Das Ende der Überlieferungsbildung?

Am 54. Thüringischen Archivtag, der am 15. Juni 2005 erstmals in Hildburghausen stattfand nahmen 85 Archivarinnen und Archivare sowie Gäste aus Thüringen, Hessen und Bayern teil. Wie in jedem Jahr gliederte sich der Thüringische Archivtag in eine Fachtagung mit einer speziellen Thematik und in die Mitgliederversammlung des Thüringer Archivarverbandes. Seit mehreren Jahren findet auch die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalarchivare im Thüringer Archivarverband im Rahmen des Thüringischen Archivtages statt. – Die Fachtagung des 54. Thüringischen Archivtages stand unter der Frage "Büroautomation – Das Ende der Überlieferungsbildung?".

Dr. Andrea Hänger, Referatsleiterin für elektronische Archivierung im Bundesarchiv Koblenz, stellte archivische Anforderungen für die Aussonderung elektronischer Akten anhand des neuen DOMEA-Aussonderungskonzeptes vor. Bereits im Jahr 1996 hatte die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnologie in der Bundesverwaltung im Rahmen ihres DOMEA-Projektes Konzepte zu erarbeiten, um die Einführung der elektronischen Vorgangsbearbeitung organisatorisch und technisch zu bewältigen. DOMEA® steht für Dokumentenmanagement und Archivierung im elektronisch gestützten Geschäftsgang. Das DOMEA-Konzept hat die ganzheitliche elektronische Erfassung eines Geschäftsganges zum Ziel. Organisationskonzept und Anforderungskatalog räumen den archivischen Anforderungen einen weiten Raum ein. Für die Steuerung des Aussonderungsprozesses sind die drei Angaben der Aufbewahrungsfrist, der Aussonderungsart und der Transferfrist besonders wichtig. Die Integration archivischer Anforderungen in das DOMEA-Konzept verdeutliche, so führte Hänger weiter aus, den engen Zusammenhang der Aussonderung und Archivierung mit der behördlichen Schriftgutverwaltung und trage dazu bei, dass bereits bei der Einführung von Systemen zur elektronischen Vorgangsbearbeitung die Aussonderung Berücksichtigung finde. 

Dr. Robert Zink, der Direktor des Stadtarchivs Bamberg, referierte zum Thema "Digitale Daten und kommunale Archive. Die Aufgaben des EDV-Ausschusses der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK)". Neben seinen Ausführungen zur Entstehung und Entwicklung der Bundeskonferenz der Kommunalarchive und deren 1991 eingerichteten EDV-(Unter-)Ausschuss berichtete Zink auch über die weiteren Planungen des EDV-Ausschusses. Diese sehen die Ausarbeitung von Empfehlungen zur Archivierung von komplexen Strukturen wie Websites, Foren und Geo-Informationssystemen vor, nachdem diesem Bereich bislang wenig Beachtung geschenkt wurde. Auf Grund des sehr komplizierten Geflechts von Bewertungs-, Rechts- und Technikfragen und wegen der bisher insgesamt geringen Erfahrungen auf diesem Gebiet sei allerdings mit einem Ergebnis erst mittelfristig zu rechnen. Neben dem Erfahrungsaustausch innerhalb des Ausschusses und der Beobachtung der fachlichen Entwicklungen werde der Ausschuss zudem Informationen erarbeiten, denen ein besonderer Wert für die bevorstehenden Aufgaben bei der Archivierung digitaler Daten in den Kommunalarchiven zukomme.

Dr. Christoph Popp vom Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte erläuterte Strategien eines Kommunalarchivs für die dauerhafte Archivierung digitaler Unterlagen. Er sprach von den Chancen der elektronischen Archivierung und warnte allein vor dem "Nichts-Tun": Wenn Daten erst einmal gelöscht seien, "dann ist die Überlieferungslücke nicht mehr zu schließen". Fehler hingegen ließen sich korrigieren. Weder die Sorge vor dem Wechsel von Dateiformaten noch die Sorge vor einer schnell überholten Speichermedienwahl sollte die Archive von der digitalen Archivierung abschrecken. Popp resümierte, dass die elektronische Archivierung letztlich keine Frage der EDV-Technik, sondern der Organisation sei. Die "neue" Dimension der Technik sei zuallererst eine Herausforderung für die IT-Spezialisten vor Ort. Die Archivarinnen und Archivare seien demgegenüber aus langjähriger Erfahrung in der Lage, klare Anforderungen zu formulieren, was aufzubewahren ist und was nicht. 

Die Vorträge sind im Sonderheft 2005 des Mitteilungsblattes "Archive in Thüringen" veröffentlicht worden und auch auf der Homepage des Thüringer Archivarverbandes nachzulesen.

