Schätze aus dem Archiv des Deutschen Museums in München

Das Archiv des Deutschen Museums gehört zu den bedeutendsten Spezialarchiven für die Geschichte der Naturwissenschaft und der Technik weltweit. Auf 4,7 Regalkilometern verwahrt es herausragende Dokumente aus neun Jahrhunderten, darunter mehrere Nobelurkunden und -medaillen, die frühesten Zeichnungen des Flugpioniers Otto Lilienthal oder das Laborbuch von Otto Hahn mit der Entdeckung der Kernspaltung.

Der langjährige Leiter des Archivs des Deutschen Museums, Dr. Wilhelm Füßl, konnte nach anderthalb Jahren im Ruhestand mit seinem Buch „Schatzkammer für Technik und Wissenschaft. Das Archiv des Deutschen Museums“ nunmehr ein erstes Produkt, das im Rahmen seines neuen Lebens- und offenkundig auch Arbeitsabschnittes entstanden ist, auf einer gut besuchten Pressekonferenz vorstellen.

In der Publikation greift Autor Dr. Füßl, bis 2021 Leiter des Archivs, die eingangs erwähnten und andere Einzelstücke aus dem riesigen Fundus heraus und erzählt dazu spannende Geschichten: Wer war die erste Fotografin der Weltgeschichte? Was hat es mit dem Wurmpapier auf sich? Gibt es wirklich einen Film über die ersten Flüge Lilienthals? Was kann uns die Mitgliedskarte Albert Einsteins erzählen? Ist Raubgut in den Archiven des Hauses versteckt? Und warum sind Läuse im Archiv willkommen?

In seinem Buch geht es Wilhelm Füßl zudem darum, die Arbeit der Archivarinnen und Archivare des Deutschen Museums in ausgewählten Exkursen zu veranschaulichen. Wie funktioniert das Sammeln? Wie werden die wertvollen Stücke konservatorisch und restauratorisch behandelt? Wie funktionieren die Erschließung der Bestände und eine moderne Digitalisierung? Auch diese Fragen beantwortet der Autor anschaulich und vermittelt so ein eindrucksvolles Bild von der Arbeit im Archiv.

Die einzelnen Kapitel sind mit Aufnahmen des Fotografen Hans-Joachim Becker hervorragend illustriert.

Info:
Wilhelm Füßl:
Schatzkammer für Technik und Wissenschaft. Das Archiv des Deutschen Museums
München 2022, 228 Seiten mit 151 Abbildungen
ISBN 978-3-948808-11-2
Buchhandelspreis 29,90 €

Am 29.11.2022 findet eine öffentliche Buchpräsentation im Deutschen Museum statt.

Zehn Schätze aus dem Archiv des Deutschen Museums

1. Geheimdokumente zum deutschen Atomprogramm

Das größte Aufsehen in seiner Karriere hat Füßl wohl mit der Veröffentlichung der Papiere zum deutschen Atomprogramm der Nazizeit erregt. Am 18. Dezember 1998 konnte das Archiv des Deutschen Museums die Geheimdokumente übernehmen. Die Originale wurden 1944 und 1945 von einem Spezialkommando der US-Streitkräfte namens „Alsos“ in Deutschland beschlagnahmt – oder sind auf die Verhöre durch jenes Spezialkommando zurückzuführen.
Diese Dokumente umfassen heute 11.602 Seiten. Dazu gehört auch ein Bericht des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker vom 17. Juli 1940 mit dem Titel „Eine Möglichkeit der Energiegewinnung aus 238U“, den er für das Heereswaffenamt der Nazis geschrieben hat. Darin beschreibt er unter anderem, dass in Kernreaktoren ein neues spaltbares Element entstehen müsse – schon Monate, bevor Plutonium in den USA entdeckt wurde. Weizsäcker weist auch darauf hin, dass das neue Element einmal zum Bau sehr kleiner Maschinen, dann als Sprengstoff sowie durch Beimischung zur Umwandlung anderer Elemente in großen Mengen verwendet werden könne: „Er erkannte also das Potenzial der Kernspaltung für den Bau von Atomwaffen und maß dem Plutonium eine entscheidende Rolle als Spaltmaterial bei der Waffenproduktion zu“, sagt Füßl. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Geheimhaltung der Dokumente beibehalten. Dies zeigen die Stempel „Restricted data“ und „Caution“, die 1946 auf den Papieren angebracht wurden.

2. Das Spionagetagebuch von Georg von Reichenbach

Wilhelm Füßls Lieblingsstück im Archiv ist das „Spionagetagebuch“, ein Skizzenbuch von Georg von Reichenbach. Der Münchner Ingenieur ist als junger Mann im Jahr 1791 nach England gefahren und hat dort Industriespionage im Auftrag der bayerischen Regierung betrieben. Vor allem die Dampfmaschinen von James Watt hatten es ihm angetan. Er verschaffte sich heimlich Zugang zu englischen Fabriken – „mutmaßlich mit Bestechung in Form von Whisky“, sagt Füßl – und zeichnete eine Watt‘sche Dampfmaschine ab. Heute sind die Reichenbachstraße und die Reichenbachbrücke in München nach von Reichenbach benannt. Füßl: „Eine steile Karriere für einen Ex-Spion.“

3. Das älteste Stück im Archiv

Das älteste Stück ist eine Pergamenthandschrift des hochmittelalterlichen Universalgelehrten, Philosophen, Theologen und Bischofs Albertus Magnus (1193– 1280). Das Physicorum Libri VIII mit 129 Blatt stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und wurde vom Deutschen Museum im Jahr 1910 bei einem Münchner Antiquariat gekauft: „Für die heute lächerlich niedrig anmutende Summe von 500 Mark“, sagt Füßl.

4. Der schwimmende Bote

Ebenfalls in der Handschriftensammlung findet sich ein „Feuerwerksbuch“ von 1480 – hier werden verschiedene Ideen für das Kriegshandwerk präsentiert. Darin findet sich auch die Zeichnung eines „Schwimmenden Boten“. Das Blatt zeigt einen Mann, der eine Botschaft über einen See transportiert – den versiegelten Brief hält er mit ausgestrecktem Arm aus dem Wasser heraus. Um den Körper trägt der Bote einen Schwimmreifen, der es ihm erlaubt, das Wasser zu überqueren, ohne unterzugehen.

