Jüdisches Leben im Hochsauerland

Günter Schulte, Historiker und Stadtarchivar in Schmallenberg, türmt einen Bücherstapel vor sich auf. „Ich habe mich gewundert, dass schon so viel da ist“, staunt er. Jüdisches Leben im Hochsauerland: So weit es die Quellenlage hergibt, ist es durch Veröffentlichungen vor allem für das 20. Jahrhundert umfangreich dokumentiert. Ein neues Projekt, das auch die Lokalgeschichte Schmallenbergs und Meschedes streift, kommt nun hinzu.

Günter Schulte in Schmallenberg und Erika Richter aus Meschede, pensionierte Lehrerin und ebenfalls Historikerin, arbeiten daran mit. Die Historische Kommission für Westfalen plant für 2005 die Herausgabe eines aus vier Bänden bestehenden und 1.800 Seiten umfassenden „Handbuchs der jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften in Westfalen und Lippe“. 180 Autoren verfassen die mehr als 230 Artikel.

Zwei Beiträge aus Altkreis Meschede

„Ziel des Projekts ist es, die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Westfalen seit dem 12. Jahrhundert bis heute zu dokumentieren“, erklärt Susanne Freund, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster das Projekt redaktionell betreut. „Wir wollen die Juden nicht nur als Opfer, sondern als aktive Mitglieder der Gesellschaft darstellen“, sagt Freund. Soziale, demografische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Aspekte sollen ebenso Thema sein wie die Frage der Integration, aber auch der Antisemitismus.

Bis Ende des Jahres sollen Schulte und Richter ihre Texte abliefern. Stützen können sie sich dabei weitgehend auf schon Veröffentlichtes. „Schmallenberg ist eigentlich recht gut dokumentiert“, betont Schulte. Arbeiten von Alfred Bruns, von Helga Tröster (erschienen in den Schmallenberger Heimatblättern Nr. 55) und Hannelore Schenk sind für ihn die Grundlage. Hinzu kommen Einwohnerverzeichnisse und so genannte „Generalakten“ aus dem 19. Jahrhundert, die im Stadtarchiv auf ihre Auswertung warten.

Gemessen an der reinen Zahl war Schmallenberg mit den 52 Juden, die 1932 gezählt wurden, keine große Gemeinde. Gemessen an der Bevölkerungszahl war sie aber bedeutender als zum Beispiel die in Meschede: etwas mehr als zwei Prozent der Schmallenberger waren jüdischen Glaubens; in der Kreisstadt waren es nur ein Prozent. Und sie waren in das örtliche Leben integriert, betont Schulte. Bis hin zur Mitgliedschaft im Schützenverein.

Ähnliches gilt für Meschede. Von Juden, die ganz selbstverständlich im Gesangverein mitmachten, berichtet Erika Richter. Die vor sechs Jahren erschienene Dokumentation „Jüdische Familien in Meschede“ liefert für sie den Grundstock an Informationen für ihren Beitrag zum Handbuch. An manchen Stellen wird aber auch sie auf Vermutungen angewiesen sein. Beispielsweise bei der Frage, ob die Mescheder Gemeinde dem orthodoxen oder dem liberaleren Teil des Judentums zugerechnet werden muss. Dass in die Synagoge ein Harmonium gestellt wurde, dass es dort spezielle Frauenplätze gab: Fingerzeige sind es, aber zu wenig für eine eindeutige Aussage.

Recherche auch in Familienblatt

Erschwert wird ihre Arbeit dadurch, dass das Archiv der Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Und so finden sich manchmal Hinweise auf die jüdische Gemeinde Meschedes an Stellen, wo man sie nicht vermutet. Zum Beispiel im „Israelitischen Familienblatt“, das bis 1938 in Hamburg erschien: Notizen über Verlobungen und Ehe-schließungen gibt es dort ebenso wie über aktuelle Ereignisse in der Gemeinde. Einiges bleibt wohl noch zu entdecken.

Quelle: Westfälische Rundschau, 4.10.2003

Deutsche Architekturgeschichte

Archive sind wie «Veilchen im Moose», denn sie wachsen und blühen im Verborgenen. Das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (SAAI) in Karlsruhe gehört zur Gattung dieser zarten Pflänzchen. In Fachkreisen hat die der Universität Karlsruhe angegliederte Institution grosses Gewicht, aber das breite Publikum kennt sie kaum. Das soll sich ändern, denn das SAAI drängt mit Ausstellungen in die Öffentlichkeit. Der erste Schritt dorthin ist eine höchst attraktive Schau im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Das SAAI hat seine Schatzkammern geöffnet und entwickelt in zwölf anschaulichen Kapiteln eine deutsche Architekturgeschichte vom Barock bis zum Dekonstruktivismus. Skizzen, Zeichnungen und Originalmodelle von grossen Architekten wie Weinbrenner, Eiermann und Behnisch feiern die Architektur als «Mutter der Künste». Einige dieser Exponate sind erstmals öffentlich zu sehen. Am faszinierendsten sind die Exponate aus vergangenen Tagen, als Karlsruhe selbst durch lehrende und wirkende Architekten zu einer Hochburg der Baukultur avancierte. Wichtig in diesem Kontext sind der Klassizist Friedrich Weinbrenner (1766-1866) mit seiner Schule, Heinrich Hübsch (1795-1863), dessen lyrischer «Gottesacker»-Entwurf die Wende zum Rundbogenstil einleitete, und Friedrich Ostendorf (1871-1915). Mit seinen Brückenkonstruktionen steht Josef Durm (1837-1919) für moderne Ingenieurkunst, und Hermann Billing (1867-1946) beeindruckt mit der Schönheit plastischer, von Jugendstil und Revolutionsarchitektur inspirierter Formen.

