Komponisten, Maler, Astronome, Kaufmänner, Dramatiker. Die Berliner Familie Beer, Meyerbeer und Richter, die im geistigen und wirtschaftlichen Leben Berlins und seiner jüdischen Bürgerschaft seit dem 17. Jahrhundert eine ganz entscheidende Rolle spielte, zählte fünf Generationen lang zu den einflussreichsten und wohlhabendsten Familien der Stadt. Durch den bedeutenden Nachlass dieser Familie ist Berlins Stadtmuseum um eine Schenkung reicher geworden.
Die beiden Stifter Elisabeth Beare und Dr. Reinhold Richter, die dem Stadtmuseum Berlin in Gestalt der Hans-und-Luise-Richter-Stiftung große Teile des Nachlasses vermachen, gehören zur Familie. Die Stiftung trägt den Namen des Enkels von Giacomo Meyerbeer, Hans Richter (1876-1955) und seiner Frau Luise (1891-1978): Sie retteten die wichtigsten Teile des künstlerisch und kulturhistorisch bedeutsamen Familienerbes über die Zeit des Nationalsozialismus. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung dieser Schenkung, die einen Wert von knapp einer Million Euro hat, wurde zur Bewahrung, Pflege und weiteren wissenschaftlichen Erschließung eine Körperschaft in der Rechtsform einer unselbständigen Stiftung innerhalb der Stiftung Stadtmuseum Berlin geschaffen. Für die Stifter gehören die Bestände „einfach nach Berlin“.
Die Familie lebte seit 1671 in Berlin. Ihr Aufstieg begann mit dem Kaufmann Liebmann Meyer Wulff. Liebmann (1745-1812) brachte es zum Hofjuden der Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich III. und galt um 1800 als der reichste Jude Preußens. Mit ihm setzte jene Familiengeschichte ein, die fast zwei Jahrhunderte lang das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben Berlin maßgeblich prägen sollte. Giacomo Meyerbeer, im 19. Jahrhunderts ein sehr bekannter Opernkomponist („Les Huguenots“, „Le Prophète“, „L´Africaine“), Generalmusikdirektor an der Königlichen Oper Berlin und wohl berühmtester Sproß der Familie, war ein Enkel Liebmanns. Seine Mutter Amalie (1767-1854) galt als Schönheit. Sie unterhielt einen der ersten Salons Berlins; in ihren Räumen ging das gelehrte Berlin ein und aus. Wilhelm, auch er ein Sohn von Amalie, verdiente seinen Unterhalt als Zuckersieder, bekannt jedoch wurde er als Astronom. Sein Bruder Michael kam als der erste jüdische Dramatiker zu Anerkennung.
Zur Familie gehörte auch das Ehepaar Gustav (1823-1884) und Cornelie Richter (1842-1922), geborene Meyerbeer und Enkelin von Amalie. Er: Maler, sie: Gastgeberin für Künstler und Intellektuelle. Die Wohnsitze der Familie, zunächst das Haus in der Spandauer Straße, dann seit 1803 die Beersche Villa im Tiergarten sowie das Meyerbeersche Palais neben dem Brandenburger Tor, wurden dank der vorzüglichen Beziehungen, die die Familie zum Hof und zum preußischen Adel unterhielt, ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Neben vielen Künstlern und Gelehrten zählte auch Alexander von Humboldt zu den Gästen.
Hunderte von Gegenständen, Briefen, Bildern, Fotoalben, Möbeln, Plastiken und Dokumenten geben einen Einblick in das Leben des jüdisch-deutschen Großbürgertums Berlins über zweieinhalb Jahrhunderte. Musik- und operngeschichtlich aufschlußreiche Objekte von besonderem Wert, wie das Pleyel-Reiseklavier Giacomo Meyerbeers von 1849, sind Teil der Schenkung. Genauso Bilder, Familienportraits, Büsten, Skulpturen, Schnapsbecher, und das goldene Armband, das Kaiserin Friedrich 1901 Cornelie Richter vermachte. Ein Teil des Nachlasses von Giacomo Meyerbeer wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg der Staatsbibliothek Berlin vermacht und gelangte als Folge des 2. Weltkrieges teilweise nach Krakau in die Biblioteka Jagiellonska.