5. Das Laborbuch von Otto Hahn

Das unscheinbare Notizbuch mit Lack-Einband und 94 Blättern dokumentiert eine wissenschaftliche Leistung mit unabsehbaren Folgen: die Entdeckung der Kernspaltung im Jahr 1938. Die Protagonisten, die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann sowie die Physikerin Lise Meitner, wollten durch die Bestrahlung von Uran Elemente erzeugen, die schwerer als das Ausgangsmaterial sind. Der entscheidende Versuch fand in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1938 statt. Dabei wurde eine Uranprobe mit Neutronen bestrahlt, was zur Entstehung mehrerer neuer radioaktiver Isotope führte. Bei den darauffolgenden, als „Indikatorversuche“ bekannt gewordenen Experimenten stellte sich heraus, dass es sich bei den beobachteten Elementen nicht um Isotope des vermuteten Radiums handelte, sondern überraschenderweise um radioaktive Isotope von Barium – einem Element also, das wesentlich leichter als Uran ist.
Die Messergebnisse waren für Hahn und Straßmann unerklärlich. Hahn wandte sich daher an Lise Meitner mit der Bitte: „Vielleicht kannst Du irgendeine fantastische Erklärung vorschlagen.“ Meitner lieferte an Weihnachten 1938 die revolutionäre Interpretation des Indikatorversuchs, nämlich, dass der Urankern durch das Eindringen von Neutronen in zwei etwa gleich große Fragmente gespalten worden sei, wobei sich die beiden Atomkerne wegen ihrer positiven Kernladung abgestoßen und eine hohe Energie freigesetzt hätten. Für diese Entdeckung erhielt Otto Hahn nach Kriegsende den Nobelpreis.
Im Laufe des Jahres 1939 wiederholten weltweit Wissenschaftler den Berliner Versuch, wobei schnell die waffentechnische Dimension der Entdeckung klar wurde – letztlich führte das Experiment zum Atombombeneinsatz in Hiroshima.
Otto Hahn hat sein Laborbuch 1960 dem Deutschen Museum geschenkt. Verpackt war es bei der Übergabe in einem Umschlag, der von dem Nobelpreisträger in seiner kleinen Handschrift eigenhändig erläutert ist: „Originalheft des Indikatorversuchs. Dezember 1938, sehr wichtig Otto Hahn“ steht hier geschrieben. „Wir glauben ihm das!“, schreibt Füßl dazu.

6. Das erste Foto von München

1,4 Millionen Fotos werden im Archiv des Deutschen Museums verwahrt. Den kleinsten, aber wertvollsten Teil des Bildarchivs bildet der Rarissima-Bestand. Dazu zählen einige Highlights aus der Frühzeit der Fotografie in Deutschland. Es handelt sich um Bilder, die Carl August von Steinheil und Franz von Kobell im Jahr 1839, dem Jahr des Bekanntwerdens der ersten fotografischen Aufnahmen von Daguerre, in München angefertigt haben. Forschungen haben gezeigt, dass die beiden Pioniere mit verschiedenen selbstkonstruierten Kameras gearbeitet haben. Das Papiernegativ zeigt eine Ansicht der Neuhauser Straße in München. Gut zu erkennen sind im Vordergrund die Fassade der Kirche St. Michael und die daran anschließende Augustinerkirche. Aufgefunden wurden diese Bilder im Jahr 1994 in einem unscheinbaren Umschlag im Firmenarchiv Steinheil.

7. Die erste Fotografin der Weltgeschichte

Bei den Ausräumarbeiten in den Museumsdepots kam 2018 eine Aufnahme zum Vorschein, die weder eine Inventarnummer trug noch einem Objektbestand zugeordnet werden konnte. Heute zählt sie zum Rarissima-Bestand des Archivs. Es handelt sich um eine sehr frühe Daguerreotypie. Sie gehört zum Nachlass des Chemikers Eilhard Mitscherlich, den sein Sohn Alexander Mitscherlich dem Deutschen Museum vermachte.
„Allein schon den Porträtierten zu identifizieren, war eine detektivische Recherche“, sagt Füßl. Einer findigen Archivmitarbeiterin gelang es, eine teilweise überklebte handschriftliche Anmerkung zu entziffern: „Astronom“ stand dort. In mühevoller Kleinarbeit sah die Mitarbeiterin eine Serie von 74 Ordnern mit Porträts durch, die sich im Archiv befanden – und wurde fündig: Unter der Bildnummer 33 118 ist hier die Reproduktion einer Lithografie des Astronomen Johann Franz Encke (1791–1865) vorhanden, die unverkennbar die Person auf der Daguerreotypie darstellt.


Abb.: Porträtfotografie des Astronomen Johann Franz Encke, ca. 1840/41, Deutsches Museum, Archiv, BA-Rar 0013 (Foto: Deutsches Museum, Hans-Joachim Becker)

Ein Brief von Alexander Mitscherlich von 1905 brachte die Erklärung zur Entstehungsgeschichte: „Die Aufnahmen stammen aus der Zeit nach der Erfindung Daguerres, welcher mit meinem Vater befreundet war und ihm einen Apparat verschaffte.“ Auch die Urheberin der Aufnahmen geht aus einem weiteren Brief Mitscherlichs hervor: „Ich habe ganz übersehen, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich Daguerreotypien besitze von dem berühmten Mineralogen Gustav Rose und dem Astronomen Enke [sic!], welche von meiner Mutter nach Anleitung von Daguerre hergestellt sind.“ Ziemlich sicher hat Laura Mitscherlich ihre ersten Daguerreotypien noch 1839 angefertigt; denkbar, dass Daguerre persönlich der Frau seines Freundes das Fotografieren beigebracht hat. Laura Mitscherlich ist damit die erste namentlich bekannte deutsche Fotografin, vielleicht sogar die erste Fotografin weltweit.

8. Otto Lilienthals Werkstattzeichnung

Besonders stolz ist Füßl auf eine frühe Zeichnung des Flugpioniers Otto Lilienthal aus dem Jahr 1893 – verständlich, denn die Einwerbung des Lilienthal-Nachlasses hat ihn zehn Jahre Zeit gekostet. 1891 hob Lilienthal erstmals mit einem von ihm konstruierten Gleiter ab. Bis zu seinem tödlichen Absturz im August 1896 absolvierte er mehrere hundert Flüge mit unterschiedlichen Flugapparaten.
Auf einer seiner Werkstattzeichnungen, die sich im Archiv des Deutschen Museums befinden, ist ein zusammenklappbares Modell seines Fluggeräts skizziert. Lilienthal musste seine Gleiter nämlich mühsam auf einen Berg tragen, um von dort aus zu starten – und konstruierte deshalb einen klappbaren Gleiter, was es ermöglichte, den Flugapparat leichter zu transportieren und zu lagern. Das Konzept bewährte sich: Lilienthal ließ es patentieren und bot die Konstruktion zum Kauf an. Auch die Rückseite des Blatts hat Lilienthal genutzt – für die Skizze eines Schlagflügelapparats und für verschiedene Berechnungen.