In der Mitgliederversammlung des Thüringer Archivarverbandes wurde die Reaktion auf die 2002 auf dem Thüringischen Archivtag in Altenburg verabschiedete Resolution zur Rückführung von Archivbeständen aus Sachsen-Anhalt nach Thüringen diskutiert. Dazu wurde mitgeteilt, dass das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt eine Rückgabe, mit Ausnahme einiger kleinerer Bestände, ablehnt. Als Kompromiss wird derzeit die Verfilmung der Bestände diskutiert. Die Kosten dafür würde der Bund übernehmen. Außerdem wurde eine Referendarin aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar mit der Aufgabe betraut, die Thematik Archivalienfolgen bei Territorialveränderungen zu untersuchen. In Bezug die Ansprüche von Kommunen auf Rückführung von Archivgut wurde erneut eindeutig festgestellt, dass diese nicht durch die Staatsarchive vertreten werden können. Die Kommunalarchive bzw. die entsprechende Kommunen müssen die Verhandlung selbständig führen.

Termine:
Der 55. Thüringische Archivtag findet am 14. Juni 2006 zum Thema \“Wirtschaftsüberlieferung in Thüringen – Tradition und Gegenwart\“ in Sömmerda statt (Einladung). Vom 10. bis 11. Juli 2007 wird dann in Eisenach ein gemeinsamer Archivtag Hessen – Thüringen stattfinden. Dieser Archivtag steht unter dem Leitthema \“Archivlandschaft Hessen – Thüringen, Probleme und Perspektiven\“.

Download: Vollständiger Tagungsbericht zum 54. Thüringischen Archivtag 2005 von Katrin Beger.

58. Westfälischer Archivtag in Bad Oeynhausen

Der am 14. und 15. März 2006 im Kurpark Bad Oeynhausen abgehaltene 58. Westfälische Archivtag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) widmete sich zwei Hauptthemenkomplexen: Neben der Kooperation zwischen den Archivsparten ging es um Erfahrungen mit aktuellen Archivbauten und -einrichtungen in Westfalen-Lippe (Programm).

Im Mittelpunkt der 1. Arbeitssitzung stand die Frage nach der Kooperation zwischen den Archivsparten. Deutlich wurde die Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit der Landesarchivverwaltung NRW mit dem Kommunalarchivwesen. Gerade die Beschränkung der Übernahme des Schriftguts aus der Landesarchivverwaltung aus finanziellen Gründen gefährdet nach Ansicht der Kommunalarchivare eine angemessene Berücksichtigung der regionalen Interessen. Bemängelt wurde deshalb die zu späte Berücksichtigung der kommunalen Aspekte in den Bewertungsarbeitsgruppen der Landesarchivverwaltung. Anders als in Baden-Württemberg, wo bereits bei Beginn der Überlegungen auch Kommunalarchivare/innen mit einbezogen waren, erfolgt in NRW die Einbeziehung zu spät und unzureichend.

In der 2. Arbeitssitzung berichteten Archivarinnen und Archivare aus fünf Kommunen von ihren Erfahrungen beim Bau und bei der Einrichtung von Archiven. Licht, Temperatur, Feuchtigkeit – viele Faktoren müssen bei der Unterbringung von Archivalien beachtet werden. Auch ein Kloster kann ein geeigneter Standort sein: Dort hat die Stadt Arnsberg nun ihr Kommunalarchiv untergebracht (siehe Bericht vom 29.10.2004). Zugleich wurde deutlich, dass die Neunutzung von Altbauten stets auch mit archivtechnischen Kompromissen einhergeht.

In der Aktuellen Stunde wurde u.a. erläutert, wie Kommunen ihre Akten vor dem Verfall retten können: Die rund 200 anwesenden westfälischen Archivarinnen und Archivare lernten das neue Landesprogramm zur Entsäuerung von Archivalien kennen. Durch das chemische Verfahren werden dem Papier Säuren entzogen, die maschinell produziertes Papier seit etwa 1850 enthält. \“Ohne die Entsäuerung würden die Archivalien in den nächsten Jahrzehnten zu Staub zerfallen\“, sagte Professor Dr. Norbert Reimann, der Leiter des Westfälischen Archivamtes in Münster. Das Land übernehme 70 Prozent der Kosten der Entsäuerung. 

Weiteres Thema der Fachtagung: NORA soll im Katastrophenfall unwiederbringliche Archivalien retten. Das Notfallregister Archive (NORA) wurde vor dem Hintergrund des Elbe-Hochwassers vom Bund eingerichtet. In der Datenbank sind die wichtigsten Daten zu Standorten von Dokumenten und Ansprechpartnern verzeichnet (Eig.Ber./Pressestelle LWL).

Von Warendorf nach Bielefeld

Mit der bekannten ostwestfälischen Aufgeschlossenheit für Neues wird in einer Zeitungsglosse \“der Neue\“ im Stadtarchiv Bielefeld begrüßt: \“Der gute Mann ist nämlich weitgehend unbekannt in dieser Stadt\“. Nachdem die nicht unumstrittene Umstrukturierung des Bielefelder Stadtarchivs – Archiv und Landesgeschichtliche Bibliothek verloren ihre Selbständigkeit und wurden unter dem Dach und der Leitung der Stadtbibliothek gebündelt – nach der Pensionierung von Professor Reinhard Vogelsang für eine beinahe zweijährige Vakanz der Leiterstelle gesorgt hatte, konnte der Posten nunmehr immerhin wieder besetzt werden.