In diesem Jahr noch sollen die Stiftungs-Bestände aufgearbeitet werden und im März 2004 im Märkischen Museum, dem Stammhaus der Stiftung Stadtmuseum Berlin, im Rahmen einer Sonderausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Danach sollen die aussagekräftigsten Stücke als ein wesentlicher Teil in die Dauerausstellung einfließen.
Quelle: Damals, 25.8.2003
Ralph Giordano für Erhalt der Hamburger Geschichtswerkstätten
Der Schriftsteller Ralph Giordano («Die Bertinis», 1982) hat sich für den Erhalt der Hamburger Geschichtswerkstätten ausgesprochen.
Für die durch Subventionskürzungen in ihrer Existenz bedrohten Einrichtungen gebe es keinen Ersatz, schreibt der 80-jährige gebürtige Hamburger in seinem vorab verbreiteten Statement für eine Öffentliche Anhörung zu dem Thema am 25. August. Der Autor appellierte an die Politiker, die gefassten Beschlüsse zu überprüfen.
Der Hamburger Senat hat bekanntlich beschlossen, den 14 Geschichtswerkstätten und Stadtteilarchiven die Förderung in Höhe von 539.000 Euro zu entziehen. Nach vielfältigen Protestaktionen sagte Kultursenatorin Dana Horáková (parteilos) weiterhin Miet- und Betriebskosten in Höhe von insgesamt 133.000 Euro für die überwiegend mit Ehrenamtlichen arbeitenden Institutionen zu. Inhaltliche Arbeit sei so nicht mehr möglich, kritisieren die Geschichtswerkstätten. Sie fürchten um die Bestände mit Objekten und Dokumenten von Zeitzeugen. Im Zeichen «elektronischer und globaler Einebnungstendenzen» könne die «Bewahrung des lokalen (…), des „An-Ort-und-Stelle“-Wichtigen und -Eingeborenen» gar nicht hoch genug veranschlagt werden, mahnte Giordano.
Quelle: Lausitzer Rundschau online, 25.8.2003
Digitales Europäisches Kathedralen-Archiv DECA
Wertvolle Baupläne und Fotos des Kölner Doms, des Wiener Stephansdoms und der Prager Burg sind zum Schutz der Originale als Computerdateien gespeichert worden. Die Digitalisierung dient auch dazu, Archiv-Bestände zugänglich zu machen.
„Historische Pläne werden nicht besser, wenn man sie herauszieht. Trotzdem brauchen wir sie immer wieder“, sagte die Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner am Freitag bei der Vorstellung des Projekts. Auch die Universität Leiden ist beteiligt. Die Europäische Union förderte die aufwendige Arbeit am Digitalen Europäischen Kathedralen-Archiv DECA.
Die Computerexperten boten alles auf, um die Originale zu schonen. Ein Scanner in Doppelbett-Größe wurde in der Kölner Dombauhütte aufgebaut. Der Lichtbalken fuhr über die Dokumente, damit nur die Abschnitte dem Licht ausgesetzt waren, die gerade erfasst wurden, und das nur möglichst kurz. Für die wissenschaftliche Arbeit schraubten die Datenerfasser die Auflösung so hoch, dass schon die Datei eines einzigen Plans mehr Speicherplatz braucht als eine CD-ROM bietet.
Entsprechend gut ist die Wiedergabe. Auf dem Computerausdruck eines Domturmplans sind selbst Fingerabdrücke von Leuten zu sehen, die das Original früher einmal in der Hand hatten. Vergrößerungen lassen Bezeichnungen erkennen, die die Zeichner der Pläne in früheren Jahrhunderten mit Lupe und spitzem Stift eingetragen haben müssen.
