Aber auch Teile von Gießens Stadt-, Wirtschafts-, Kultur-, Politik- und Universitätsgeschichte werden lebendig, wenn über die ab den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts laufenden Planungen, die nicht ohne Widerstand verlaufenen stadtplanerischen Maßnahmen und späteren Umbauten berichtet wird. Die Autoren spannen einen Bogen vom einstigen Gottesacker auf dem Rodtberg bis hin zum High-Tech-Krematorium unserer Tage.

Mit 24 Hektar umfasst der parkähnliche Neue Friedhof heute den dreifachen Flächenumfang der ursprünglichen Anlage. Zu Beginn der neunziger Jahre wurde er in den Dimensionen seiner ersten Anlage „wegen seiner künstlerischen, geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung als Sachgesamtheit“ zum Kulturdenkmal erklärt. Im Anschluss an mehrere Festvorträge wird am kommenden Sonntag (6.7.2003) eine Führung über den Friedhof stattfinden. 

Info:
Der neue Friedhof (Schriften zur Gießener Stadtgeschichte, Band 6)
130 Seiten, Illustrationen, Faltplan
Stückpreis 4,50 Euro, im Buchhandel und im Stadtarchiv erhältlich

Kontakt:
Universitätsstadt Gießen
Stadtarchiv
Postf. 110820
35353 Gießen
Tel.: 0641/6940661
Fax: 0641/6940663
stadtarchiv@giessen.de
http://stadtarchiv-giessen.online-h.de/

Quelle: Giessener Anzeiger, 1.7.2003

Ausstellung „Lebensader Waldnaab“

Weiden. Das Foto einer attraktiven Badenixe im „so genannten Frauenbad“ lässt stutzen. Der Sittenkodex sorgte im Stadtbad am Ufer der Naab für die Trennung der Geschlechter. Vor 1900 mussten die Damen des Weidener Bürgertums gar in angepachteten Badehäuschen unbesehen in der Naab plantschen: überraschende Facetten der „Lebensader Waldnaab“.

Der Brunnen vor dem Neuen Rathaus der Stadt Weiden in der Oberpfalz gluckste und plätscherte, als Oberbürgermeister Hans Schröpf gemeinsam mit dem Direktor des Wasserwirtschaftsamts, Erich Eichenseer, am Donnerstag, den 26. Juni, im Freien die mit der Stadtgärtnerei und dem Stadtarchiv geschaffene Ausstellung eröffnete.

Historische Fotos führen dem Betrachter den gewaltigen Einschnitt der Hochwasserfreilegung Ende der 1930er Jahre ebenso vor Augen wie die ersten Erfolge der Renaturierung. In der Schweinenaab siedelt bereits wieder der Flusskrebs, vom Aussterben bedrohte Kleinstlebewesen und Pflanzen kehren zurück. Zufriedenen Blickes beäugen in der Ausstellung ein fetter Biber und ein stolzer Reiher die Selbstreinigungskraft eines fließenden Gewässers – im Vergleich zu einer stehenden „Brühe“.

Die Schautafeln erklären auch das Rätsel eines „Dükers“: der – unterirdischen – Kreuzung von Flutkanal und Naab. Die Gegenüberstellung der Gewässergütekarten von 1970 und 2003 beweist, dass es Waldnaab und Naab (ab Weiden-Süd) vom gelb-roten, kritisch bis hoch belasteten Fluss in den idealen „grünen Bereich“ (gering bis mäßig belastet) geschafft haben.

