Dokumente und Briefe der jüdischen Geschichte in Moers

85 Kennkarten jüdischer Moerser Bürgerinnen und Bürger und private Briefe, die die letzten Wochen einer jüdischen Familie bis zu ihrer Deportation 1941/42 dokumentieren – aktuelle Recherchen förderten wichtige Dokumente zur jüdischen Geschichte der Stadt zu Tage. Durch intensive Zusammenarbeit von Grafschafter Museum und Stadtarchiv Moers, das zur Bibliothek Moers gehört, wurden die Dokumente im Stadtarchiv aufgespürt. Bibliotheksleiterin Ursula Wiltsch freut sich über die gelungene und wichtige Zusammenarbeit.


Abb.: Diana Finkele (Leiterin Grafschafter Museum), Daniela Gillner (Leiterin Stadtarchiv Moers) und Ursula Wiltsch (Bibliotheksleiterin) (v.l.) präsentieren die wichtigen Dokumente, die im Stadtarchiv Moers aufgespürt worden sind (Foto: Stadt Moers)

Anlass war die Recherche von Museumsleiterin Diana Finkele zu Hermann Bähr und seiner Familie. Durch Unterstützung von Archivleiterin Daniela Gillner und Archivmitarbeiterin Alena Saam wurden nicht nur Fotos und Informationen zu Familie Bähr gefunden, sondern die Kennkartenanträge von jüdischen Moerser Bürgerinnen und Bürgern. „Damit hat das Stadtarchiv wichtige Unterlagen zur jüdischen Geschichte während der NS-Zeit mit verlässlichen Angaben wie Wohnort, Adresse und Beruf der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die Ende 1938 noch in Moers wohnten. Die meisten von ihnen wurden deportiert und ermordet“, erläutert Daniela Gillner, Leiterin des Archivs.


Abb: Beispiel einer Kennkarte, die die beiden diskriminierenden Identifikationsmerkmale aufweist, welche auf den Kennkarten aller deutschen Juden zu finden waren: Das große „J”, das auch schwarz auf der Vorderseite gedruckt wurde, und ein von den Nationalsozialisten angeordneter, ab dem 1. Januar 1939 zu führender Zwangsname – Sara für Frauen und Mädchen, Israel für Männer und Jungen. Verordnet im Juli 1938, mussten alle deutschen Juden bis Ende des Jahres eine Kennkarte beantragen. (Kennkarte von Mirjam Frank, Berlin, 5. Januar 1939, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irving und Miriam Klothen, geb. Frank; Foto: JMB).

Seit Juli 1938 galt für jüdische Bürgerinnen und Bürger der Kennkarten-Zwang: Bis 31. Dezember 1938 mussten sie „unter Hinweis auf ihre Eigenschaft als Jude“ eine Kennkarte beantragen. „Das Material ist eine sehr wichtige Quelle für die Aufarbeitung jüdischer Biografien“, ergänzt Diana Finkele. Die fast bei jedem Antrag angefügten Fotos würden der Erinnerung wieder Gesichter geben. Lichtbilder von jüdischen Moerserinnen und Moersern sind sonst leider viel zu wenige erhalten. „So wurden den Menschen damals Eigentum, Leben und letztlich die Erinnerung an sie geraubt“, so Finkele.

Postkarte aus dem Konzentrationslager
„Wir haben den Bestand, in dem sich die Kennkarten befanden, genauer untersucht und weitere wichtige Dokumente zur jüdischen Geschichte entdeckt“, berichtet Diana Finkele weiter. Die Briefe und Postkarten, die vornehmlich von Familie Leyser stammen, zeigen eindrücklich die dramatische Entwicklung der Situation. Familie Leyser hatte eine Metzgerei in der Moerser Innenstadt. Die überlieferten Briefe von Jenny Leyser an ihren Sohn Ernst, dem die Flucht nach Brasilien gelungen war, beginnen im August 1941. Die Briefe spiegeln die zunehmende Verzweiflung der Eltern, aber auch ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihren Kindern: „Dieses Hoffen hält uns aufrecht, so lange wir es durchhalten können.“ Am 25. Oktober appellierte der Vater Siegmund Leyser eindrücklich an seinen Sohn Ernst, die Familie aus Deutschland herauszuholen. Doch zu dem Zeitpunkt war allen Jüdinnen und Juden die Ausreise bereits verboten. „Ich weiß auch nicht, was Vater Euch im letzten Brief geschrieben hat, ich habe nur seine tiefe Erschütterung gesehen und ein solch´ schmerzliches Weinen, wie ich es seit Hermanns Weggang nicht mehr gesehen habe. Ich selbst habe über das Herz gebracht, ruhig liegen zu bleiben und zu tun, als wenn ich es nicht sehn würde“, berichtete Jenny Leiser am 7. November 1941 ihrem Sohn Ernst. Ein Wiedersehen gab es nicht. „Euch Lieben ein herzliches Lebe wohl. Bleibt gesund und alles Gute für die Zukunft.“ Dies schrieb Siegmund Leysers Schwester Helene auf eine Postkarte – am 10. Dezember 1941, der Tag an dem sie, Jenny und Siegmund Leyser und 82 weitere jüdische Bürgerinnen und Bürger aus dem Synagogenbezirk Moers nach Riga deportiert wurden. Eine Postkarte von Jenny Leysers Schwester Alwine Meier kam sogar aus dem KZ Theresienstadt.

„Die Dokumente zeigen aus einer ganz nahen Perspektive, was damals auf der familiären und menschlichen Ebene passiert ist. Das bietet gerade für junge Menschen einen anderen Zugang zu dem Thema“, ist sich die Museumsleiterin sicher. Die Briefe wurden neu transkribiert und kommentiert. Der Beitrag wird in der Jahresgabe des Grafschafter Museums- und Geschichtsverein veröffentlicht. Die Kennkarten werden in Kürze auf der Internetseite des Stadtarchivs Moers abrufbar sein.

Kontakt:
Stadtarchiv Moers
Hanns-Dieter-Hüsch-Bildungszentrum
Wilhelm-Schroeder-Straße 10
47441 Moers
Telefon: 0 28 41 / 201-737
Telefax: 0 28 41 / 201-760
Stadtarchiv@Moers.de

Grafschafter Museum im Moerser Schloss
Kastell 9
47441 Moers
Telefon: 0 28 41 / 201-6 82 00
Telefax: 0 28 41 / 201-1 66 82 10
grafschafter-museum@moers.de

Quelle: RP Online, 27.1.2022; Stadt Moers, Pressemitteilung, 26.1.2022; Jüdisches Museum Berlin: Kennkarte Mirjam Frank

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