Es wurden zwar rund 50 000 Pläne, Grafiken und Fotos erfasst, sie sind aber nur ein Bruchteil der jeweiligen Archive. In Köln seien vor allem Zeichnungen und historische Fotos von Domteilen digitalisiert worden, deren Erneuerung ansteht, sagte Schock-Werner, außerdem Belege für die Zerstörungen rund um den Dom im Zweiten Weltkrieg.
Auch in Wien kamen Bilder vom Wiederaufbau unter den Scanner, sowie Fotos, die Einblicke in die Bausubstanz gewähren. Die Universität Leiden steuerte Dias der Weltarchitektur bei, vor allem aus Zentraleuropa. Und das Archiv der Prager Burg war froh, einen Teil seines Bestands digital sichern lassen zu können.
Die Daten wurden in verschiedenen Auflösungen erfasst – in höchster Qualität für Wissenschaftler und Baumeister, weniger dicht zur Speicherung auf CD, und als kleine Dateien für das Internet, wo sie von September an unter „www.deca-forum.net“ stehen.
Wenn ein Bauingenieur künftig einen Blick auf einen Originalplan werfen muss, kann das Dokument im Archiv bleiben – das verlängert seine Lebensdauer. Dasselbe gilt für Fotos, die beispielsweise ein Verlag für einen Bildband einsehen und abdrucken will. Dass die Digitalisierung ihre beiden Zwecke – Originale schonen und zugleich besser zugänglich machen – erfüllt, daran gibt es also keine Zweifel.
Fachleute warnen aber vor dem Irrglauben, dass die Informationen damit für alle Zeiten gerettet wären. Ob heutige Computerdateien jemals so alt werden wie die Originalpläne und Fotos, ist fraglich. Datenträger verfallen, Software und Hardware ändern sich, die Dateien müssen also immer wieder neu gesichert und auf aktuelle Medien kopiert werden. „Wir empfehlen, das Original als erste und wichtigste Sicherung gut zu behandeln“, sagte Ed Gartner von der Firma CD-LAB, die für das Scannen der Dokumente verantwortlich war.
Internet: DECA – verfügbar von September 2003 an: http://www.deca-forum.net
Quelle: FR-online, 22.8.2003
Gemeindewappen stieß im Hauptstaatsarchiv auf Ablehnung
Wäre es nach dem Wunsch der Gemeindeverwaltung Krailling und dem damaligen Bürgermeister Johann Baptist Huber gegangen, würde das Kraillinger Gemeindewappen heute anders aussehen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die Verwaltung einen Antrag, das Wappen des ehemaligen Hofmarksherren Graf von Berchem als Gemeindewappen zu bekommen.
Bereits seit 1949 wurde über ein neues Gemeindewappen verhandelt, das vorhergehende aus der Zeit des Nationalsozialismus wollte man nicht behalten. „Die Wappen waren ja zur Nazi-Zeit mit einem Hakenkreuz versehen“, berichtet Ludwig Ziegler, Verwalter des Kraillinger Gemeindearchivs. Die Grafen von Berchem bewohnten im 18. Jahrhundert das Schloss auf dem heutigen Linner-Areal. Auf dem Familien-Wappen, das im Zimmer von Geschäftsleiter Adolf Lorenz als Holzschnitt an der Wand hängt, schlängelt sich ein Flüsschen, gesäumt von einem Schloss sowie einem Baum. „Eigentlich sieht es ja bis auf das Schloss sehr ähnlich aus“, sagt Lorenz.
In einem Schreiben vom 31. Januar 1951 formulierte der zuständige Archivar des Hauptstaatsarchivs erleichtert: „Die ursprüngliche Absicht, das Wappen der Grafen von Berchem als Vorlage dafür zu benützen, wurde auf den Rat des Hauptstaatsarchivs hin erfreulicherweise fallen gelassen.“ Die Tatsache der nur kurzen Wohndauer des Geschlechts in Krailling rechtfertige geschichtlich „die Übernahme des Familienwappens für das gemeindliche Wahrzeichen nicht“, so der Verfasser weiter.