Die zweite Ebene dieses informativen Bilderbogens ist die deutsche Geschichte: Nur in ihrem Kontext lässt sich eine «Thingstätte» von Hermann Reinhard Alker (1885-1967) richtig lesen, und nur so sind die «Tabula rasa»-Entwürfe des deutschen Wiederaufbaus nach 1945 zu begreifen. Seit 1989 hat das SAAI alle diese aus Schenkungen und Nachlässen stammenden Schätze gesammelt und sorgfältig archiviert. Anfangs passte die Sammlung gerade einmal in einen Schrank, heute dokumentiert sie mit über 200 000 Plänen, Zeichnungen und Skizzen, 100 000 Fotos, 200 Modellen und ungezählten Akten das Œuvre von mehr als 100 Architekten aus dem deutschen Südwesten. Die Bauten und Entwürfe von Egon Eiermann (1904-1970) sind hier ebenso erfasst wie die umfangreichen Arbeiten von Rolf Gutbrod (1910-1999) und von Fritz Leonhardt (1909 bis 1999), der mit seinem Stuttgarter Fernsehturm einst das deutsche Wirtschaftswunder leuchten liess. Einen weiteren Glanzpunkt der Sammlung bilden die Behnisch-Bestände, aus denen in der Karlsruher Ausstellung drei exemplarische Beispiele deutscher Baugeschichte präsent werden.

Nach Ende der Ausstellung gehen die Exponate wieder zurück in den Stammsitz des SAAI, der sich in den Flügelbauten des 1779 errichteten markgräflich-badischen Zeughauses in Karlsruhe befindet. Diese drei kleinen, im Louis-seize-Stil errichteten Gebäude sind zwar sehr schön, aber so eng, dass das Archiv aus allen Nähten platzt. Man wünscht sich mehr Raum, eine verbesserte Infrastruktur und einen erweiterten Etat. Ein neues Domizil des SAAI im «Science-Center», das die Stadt Karlsruhe anlässlich der Bewerbung zur Weltkulturhauptstadt im Jahr 2010 anstrebt, ist im Gespräch. Was fehlt, ist der Mut zur visionären, zukunftsträchtigen Tat.

Die Ausstellung läuft bis zum 16. November im Badischen Landesmuseum, Museum am Markt in Karlsruhe.
 
Quelle: NZZ, 3.10.2003.

Kanzler-Akten: Ermittlungen eingestellt

Die Bonner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen wegen der angeblich verschwundenen Kanzleramtsakten aus der Regierungszeit von Helmut Kohl (CDU) eingestellt. Das bestätigte Oberstaatsanwalt Fred Apostel. Ein begründeter Verdacht für eine strafbare Handlung sei „nicht festzustellen“, erläuterte er die Entscheidung.
 
Die Einstellung des Verfahrens erfolgt gegen den Widerstand der rot-grünen Bundesregierung. Altkanzler Kohl hingegen begrüßte die Nachricht aus Bonn mit den Worten: „Der in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartige Vorgang einer amtierenden Bundesregierung, die Vorgängerregierung durch falsche Behauptungen, Verdrehungen und Vorverurteilungen zu diskreditieren, ist mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens endgültig gescheitert.“
 
Die Staatsanwaltschaft war Hinweisen nachgegangen, dass zum Ende der Amtszeit Kohls im Zuge des Regierungswechsels 1998 wichtige Akten verschwunden seien- Dazu sollen auch Akten zur strittigen Privatisierung der ostdeutschen Leuna-Raffinerie gehören.
 
Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch war bei seinen Ermittlungen im Auftrag der Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen, dass es in den Aktenbeständen zu den Leuna-Werken und auch zur Lieferung von Spürpanzern an Saudi-Arabien Lücken gebe, die sich über mehrere Jahre erstreckten.

Quelle: ntv, 2.10.2003

IIR-Konferenz zur Digitalen Archivierung

Die IIR Deutschland GmbH plant für den 21. und 22. Januar 2004 in Bonn eine Konferenz zur Digitalen Archivierung, auf der Vertreter aus der Wirtschaft sowie aus der Öffentlichen Verwaltung und hier auch Archivare refererieren werden.