Dr. Jochen Rath M.A. (38), der bisherige Leiter des Kreisarchivs Warendorf, wird zum 1. Juli 2006 die Institutsleitung des Stadtarchivs und der Landesgeschichtlichen Bibliothek Bielefeld übernehmen. Der gebürtige Lemgoer hat nach dem Studium der Neueren Geschichte, der Politik- und der Historischen Hilfswissenschaften in Münster, wo er 1997 mit einer Arbeit über die Hansestädte und die Konflikte Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert promoviert wurde, die Archivschule Marburg absolviert. Berufliche Stationen waren vor seiner Warendorfer Zeit das Niedersächsische Staatsarchiv Bückeburg und das Landeshauptarchiv Koblenz. Rath, der seit 2005 auch Sprecher des Arbeitskreises der nordrhein-westfälischen Kreisarchive ist, konnte sich gegen 33 Mitbewerber durchsetzen.

Kontakt:
Stadtarchiv Bielefeld
Rohrteichstraße 19
33602 Bielefeld
Tel. 0521/51 24 71 
Fax 0521/51 68 44
stadtarchiv@bielefeld.de

Quelle: Neue Westfälische, 16.3.2006

Wittenberges Fußballgeschichte wird ausgestellt

Das Stadtarchiv Wittenberge wird zum TAG DER ARCHIVE im Mai 2006 eine Ausstellung zur Wittenberger Fußballgeschichte zeigen. Die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Lande liefert dafür den Kontext, und so war es für Stadtarchivarin Susanne Flügge gar nicht schwer, rasch eine Gruppe von örtlichen Fußballexperten und ehemaligen Aktiven zusammenzutrommeln. So kamen schnell viele Devotionalien (Fotos, Wimpel, alte Zeitungsartikel und Hefter) und noch mehr Geschichten für die Ausstellung mit dem Titel \“Der Ball ist rund\“ zusammen.

Eng war und ist die Stadt mit dem Fußball und der Fußball mit dem Leben in der Stadt verknüpft. So berichten die im Stadtarchiv versammelten früheren Balltreter mit einem Augenzwinkern, wie es in den 1960ern nach Lokalderbys zwischen Lokomotive und Chemie Veritas mitunter kleine Gerangel im \“Niemandsland\“ zwischen beiden Vereinslokalen gab. Sie erzählen von den regelmäßigen Freundschaftsspielen gegen die böhmische Mannschaft Lokomotiva Sumperk und gegen Budowlani Bydgosz aus Polen. \“Ich war so stolz, mit dem DDR-Trainingsanzug durch Karl-Marx-Stadt zu laufen\“, erinnert sich zum Beispiel Klaus Kollhoff daran, wie er als Veritas-Torwart an zwei Länderspielen teilnahm.

Für die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Kreisarchiv und dem Stadtarchiv Perleberg im Wittenberger Rathaus gezeigt wird, wird weiterhin fleißig Material aus privaten Beständen gesammelt. Als ein Schmuckstück bekam Archivarin Flügge einen alten Lederfußball, der schwarz, rot, gold glänzt. Und weil Erzählungen der Wittenberger Fußballweisen das Ausstellungsthema erst lebendig machen, plant das Stadtarchiv Wittenberge im Mai auch eine Gesprächsrunde – zum "Fussball-er-leben".

Kontakt:
Stadtarchiv Wittenberge
Rathaus
August-Bebel-Straße 10 
19322 Wittenberge
Telefon: 03877 951-118
Fax: 03877 403506 
stadt@wittenberge.de

Quelle: Claudia Rieger, Der Prignitzer/Brandenburger Allgemeine, 15.3.2006

Mannheimer Publikationen zur Jüdischen Geschichte

Seit langem zählt die Erforschung der Geschichte jüdischen Lebens in Mannheim zu den Schwerpunkten der vom Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte herausgegebenen Veröffentlichungen. In letzter Zeit Jahren sind dazu drei wichtige und interessante Publikationen erschienen, auf die in Zusammenhang mit der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit nochmals hingewiesen wird, weil sie – jede auf ihre Art – deutlich machen, was Mannheim durch die gründliche Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten verloren gegangen ist. 

Die erst vor wenigen Wochen erschienene Dissertation von Britta Waßmuth greift mit den „Mannheimer Hofjuden des 18. Jahrhunderts“ ein Thema auf, das sowohl für die Mannheimer Stadtgeschichte als auch für die überregionale Geschichtsschreibung von großem Interesse ist. Mit Lemle Moses Reinganum erlangte zu Ende des 17. Jahrhunderts erstmals ein in Mannheim wohnhafter Jude den Status eines kurpfälzischen Hoffaktors. Nachdem die Stadt 1720 von Kurfürst Karl Philipp zur Residenz erhoben wurde, stieg die Zahl der Hofjuden in Mannheim an. Insgesamt lebten zwischen 1720 und 1778 in Mannheim 27 Hoffaktoren, mehr als die Hälfte aller bekannten kurpfälzischen Hofjuden. Karl Philipp brauchte Hofjuden für Finanztransfers, ohne die in Mannheim niemals das Schloss hätte erbaut werden können. Die Mannheimer Hofjuden konnten ihrer Rolle als Finanziers des Kurfürsten aber nur durch enge Vernetzung mit anderen wichtigen jüdischen Familien in Deutschland gerecht werden. Wichtige Kontakte bestanden daher nach Wien, München, Stuttgart, Frankfurt, Hannover und Berlin. Die interessante und detaillierte Studie schließt eine Lücke in der Mannheimer Geschichtsschreibung. 