„Zurück zur Natur“, freute sich OB Hans Schröpf über besonders gelungene Beispiele der Renaturierung. Der Direktor des Wasserwirtschaftsamts, Erich Eichenseer, berichtete vom „Boom der Flüsse“ in Bayern, vom Kampf um das Wasser, mit dem Wasser und gegen das Wasser. „Die Waldnaab hat auch die Stadtentwicklung und das Erscheinungsbild Weidens mit geprägt.“ Als Stadt am Fluss habe Weiden einen nicht unerheblichen Standortvorteil. Ein Team des Wasserwirtschaftsamtes unter Leitung von Rolf Schlapschy konzipierte die Ausstellung. Georg Otto steuerte farbenkräftige Landschaftsbilder bei. Mit Adern verglich Leitender Baudirektor Jörg Ernstberger von der Regierung das Wesen der Flüsse: „Sie verbinden und halten das Leben in Gang.“

Stadtarchivarin Annemarie Krauß schilderte anschaulich jene Zeit, als jedes Frühjahr bis zu 2000 Hektar Naabwiesen unter Wasser standen und der Eisstoß immer wieder die Brücken beschädigte. Die Stadtarchivarin zitierte aus den Erinnerungen ihres verstorbenen Mannes Fritz an die Heumahd bei Moosbürg, als es noch zahllose Frösche gab und bis zu einem halben Dutzend Störche über die frisch gemähte Wiese stakste. Alle Arbeit war vergebens, wenn die wilde Waldnaab nach einem Gewitterregen das Heu einfach weg schwemmte.

Fast 20 Jahre, von 1857 bis 1876, stritten sich die Weidener in einer „Schutzgenossenschaft“ ohne praktischen Erfolg um eine Hochwasserfreilegung. Mit den ersten Planungen beauftragte die Regierung 1912 das städtische Kulturbauamt. Es dauerte schließlich bis 1923, ehe der Entwurf für einen Hochwasserkanal vorlag. Bei dem Millionenprojekt – der damals bedeutendsten Wasserbaumaßnahme in der Oberpfalz – mussten die Landwirte pro Tagwerk eine Umlage von 385 Reichsmark aufbringen, einen Tausender mehr kostete die Hochwasserfreilegung von Bauland. 

Kontakt:
Stadtarchiv Weiden
Pfarrplatz 4
92637 Weiden in der Oberpfalz
Tel.: 0961/81-471
archiv@weiden-oberpfalz.de
Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-12 / 14-16 Uhr
Bestände

Quelle: Oberpfalznetz, 27.6.2003

Verzögerungen bei Verfahren um Kanzleramtsakten

Berlin. Das Ringen um die juristische Bewertung von Aktenschwund und Datenlöschung im Kanzleramt unter Helmut Kohl hält an. Dabei verdichten sich, wie Die WELT am 1. Juli nochmals betont, die Hinweise darauf, dass die Bonner Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in dieser Sache endgültig einstellen wird. Die jüngste Stellungnahme des Bundeskanzleramts, das seit Jahren eine strafrechtliche Bewertung der Vorgänge verlangt, bietet offenbar keinerlei neue Ermittlungsansätze (siehe Bericht). Die Einstellung des Verfahrens kann sich jedoch aufgrund der Abordnung eines der beiden zuständigen Staatsanwälte noch hinziehen, ebenso die Begutachtung der 42-seitigen Stellungnahme der Regierung.

Die Bonner Ermittler hatten Ende März festgestellt, dass sie weder Anhaltspunkte für eine Straftat noch Erkenntnisse über mögliche Straftäter haben. Zwar stellten sie – wenn auch in weitaus geringerem Umfang als Schröders Kanzleramtschef Franz-Walter Steinmeier und Regierungsvorermittler Burkhard Hirsch – das Fehlen von Akten und auch Datenlöschungen fest. In fünf von sieben Komplexen, die angeblich von Aktenvernichtung oder Datenlöschung betroffen waren, signalisierte auch das Bundeskanzleramt im Juni, dass es einer Einstellung nichts mehr entgegensetze.