9. Die Rede des Grafen Zeppelin an das deutsche Volk

Auf dem ältesten Tonträger des Archivs ist eine Rede von 1908 festgehalten: „Ein Wort des Grafen Zeppelin an das deutsche Volk“. Sie ist auf zwei Schallplatten gepresst, die in einer Schmuckkassette aufbewahrt sind – innen mit Samt bezogen und außen mit vergoldeten Verschlüssen gesichert. Der Durchmesser beträgt 30,5 Zentimeter; abzuspielen sind die Schallplatten mit einer Geschwindigkeit von 78 Umdrehungen in der Minute. Es handelt sich um Schellackplatten, die ab 1895 Verbreitung fanden. Eine Besonderheit der Zeppelin-Platten liegt darin, dass es sich bei ihnen um sogenannte Inside-outside-Platten handelt. Das heißt, die Nadel tastet die Rillen von innen nach außen ab – anders als bei üblichen Schallplatten. Bei der Ansprache Zeppelins handelt es sich um eine Dankrede für die „Zeppelinspende des deutschen Volkes“. Hintergrund war der Absturz des Starrluftschiffs LZ 4 in Echterdingen am 5. August 1908, der die weiteren Entwicklungen zu stoppen drohte. Durch einen anonymen Aufruf für eine „Zeppelinspende“ kamen sechs Millionen Mark zusammen. Sie ermöglichten dem Grafen den Bau weiterer Luftschiffe. In der Rede bedankte sich Graf Zeppelin für die Spenden und versprach: „Meine Luftschiffe werden bald zu den betriebssichersten Fahrzeugen zählen, mit welchen weite Reisen bei verhältnismäßig geringster Gefahr für Leib und Leben der Insassen ausführbar sind.“

10. Die Tonbänder von Oskar Sala

„Lässt man bei Archivführungen den Namen Oskar Sala fallen, blickt man in der Regel in ratlose Gesichter. Fragt man, ob jemand den Film „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock kenne, sieht man eifriges Nicken“, erzählt Wilhelm Füßl. „Fügt man dann noch hinzu, dass das Geschrei der Vögel nicht echt ist, sondern auf einem Musikinstrument, dem Trautonium, künstlich erzeugt wurde und dass es Oskar Sala war, der dem Trautonium diese markdurchdringenden Geräusche entlockt hat, stößt man sofort auf die Begeisterung der Zuhörer.“ Sala gilt als Pionier der elektronischen Musik, entwickelte das von Friedrich Trautwein im Jahr 1930 vorgestellte Trautonium systematisch weiter und war bis zu seinem Tod der einzige, der das Instrument spielen konnte. Seinen Nachlass vermachte Oskar Sala dem Deutschen Museum – darunter fast 2000 Tonträger. Um sinnvoll mit den Tonbändern arbeiten zu können, mussten diese digitalisiert werden – was ihr Zustand zunächst nicht erlaubte. Die Schachteln waren korrodiert, Bänder waren von der Spule, dem „Bobby“, gefallen. Dabei waren die Tonbänder äußerst wichtig – Sala hatte nur wenige Noten hinterlassen; die Bänder waren sozusagen sein Werkverzeichnis. Aber das große Werk gelang: Im Laufe der Digitalisierung entstanden insgesamt rund 20 700 Dateien mit einem Datenvolumen von etwa vier Terabyte. Und auch die Archivierung des Original-Bandmaterials glückte.

Zum Autor:
Dr. Wilhelm Füßl ist Historiker und war nach verschiedenen beruflichen Stationen im In- und Ausland von 1992 bis 2021 Leiter des Archivs des Deutschen Museums.

Er publizierte u. a. 2005 das Werk Oskar von Miller (1855–1934). Eine Biographie. Er ist Herausgeber bzw. Mitherausgeber der Bücher bzw. Ausstellungskataloge Biographie und Technikgeschichte (1998), Geschichte des Deutschen Museums. Akteure, Artefakte, Ausstellungen (2003), Wirklichkeit und Illusion. Dioramen im Deutschen Museum (2017), 100 Jahre Konrad Zuse – Einblicke in den Nachlass (2010), Konstruierte Wirklichkeit. Philipp Lenard (1862–1947). Biografie – Physik – Ideologie (2012), Licht und Schatten. Ernst Mach | Ludwig Mach (2017) sowie Fotografie im Dienst der Wissenschaft. Aspekte der Visual History (2021). Mehrere seiner Bücher wurden mit Preisen ausgezeichnet.

Kontakt:
Archiv des Deutschen Museums
Museumsinsel 1
80538 München
Telefon +49 89 2179 220
archiv@deutsches-museum.de

Quelle: Matthias Röschner, Archiv des Deutschen Museums: Neuerscheinung zum Archiv des Deutschen Museums von Wilhelm Füßl, in: Archive in der Leibniz-Gemeinschaft. Gemeinschaftsblog des Arbeitskreises Archive in der Leibniz-Gemeinschaft, 17.11.2022 [https://leibnizarc.hypotheses.org/3635]; Deutsches Museum, Pressemitteilung, 22.11.2022.

Von der krummen Grafschaft Ottersberg bis zur Gebietsreform

Jahrbuch für den Landkreis Verden 2023 erschienen.

Es ist die Zeitschrift für die Geschichte der Region: Das Jahrbuch für den Landkreis Verden ist mit seinem 66. Band erschienen. Seit Ende der 1950er Jahre ist es ein bewährter Begleiter durch die Geschichte der Region. Der neue, redaktionell vom Kreisarchiv Verden zusammengestellte Band für 2023 präsentiert auf 368 Seiten wieder zahlreiche Beiträge aus der Geschichte des heutigen Landkreises Verden. Die Arbeiten spannen einen weiten Bogen, sowohl räumlich, indem Geschichte zwischen Bollen, Thedinghausen, Verden und Dörverden erzählt wird, als auch zeitlich. Denn die Texte behandeln rund 1.000 Jahre Geschichte, sie tauchen ein in Zeiträume vom 11. bis in das 20./21. Jahrhundert.

Dass die Schatzkammer der Historischen Bibliothek am Domgymnasium Verden noch für so manche Überraschung gut sein dürfte, zeigen Uwe Haats, Reinhard Nitsche und Konrad Rudolph mit ihren Texten über den Teilbestand der Schulprogrammheftsammlung. In kaum einer anderen historischen Schulbibliothek dürfte eine so umfangreiche, weit zurückreichende Sammlung vorhanden sein.

Hermann Deuter bleibt der Serie verbunden und startet zwei neue Aufsatzreihen, die sich einerseits mit der Geschichte der Sportvereine und andererseits mit der Geschichte des SPD-Ortsvereins in Langwedel beschäftigen.

Reinhard Dietrich beschäftigt sich mit der wechselvollen Geschichte der Bebauung des Bollener Esch an der Weser.