Ein beeindruckendes Zeugnis für lebendige jüdische Vereinskultur ist das „Goldene Buch des Liederkranzes“ – die Chronik eines bedeutenden jüdischen Männergesangvereins, der mehr als 80 Jahre lang ein wichtiger Teil des Mannheimer Kulturlebens gewesen ist. Konzerte und Aufführungen des Liederkranzes waren musikalisch hoch ambitioniert, das gesellige Vereinsleben von einer großzügigen, originellen und fröhlichen Leichtigkeit geprägt. Davon erzählen die zwei erhaltenen künstlerisch hochwertig gestalteten Bände, die im Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt werden. Digitalisiert und auf CD-ROM gebrannt stehen diese wunderbaren Seiten einer außergewöhnlichen Vereinschronik allen Interessierten zur Verfügung – adäquat verpackt in eine von Susanne Schlösser geschriebene und schön gestaltete Broschüre, deren Lektüre neugierig macht auf das eigene Stöbern im „Goldenen Buch des Liederkranzes“.

Mit einem großzügigen Blick über die jüdische Geschichte Mannheims, den Beitrag der jüdischen Bevölkerung zur Mannheimer Stadtgeschichte, aber auch die Friktionen und Konflikte bis hin zur Entstehung des politischen Antisemitismus an der Wende zum 20. Jahrhundert leitet Hans-Joachim Hirsch seine Studie zur Entstehung des Glaskubus in den Mannheimer Planken ein. Gewissermaßen als Vorgeschichte zur Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens aus der Stadt, die eine sehr lebendige Gemeinde, ja die bedeutendste im deutschen Südwesten beherbergte. Anknüpfend an die nur unzureichend bewältigte Vergangenheit des Holocaust deckt der Autor in seinem nachdenklichen Textbeitrag moralische Defizite in der Aufarbeitung auf, versteht es aber auch, Entstehung und Entwicklung einer engagierten Gedenkkultur in den gesellschaftlichen Kontext der Mannheimer Stadtgeschichte einzubinden. Die Einweihung des Glaskubus versteht er als politische Geste, Zwischenschritt auf dem Weg zu einer abschließenden Einbindung des Geschehenen in einen bildungspolitischen Kontext. Dem attraktiv gestalteten Bändchen sind Übersichten der auf dem Gedenkkubus eingestrahlten Namen beigegeben, mit denen man einzelne Namenszüge auf den Glastafeln lokalisieren kann. Beiträge des für den Entwurf zeichnenden Künstlers Jochen Kitzbihler, des die bauliche Seite betreuenden Prof. Helmut Striffler sowie des Mannheimer Kulturdezernenten Dr. Peter Kurz runden das Erscheinungsbild dieser Publikation ab. 

Info:
Britta Waßmuth: Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde. Soziale Beziehungen und Mentalitätswandel der Hofjuden in der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim am Ausgang des Ancien Régime (Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim – Institut für Stadtgeschichte Nr. 32). 296 Seiten zzgl. 16 Seiten in Farbe. Ludwigshafen 2005. pro MESSAGE. ISBN 3-934845-30-4. 24,00 € 

Susanne Schlösser: Das Goldene Buch des Liederkranzes. Die Chronik eines jüdischen Männergesangvereins in Mannheim 1856-1938. 36 S. mit CD-ROM (Stadtgeschichte digital Nr. 4). Herausgegeben vom Verein der Freunde des Stadtarchivs Mannheim e.V. Mannheim 2004. Verlagsbüro v. Brandt. ISBN 3-926260-64-5 12,00 € 

Hans-Joachim Hirsch: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen“. Die Gedenkskulptur für die Jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim (Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim 23). 120 S. mit 43 Abbildungen. Mannheim 2005. Verlagsbüro v. Brandt. ISBN 3-926260-65-3, 15,00 € 

Kontakt:
Stadtarchiv Mannheim
Institut für Stadtgeschichte
Collini-Center
Collinistr. 1
D-68161 Mannheim 
Fon +49 621 293-7027
Fax +49 621 293-7476
stadtarchiv@mannheim.de

Quelle: Stadt Mannheim, Pressemitteilung, 15.3.2006

Archivarbeit für Laien leicht gemacht

Die einen wollen Familienforschung betreiben oder wissen, welche Entwicklung ihr Stadtteil genommen hat. Andere interessieren sich für die Geschichte ihres Freizeitvereins. Für alle an Archivarbeit interessierten Münsteraner bietet das Stadtarchiv Münster einen hilfreichen Orientierungskurs an. \“Suchen, Finden, Arbeiten\“ heißt das neue Angebot am 27. März von 9 bis 16 Uhr mit vielen praktischen Übungen. 

Wie finde ich Schriftstücke, Fotos, Zeitungsartikel zu dem Thema, das mich interessiert? Wie arbeite ich mit Textquellen? Gibt es im Archiv Hinweise auf die Herkunft meiner Familie? \“Im Mittelpunkt unseres Orientierungskurses stehen Fragen zur Arbeit mit Schrift- und Bilddokumenten aus vergangenen Jahrhunderten\“, erläutert Roswitha Link. 