Dabei geht es inzwischen nicht mehr um Strafrecht, sondern um Politik. Ginge es nach der Bundesregierung, sollten zumindest die Vorwürfe „Datenlöschung“ und „Aktenvernichtung Leuna“ von den Staatsanwälten als Straftat festgestellt werden, was diese aber nicht tun. Probleme hat die Bundesregierung demnach nicht mit der Einstellung des Verfahrens an sich, sondern damit, dass die Staatsanwälte noch nicht einmal die behaupteten Straftaten erkennen können. Generalstaatsanwalt Linden sagt, es sei nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaften „zu dokumentieren, was unterhalb der Schwelle eines Anfangsverdachts geschehen ist – und auf diese Weise historische Archive zu füllen“. Allerdings sagt er zugleich, denkbar sei auch, „dass erhebliche Verdachtsmomente bleiben können, der Anfangsverdacht aber nicht zum hinreichenden Tatverdacht erstarkt ist“. Sollen die Vorgänge jetzt in dieser schmalen Grauzone verortet werden? Der politische Druck auf die Staatsanwaltschaft ist enorm. Er wird durch Medienberichte erhöht, in denen etwa nie Behauptetes lautstark widerlegt wird. Etwa, wenn Generalstaatsanwalt Linden mit der Äußerung zitiert wird, es sei Fakt, dass es zum Zeitpunkt des Regierungswechsels 1998 Datenlöschungen gab und dass Akten fehlen. Nichts anderes hatten auch seine Staatsanwälte in Bonn festgestellt, zuletzt in ihrem 204-seitigen Abschlussvermerk. Der lag über einen Monat auf Lindens Schreibtisch, bevor er Ende März die Behörde offiziell verließ.

Sollten sich die Verdächtigungen, die sich teilweise gegen einzelne Kanzleramtsmitarbeiter richteten, als haltlos erweisen, könnte das gesamte Verfahren für das Kanzleramt nach hinten losgehen. Besonders die beiden Hauptrechercheure Steinmeiers, die Kanzleramtsreferatsleiterin Margarethe Sudhoff und der Jurist Burkhard Hirsch, könnten unangenehme Fragen beantworten müssen, die vor dem Hintergrund des Verdachts falscher Verdächtigung aufkommen könnten. 

Quelle: Die WELT, 1.7.2003.

Fraktionen pro Stadtarchiv Alzey

Immer mehr Stadtratsmitglieder in Alzey können sich offenbar mit dem Vorschlag der drei historischen Vereine Alzeys anfreunden, das Stadtarchiv vor Ort zu bewahren und die Archivalien von ehrenamtlichen Helfern verwalten zu lassen. Bei SPD, FWG und Grünen zeichnet sich eine Zustimmung ab, bei der CDU gibt es offenbar noch parteiinternen Beratungsbedarf. Erste Interessenten für den Archivdienst haben sich nach Angaben des Altertumsvereins bereits gemeldet.

Das Ende letzte Woche vorgestellte Konzept der Vereine (Bericht) sieht vor, in einer ersten Stufe die neueren Archivalien seit den 1950er Jahren durch einen Fachmann innerhalb von ein bis zwei Jahren aufarbeiten zu lassen. Daran anschließend sollen ehrenamtliche Kräfte die historischen Schriftstücke an die Benutzer ausgeben. Bürgermeister Knut Benkert (SPD) hatte vorgeschlagen, das Archiv ans Landesarchiv Speyer abzugeben.

Sämtliche Fraktionen lobten unisono die Vorschläge der Vereine. Es müsse geprüft werden, ob die Ideen auch realistisch seien. Die Raumfrage müsse beispielsweise geklärt werden, so die SPD-Fraktionschefin. Sie könne sich persönlich einen Verbleib des Archivs in Alzey „gut vorstellen“, wenn sich die Lösung rechne.

Alzey ist nach Auffassung der FWG-Fraktion der bessere Standort für das Archiv. Es sei „sehr sinnvoll, das Archiv in der Stadt zu belassen“, wenn hier ein Raum preiswert gemietet werden könne. Das Engagement der Vereine verdiene großen Respekt und müsse unbedingt berücksichtigt werden. Zumal 2006 eine neue Stadtgeschichte erscheinen soll, sei der Zeitpunkt für eine Abgabe schlecht gewählt.