Für das neue Wappen schlug das Hauptstaatsarchiv folgende Lösung vor: „In Blau ein silberner Schrägfuß, beseitet von je einer silbernen Tanne.“ Mit der Farbgebung solle auf die Landeszugehörigkeit angespielt werden. Der Münchner Kunstmaler Emil Werz hatte die Vorlagen und Entwürfe für das Wappen geliefert.
Am 14. März 1951 konnte der Staatsminister des Inneren, Wilhelm Hoegner, an die Regierung von Oberbayern endlich die Zusage zur Verleihung eines Gemeindewappens für Krailling schreiben: „Der Gemeinde wird auf ihren Antrag das Recht zur Führung eines Wappens verliehen.“ Nach gut zwei Jahren Verhandlungszeit bekam Krailling sein Wappen – ohne dem abgebildeten Schloss. Aber das steht ja in Wirklichkeit auch nicht mehr.
Kontakt:
Gemeinde Krailling
Rudolf-von-Hirsch-Straße 1
82152 Krailling
Tel.: 089/85706-0
Fax: 089/85706-44
E-mail:rathaus@krailling.de
http://www.krailling.de/
Quelle: Münchner Merkur, 23.8.2003
Situation im Stadtarchiv Eisenberg
Durch das jahrzehntelange Chaos im Stadtarchiv Eisenberg ging vieles unter, so auch die Ehrenbürgerschaft von zwei ehemaligen Nazi-Größen. Im Zusammenhang mit dem Widerruf der Ehrenbürgerschaft der Stadt Eisenberg für die ehemaligen Nazis Sauckel und Marschner wurde mehrfach die Frage gestellt: Wieso hat man nicht früher gemerkt, dass diese Männer noch Ehrenbürger sind?
Kurz gefasst lautet die Antwort: Weil im Stadtarchiv über lange Zeiträume Chaos herrschte, vieles verloren oder verschütt´ gegangen ist. Ausführlich beantworten die heutigen Mitarbeiter die Frage im folgenden Text.
Das Stadtarchiv Eisenberg wurde im Jahre 1855 vom städtischen Hilfsschreiber Theodor May angelegt und erschlossen. Nach Abschluss seiner Arbeit wurde nicht weiter an dem Archiv gearbeitet, so dass sich viele Akten ansammelten und lose herumlagen. Untergebracht war das Archiv damals unterm Dach des Rathauses.
Der Dachstuhlbrand im Rathaus in der Silvesternacht 1905/1906 brachte eine noch größere Unordnung in die Akten und über 200 Aktenbände verbrannten vollständig, ein weiterer großer Teil ist seitdem stark angekohlt. Aus Platzmangel wurde das Archiv im Schloss untergebracht. Ab Anfang März 1906 begann Dr. Ernst Devrient aus Jena, es neu zu ordnen. Die alten Findbücher wurden in ihrem Originalzustand belassen und ein Schlagwortverzeichnis angelegt. Dieses ist leider heute nicht mehr vorhanden. Bis 1909 übernahm Professor Fischer die weitere Betreuung des Archivs.
Zwischen 1910 und 1912 betreute Herr Matthes, ein Stadtangestellter, das Archiv. Dann war es bis 1922 unbesetzt. 1922 wurde es wiederum von Dr. Devrient geordnet und ergänzt. Leider wurde das Archiv dann wieder sich selbst überlassen – bis 1945. Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges wurden sehr viele Akten von den damaligen Machthabem vernichtet und auch auf Anweisung der sowjetischen Militäradministration später Archivalien aus den Beständen entfernt.
Nach 1945 wurde das Archiv jeweils vom Standesbeamten mitverwaltet. 1952 kam es aus dem Schloss wieder ins Rathaus und wie schon vor 100 Jahren unters Dach. Aber nach kurzer Zeit wurde es wieder ausgeräumt und ohne jede Ordnung gestapelt und aus fachlicher Sicht völlig unzureichend in zwei weiteren Behelfsunterkünften untergebracht.