Das Praxisforum beschäftigt sich damit,

  • welche Softwarelösungen am Markt angeboten werden und was der aktuelle Stand der Technik ist
  • welche Lösungen es für die Langzeitarchivierung gibt
  • welche funktionalen, rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der digitalen Archivierung zu Grunde liegen und wie man sie effektiv nutzt
  • welchen Stand das DOMEA-Organisationskonzept bzw. der DOMEA-Anforderungs- und Zertifizierungskatalog der KBSt hat
  • wie man Workflow-Systeme zur Optimierung der digitalen Archivierung einsetzt
  • was der aktuelle Stand der elektronischen Signatur ist und welche Auswirkungen dieser auf die digitale Archivierung hat
  • wie man Dokumentenmanagementsysteme für eine effektive digitale Archivierung nutzt
  • wie man die digitale Archivierung erfolgreich implementiert und weiterentwickelt

Programm:

Erster Praxistag

Vorsitz: Richard Stelzer, IuK-Referent, Bayerischer Städtetag, München

9.00 Empfang bei Kaffee und Tee und Ausgabe der Tagungsunterlagen

9.30 Begrüßung und Eröffnung des Praxisforums durch den Vorsitzenden

Wandel in der Archivierung – vom historischen zum digitalen Archiv

9.45
Vom analogen zum hybriden öffentlichen Archiv – Digitale Archivierung in der Verwaltung und im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages

Funktionale, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte der digitalen Archivierung in der öffentlichen Verwaltung
– Rechtsgrundlagen, digitale Archivierung als Pflichtaufgabe
– Unterlagenkategorien
– Archivarische Grundsätze, öffentliche Archive als (künftig) hybride Archive
– Funktionale und organisatorische Rahmenbedingungen
– Wirtschaftliche Gesichtspunkte
Lösungsansätze und Erfahrungen
– Projekt „Digitaler Bilderdienst/Bildarchiv“ in der Bundestagsverwaltung
– Projekt „DokMa – Dokumentenmangement in der Bundestagsverwaltung“
– weitere Initiativen des Parlamentsarchivs
– Exkurs: Stand der digitalen Archivierung in öffentlichen Archiven Deutschlands
Chancen und Risiken
– Rationalisierungspotentiale
– Etablierung eines Workflows von der Entstehung und aktiven Nutzung über die Aussonderung bis hin zur Archivierung und erneuten Bereitstellung oder Vernichtung
– Archive als Baustein im Wissensmanagement
– Erwartungen externer Nutzer an moderne Archive und deren Erfüllung als Dienstleistung der öffentlichen Verwaltung
– Neue Anforderungen, veränderte Strukturen und Kooperationsformen
– Personelle und technische Investitionen
Angela Ullmann,  Mitarbeiterin im Parlamentsarchiv des deutschen Bundestages, Berlin
Optimale Softwareunterstützung für die digitale Archivierung

10.45
Softwarelösungen für Records Management und elektronische Archivierung

Der lange Weg zum rechtskräftigen elektronischen Dokument
Definitionen: Was sind die Unterschiede zwischen elektronischem Records-, Content- und Archivmanagement
Ein Überblick: Records Management und Archivierung im Licht internationaler Standards und Normen
Herausforderung Langzeitspeicherung: Architektur, Formate, Medien und Migration
Leistungs- und Funktionsumfang: Was kann man heute von Produkten erwarten
Ausblick: Die Bewahrung des Gedächtnisses des Informationszeitalters
Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer, PROJECT CONSULT, Hamburg
12.00 Gemeinsames Mittagessen

13.00
Digitale Archivierung, Dokumentenmanagement und Vorgangsbearbeitung:

Einsatz und Nutzen des Web InformationManagers
Praxisbeispiele aus Kommunalverwaltungen sowie Lehr- und
Forschungseinrichtungen
Geert-Christoph Gabriel, Projektmanagement, MACH AG
Zwei detaillierte Praxisberichte über Erfahrungen mit der Implementierung der digitalen Archivierung

Folgende Fragestellungen werden in den Praxisberichten beantwortet:

Was ist Digitale Archivierung?- Definitionen
Welche rechtlichen Gesichtspunkte müssen beachtet werden?
Welche konzeptionellen und organisatorischen Vorüberlegungen sind bei der Einführung eines digitalen Archivierungssystems notwendig?
Welche Systeme und Tools werden genutzt?
Wie erfolgt die Umsetzung der digitalen Archivierung?
Welche Einsparpotentiale werden erzielt?
Welche Fehler bei der Implementierung können vermieden werden?
Vorteile der digitalen Akte an praktischen Beispielen
Lifecicle-Problematik

13.45
Langzeitspeicherung und Archivierung digitaler Unterlagen in der niedersächsichen Landesverwaltung
Dr. Bernd Kappelhoff, Ltr. der Niedersächsichen Staatsarchivverwaltung, Niedersächsische Staatskanzlei, Hannover und
Wolfgang Farnbacher, Technologieberater, Informatikzentrum Niedersachsen (IZN), Hannover

15.15 Kaffeepause

15.45
Digitale Verfahrensakte im Finanzgericht Hamburg aus Sicht der Praxis
Jutta Drühmel, Leiterin der EDV-Abteilung, Finanzgericht Hamburg

17.15
Podiums- und Plenumsdiskussion:
Chancen und Risiken der digitalen Archivierung in der öffentlichen Verwaltung

18.00 Ende des ersten Tages des Praxisforums

Zweiter Praxistag

9.00 Begrüßung durch den Vorsitzenden

Stand des DOMEA-Konzeptes und vereinfachte Ausschreibung für die öffentliche Verwaltung

9.15
Das DOMEA-Konzept der KBSt: Stand der Fortschreibung/Weiterentwicklung des DOMEA-Organisationskonzeptes und des DOMEA-Anforderungs-/Zertifizierungs- Katalogs

Stand des DOMEA-Konzeptes
Zertifizierung auf Basis des DOMEA-Anforderungskatalogs
Vereinfachte Ausschreibung durch das DOMEA-Konzept
Hellmut Hoppe, Referent, Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für IT in der Bundesverwaltung im Bundesministerium des Innern (KBSt), Bonn