Auf Praxis legt die Referentin für historische Bildungsarbeit dabei besonderen Wert. \“Für viele ist die deutsche Schrift ein großes Hindernis. Dazu gibt es Übungen, die das Lesen erleichtern\“. Überdies helfen Interpretationstipps im Umgang mit Akten und Urkunden. Hilfen bei der Anwendung von archivischen Datenbanken runden das kostenlose Tagesseminar ab. 

Der Teilnehmerkreis ist begrenzt. Daher bittet das Stadtarchiv um Anmeldung (Telefon: 0251/492-4703; E-Mail: linkr@stadt-muenster.de). 

Kontakt:
Stadtarchiv Münster
An den Speichern 8
48157 Münster
Tel. 02 51/4 92-47 01
Fax 02 51/4 92-77 27
archiv@stadt-muenster.de 

Quelle: Stadt Münster, Presse- und Informationsamt, 15.3.2006

Badisches Intermezzo – Ein barocker Bildband zur Geschichte der Markgrafschaft Baden-Baden

Die von 1535 bis 1771 bestehende katholische Markgrafschaft Baden-Baden stand als "Verlierer der Geschichte" lange Zeit im Schatten ihres erfolgreicheren evangelischen Nachbarn Baden-Durlach. Ging es doch den Landeshistorikern des 19. Jahrhunderts hauptsächlich darum, einen scheinbar ununterbrochenen ruhmreichen Aufstieg von Dynastie und Staat vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu konstruieren und zu legitimieren: Die fast 250 Jahre andauernde Teilung Badens konnte dabei als ein zu vernachlässigender Betriebsunfall der badischen Geschichte abgebucht werden. Schien das generative Versagen der katholischen Linie nicht gleichsam der gerechte historische Lohn für die aufklärerischen Reformen des Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach zu sein? In seiner Hand wurden die beiden Markgrafschaften 1771 wiedervereinigt und schwangen sich 1803/06 im Rahmen der napoleonischen Flurbereinigung als vierfach vergrößertes Großherzogtum Baden zum deutschen Mittelstaat empor – eine echte Erfolgsgeschichte. Der gerade in Baden zwischen liberalem Staat und katholischer Kirche bitter geführte Kulturkampf, in dem stellenweise durchaus an die konfessionellen Polemiken der Vergangenheit anknüpft wurde, hat eine vorurteilsfreie Bewertung der spezifisch katholischen Geschichte des Landes zusätzlich erschwert.

Eine gewisse Ausnahmestellung wurde bei dieser "Siegergeschichte" höchstens dem Markgrafen Ludwig Wilhelm, dem Türkenlouis, als glorreichen Streiter für das christliche Abendland und Verteidiger Deutschlands gegen den französischen Erbfeind zugestanden. Und es ist wohl kein Zufall, dass sich das katholische Baden zumindest bei den Kunsthistorikern des Barock einer gewissen Gunst erfreute, standen hier doch die Schloss- und Kirchenbauten in Rastatt und Umgebung, Baden-Baden und Ettlingen nebst musealen Kunstgegenständen aller Art als Anschauungsobjekte einer vermeintlich glänzenden Vergangenheit bereit. Bei der Suche der jüngsten Zeit nach großen Frauen, die Geschichte machten, kam schließlich verstärkt Franziska Sibylla Augusta ins Blickfeld. Sie versuchte, den Landesausbau ihres Mannes fortzuführen. Während das große Residenzschloss in Rastatt stets mit den maßlosen Ambitionen des Türkenlouis verbunden bleibt, sind das kleine Lustschloss Favorite und die Schlosskirche in Rastatt diejenigen Orte, die wohl am meisten von ihrer Person geprägt wurden. Ihre besondere Form der barocken Religiosität mag heutige Menschen möglicherweise irritieren. Dass es trotz des fehlenden männlichen Erbens gerade unter dem letzten Markgrafen August Georg in den 10 Jahren vor 1771 noch ernsthafte Versuche gab, das nur 35 Quadratmeilen große Land mit seinen 73.000 Einwohnern durch moderne Reformen voranzubringen, um wieder Anschluss an die allgemeine Entwicklung zu erlangen, wird leicht übersehen.

Das Ende der katholischen Linie des Hauses Baden und ihres Staates war also keine wie auch immer geartete historische Notwendigkeit, sondern blieb schlicht dem Zufall der Erbfolge überlassen. Die Wiederentdeckung der spezifischen Geschichte des Alten Reichs und der Aufschwung einer modernen Kulturgeschichte in den letzten Jahrzehnten lassen es heute geboten erscheinen, in der Markgrafschaft Baden-Baden mehr zu sehen, als nur die Geschichte einer verdämmernden Dynastie, die die Zeichen ihrer Zeit nicht erkannt hatte.