1957 erhielt das Archiv neue Räume in einem Seitengebäude des FDGB-Hauses, doch bei der Rekonstruktion 1975 kam es zu erheblichen Schäden am Archivgut und massiven Verschimmelung der Akten. Also alles zurück auf den Rathausboden.
1978 suchten Rat der Stadt und Rat des Kreises gemeinsam nach einer Lösung, z. B. im VEB Vereinigte Elektrobetriebe ,Am Pforrsbrunnen´, doch kein Plan führte zu einem Ergebnis.
Ende der 70-er Jahre kam das Archiv in die Karl-Liebknecht-Straße 9. Auch eine Notlösung, die Luftfeuchtigkeit war zu hoch, die Räume nicht beheizbar. Selbst in der ehemaligen „Ammerschen Fabrik“ in der Mühlenstraße verbesserten sich die Bedingungen für Archivgut und Mitarbeiter kaum.
Es gab weder Telefon, Toilette noch Waschbecken, im Winter herrschten Temperaturen um die null Grad.
Erstmals in der langjährigen, von vielen Widrigkeiten geprägten Geschichte erhielt das Archiv 1995 geeignete Magazinräume als „Gedächtnis der Stadt“: Im Verwaltungsgebäude II der Stadtverwaltung Eisenberg am Markt 13/14.
Nach der Archivgut wurde spätern auch die Büroräume der Mitarbeiter verlegt, ein separater Benutzerraum eingerichtet und der historische Buchbestand in Extraräumen im Hintergebäude Markt 13/14 untergebracht.
Seither stiegen auch die Benutzerzahlen deutlich an: Von 60 Anfragen (1993) über 856 (1998) auf 1045 (2002). Seit 1993 wurden auch erstmals historisch besonders wertvolle Archivalien restauriert. Der Bestandserhaltung dient auch die kontinuierliche Mikroverfilmung von Zeitungen und Akten.
Kontakt:
Stadtarchiv Eisenberg (Thüringen)
Markt 27
07607 Eisenberg (Thüringen)
Tel.: (036691) 73461
Fax: (036691) 73460 oder 45318
Email: Ebg.Stadt.Archiv@t-online.de
Quelle: OTZ, 23.8.2003
Archivierung von Websites und Webtransaktionen
Die elektronische Archivierung hat sich inzwischen als probates Mittel etabliert, große Mengen von Informationen langfristig und sicher aufzubewahren und zu verwalten. Die Archivierungstechnologie hat sich in mehreren Schüben vom Scannen von Papierdokumenten über die Speicherung von Office-Dokumenten, die Übernahme von Out-put-Dateien bis hin zur Speicherung komplexer Objekte entwickelt. Vom Ansatz her ist es für ein elektronisches Archivsystem unerheblich, welche Arten und Formen von Objekten es speichert. In dem Maße wie die elektronische Flut steigt und zunehmend zum Information Overflow führt, gewinnen elektronische Archivsysteme immer mehr an Bedeutung. Dokumente entstehen in immer größerem Maße nur noch elektronisch und sind nicht mehr für eine physische Repräsentation auf Papier ausgelegt.
Das Internet verändert den Dokument-Begriff
Besonders das Internet trägt derzeit zum exponentiellen Wachstum von Information bei. Neben den traditionellen DV-Systemen hat sich mit Websites, CMS Content-Management-Systemen und Portalen eine eigene Welt entwickelt. In dieser neuen Welt des WCM Web Content Management gelten viele Regeln der Vergangenheit offenbar nicht mehr. Neuartige Formen von Dokumenten, die dynamisch zur Laufzeit in unterschiedlichsten Präsentationsformen für verschiedenste Formen der Nutzung generiert werden, lassen den Begriff eines statischen Dokumentes immer mehr verschwimmen. War ein gescannter Beleg immer noch ein authentisches, bildhaftes, in sich geschlossenes Abbild eines physischen Originals, so wird durch neue Technologien wie XML der Zusammenhang zwischen Inhalt, beschreibenden Daten sowie Struktur, Layout und Format bewusst aufgelöst. Nur so können Inhalte für unterschiedliche Nutzungszwecke verwendet, personalisiert und für verschiedenste Systemlandschaften bereitgestellt werden. Bei einem solchen Dokument ist nur noch sehr schwer festzustellen, welche Repräsentationsform eigentlich das Original ist. Ein Dokument kann heute alles sein – ein elektronisches Fax, ein Worddokument, eine Transaktionsprotokolldatei, eine elektronisch signierte E-Mail, ein dreidimensionales digitales Modell, eine Web-TV-Aufzeichnung, eine Host-Druckdatei, ein JPEG- Photo. eine verlinkte HTML-Seite, usw. Durch die rasante Weiterentwicklung gerade im Webumfeld wurden die Probleme für die elektronische Archivierung, besonders durch dynamisch verknüpfte komplexe Objekte, immer größer.