10.15 Kaffeepause

Instrumente und Systeme zur Optimierung der digitalen Archivierung

10.45
Der Einsatz der elektronischen Signatur bei der digitalen Archivierung

Wie ist der rechtliche Rahmen bei der elektronischen Signatur?
Wie funktioniert die elektronische Signatur?
Wie ist der aktuelle Stand bei der Einführung der elektronischen Signatur?
Welche Probleme müssen noch gelöst werden?
Wie kann die elektronische Signatur bei der
digitalen Archivierung eingesetzt werden?
Richard Stelzer

12.00 Gemeinsames Mittagessen

13.30
Implementierung von Workflowsystemen in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel der Stadtverwaltung Cottbus: Implementierung von verschiedenen Datenbank-Management-Systemen

Abbildung von strukturierten Prozessen am Beispiel eines Ratsinformationssystems
Integration von Workflow-, Dokumentenmanagement-, Redaktions- Archivierungs- und Administrationssystemen
Welche Vorteile bieten umfassende Datenbank-Management-Systeme für die komplexe Umsetzung der digitalen Archivierung in der öffentlichen Verwaltung?
Gabriele Bogacz, Technologiebeauftragte, Stadtverwaltung Cottbus

15.00
Einsatz eines Dokumentenmanagementsystems (DMS) – Voraussetzung für eine effektive digitale Archivierung

Überlegungen und Ansatzpunkte zum Einsatz von DMS
Implementierung von DMS
Erfassung, Ablage und Verwaltung von Dokumenten mittels DMS
Welche Leistungsmerkmale muss ein DMS erbringen?
Kosten- und Nutzenanalyse
Gerd Esders, IT-Leiter, Stadtverwaltung Haren

16.30 Zusammenfassung der Ergebnisse des Praxisforums durch den Vorsitzenden

16.45 Ende des Praxisforums

Alle Informationen und Möglichkeiten zur Anmeldung gibt es auf der Homepage der IIR Deutschland.

Lager Sandbostel: Denkmalschutz, Forschung und Gedenken

Anlässlich des Tags des offenen Denkmals hat der Rotenburger CDU-Kreisvorsitzende Albert Rathjen gefordert, den Denkmalschutz zu intensivieren. Das greift der Rotenburger Historiker Dr. Dietmar Kohlrausch auf. Sein Anliegen: Der Kreis soll eine Baracke des ehemaligen NS-Kriegsgefangenenlagers bei Sandbostel erwerben. So würde zum einen historische Bausubstanz erhalten. Und zum anderen böte das Gebäude die Möglichkeit, am authentischen Ort eine Dokumentations- und Gedenkstätte zu schaffen.

In aller Kürze: 1939 wurde zwischen Sandbostel und Augustendorf ein Sammellager für Kriegsgefangene errichtet. „Darin wurden bis zu 40.000 Menschen gleichzeitig eingesperrt“, berichtet Kohlrausch. Zum Vergleich: Die Stadt Rotenburg hat derzeit rund 20.000 Einwohner. Ein prominenter Häftling etwa war der Schriftsteller Giovanni Guareschi (Don Camillo und Pepone).

Insgesamt wurden mehr als eine Million Menschen aus 46 Nationen nach Sandbostel gebracht. Zehntausende von ihnen überlebten die Gefangenschaft nicht. Sie starben an Hunger, Seuchen oder wurden ermordet.

Im April 1945 wurden rund 20.000 Menschen aus dem KZ-Neuengamme von ihren SS-Bewachern nach Sandbostel getrieben. Sie wurden dort so schlecht behandelt, dass es vor lauter Hunger zu Kannibalismus kam. Am 29. April wurde das Lager durch britische Truppen befreit.

Nach dem Krieg dienten die Baracken zunächst als Gefängnis für SS-Täter, später als Übergangsheim für Flüchtlinge aus der DDR. Seit Mitte der 70er Jahre wird das Gelände als Gewerbegebiet genutzt. Idyllischer Name: Immenhain.

Die meisten erhaltenen Gebäude wurden in den 90er Jahre unter Denkmalschutz gestellt. Kohlrausch: „Es handelt sich deutschlandweit um das größte Ensemble dieser Art.“ Dennoch verfallen die Baracken. „Denn natürlich kann niemand die Eigentümer zwingen, sie zu erhalten“, erklärt der Historiker, beruflich Archivar der Stadt Rotenburg.

Seit 1992 Jahre kümmert sich ein Verein um die Dokumentation der Lagergeschichte. Ehrenamtlich werden ehemalige Häftlinge und deren Angehörige betreut, die Sandbostel besuchen. Allerdings – der Rahmen, in dem das auf einem Gewerbegebiet möglich ist, ist mehr als fraglich. „Viele Besucher empfinden ihn zu Recht als unwürdig“, berichtet Kohlrausch, der im Vorstand des Vereins mitarbeitet.

Ziel ist daher, endlich direkt auf dem Lagergelände eine Gedenkstätte zu errichten. Lange Zeit wurde ein Neubau diskutiert. Der aber wäre erstens relativ teuer. Zweitens müsste das Geld auf einen Schlag zur Verfügung stehen. Und drittens ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, einen geeigneten Bauplatz zu ergattern.