In der aufgrund der großen Nachfrage jetzt in der zweiten Auflage erschienenen Publikation "Ein badisches Intermezzo?" soll die Aufmerksamkeit auf weniger bekannte und unscheinbare Aspekte der Geschichte der Markgrafschaft Baden-Baden vornehmlich im 18. Jahrhundert gelenkt werden. Die aus den Beständen des Generallandesarchiv Karlsruhe ausgewählten Quellen – seien es Urkunden, Handschriften, Akten, Karten und Baupläne, Bilder und Wappen sowie Druckschriften – dokumentieren einerseits die Vielseitigkeit der archivischen Überlieferung und gestatten andererseits in all ihrer Vielfalt einen erhellenden Blick hinter die barocken Kulissen.

Die insgesamt 24 Beiträge sind auf in drei Themenbereiche verteilt: Herrschaft und Dynastie, Wirtschaft und Gesellschaft, Kirche und Kultur. Im ersten werden die genealogische Selbstdarstellung und einige Vertreter der katholischen Linie des Hauses Baden mit ihren jeweiligen – durchaus politischen – Besonderheiten vorgestellt. Er endet mit dem Erbvertrag von 1765, der die Grundlage für die Übernahme der katholischen Markgrafschaft durch Baden-Durlach bildet. Im zweiten Teil wird ein Einblick in den Bereich des zivilen und militärischen Straßen-, Städte- und Festungsbaus gegeben. Zudem werden Aspekte der ökonomischen Grundlagen in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe sowie die Disziplinierung von Gesellschaft behandelt. Den Abschluss bilden Beiträge zur sinnstiftenden Rolle von Kirche und Religion. Sie werden ergänzt durch Beispiele kulturellen Strebens nicht nur aus der höfischen Sphäre von Schlosstheater und Gärten, sondern auch aus der Lebenswelt der einfachen Bevölkerung. – Die Auswahl soll Freude an historischen Dokumenten bereiten und auch zu einer vertieften Beschäftigung mit einem vernachlässigten Teil der badischen Landesgeschichte anregen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. HERRSCHAFT UND DYNASTIE

  • Die Vorfahren
  • Markgraf Ferdinand Maximilian
  • Der Tod des Türkenlouis
  • Das Allianzwappen an der St. Martinskirche in Ettlingen
  • Der Erbprinz
  • Das Jagdbuch Markgraf Ludwig Georgs
  • Die Kaisertochter
  • Die Wiedervereinigung der beiden Markgrafschaften

2. WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

  • Die Staatsachse des Türkenlouis
  • Ein nicht gebautes Stadttor in Rastatt
  • Die Festung an der Alb
  • Die Ettlinger Linien
  • Das Eisenwerk in Bühlertal 
  • Weinbau im Rebland
  • Holzflößerei auf der Murg
  • Jagd auf Bettler und Vaganten

3. KIRCHE UND KULTUR

  • Streit um Kloster Frauenalb
  • Umbau der Kirche in Ettlingenweier
  • Jesuiten in Bickesheim
  • Die Einweihung der Heiligen Stiege in Rastatt
  • Schloss Schlackenwerth als Ausweichresidenz in Böhmen
  • Spuren des verschwundenen Rastatter Hoftheaters
  • Die Landschulordnung von 1770
  • Ein Blick in das Baden-Badener Spital

Literaturhinweise

Mitarbeiterverzeichnis

Info:
Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert
Hg. von Rainer Brüning und Clemens Rehm
Karlsruhe: Verlag Förderverein des Generallandesarchivs Karlsruhe e.V. 2005
60 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-930158-13-2
Preis 10,- Euro, für Fördervereinsmitglieder 8,- Euro

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Pressemitteilung, 13.3.2006

Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes

Vom 13. bis 15. März 2006 kommen in Leipzig über 100 Wissenschaftler, Bibliothekare und Archivare aus 15 Ländern zusammen, um Fragen der Sicherung und des dauerhaften Erhalts schriftlicher Kulturgüter zu erörtern. Zum ersten Mal wird dabei eine europäische Perspektive eingenommen: Die rund 40 deutschen Fachvertreter beraten gemeinsam mit ihren Fachkollegen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Strategien und vielfältige Methoden der Bestandserhaltung. So fließen Erfahrungen und Entwicklungen rund um das Thema \’Erhalt des schriftlichen Kulturgutes\‘ aus allen Teilen Europas in die Ergebnisse des Kongresses ein. Die ausländischen Referenten kommen aus der Schweiz, Großbritannien, den USA und den Niederlanden, sowie aus Polen, Litauen, der Tschechischen Republik, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei und Ungarn.

Der Kongress wird von der Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes veranstaltet, dem nationalen Zusammenschluss großer Bibliotheken und Archive in Deutschland zu Fragen der Bestandserhaltung. Organisiert wird der Kongress von Der Deutschen Bibliothek, der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und dem Goethe-Institut. Die Schirmherrschaft tragen die österreichische Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Elisabeth Gehrer, und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, der zugleich die Ausrichtung des Kongresses finanziell fördert. Besondere Unterstützung erfährt der Kongress durch die Secco Pontanova-Stiftung.

Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, eröffnete den Kongress. Ihr folgte Professor Dr. Wolfgang Frühwald, Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, mit dem Vortrag \“Das große Löschfest oder Bestandserhaltung als kulturelle Aufgabe\“.