Bis in das Mittelalter zurück blickt Manfred Ringmann, der sich auf die Spuren einer mittelalterlichen (Frei-)Grafschaft Ottersberg begibt und danach fragt, ob es bereits im 11. Jahrhundert eine Ottersberger Herrschaftsbildung gegeben hat.

Heinz-Dieter Böcker berichtet aus den Quellen über eine Hofübernahme im Dörverden des 17. Jahrhunderts. Plattsnackers und Freunde der Lyrik finden sich in der Geschichte über einen Einkauf in Bremen sowie in den Gedichten von Karin Feldmann wieder.

Aus dem Bereich Thedinghausen sind in diesem Jahr gleich vier Texte enthalten. Karl-Heinz Rengstorf schreibt über die Gemeinschaftsgefrieranlage Oiste. Der Samtgemeindearchivar Klaus-Dieter Schneider befasst sich mit einer sehr heiteren und einer eher düsteren Seite der Geschichte. Joachim Woock schließlich untersucht die überall in der heutigen Samtgemeinde vorhandenen Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos der Zeit zwischen 1939 und 1945.

Joachim Woocks weitere Aufsätze untersuchen einmal die SA-Standarte 14 in Verden sowie das Rätsel um die verschollene Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Männer aus Verden. Mit der Geschichte Verdens setzen sich auch weitere Texte auseinander. Hans-Werner Posdziech setzt seine Reihe zum Ersten Weltkrieg fort. Insbesondere der thematische Teil zur Gebietsreform vor 50 Jahren sei hier hervorgehoben. Nach einer Einführung von Stadtarchivarin Wencke Hinz steuern die Verdener Ortsteile ihre Sichtweise auf die Reform und die Entwicklung seither bei.

2022 ist darüber hinaus auch für das Kreisarchiv Verden selbst ein Jubiläumsjahr, denn die öffentlich zugängliche Einrichtung startete vor 60 Jahren noch in den alten Kreishäusern an der Bremer Straße, zog dann ein in das damals neu errichtete Kreishaus (heute Finanzamt) und ist seit 1998 an der Lindhooper Straße untergebracht.

Das neue Jahrbuch für den Landkreis Verden 2023 ist ab sofort im regionalen Buchhandel oder direkt beim Kreisarchiv Verden zum Preis von 9 Euro erhältlich.

Weitere Informationen:
Inhalt

Kontakt:
Dr. Florian Dirks
Landkreis Verden
Der Landrat
Fachdienst Kultur
Kreisarchiv
Lindhooper Straße 67
27283 Verden (Aller)
Telefon: +49 (4231) 15-200
www.Landkreis-Verden.de

Fürther Ausstellung zu 50 Jahren Bobby-Car

Es rollt und rollt und rollt. Seit das BOBBY-CAR vor 50 Jahren fahren gelernt hat, veränderte es sich optisch nur wenig und ist inzwischen ein Design-Klassiker. Eine bunte Auswahl zusammen mit der Geschichte des BOBBY-CARS zeigt eine Ausstellung des Stadtmuseums Fürth vom 24. November 2022 bis 16. April 2023.


Abb.: BIG Bobby-Car (Modell April 1998) mit grünem Anhänger (Modell März 2000) – beides bedauerlicherweise ohne Flüsterreifen (eig. Foto)

Kurz nachdem der „Rutscher“ 1972 zum ersten Mal von der Fürther Firma BIG-SPIELWAREN GmbH & Co. KG auf der Spielwarenmesse Nürnberg präsentiert wurde, eroberte er die Kinderzimmer im Sturm, wie auch die ein oder andere Garage und so manche Rennpiste. Denn auch bei Erwachsenen besitzen die kleinen Rutschautos inzwischen Kultstatus. Zeitlos ist also auch die Kundschaft. Jene, die früher selbst damit fuhren, sind heute Eltern oder Großeltern, die den Flitzer gerne zur Geburt oder zum ersten Geburtstag verschenken.

Zu Beginn sah es jedoch nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus, denn das BOBBY-CAR wurde wegen seiner funktionalen Form mit der ergonomischen Sitzfläche belächelt. Aber das änderte sich bald. Mehr als 20 Millionen BOBBY-CARS sind beim Hersteller BIG, der 2004 von der SIMBA-DICKIE-GROUP GmbH übernommen wurde, bisher vom Band gelaufen. Etwa 2.000 Stück werden täglich im Werk im mittelfränkischen Burghaslach gefertigt. Längst wird aber nicht mehr nur der rote Klassiker produziert. Über hundert verschiedene, zum Teil limitierte Modelle, wurden bislang entwickelt.

Als das BOBBY-CAR auf den Markt kam, gab es für kleine Kinder vor allem das Dreirad. Heute konkurriert es mit Laufrädern, Dreirädern und anderen Rutschautos. Trotzdem ist die Nachfrage nach dem BOBBY-CAR nach wie vor ungebrochen. Es wird noch sehr lange durch Kinderzimmer rollen und Kinderherzen höher schlagen lassen.

Info:
50 Jahre BIG-BOBBY-CAR. Kult im Kinderzimmer
Stadtmuseum Fürth
Ottostraße 2
90762 Fürth
Tel.: (0911) 974 – 3730
Fax: (0911) 974 – 3731
info.stadtmuseum@fuerth.de

Eintritt:
Erwachsene: 2 Euro
Kinder ab 6 Jahre / Ermäßigte: 1 Euro

Ninas Brief aus dem Ghetto Lublin

Das Objekt des Monats November 2022 des Münsteraner Geschichtsortes „Villa ten Hompel“ steht im Zeichen des diesjährigen Orange Days am 25. November – dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus unserer Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“. Der handschriftliche Brief wurde von einer Frau namens Nina, Nachname unbekannt, 1942 im Ghetto Lublin verfasst. Sie berichtet ihrer Familie auf Polnisch: „Meine Lieben (ich schreibe an Euch alle zusammen)! Bei uns braut sich etwas Schreckliches zusammen. […] Bei uns herrscht Panik. Ich habe schreckliche Angst. Ich küsse Euch Nina. Einzelheiten im nächsten Brief.“


Abb.: Brief von Nina, Nachname unbekannt, 1942, Ghetto Lublin  (Foto: Villa ten Hompel)

Der kurze Brief liest sich als bittere Vorausahnung: Kurz nachdem Nina ihre Befürchtungen aufgeschrieben hat, wurde das Ghetto Lublin gewaltsam aufgelöst. Die meisten Ghettobewohnenden, etwa 30.000, wurden zwischen dem 17. März und dem 11. April 1942 in Viehwaggons der Ostbahn durch Ordnungspolizisten des Reserve-Polizeibataillons 101 in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort getötet. Dies bildete den Beginn der „Aktion Reinhard“ – der systematischen Ermordung der im sogenannten „Generalgouvernement“ lebenden Jüdinnen und Juden. Von etwa 45.000 jüdischen Menschen, die vor dem Krieg etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Lublins ausmachten, überlebten weniger als 300 die nationalsozialistische Besatzung.
Jüdische Menschen wie Nina waren in den Ghettos in Mittel- und Osteuropa der Kontrolle und dem Terror des nationalsozialistischen Regimes schutzlos ausgesetzt. Häufig waren diese lediglich Durchgangsstationen in die Vernichtungslager. Männer und Frauen waren dort ähnlichen Formen der Gewalt ausgesetzt: Misshandlung, Hunger, Zwangsarbeit, Erniedrigung und schließlich Deportation und Tod.