Jetzt jedoch wird eine noch recht gut erhaltene Baracke zum Verkauf angeboten. Gelegenheit zum Umdenken. Vorteile nämlich: Das Gebäude könnte nach und nach renoviert werden. So müsste in jedem Jahr nur eine vergleichsweise kleine Summe aufgebracht werden. Mit dem Geld würde eine der Baracken dauerhaft exemplarisch erhalten. Und schließlich hätte die Gedenkstätte einen wirklich authentischen Ort.

Kohlrausch hofft, dass diese Argumente stechen. Er rechnet mit Kosten von 170.000 Euro für das gesamte Projekt. Verteilt auf viele Jahre. Und verteilt auf viele Schultern: Verein, Kreis, Land, Bund und EU. Am einfachsten wäre, wenn der Kreis den Anfang macht – indem er die Baracke kauft, dem Verein als Träger zur Verfügung stellt und so die weitere Entwicklung ermöglicht.

Kontakte:
Dr. Dietmar Kohlrausch
Am Föhrenhof 2
27356 Rotenburg

Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel e.V.
Postfach 1516
27425 Bremervörde
www.dokumentationsstaette-sandbostel.de
info@dokumentationsstaette-sandbostel.de

Quelle: Rotenburger Rundschau, 1.10.2003

Zeitzeugen und Archive

Der 13. Vorarlberger Archivtag geht am Freitag, 10. Oktober, in Nenzing über die Bühne und widmet sich der Frage nach dem Wert von Zeitzeugenberichten für die Archive und die Geschichtswissenschaft des Landes Vorarlberg. Die Erzählungen von Menschen über die Vergangenheit sind eine wichtige Ergänzung für die Erforschung der unmittelbaren Geschichte.

Viele Jahre wurden die persönlichen Erlebnisse von  enschen von der Geschichtswissenschaft milde als
subjektive Quellen belächelt. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wachsen in den Archiven jedoch die Sammlungen solcher persönlicher Blicke auf die Vergangenheit, sei es auf Tonbändern oder in Tagebüchern. Das stellte die Archivare vor neue Herausforderungen, denn das Verwalten von technischen Quellen wie Tonbändern unterscheidet sich vom Verwalten von Papierquellen.

Wie die Vorarlberger Archive diese Herausforderungen meisterten, berichten beim 13. Vorarlberger Archivtag zum Thema „Audiovisuelle Archive“ Josef Blaas, Annette Bleyle (Wirtschaftsarchiv Feldkirch) Werner Matt (Stadtarchiv Dornbirn) und der Gastgeber Thomas Gamon (ORF Drehorgel). Die Leiterin der Österreichischen Mediathek in Wien, Gabriele Fröschl, wird den Archivtag mit einem
Grundsatzreferat zum Nutzen und Sinn mündlicher Archive eröffnen.

Der Archivtag wird vom Vorarlberger Landesarchiv als offenes Informations-, Weiterbildungs- und Diskussionsforum veranstaltet. Alle, die sich mit Fragen der Archivierung beschäftigen, sind herzlich dazu eingeladen. Beginn ist am Freitag, 10. Oktober, um 14.00 Uhr im Wolfhaus in Nenzing.

Um Anmeldung wird gebeten:
Telefon (nur vormittags): 05574/511-45005;
E-Mail karin.weratschnig@vorarlberg.at.

Quelle: Landespressestelle Vorarlberg, 1.10.2003

Dokumente aus der Geschichte des Hotels „Bären“

Die Geschichte des Wiesbadener Hotel „Bären“ geht zurück bis ins 15. Jahrhundert. Nicht ganz so alt sind die historischen Zeugnisse, Dokumente und Briefe, die jetzt mit alten Fotos von der Betreiberfamilie Bödeker an das Stadtarchiv Wiesbaden übergeben wurden. 

„Als Grethe Weiser hier ankam und das Licht ausging, bedankte sie sich erst mal für den tollen Empfang“, erinnert sich Zeitzeugin Emmy Bödeker an den Besuch der Schauspielerin 1954. Bei der Übergabe zahlreicher Dokumente, Briefe und Bilder an das Stadtarchiv hatte die Besitzerin des „Bären“ einiges an Anekdoten und Geschichten zu erzählen.

Von den goldenen Filmjahren Wiesbadens künden vor allem die Gästebücher, die mit Widmungen von Gert Fröbe, O.W. Fischer, Curd Jürgens oder Hans Albers eine „wahre Fundgrube“ darstellen, wie sich Kulturdezernentin Rita Thies sichtlich freute. Durch den Einfluss der in Wiesbaden ansässigen Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft verkehrten zwischen 1949 und 1959 viele Stars in der Filmstadt Wiesbaden, viele davon stiegen im „Bären“ ab, das vor allem für sein gutes Essen gelobt wurde – und für die Gastfreundschaft, für die sich beispielsweise Sonja Ziemann 1961 „mit allen guten Wünschen“ beim „lieben Bären“ bedankte, bevor sie sich der Liebe wegen für fünf Jahre gleich ganz in Wiesbaden niederließ.