Während der Konferenz werden in Vorträgen und Diskussionen drei große Themenkomplexe behandelt: Nationale Konzeptionen und Strategien zur Bestandserhaltung; die Anwendung von Massenverfahren wie Entsäuerung und Digitalisierung; Projektplanung und Beispiele erfolgreicher Projektabwicklung.
Im Einzelnen werden die nationalen Programme zur Bestandserhaltung in Polen, Ungarn, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland vorgestellt. Die Staatsbibliothek zu Berlin erläutert ihre Methoden zur Pflege und Restaurierung von Kulturgütern. Die Deutsche Bibliothek beleuchtet Chancen und Risiken der Langzeitarchivierung digitaler Objekte. Das Thema Digitalisierung als Möglichkeit, Objekte für die Benutzung bereitzustellen und damit zugleich Originale zu schonen und zu schützen, steht auch im Mittelpunkt anderer Vorträge. Schließlich werden die Positionen europäischer Institutionen und Netzwerke zur Zukunft der Bestandserhaltung erläutert.

http://schriftliches-kulturerbe.de/kongress.html

Quelle: uni-protokolle.de, Pressemitteilung, 13.3.2006

Plakate und Anmeldung zum Tag der Archive 2006

Der vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. initiierte bundesweite TAG DER ARCHIVE findet am 6./7. Mai 2006 bereits zum dritten Mal statt. Zum TAG DER ARCHIVE gibt es ein zentral entworfenes, gedrucktes Motivplakat (DIN A 3), in dem das Motto der diesjährigen Veranstaltung (\“Der Ball ist rund\“) aufgenommen und illustriert wird. Zugleich ist im Internet unter www.tagderarchive.de die Plakatdatei zum Download bereitgestellt. Eine neutrale Plakat-Version mit dem Grundlayout und der Jahreszahl 2006 kann ebenfalls heruntergeladen werden (kein zentraler Druck!).

\"Plakat

Die Grundstruktur des Plakats entspricht den öffentlichen Präsentationsformen des VdA. Den Hintergrund bildet ein modernes Regalsystem. Vor diesem befinden sich mehrere Bälle, in denen Motive mit Sportbezug in unterschiedlichen Arten von Archivgut – Akte, Bauplan, Film, CD, Zeitungsausschnitt – dargestellt sind.
Als individuell zu füllende Flächen sind der komplette Plakatfuß – für Ort und Zeit – sowie ein großer weißer Ball – z.B. für Programmpunkte – vorgesehen. Damit die Archive frei in ihrer Wahl zwischen dem 6. und 7. Mai sind, ist als Datum nur die Jahreszahl 2006 vorgegeben. Das Papier ist für die Weiterverarbeitung in Laserdruckern geeignet, so dass lokale Informationen unproblematisch aufgebracht werden können.

Bestellungen und Verteilung des gedruckten Motivplakats 
Um Verwaltungsaufwand zu sparen, hat der Vorstand des VdA entschieden, die gedruckten Plakate den Archiven in angemessener Zahl kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Deshalb wird auf den individuellen Versand der Plakate verzichtet. Stattdessen werden die Plakate an über die Bundesrepublik verteilte etwa 60 regionale Verteilerstellen ausgeliefert, von denen Sie die Plakate abholen können. Bitte melden Sie Ihren Bedarf und die von Ihnen gewünschte Verteilerstelle bis 17. März 2006 (verlängert, allerletzter Termin) an die Geschäftsstelle des VdA (info@vda.archiv.net). Bestellungen nach dem 17.3. können nicht mehr berücksichtigt werden. Die Verteilung der Plakate wird Ende März / Anfang April 2006 erfolgen.

Verteilerstellen 
Alle regionalen Verteilerstellen können auch als pdf-Datei heruntergeladen werden. Für den reibungslosen Ablauf bei der Abholung der Plakate empfiehlt es sich, dort vorab Termine zu vereinbaren.

\“Anmeldung\“
Alle sich am TAG DER ARCHIVE beteiligenden Archive sind eingeladen, ihre Teilnahme und ihr Programm auf der zentralen Veranstaltungshomepage www.tagderarchive.de anzukündigen. Sie können dazu eine EMail mit ihren Kontaktangaben (Postleitzahl, Ort, Bundesland, Name des Archivs, Kontaktperson/Anschrift) sowie eine Datei mit ihrem Veranstaltungsprogramm (als Word- oder PDF-Datei) senden an: mail@tagderarchive.de

Kontakt:
Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit im VdA
Dr. Clemens Rehm
Generallandesarchiv Karlsruhe
Nördliche Hildapromenade 2
76133 Karlsruhe

Französisches Filmteam macht Aufnahmen vom Kurt-Gerstein-Nachlass im Landeskirchlichen Archiv Bielefeld

„Die große Einsamkeit des Kurt Gerstein“ ist der Arbeitstitel eines Films, den der französische Autor und Regisseur Gerard Raynal für den Fernsehsender Arte dreht. Wichtiger Schauplatz ist das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld, das den Nachlass des christlichen Widerstandskämpfers verwahrt. Gerstein war 1941 mit 35 Jahren in die SS eingetreten, um zu sabotieren und „im Auftrag Gottes“ der Welt als Augenzeuge von den Massenmorden der Nazis in den Konzentrationslagern zu berichten. Das Protokoll des Offiziers bildet den Hintergrund für Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ und den Film „Der Stellvertreter“ von Costa-Gavras. Er hatte im Mai 2002 Deutschlandpremiere im Bielefelder Kino CineStar.