Die Grünen unterstützen das Konzept der Vereine „voll und ganz“, wie ihr Sprecher sagte. Papier und Positionen, die bei der Sitzung vorgestellt worden seien, hält er für „sehr fundiert“. Speyer sei zwar ein hervorragendes Archiv, aber die Nutzer – Verwaltung, Schule, Geschichtsvereine – lebten eben hier vor Ort. Der Grünen-Sprecher plädiert nun für einen fraktionsübergreifenden Beschlussvorschlag für die Stadtratssitzung im September, dem das Papier der Vereine zugrundegelegt werden soll.

Quelle: Main-Rheiner, 1.7.2003.

Ebbe für den Wiederaufbau nach der Flut?

Von den Zerstörungen, die das „Jahrhunderthochwasser“ in Dresden im letzten August angerichtet hat, sieht man äußerlich nichts mehr. Die Theater, Museen und Kirchen der Altstadt haben geöffnet, auch wenn im Inneren noch Schäden zu beheben sind.

Doch im Hinterland sieht die Realität trister aus. Häuser wurden aufgegeben, die Bahnstrecken nach Leipzig und Chemnitz sind noch immer nicht flott. Dem Ort Olbernhau auf dem Erzgebirgskamm an der tschechischen Grenze sind elf Millionen Euro Schaden entstanden. Die Gebirgsbäche hatten die Stadt überspült, Schulturnhalle, Krankenhaus, Bibliothek, Läden und das Stadtarchiv weggeschwemmt (Bericht).

Inzwischen sind die Läden neu eingerichtet, die Kinder müssen nach den Ferien nicht mehr in die Feuerwehr zur Schule gehen. Olbernhau kommt langsam in Ordnung. Aber landesweit haben die Kommunen Schäden gemeldet, die sich mittlerweile auf 1,9 Milliarden Euro belaufen – 800 Millionen mehr als zu Beginn des Jahres kalkuliert. Die Dresdner Staatskanzlei warnt, dass die Antragsflut vom Frühjahr die ursprünglichen Planungen um 1,6 Milliarden Euro übersteigt – erste Zeichen, dass der Bund-Länder-Aufbaufonds nicht reichen könnte. Sachsen stehen insgesamt 4,7 Milliarden Euro zu. Doch die Anträge für den Ausbau zerstörter Gewässer haben sich auf 1,4 Milliarden Euro verdoppelt, die Wohnungsschäden summieren sich derzeit auf fast 900 Millionen.

Zudem treten viele Spätfolgen der Flut erst jetzt auf, weil nach dem langen Winter die Feuchtigkeit aus den Ritzen kriecht. In Olbernhau hat sich die Schadensbilanz um 20 Prozent erhöht. Die fast 11.000 betroffenen Unternehmen in Sachsen haben die Flut indes einigermaßen überstanden. Profitieren kann die Baubranche. Wirtschaftsforscher prognostizieren dem Osten für dieses Jahr ein flutbedingtes Plus von einem Prozent.

Kontakt:
Stadtarchiv Olbernhau
Grünthaler Str. 28
09526 Olbernhau
Tel: 037360-15101
Fax: 037360-15109

Quelle: Die WELT, 1.7.2003.

Heilbronner Kreisarchivar i.R.

In den Ruhestand verabschiedet wurde am 27. Juni der Heilbronner Kreisarchivar Dr. Wolfram Angerbauer. Er habe „fundamentale Arbeit geleistet und Kreisgeschichte geschrieben“, würdigte der Heilbronner Landrat die Tätigkeit des Archivars. In 31 Jahren habe Angerbauer nicht nur viele Gemeindearchive auf Vordermann gebracht, sondern wirkungsvoll verschiedenste Projekte entwickelt: 500-Jahr-Ausstellung des Götz von Berlichingen, die wichtige Dokumentation und Aufbauarbeit für die Gedenkstätte in der ehemaligen Synagoge Affaltrach, fünf Bücher zu historischen Themen im Landkreis oder Mithilfe an zahllosen Heimatbüchern. Angerbauers Wirken habe viele Spuren hinterlassen, was Fachkollegen und historisch engagierte Ehrenamtliche gleichermaßen würdigten.