Unzählige Frauen wurden aber zusätzlich Opfer sexualisierter Gewalt, die kein Nebenprodukt des Krieges war, sondern systematisch von den Nazis und ihren Kollaborateuren angewandt wurde. Die gewaltsame und sexualisierte Erniedrigung von jüdischen Frauen war eine Folge der entmenschlichenden Rassenideologie der Nazis und stellte eine scheinbar legitime Bestrafungsmöglichkeit dar, die insbesondere im besetzten Osten zumeist keiner sozialen oder strafrechtlichen Kontrolle unterlag. Auch nationalsozialistische Vorstellungen von hegemonialer Männlichkeit und Dominanz über Frauen trugen zu Sexualverbrechen bei.

Unweit der Platzierung des Briefes von Nina in Raum 3 der Dauerausstellung in der Villa ten Hompel finden sich Feldpostbriefe von im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Ordnungspolizisten, die sich aufgrund ihrer Inhalte als Täterdokumente bezeichnen lassen. In den Briefen berichten die Polizisten ihren Familien vom dienstlichen Alltag und sparen dabei die eigene Teilnahme an Massenerschießungen und anderen Kriegsverbrechen, auch Vergewaltigungen, nicht aus. Geradezu schockierend sind dabei Zeugnisse von Massenmord und Gewaltexzessen direkt gefolgt von Liebesbotschaften an die Familie. Die Ehefrauen nahmen diese Schilderungen befürwortend zur Kenntnis und wurden damit zu moralischen Komplizinnen ihrer Männer. Auf diesem Weg konnten die Täter ihre Schuld mit nahestehenden Personen teilen und sich vergewissern, trotz ihrer Handlungen geliebt und akzeptiert zu werden. Dies erleichterte die völlige Normalisierung der Gewalttaten und des Völkermords durch die Nazis.

Die Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ der Villa ten Hompel erzählt in Anlehnung an die Hausgeschichte von den Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg und von den Versuchen der Aufarbeitung in der Nachkriegszeit: Thematisiert werden die enorme Dimension der Beteiligung der uniformierten Polizei am Zweiten Weltkrieg und an den Genoziden gegenüber Juden sowie Sinti und Roma, die öffentliche und personelle Entnazifizierung und Kontinuitäten nach 1945, die juristische Aufarbeitung des NS-Unrechts sowie der bürokratische Versuch einer „Wiedergutmachung“ der Bundesrepublik gegenüber ehemals Verfolgten.

Beim heutigen Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster handelt es sich um eine ehemalige Fabrikantenvilla, den Sitz der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, einen Ort der Entnazifizierung und das Dezernat für Wiedergutmachung im Nachkriegsdeutschland. Heute bietet die Villa ten Hompel Raum für die Auseinandersetzung mit geschichtlichen und aktuellen Themen zwischen Erinnerungskultur und Demokratieförderung am historischen Ort.

Stefan Querl (im Bild; Foto: Kathrin Schulte) wird die Leitung der Villa ten Hompel übernehmen, zunächst befristet bis zum 30.06.2023. Nach Abschluss seines Masterstudiums übernimmt Querl die Leitung unbefristet. Querl ist seit Anfang 2022 kommissarischer Leiter der städtischen NS-Forschungs- und Gedenkstätte. Schon seit 2003 ist Querl als pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Villa ten Hompel tätig. Der 48-Jährige gehört dem Bundesvorstand von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ in Berlin und dem Landesvorstand des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen an.

Kontakt:
Geschichtsort Villa ten Hompel
Kaiser-Wilhelm-Ring 28
48145 Münster
Tel. 02 51/4 92-71 01
Fax 02 51/4 92-79 18
tenhomp@stadt-muenster.de

Quelle: Geschichtsort Villa ten Hompel – Memorial & Museum, Objekt des Monats November, 11.11.2022; Stadt Münster, Pressemitteilung, 27.10.2022

Pocken, Pest und Pillen in Nordhausen

Eine spannende Zeitreise durch mehr als 500 Jahre Medizingeschichte Nordhausens liefert die erste quellengestützte Darstellung zu Seuchen, Ärzten, Chirurgen, Hebammen, Apotheken und dem wiederentdeckten Anatomiehaus in der ehemaligen Reichsstadt Nordhausen. Die Autorin Dr. Antonia Jäger, ihres Zeichens bekannte Nordhäuser Chirurgin und seit langem medizinhistorisch Forschende, weist die früheste deutsche Pillenmaschine nach, findet die älteste Nordhäuserin in reichsstädtischer Zeit und beschreibt historische Behandlungen: facettenreich, verständlich und lebendig.


Das Buch ist im Michael Imhof Verlag Petersberg erschienen und Band 42 in der Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung.

Am 11.11.2022 wurde im feierlichen Rahmen die Publikation „Pocken, Pest und Pillen“ von Antonia Jäger in der Nordhäuser Stadtbibliothek „Rudolf Hagelstange“ präsentiert. An der öffentlichen Veranstaltung nahmen neben der Autorin die Nordhäuser Bürgermeisterin Alexandra Rieger, der Stifter, Stiftungsvorstand und Stiftungsrat der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung sowie fast 200 Gäste aus Nordhausen und Umgebung teil.

Info:
Antonia Jäger
Pocken, Pest und Pillen. Gesundheit, Krankheit und Heilende in Nordhausen 1223 bis 1802
Umfang 17 × 24 cm, 480 Seiten, 44 Farbabbildungen, Hardcover
Petersberg 2022
39,80 Euro
ISBN 978-3-7319-1282-8

Quelle: Stadtarchiv Nordhausen, Neueste Publikationen, Nov. 2022; Nordthüringen, News, 15.11.2022; Stadt Nordhausen, News, 12.11.2022; Lesser-Stiftung, Buchpräsentation, 11.11.2022

Heimat zum Mitmachen

heimat:hub am Bayerischen Untermain.

Kleine Fenster, die regionale Geschichte zu einem großen Panorama werden lassen: Mit der Mitmach-Plattform des heimat:hub am Bayerischen Untermain soll das Wirklichkeit werden. Das englische Wort „hub“ bezeichnet einen Knotenpunkt, und als solcher versteht sich der heimat:hub. Unter der Adresse www.heimathub.de entsteht ein digitales Zuhause für Geschichte der Region. Sie ermöglicht es den Nutzer*innen sich zu vernetzen, miteinander Wissen zu teilen, zu entdecken und zu erforschen, im virtuellen Raum und ganz analog vor Ort.