Im April 1945 stellt sich Gerstein in Rottweil den französischen Truppen und schreibt auf einer geliehenen Schreibmaschine seinen Bericht über die Massenmorde.„Er fühlte sich damals zutiefst befreit durch Christus“, erklärt Raynal, der bereits einen Film über Jesuiten im Widerstand gedreht hat und sich mit der Person Gersteins seit rund 30 Jahren auseinandersetzt.

Die Schreibmaschine von damals steht im Landeskirchlichen Archiv Bielefeld und bekommt eine optische Hauptrolle in Raynals Film, denn der Bericht Gersteins steht im Mittelpunkt. „Die Schreibmaschine ist mehr als nur eine Maschine. Auf ihr tippt Gerstein seine Erlebnisse in gewichtigen, bedeutungsvollen Worten“, sagt Raynal.

\"Archivleiter

Bild: Archivleiter Bernd Hey an der Schreibmaschine, auf der Gerstein seinen Bericht über den Holocaust verfasste. Hinter ihm Drehassistentin und Dolmetscherin Kristin Hoefener, Autor und Regisseur Gerard Raynal und Kameramann Lubomir Bakchev (v. l.). FOTO:Andreas Frücht (NW)

Der französische Militärrichter Matthei glaubt, das Gerstein ein großer Nazi-Verbrecher war, „sozusagen der Erfinder der Gaskammer“ (Raynal). Der Autor berichtet: „Gerstein hatte einen Dolmetscher, aber als er Matthei vom KZ Belzec berichtet, tut er das auf französisch. Matthei hört zu, stellt keine Fragen mehr und weiß nicht, was er sagen soll. Das ist ein großer Moment. Selbst der Richter hat vom Holocaust nichts gewusst.“ Gersteins Verteidiger Pierre Lehman schreibt an den Richter, dass sein Mandant unschuldig sei: „Dieses Dokument ist im französischen Militärarchiv erhalten. Wir werden es filmen“, sagt Raynal, auch dieses Fundstück: Ein Zettel, auf dem Gerstein um einen christlichen Anwalt bittet.

Das Militärarchiv in Frankreich macht Raynal Dokumente erstmals zugänglich. Das ist für für den Bielefelder Kirchenarchiv-Chef Professor Dr. Bernd Hey Anlass zur Hoffnung, ebenfalls Zugang zu bekommen. Hey verwaltet den Gerstein-Nachlass seit 1985 und hat im Jahr 2000 die viel beachtete Ausstellung „Kurt Gerstein – Widerstand in SS-Uniform“ konzipiert.

Eine Schallplatte, die der spätere SS-Obersturmführer besprochen hat und die im Bielefelder Archiv liegt, ist ebenfalls Teil der Dokumentation. „Man braucht Beweise und Dokumente für einen solchen Film. Dazu bin ich auf Archive angewiesen.“ Raynal ist es wichtig, dieses Archivmaterial lebendig werden zu lassen, dem Zuschauer etwa zu vermitteln, dass die Schreibmaschine und der Bericht von Gerstein berührt wurden. Gleichzeitig ist Raynal von Heys Arbeit mit dem Gersteinschen Nachlass tief beeindruckt und dankbar für die „freundliche Aufnahme in Bielefeld“.

Gersteins Protokoll der systematischen Massenvernichtung von Menschen lag bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen vor. „Darin schildert er auch, was er alles unternommen hat, um die Welt über die Greueltaten zu informieren“, berichtet Raynal. Doch die Holocaust-Frage wurde 1946 nicht wirklich gestellt. Erst beim Eichmann-Prozess in Israel 1961 sei sie in den Mittelpunkt gerückt. Die Alliierten hätten wohl kein besonders großes Interesse an Gersteins Bericht gezeigt, weil er ihre Mitverantwortung öffentlich gemacht hätte.

Raynals Team dreht mit zwei Videokameras in Farbe und einer 16mm-Filmkamera in schwarzweiß. „Alles Historische nehmen wir auf Film auf, denn Videotechnik gab es zu Gersteins Zeit nicht. Damit wollen wir eine Distanz zwischen heute und gestern schaffen“, sagt der Regisseur. „Selbst wenn Gerstein zwei Gesichter hat, bleibt er für mich ein Widerstandskämpfer, der eine innere Tragödie erleben musste. Er war in Deutschland allein und in Frankreich.“ Im Militärgefängnis Cherche-Midi wurde er am 25. Juli 1945 erhängt aufgefunden. Hey und Raynal sind überzeugt, dass sich Gerstein, der auch als „Spion Gottes“ bezeichnet wird, das Leben genommen hatte. – Als Symbol für seine Dokumentation ließ Raynal in Bielefeld tauenden Schnee auf dem Mahnmal der deportierten jüdischen Mitbürger am Hauptbahnhof aufnehmen: „Der Film soll zeigen, dass die Dinge wieder offen liegen.“

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Quelle: Frank Bell, Neue Westfälische, Nr. 50, 28.2.2006 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. (Download des Artikels als pdf-Datei)