Ob eifersüchtige Ehefrauen, Gulasch kochende Maifest-spiele-Regisseure oder amerikanische Soldaten, die in letzter Minute daran gehindert werden konnten, das komplette Mobiliar zu beschlagnahmen: Das Haus, das während eines Luftangriffs 1945 teilweise zerstört wurde, hat einiges erlebt. „Bei uns hat sich viel abgespielt“, fasst Bödeker untertreibend zusammen. Die Nachkriegszeit schließlich sei „eine schwere, aber interessante Zeit“ gewesen, so Emmy Bödeker. So habe sie von der ersten D-Mark Parkettböden gekauft.

Mit der Fülle von Material, das im Stadtarchiv datiert, verzeichnet, erfasst und gelagert wird, können künftig historische und kulturgeschichtliche Zusammenhänge dargestellt und historische Recherchen erleichtert werden. „Gerade die Korrespondenz während der Kriegsjahre“, so Archivar Thomas Weichel, „ist ein wichtiges Dokument der Stadtgeschichte“ – von dem auch das künftige Stadtmuseum profitieren könne, so Thies. Für die Familie Bödeker, die das traditionsreiche Haus 1926 übernommen hat und nun in dritter Generation führt, geht es schlicht darum, „unsere heutigen Gäste für die Historie des 'Bären• zu sensibilisieren“, führte Betreiber Michael Bödeker aus.

Diese beginnt bereits mit der Erwähnung als Badhaus 1471, der damalige Besitzer Gelen Hen betrieb den „Bären“ aber wohl schon früher. Im 17. Jahrhundert war das Haus das best besuchte und angesehenste Badhaus der Stadt. 1814/15 schließlich kam Goethe in den „Bären„, dieser erlebte gerade wieder eine seiner verschiedenen Blütezeiten. 1902 wurde das Haus auf dem jetzigen Grundstück Ecke Bärenstraße/Kleine Webergasse als „Savoy Hotel“ neu erbaut, 1910 dann wieder rückbenannt. Im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges wurde bei einem Luftangriff das Badhaus zerstört und mit Gesicht zum Dreililienplatz wieder hergestellt.

Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
65197 Wiesbaden
Telefon:  0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429 
Fax:  0611 / 31-3977 
stadtarchiv@wiesbaden.de 

Quelle: Wiesbadener Kurier, 30.9.2003

Wiesbadener Archive

Archive entstehen primär überall dort, wo eine öffentliche Verwaltung tätig ist, denn das dort produzierte Schriftgut muss – zunächst aus rechtlichen Gründen – gesichert werden. Verschiedene Gesetze legen fest, dass Akten und andere Dokumente nicht einfach in den Papierzerkleinerer oder -container entsorgt werden dürfen, sondern dem zuständigen Archiv zur Übernahme angeboten werden müssen. Zu diesem Zweck gibt es die Archive des Bundes und der Länder und die kommunalen Archive, die Kreisarchive und Stadtarchive.

Darüber hinaus gibt es noch andere Archivsparten, die nichts mit der öffentlichen Verwaltung zu tun haben: Allen voran die kirchlichen Archive: Bistums-, Diözesan- und Domarchive, Stifts- und Klosterarchive sowie die Zentral- und Landesarchive der Evangelischen Kirche; dann die Herrschafts-, Haus- und Familienarchive des Adels; Archive der Wirtschaft, Parlamentsarchive und Archive politischer Parteien und Verbände; Medienarchive, Presse- und Bildarchive; Universitäts- und Hochschularchive und Archive sonstiger Institutionen wie das des Deutschen Film-Instituts in Wiesbaden.

Organisches Wachstum

Im Gegensatz zu verwandten Institutionen wie etwa den Bibliotheken „sammeln“ Archive nicht, das Schriftgut „wächst ihnen zu“: durch die ihren schriftlichen Niederschlag findende Tätigkeit der Verwaltung, der Partei, des Unternehmens, der Institution. Allerdings wird dieses organische Wachstum häufig auch unterbrochen: Kriegseinwirkungen, mutwillige Vernichtungsaktionen oder auch mangelnde Aufmerksamkeit und Professionalität führen oft zu großen Überlieferungslücken. Zum Archivgut gehören nicht nur Akten und Schriftstücke, sondern auch Karten, Pläne, Plakate, Karteien, Siegel, Stempel, Bild- und Tonaufzeichnungen. Das Schriftgut wird in der Regel in der gleichen Ordnung ins Archiv übernommen, in der es angelegt wurde, denn damit können die Vorgänge, die zu dessen Entstehung beigetragen haben, am besten nachvollzogen werden. So werden auch die geschichtlichen Vorgänge selbst bewahrt.

Klare Bestimmungen

Heute unterliegen die öffentlichen Archive gesetzlichen Bestimmungen. Das „Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz)“ trat am 6. Januar 1988 in Kraft. Es betrifft das Bundesarchiv und legt in Paragraph 1 fest, dass das „Archivgut des Bundes durch das Bundesarchiv auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten ist“. In das Bundesarchiv mit seinen Abteilungen in Koblenz, Berlin und anderswo gelangen alle Unterlagen der Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und die sonstigen Stellen des Bundes. Nur das Auswärtige Amt besitzt ein eigenes Archiv, das den diplomatischen Schriftverkehr und ähnliches sichert. Außerdem werden die Unterlagen der Staatssicherheitsorgane der ehemaligen DDR in der „Gauck-Behörde“ gesondert aufbewahrt.