Abb.: Arbeit am Scantent zur Digitalisierung von Fotos (Foto: Markus Schmitt)

Seit April 2022 laufen die Vorbereitungen für den Start der Internet-Plattform. Das Team aus Mitarbeiter*innen des Stadt- und Stiftsarchivs, des Burglandschaft e.V. und des Kulturlandschaft Kahlgrund e.V. geht jetzt mit den technischen Arbeiten auf die Zielgerade, um die Plattform in den Testbetrieb zu übernehmen und im Februar 2022 offiziell in Betrieb zu nehmen. Um ein Bild von der Idee und dem Netzwerk dahinter zu bekommen, wurde jetzt mit der Aschaffenburger Agentur „Auf Drei“ ein kurzes Video gedreht, das Lust auf das Projekt macht und die Protagonist*innen vorstellt. Das Video ist im YouTube Kanal der Stadt Aschaffenburg unter #heimathub zu finden: https://youtu.be/3s8TF8brPLc.

In drei Bereichen des Internetauftritts www.heimathub.de lädt das Projekt-Team Privatpersonen, Vereine, Museen, Schulen und viele mehr zur Mitarbeit im heimat:hub ein: Im Journal können eigene Artikel verfasst und veröffentlicht werden, ganz unabhängig von Epochen und Themen. Das Archiv möchte alle Interessierten zu „Archivaren“ ihrer Heimat, ihrer Kultur und der eigenen Vergangenheit machen. Hier können sie Dokumente hoch, die sich in Ihrem Besitz befinden, hochladen und mit anderen teilen. Mit seinem Netzwerk ermöglicht der heimat:hub die Kommunikation unter Nutzer*innen und Projektpartner*innen.

Getragen wird der heimat:hub durch die Projektpartner Kulturlandschaft Kahlgrund e.V. im Landkreis Aschaffenburg, Burglandschaft e.V. im Landkreis Miltenberg und durch das Stadt- und Stiftsarchiv in Aschaffenburg, welches insbesondere mit seinem Projekt Aschaffenburg 2.0 schon wichtige Erfahrungen mit in das Projekt einbringt. Die Stadt Aschaffenburg ist auch der Projektträger dieses „Citizen Science Projektes“ und ermöglicht über das Referat für Digitalstrategie die digitale Infrastruktur für die Realisierung dieses aufwendigen Projektes. „Mit dem heimat:hub möchte die Stadt Aschaffenburg Kultur und Geschichte aber auch die Sprache und die Tradition des Bayerischen Untermains bewahren und lebendig halten. Teilen sie mit uns ihre Geschichte!“, so die Einladung von Bürgermeister Eric Leiderer zum Mitmachen.

Drei Ankerpunkte in der Region sind Anlaufstellen mit konkreten Ansprechpartner*innen vor Ort. Dort stehen Ihnen Mitarbeiter*innen des Projektteams für Ihre Fragen zur Verfügung. Sie werden individuell unterstützt, darüber hinaus bieten die Mitarbeiter*innen Workshops und Aktionen in ihren Räumlichkeiten, wie auch in der ganzen Region an. „Die neue digitale Vermittlungsplattform macht Geschichte von allen für alle erlebbar. Die Ankerpunkte sind dabei Begegnungs- und Kreativräume“, wirbt Landrat Jens Marco Scherf für die analoge Seite des Projektes. Anlaufstellen sind der Digitalladen im Roßmarkt 11 in Aschaffenburg, das Rathaus Mömbris und das historische Rathaus Eschau.

Die Summe der einzelnen Teile macht das Projekt stark. Die vielfältigen Erfahrungen der Projektpartner, die auch mit Universitäten, dem Archäologischen Spessartprojekt und weiteren Partnern vernetzt sind und vom Bezirk Unterfranken unterstützt werden, schaffen ein starkes gemeinsames Netzwerk. „Mit dem heimat:hub hat jeder die Möglichkeit, Geschichte festzuhalten und digital weiterzugeben. Zugleich lässt sich auch auf diese Weise eine breite Öffentlichkeit erreichen.“, so Landrat Dr. Alexander Legler zu dem neuen Projekt in der Region. Ermöglicht wird es durch eine Förderung im Rahmen der “Richtlinie zur Förderung von Heimatprojekten mit Schwerpunkt Digitalisierung, insbesondere zur Stärkung regionaler Identität in Bayern” des Finanz- und Heimatministeriums und durch die Trägerschaft der Stadt Aschaffenburg und durch die finanzielle Unterstützung durch die Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg.

Kooperationspartner im Projekt sind:

Link: https://www.regionen.bayern.de/

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 15.11.2022.

Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2022

Die vierte diesjährigen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ weist unter anderem auf den Podcast „Stadtgeschichte[n]“ hin, der seit August 2022 vom Stadtmuseum Gera herausgegeben wird und vielfältige stadtgeschichtliche Ereignisse in auditiver Form präsentiert.

Der Podcast bietet vielseitige und interessante Themen zur Geschichte der Stadt Gera, blickt hin und wieder aber auch über den Tellerrand in die Weltgeschichte hinaus. Die bereits veröffentlichten Folgen widmen sich dramatischen Ereignissen, unvorstellbaren Lebensbedingungen und zügellosem Verhalten: So gab es einst einen Ort, an dem Waisenkinder und Gefangene zusammen untergebracht waren. Ein Kriminalfall führte beinahe zur Zerstörung der ganzen Stadt Gera. Auch existierte einst eine Bildungseinrichtung, in der nackt Gymnastik ausgeübt wurde.

Abrufbar ist der Podcast über Spotify und die Website www.museen-gera.de/museen/stadtmuseum/sammlung (QR Code).

Weitere Themen in den Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2022:
Mit dem Einsetzen des Aufstellens privater Briefmarkenautomaten in Gera vor 85 Jahren wird auf ein aus unserer heutigen Zeit nicht mehr weg zu denkendes Phänomen der Automatisierung verwiesen.

Ein Jubiläum wird mit der Errichtung des Geraer Bismarckturms auf dem Steinertsberg vor 120 Jahren und dessen späteren Abriss in den Blick genommen.

Im vierten Beitrag steht mit Johann Gottlieb Nündel ein Geraer Naturdichter der Goethezeit im Fokus der Betrachtungen.

LinkNachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2022

Kontakt:
Stadtarchiv Gera
Gagarinstraße 99/101
07545 Gera
Tel. 0365/838-2140 bis 2143
stadtarchiv@gera.de
www.gera.de/stadtarchiv

Jahrhundert-Orkan »Quimburga« wütete 1972 auch im Kreisgebiet Verden

Am 13.11.1972 zog „Quimburga“, einer der schlimmsten Orkane des 20. Jahrhunderts auch über den Landkreis Verden hinweg. Der Sturm richtete zahlreiche schwere Schäden an und erreichte mit seinen Böen Rekordwerte. Neben den zahlreichen, teils heftigen materiellen Schäden an Häusern und Bäumen, waren mindesten 20 Verletzte und ein Todesopfer zu beklagen (Verdener Aller-Zeitung, 11.11.2022), in ganz Niedersachsen und Bremen verloren sogar 21 Menschen ihr Leben.

In der Fotosammlung des Kreisarchivs Verden haben sich dazu mehrere Fotos erhalten, die nur teilweise auch im Heimatkalender 1974 veröffentlicht wurden. Sie stammen von H. Schmidt und dokumentieren Schäden in Kirchlinteln nahe des Fernsehturms Luttum. In der Gemarkung Diensthop fotografierte jemand namens Kuhn (Quelle: Heimatkalender 1974).


Abb.: Orkan-Schäden vom 13.11.1972 im Kreis Verden (Fotos: Kreisarchiv Verden)

Wer den Jahrhundertsturm miterlebte, hat die Abläufe auch 50 Jahre später nicht vergessen. In den Morgenstunden des 13. November 1972 frischte der Sturm auf, kurz vor Mittag dann die mächtigsten Orkanböen, und anschließend die ersten Reaktionen. „Nach der vierten Schulstunde war Schluss“, erinnert sich beispielsweise ein damaliger Neuntklässler aus der Realschule in Achim gegenüber der Kreiszeitung. Die Rückkehr nach Hause im Schulbus glich einer Odyssee, wegen umgestürzter Bäume mussten immer wieder Umwege gefahren werden.

Zeitzeugen gesucht
Selten beeinträchtigte ein Naturereignis das öffentliche Leben so stark wie der Sturm vor exakt 50 Jahren. Für die Serie „Der Jahrhundertorkan“ sucht die Redaktion der Kreiszeitung weitere Zeitzeugen, die ihre Erlebnisse in den Stunden der heftigsten Böen oder den Tagen danach schildern. Schön wäre es, würden weitere Bilder beigesteuert. Gerne anrufen unter Telefon 04231/801143 oder eine Mail senden an redaktion.verden@kreiszeitung.de

Kontakt:
Kreisarchiv Verden
Dr. Florian Dirks
Lindhooper Straße 67
27283 Verden (Aller)
Tel.: 04231 15-0 (Zentrale)
Fax: 04231 15-603 (Kreishaus)
kreisarchiv@landkreis-verden.de

Quelle: Florian Dirks: Sturmschäden von 50 Jahren, Portalmeldung Landkreis Verden, 14.11.2022; Heinrich Kracke: Verdener Ehepaar zum Orkan vor 50 Jahren: Uns verschlug es die Sprache, in: Kreiszeitung (Verden), 13.11.2022

Was in Steinheim in der Reichspogromnacht geschah

Das Attentat am 7. November 1938 auf den Legationsrat der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den 17-jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan wurde zum Anlass für einen gegen die Juden gerichteten und angeordneten Pogrom genommen – eine Mord-, Brandstiftungs- und Plünderungs-, in letzter Konsequenz auch Raub- und Vertreibungsaktion bisher nicht gekannten Ausmaßes. Nachdem vom Rath am 9. November um 17:30 Uhr seinen Verletzungen erlegen war, geschahen noch in derselben Nacht sowie an den folgenden Tagen im gesamten Deutschen Reich die von der NSDAP und der SA organisierten Ausschreitungen gegen jüdische Bürger, Kultuseinrichtungen und Synagogen, welche als „Vergeltung“ für diesen Mord getarnt waren.


Abb.: Funkspruch über die Ankündigung von Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung und Synagogen (Stadtarchiv Steinheim)

Das Stadtarchiv Steinheim verwahrt zwei Kartons (731 und 732), welche wichtige historische Dokumente zu diesem Ereignis enthalten: Angefangen von den Funksprüchen vom 09.11.1938 und 10.11.1938 mit der Ankündigung von gesteuerten Ausschreitungen und Sanktionen gegen die jüdische Bevölkerung, von der Anordnung der Gestapo zur Verhaftung vermögender, vorzugsweise junger Juden, vom Durchführungsbericht des Steinheimer Bürgermeisters, von den Anweisungen des Reichsinnenministeriums zum Verhalten der Polizei, bis hin zu den Verträgen über die (zweite, endgültige) Sprengung der Steinheimer Synagoge und den Verkauf des Synagogengeländes an die Stadt Steinheim.


Abb.: Notiz über die Zerstörung der Synagoge (Stadtarchiv Steinheim)

Die Steinheimer Synagoge war 1884 auf einem 571 qm großen Grundstück an der Marktstraße / Ecke Schulstraße in einem neo-romanischen Stil erbaut worden und gehörte zu den größten und schönsten Synagogen in Ostwestfalen. Der Neubau war aufgrund der wachsenden jüdischen Gemeinde notwendig geworden, die Ende des 19. Jahrhunderts etwa 120 Mitglieder umfaßte. Das Grundstück war für 7.110 Mark gekauft worden, der Bau selbst hatte 20.000 Mark gekostet, und auch die Inneneinrichtung hatte erhebliche Mittel erfordert. Allein diese finanzielle Anstrengung zeugt davon, dass der Großteil der Steinheimer Juden recht wohlhabend gewesen war. Ein kostbares Dokument ist auch die im Stadtarchiv wieder aufgefundene Bauzeichnung der neuen Synagoge.

Bereits vor der Pogromnacht war es zu mehreren Einbrüchen in die zur damaligen Zeit bereits nicht mehr benutzte Synagoge gekommen. Dabei wurden Fenster zerschlagen, die Inneneinrichtung verwüstet und der Toraschrein beschmutzt. Am Morgen des 10. November drangen SA-Männer – einige davon in zivil – in die Synagoge ein und plünderten die Einrichtungsgegenstände. Die Holzteile wurden auf Pferdewagen verladen und später zu Kronleuchtern verarbeitet. Dann wurden stundenlang Löcher in die Pfeiler des Innenraumes gebohrt und mit Dynamit gefüllt, und am späten Nachmittag wurde gezündet. Das Gebäude wurde dabei zwar schwer erschüttert, blieb aber insgesamt stehen. Da diese Sprengung nicht erfolgreich gewesen war, schloß die Stadt am 12.12.1938 einen Vertrag mit der 3. Kompanie der Pioniereinheit 31 aus Höxter, welche die Sprengarbeiten zum Einsturz der Synagogenkuppel übernehmen sollte. Die „Steinheimer Zeitung“ berichtete am 14.12.1938: „Am gestrigen Tage sprengten Pioniere aus Höxter die Kuppel der hiesigen Synagoge. Zu diesem seltenen Schauspiel hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden. Leider wurden durch die Sprengung auch einige Nachbarhäuser in Mitleidenschaft gezogen“. Danach wurde die Synagoge Stein für Stein abgetragen, und eine handschriftliche Notiz auf eine Anfrage des Reichsinnenministeriums vom September 1939 führt aus: „Die hiesige Synagoge ist restlos abgebrochen. Ruinen sind seit mehreren Monaten nicht mehr vorhanden. Der Platz ist vollkommen eingeebnet und dient als Parkplatz“.