Der Heilbronner Stadtarchiv-Leiter Dr. Christhard Schrenk wies darauf hin, dass Angerbauer gerade in der historischen Bildungsarbeit „Maßstäbe gesetzt“ habe. Er hinterlasse seinem noch nicht bestimmten Nachfolger, der laut Landrat zu Jahresbeginn 2004 eingesetzt werden soll, eine „blühende Landschaft“. Ein großes Anliegen war Angerbauer stets auch die Verbindung zu den historischen Vereinen.

Literaturauswahl:

  • Museum zur Geschichte der Juden in Kreis und Stadt Heilbronn: Katalog / [Hrsg. Landkreis Heilbronn. Konzeption u. Bearb. Wolfram Angerbauer]
    Heilbronn: Landkreis Heilbronn 1989, 143 S., ISBN:  3-9801562-2-2
  • Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg: 1810 bis 1972 / hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Landkreistag Baden-Württemberg. Red.: Wolfram Angerbauer
    Stuttgart (Theiss), 1996, 608 S., ISBN:  3-8062-1213-9 
  • Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn: Geschichte, Schicksale, Dokumente / Wolfram Angerbauer; Hans Georg Frank
    Landkreis Heilbronn 1986, 402 S. (Schriftenreihe:  Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn ; 1)
  • Vom Oberamt zum Landkreis Heilbronn: der lange Weg zur Kreisreform 1938 am Beispiel des württembergischen Unterlandes / Wolfram Angerbauer
    Heilbronn: Landkreis Heilbronn 1988, 144 S. (Schriftenreihe:  Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn ; 2)
  • Götz von Berlichingen, 1480-1562: Ausstellung der Freiherren von Berlichingen, des Landkreises Heilbronn und der Gemeinde Jagsthausen / bearb. von Wolfram Angerbauer
    Neckarsulm, 1980, 91 S.
  • Das Kanzleramt an der Universität Tübingen und seine Inhaber, 1590-1817
    Tübingen: Mohr, 1972, XX, 166 S., 18 Stammtaf. 8″. (Contubernium ; 4), Zugl.: Tübingen, Diss. 1969

Kontakt:
Landkreis Heilbronn
Kreisarchiv
Lerchenstraße 40
74072 Heilbronn (Neckar)
Tel.: 07131/994-364
Fax: 07131/994-150
siehe auch: www.heilbronn-neckar.de

Stadtarchiv Heilbronn (Neckar)
Deutschhof
Eichgasse 1
74072 Heilbronn (Neckar)
Tel.: 07131/56-2290
Fax: 07131/56-3195
www.stadtarchiv-heilbronn.de

Quelle: stimme.de / Heilbronner Stimme (dort: Foto), 28.6.2003.

Deutsch-russische Projekte erforschen SMAD-Akten

Das Zentrum für Zeithistorische Forschung, das Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) und die University of North Carolina at Chapel Hill arbeiten seit 2001 an dem von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekt „Beschlüsse, Befehle, Anordnungen, Verfügungen und Direktiven der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Berlin-Karlshorst, und der regionalen Verwaltungen der Sowjetischen Militäradministration (VSMA's) in Brandenburg, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt (1945-1949).“ Dieses Projekt ist Teil einer Kooperation des GARF mit verschiedenen Partnern bei der Erschließung der Archivmaterialien der SMAD im Bestand des GARF.

Mit dem Befehl Nr. 1 vom 9. Juni 1945 wurde die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) als oberste Regierungsgewalt in dem von sowjetischen Truppen besetzten Gebiet eingesetzt. Der Zentrale in Berlin-Karlshorst waren fünf regionale Militärverwaltungen in den ostdeutschen Ländern unterstellt. Die SMAD regelte alles: die Einbringung der Ernte, den Aufbau von Justiz und Verwaltung sowie die Internierung der Kriegsgefangenen. Erst mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde die SMAD aufgelöst. Sie ging in die Sowjetische Kontrollkommission über, die Moskau vorsorglich der SED-Führung an die Seite stellte.