Deutschland hat als ein Bundesstaat eine föderalistische Archivverwaltungsstruktur. So sind neben dem Bundesarchiv in den einzelnen Bundesländern Landesarchive für das Archivgut des jeweiligen Landes zuständig. In Hessen trat das Gesetz für ein hessisches Archivgesetz am 18. Oktober 1989 in Kraft. Darin wird der Umgang mit dem öffentlichen Archivgut im Lande Hessen geregelt. „Es soll das öffentliche Archivgut gegen Vernichtung und Zersplitterung schützen und seine öffentliche Nutzung gewährleisten.“

„Häuser der Geschichte“

Hessen hat drei Landesarchive, „Häuser der Geschichte“ heißen sie im Gesetzestext: das Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden und zwei Staatsarchive in Marburg und Darmstadt. Diese drei nehmen die Akten der Obersten und Oberen Landesbehörden auf: Regierung, Ministerpräsent, Oberlandesgerichte. Dabei orientieren sie sich in ihrem Einzugsbereich noch immer an den alten Territorien: In Darmstadt wird die Überlieferung des ehemaligen Großherzogtums Hessen-Darmstadt aufbewahrt, Marburg ist für den landgräflichen Bereich zuständig, im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden befindet sich die Hausüberlieferung des Herzogtums Nassau und der entsprechende Teil der preußischen Provinz. Die Kreis- und Stadtarchive sind für die Unterlagen der entsprechenden Verwaltungen da. Rund 69 Prozent aller hessischen Kommunen verfügen über ein – häufig allerdings eher spartanisch ausgestattetes – Archiv. Natürlich wird nicht jeder in einer Verwaltung produzierte Papierschnipsel ins Archiv übernommen. „Archivwürdig“ sind laut Archivgesetz die Unterlagen, „die auf Grund ihrer politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart von bleibendem Wert sind oder die zur Rechtswahrung sowie auf Grund von Rechtsvorschriften dauernd aufzubewahren sind“.

Die Kirchen haben generell ein sehr gut organisiertes Archivwesen. Das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche in Kassel hat vor wenigen Jahren einen Archivneubau bekommen, ebenso das der Evangelischen Landeskirche Hessen-Nassau in Darmstadt. Die Archive der Katholischen Kirche befinden sich in den Bistümern Limburg und Fulda. Hessen besitzt auch ein eigenes Wirtschaftsarchiv in Darmstadt, das sich um die Sicherung und Übernahme von Unterlagen der hessischen Wirtschaft bemüht.

Viele dieser Archive öffnen ihre Pforten für jeden Interessierten und öffentliches Archivgut kann jede Person nutzen, die „ein berechtigtes Interesse“ glaubhaft machen kann. Für das Archivgut gelten in der Regel Sperrfristen von 30 Jahren. Personenbezogenes Schriftgut darf erst zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person benutzt werden, bei Personen des öffentlichen Lebens gelten jedoch meist andere Fristen.

„Preußische Akten“

Moderne Archivare schwärmen geradezu von den „Preußischen Akten“, denn bei den Preußen war genau definiert, was in eine Akte kommt und was nicht. Und der zuständige Registrator prüfte mit strengem Auge, ob alles seine Richtigkeit hatte mit den einzelnen Vorgängen, bevor diese zu einer „Preußischen Akte“ zusammengenäht wurden. Heute gibt es kaum mehr feste Regeln über den Inhalt von Akten, und auch andere, für den Archivar wichtige Hilfsmittel wie etwa Aktenpläne sind, zumindest in den Kommunen, weitgehend abgeschafft worden. Moderne Akten sind nicht mehr so aussagekräftig wie in der Vergangenheit, sie sind häufig voller fotokopierter Texte, die auch an zahlreichen anderen Stellen überliefert sind; Briefe und schriftliche Unterlagen, die Entscheidungsprozesse nachvollziehbar machen, nehmen dagegen immer mehr ab. Ein großes Problem sind die E-Mails, die häufig nicht in die zuständige Akte eingeheftet werden. Die zunehmende Digitalisierung von Schriftstücken oder sogar ganzer Akten ist eine andere Zukunftsherausforderung, der sich die Archive heute stellen müssen.

Aufwändige Ausbildung

Die Ausbildung zum Archivar ist aufwändig. Frankreich war Pionier: Es bildete als erstes Land seine Archivare zentral an der 1821 gegründeten École des Chartes aus. Dann folgte Österreich 1854 mit dem Institut für österreichische Geschichtsforschung und erst 1930 wurde in Berlin ein eigenes Institut für Archivwissenschaft errichtet. Heute ist in Deutschland in der Regel die Promotion in Geschichte Voraussetzung für die Ausbildung zum Höheren Archivdienst. Daran schließen sich zwei Jahre an der Archivschule in Marburg an, zu der alle Bundesländer außer Bayern, das eine eigene Ausbildungsstätte betreibt, ihre Archivare schicken. Der Kandidat, der nicht von einem Bundesland nach Marburg geschickt wird, kann neuerdings immerhin extern die Ausbildung absolvieren, die er dann allerdings auch selbst bezahlten muss. Diese Marburger Lehrzeit schließt ein halbjähriges Praktikum ein.

Viel Verantwortung

Nach der Ausbildung wartet eine verantwortungsvolle Tätigkeit, denn es obliegt der einzelnen Archivarin oder dem einzelnen Archivar zu entscheiden, was im Archiv überdauern oder was im Papierzerkleinerer oder im Papiermüllcontainer entsorgt wird – immer vorausgesetzt, dass das Zusammenspiel zwischen Archiv und Verwaltung klappt!