Kurz nach der endgültigen Sprengung erreichten Dutzende, handschriftlich verfaßte Forderungen von Steinheimern Bürgern die Stadt, welche Schadensersatz für die bei der Sprengung erlittenen Schäden forderten. Da die jüdische Kultusgemeinde nicht in der Lage war, für die Beseitigung der Trümmer sowie für die an den umliegenden Geschäften und Häusern entstandenen Schäden aufzukommen, verkaufte sie das Gelände an die Stadt. Im Kaufvertrag vom 22.12.1938 verpflichtete sich diese im Gegenzug dazu, die Trümmer zu beseitigen und die anstehenden Forderungen der Steinheimer Bürger und Geschäftsleute zu begleichen. Den Auftrag zur Beseitigung der Trümmer erhielt die Firma Rüsenberg, welche der Stadt das billigste Angebot bei der Ausschreibung unterbreitet hatte. Aber nicht nur die Zerstörung ihrer Gotteshäuser war für die jüdischen Gemeinden eine Katastrophe, sondern auch die systematische Entwendung ihres Schrift- und Archivgutes, welches später zentral bei der Geheimen Staatspoliziei in Berlin gesammelt wurde.


Abb.: Vermerk über die Abgabe von jüdischen Kulturgutes (Stadtarchiv Steinheim)

Aber nicht alle Bürger waren einverstanden gewesen mit den Ausschreitungen und Zerstörungen dieser Tage. Die Stimmung in der Bevölkerung wird eindringlich durch einen Brief wiedergegeben, den der Höxteraner Landrat Dr. Reschke am 20.11.1938 an den Regierungspräsidenten in Minden schrieb: „Man hört auch Kreisen alter Pg erhebliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit dieser Aktion, die in ihrer Ausführung im Wesentlichen von Persönlichkeiten getragen war, die nicht zu den besten Elementen der Partei gehören. Den besonnenen Teil der Bevölkerung hat es ernst und besorgt gestimmt, dass es möglich gewesen ist, scheinbar unter dem Schutz, wenn nicht sogar der Führung der Partei, an einzelnen Orten Handlungen zutage treten zu lassen, die der Bevölkerung bisher aus Schilderungen in anarchistischen Ländern bekannt waren. Sie sorgt sich darum was geschieht, wenn eine solche Aktion gegen andere politische Gegner losgehen würde“.

Und eine besonders bewegende und nachdenkliche Aussage eines Steinheimer Bürgers angesichts der Synagogenzerstörung ist in einem Bericht des Bürgermeisters „Betrifft Aktion gegen Juden am 10.11.1938“ überliefert: „Was man jetzt mit den Synagogen gemacht hat, kann in vier Wochen den katholischen Kirchen widerfahren“ und der Bürgermeister fährt fort: „Die Person, die diese Äußerungen gemacht haben soll, konnte bisher trotz Ermittlungen nicht festgestellt werden.“

Kontakt:
Stadtarchiv Steinheim
Hollentalstraße 13
32839 Steinheim
Telefon: 05233 940728
stadtarchiv@steinheim.de

Quelle: Stadt Steinheim: Was in Steinheim in der „Reichskristallnacht“ geschah, 2.11.2022; Landeszentrale für politische Bildung BW: Reichspogromnacht 9./10. November 1938

Süßer die Glocken nie klingen … Kirchenglocken erzählen

Glocken-Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs Kassel.

Glocken, Kirchenglocken eröffnen ein Universum. Der Klang der Glocken verbindet Himmel und Erde, begleitet das Leben, läutet bei Taufe und Beerdigung. Glocken strukturierten früher den Tagesablauf. Und Glocken berühren. Es gibt unzählige Gedichte und Lieder über Glocken, in vielen Sprachen – etwa Schillers „Lied von der Glocke“, Goethes „wandelnde Glocke“ von dem Kind, das nie zur Kirche sich bequemen wollte, oder Christian Morgensterns „Bim Bam Bum“ vom Glockenton BAM, der durch die Nacht fliegt auf der Suche nach der Glockentönin BIM. „Frère Jacques“ ist ein weit verbreitetes französisches Kinderlied, aus dem 18. Jahrhundert, hierzulande besser bekannt als „Bruder Jakob“. Es handelt von einem Mönch, der Nachtwache hat und zum Gebet hätte läuten müssen, aber eingeschlafen ist und nun geweckt wird.


Abb.: Lullusglocke zu Hersfeld 11. Jh. (Landeskirchliches Archiv Kassel, H Nachlass Friedrich Ernst Hoffmann Nr. 238). Ihren Name erhielt sie, weil sie lange nur zum Volksfest erklang, das in Hersfeld um den Tag des Lokalheiligen Lullus (16. Oktober) herum stattfindet, und zwar durch Anschlagen. 2002 wurde sie saniert und kann seither wieder von Hand geläutet werden. Seit 2007 erklingt sie an Weihnachten, zum Jahreswechsel, an Ostern und Pfingsten. Die maßstabsgerechte Zeichnung der Lullusglocke fertigte Friedrich Ernst Hoffmann für die großformatige Publikation „Beiträge zur Glockenkunde des Hessenlandes“, die er 1906 mit Bernhard Zölffel veröffentlichte.

Die Glocken-Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs Kassel ist dessen sechste DDBstudio Ausstellung. Sie umfasst rund tausend Jahre und spannt den Bogen von der Lullusglocke zu Hersfeld (11. Jahrhundert) bis zum Carillon der Karlskirche in Kassel, das auch zu hören ist. Erzählt wird von Glocken mit Pilgerzeichen aus dem 15. Jahrhundert, von einer Spendenaktion für eine neue Glocke aus dem 18. Jahrhundert, eine Trauergeläut-Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, von einer Adolf Hitler Glocke und einem Glocken-Ringtausch während des Zweiten Weltkriegs.

Link: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/kirchenglocken/

(Bettina Wischhöfer)

Kontakt:
Landeskirchliches Archiv Kassel
Lessingstraße 15A
34119 Kassel
Tel.: (0561) 78876 – 0
Fax: (0561) 78876 – 11
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