Die SMAD hinterließ 11.000 Akten, die jahrzehntelang in sowjetischen Archiven lagerten, wo sie für westliche Forscher nahezu unzugänglich waren. Erst mit dem Zerfall des Sowjetreichs öffneten sich die Archive. Teile der SMAD-Akten, die heute vor allem im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) aufbewahrt werden, aber auch über andere Moskauer Archive verstreut sind, wurden 1991 freigegeben, jedoch im August 1992 durch einen Erlass Jelzins gleich wieder gesperrt. Bis zum vollständigen Abzug der russischen Truppen aus Deutschland sollten sie unter Verschluss bleiben – mit Geld oder guten Kontakten war freilich vieles zu haben.

Inzwischen widmen sich zwei Gemeinschaftsprojekte der systematischen Erschließung der SMAD-Akten. Im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) trafen sich am 19. Juni Archivare und Historiker, um eine erste Bilanz zu ziehen (vgl. den Tagungsbericht auf H-Soz-u-Kult).

Der Amerikaner David Pike präsentierte eine elektronische Datenbank der SMAD-Befehle, an der er seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Moskauer Staatsarchiv und dem ZZF arbeitet. Finanziell wird das Projekt durch die Volkswagen Stiftung unterstützt. Pikes Datenbank, in die bisher 60 000 Einzeldokumente eingeflossen sind, ist ein wahres Wunderwerk mit komplexen Suchoptionen und umfangreichen Registern. Zumeist sind die Beschreibungen der Befehle mit vorzüglichen Reproduktionen der Originale verknüpft. Nach Abschluss des Projekts im nächsten Frühjahr soll die Datenbank so rasch wie möglich in Moskau, in Potsdam sowie im Bundesarchiv zugänglich sein. Sie wird zahlreiche Recherchen vor Ort ersetzen können.

Die Symbolik der Befehle

Das deutsch-russisch-amerikanische Gemeinschaftswerk war – wie keiner der Beteiligten verhehlt – von zahlreichen Schwierigkeiten begleitet. Sie liegen wohl auch in der symbolischen Dimension begründet, die die Aufarbeitung der SMAD-Akten unweigerlich besitzt. In ihnen konkretisieren sich vier Jahre einer oft schmerzlichen Vergangenheit.

In Russland, so erklärte Vladimir Tarasov vom Föderalen Russischen Archivdienst, wurde die Freilegung der SMAD-Akten von nationalistischen Kreisen als Preisgabe der heroischen Vergangenheit kritisiert. Die deutschen Archivare wiederum klagten in Potsdam über das Regeldickicht der russischen Archive und den schwerfälligen Prozess der „Deklassifizierung“, also der Freigabe gesperrter Akten. Bereits deklassifizierte Akten bleiben gelegentlich unzugänglich oder werden aus undurchschaubaren Gründen wieder gesperrt. Immerhin sind heute 95 Prozent der SMAD-Akten zugänglich – westliche Militärarchive verfahren durchaus restriktiver.

Auf Wunsch der russischen Seite wird die Mikroverfilmung und Digitalisierung der SMAD-Befehle von Quelleneditionen begleitet. So soll offenbar der Eindruck vermieden werden, die archivierte Vergangenheit werde einfach nur kopiert und gleichsam ins Ausland entwendet. Zugleich dienen die Editionen den russischen Archiven als eine Art Leistungsnachweis gegenüber den vorgesetzten Behörden. Bisherige Bände widmen sich der Demontage und der Zerstörung des NS- Militärapparates, sie geben etwa Aufschluss über die Vernichtung der deutschen Chemie-Waffen. Auch diese Editionen sind ein Kompromiss, denn ihre Themen werden von den russischen Partnern vorgegeben.