Sofern das der Fall ist, werden sämtliche Unterlagen der verschiedenen Behörden von den Archivaren auf ihre Archivwürdigkeit hin geprüft. Diese Prüfung wird meist anhand des Aktentitels vollzogen, nicht in jedem Fall muss die Akte selbst in die Hand genommen werden. Im Prinzip ist trotzdem der Archivar derjenige, der entscheidet, was von politischem, administrativem, juristischem oder historischem Wert ist. Nur was die Prüfung auf Archivwürdigkeit bestanden hat, wird im Archiv so aufbereitet und gegebenenfalls „konserviert“, dass es die nächsten Jahrhunderte überstehen und damit zur Bildung von Geschichtsbewusstsein, auch zur Identifizierung mit der Kommune oder dem Land, beitragen kann.

Genauso, wie heute Menschen in Archiven und Bibliotheken auf Fragen, warum es in der Vergangenheit zu bestimmten politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Entscheidungen kam, nach wahrheitsgetreuen Antworten suchen, werden vielleicht in 500 Jahren Menschen anhand der dann noch vorhandenen Unterlagen herausfinden wollen, warum die Menschen anno 2003 in Wiesbaden…

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 30.9.2003

Online-Datenbank zu „Euthanasie“-Verbrechen

Das dunkelste Kapitel der deutschen Medizingeschichte kann jetzt mit Hilfe einer umfassenden Datenbank weiter aufgeklärt werden. Das Bundesarchiv in Berlin stellt jetzt die Daten der „Euthanasie“-Verbechen im „Dritten Reich“ online zur Verfügung.

Das Bundesarchiv in Berlin erhob in einem dreijährigen Projekt mit Unterstützung der Bundesärztekammer und der Deutschen Forschungsgemeinschaft Informationen aus 296 Archiven.

Bei der Vorstellung des Quellenverzeichnisses aus Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien bekannte sich die deutsche Ärzteschaft am Dienstag in Berlin erneut zur Mitverantwortung an den so genannten Euthanasie-Verbrechen im „Dritten Reich“.  
   
Von 1939 bis 1945 wurden etwa 200.000 Frauen, Männer und Kinder, die als psychisch Kranke oder Behinderte in Krankenanstalten und Heimen lebten, ermordet.

Die ausgewerteten Archive umfassen insgesamt 740 Bestände, davon 614 in Deutschland, 85 in Polen, 31 in Österreich und 10 in Tschechien.

Das Bundesarchiv verwahrt auch 30.000 Patientenakten, die vom DDR- Staatssicherheitsministerium beschlagnahmt wurden. Die Datenbank steht auf der Homepage des Bundesarchivs allen Interessierten zur Verfügung. 

Quelle: ORF, 30.9.2003

Archivvielfalt durch knappe Kassen bedroht

Die deutschen Archivare befürchten eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen infolge immer knapperer öffentlicher Mittel. In einigen Bundesländern wie Thüringen und Baden-Württemberg werde bereits über neue Strukturen der Archivlandschaft diskutiert, sagte der Vorsitzende des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA), Volker Wahl, am Dienstag in Chemnitz. Die Verwaltungen wollten beispielsweise durch Zusammenlegung von dezentralen staatlichen Archiven Kosten sparen. Im bayerischen Schongau sei auch die Schließung eines Kommunalarchivs beabsichtigt gewesen.

Der von Dienstag bis Freitag in Chemnitz stattfindende 74. Deutsche Archivtag als der bedeutendste Kongress dieser Art in Europa wende sich ganz entschieden gegen solche Tendenzen. «Wir führen kein Nischendasein zwischen alten Schriften», sagte Wahl. Die Aufgaben als Hüter historischer Überlieferung und zur wissenschaftlichen Aufarbeitung sowie als Dienstleister seien gesetzlich fixiert. Dies verlange qualifiziertes Personal, das nicht endlos reduziert werden könne. Archive seien nicht mit Bibliotheken, Museen und anderen Kultureinrichtungen gleichzusetzen, deren Betrieb eine freiwillige kommunale Aufgabe sei, unterstrich der VdA-Vorsitzende.

Die Chemnitzer Stadtarchivarin Gabriele Viertel betonte, gerade die Kommunalarchive in den neuen Bundesländern leisteten wichtige Hilfe bei der Klärung von Alltagsfragen der Bürger. So bearbeite ihre Einrichtung pro Woche bis zu 20 Anfragen zum früheren Schulbesuch, der in den Rentenantragsunterlagen nachgewiesen werden müsse. Auch Duplikate von DDR-Facharbeiterzeugnissen, Nachweise der Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg und Immobilienunterlagen im Zusammenhang mit der Regelung offener Vermögensfragen würden oft nachgefragt.

Am Deutschen Archivtag unter dem Thema «Archive im gesellschaftlichen Reformprozess» nehmen rund 800 Fachvertreter aus dem In- und Ausland teil. Die Tagung wird begleitet von der Fachmesse Archivistica, auf der Technik und Techniken zu Erhalt, Lagerung und Erfassung von Archivgut vorgestellt werden.

Quelle: Freie Presse online, 30.9.2003