Parallel zur Inventarisierung der SMAD-Befehle durch David Pike arbeitet das Bundesarchiv an der vollständigen Verfilmung und Digitalisierung des SMAD- Erbes. Auch hier war der Weg zur Kooperation steinig. Zunächst wurden in einem Pilotprojekt die Akten zur Kulturpolitik erschlossen. Gegenwärtig läuft ein neues Vorhaben zur Wirtschaftspolitik. Es gab und gibt, das verschweigen die Mitarbeiter des Bundesarchivs nicht, technische Hindernisse und Konflikte in methodischen Fragen. Doch in fünf Jahren sollen sämtliche freigegebenen SMAD-Akten erfasst sein. Die bereits existierenden Mikrofilme mit immerhin 350.000 Aufnahmen sowie die digitalisierten Daten sind im Bundesarchiv einsehbar.

Damit steht den Zeithistorikern schon jetzt und erst recht in den nächsten Jahren ein riesiger Datenschatz zur Verfügung. Noch ist nicht absehbar, wie die SMAD-Akten die Forschung beeinflussen werden – die ist schließlich nicht Sache der Archivare. Aber die Erschließung der Bestände dürfte in Zukunft viele beschwerliche Odysseen durch Moskauer Archive überflüssig machen. Vladimir Kozlov, der stellvertretende Leiter des Russischen Staatsarchivs, formulierte es so: Die Jagd nach den Dokumenten soll endlich ein Ende haben, damit die Historiker sich an die Arbeit begeben können.
 
Quelle: SZ vom 28.6.2003.

Stasiakten über West-Spione freigegeben

Das jahrelange Gezerre um die brisanten „Rosenholz“-Stasiakten ist beendet. Die von den USA zurückgegebenen Daten zu Stasi-Spionen im Westen sind jetzt nicht mehr geheim und können von der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) genutzt werden. Das Kanzleramt hat am 26. Juni die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Marianne Birthler, laut einer Pressemitteilung der BStU darüber informiert, dass in Abstimmung mit der US-Seite die inzwischen fast vollständig zurückgegebenen Unterlagen nun wie die übrigen Stasi-Unterlagen entsprechend dem Stasi-Unterlagen-Gesetz verwendet werden dürfen. Die VS-Einstufung ('geheim') der bislang übermittelten CD-Roms sei damit aufgehoben.

Die jetzt freigegebenen Akten waren nach der Wende im Zuge der Geheimdienst-Operation „Rosewood“ (Rosenholz) auf unbekanntem Wege in den Besitz des amerikanischen Geheimdienstes CIA gebracht worden. Sie waren bislang als 'secret' eingestuft worden und – abgesehen von Strafverfolgungen – gemäß internationalen Vereinbarungen nicht nutzbar. Bei den CD-ROM-Datensätzen handelt es sich um noch vom MfS mikroverfilmte Karteien der Hauptabteilung Aufklärung (HVA) mit rund 317.000 Personenkarteikarten und 77.000 Karten zu operativen Vorgängen. Mit der Zuordnung von Namen und Vorgängen könnten weitere Spionagefälle aufgedeckt werden. „Die Rosenholz-Akten sind aber nicht geeignet, die Geschichte der Bundesrepublik neu zu schreiben“, schränkte Birthler ein. Dennoch sei das Thema Stasi eine gesamtdeutsche Herausforderung.

Zum Ende der DDR 1989 hätten rund 3.000 bis 3.500 Bundesbürger für das Ministerium für Staatssicherheit gespitzelt. Ende 2001 waren in der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde von insgesamt rund 59 Aktenkilometern 486 Meter zur Westarbeit der Stasi erschlossen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat in den neunziger Jahren rund 7.000 Ermittlungsverfahren wegen DDR-Spionage eingeleitet, darunter rund 3.000 Verfahren gegen frühere West-IM (Inoffizieller Mitarbeiter).

Quellen: Der Tagesspiegel, 28.6.2003; Stuttgarter Zeitung, 28.6.2003; Das Parlament, 19.11.2001.