Das Web – ein schnelllebiges Medium
Die Erwartungshaltung an Webangebote ist einfach zu beschreiben – Websites müssen interessant, immer aktuell und einfach zu bedienen sein. Dabei nimmt man auch in Kauf, das Inhalte einer Webseite überschrieben und verloren gehen. Schon heute sind eine Vielzahl der Links in Suchmaschinen tot. Sie produzieren den bekannten „404 Datei nicht gefunden Fehler“ oder führen auf einen ganz anderen Inhalt. Das Internet verändert sich ständig. Zahlreiche frühe Websites sind heute nicht mehr vorhanden und auch nicht rekonstruierbar. Private Initiativen versuchen schnappschussartig Teile des Webs zu konservieren, scheitern jedoch an der Menge der Websites und der Menge der Information. Hinzu kommt die anschwellende Menge von Plagiaten, Kopien, gestohlenen Inhalten und redundant, nur mit leichten Änderungen vorgehaltener Information im Rahmen der Content Syndication. Eine Suchanfrage über eine Suchmaschine produziert immer mehr Einträge ohne dass man eine Gewähr der Richtigkeit, Vollständigkeit, Originalität und Aktualität der Information hat. Die Betreiber von Websites nehmen hier ihre Verantwortung auch nicht sehr ernst und als Nutzer des Internetangebotes hat man sich an diese Zustände fast schon gewöhnt. Dabei gibt es nicht nur den Anspruch des Historikers an die Dokumentation von Webinhalten, sondern auch handfeste gesetzliche Regelungen, die die Betreiber von Webseiten verpflichten, die Inhalte ihrer Seiten zu nachvollziehbar zu dokumentieren.
Die kaufmännische Perspektive
Über Websites werden zunehmend elektronisch Geschäfte angebahnt oder abgewickelt:
- Jeder der auf seine Webseite für kommerzielle Zwecke Angebote, Preislisten oder andere handels- und steuerrechtlich relevante Informationen stellt, ist verpflichtet diese auch zu dokumentieren. Diese Information ist häufig nur noch elektronisch vorhanden und kann daher auch nur noch elektronisch archiviert werden.
- Besondere Anforderungen kommen hinzu, wenn über die Website oder das Portal direkt elektronisch Geschäfte abgewickelt werden. Der Geschäftsgang dokumentiert sich dann häufig nur noch in einem Datensatz, einer Bestätigungs-E-Mail einer elektronischen Abbuchung und einer elektronischen Auslieferung, sei es durch Übersendung einer Datei oder eines Passwortes. Auch bei der Bestellung eines physischen Objektes, eines Blumenstraußes, eines Buchs oder eines Autos, findet der gesamte Geschäftsprozess bis zur Auslieferung nur noch elektronisch statt.
- Die Behandlung von Vermittlungsgeschäften über elektronische Plattformen führt zu weitverzweigten, nur aufwendig nachvollziehbaren geschäftlichen Verflechtungen mit unterschiedlichen Rechtscharakter. In den USA gibt es bereits über 100.000 Händler, die EBAY als Plattform für ihre Geschäfte nutzen und deren Abwicklung bis zur Lieferung zu 100% elektronisch durchgeführt wird. Bei B2B-Plattformen wird der gesamte Angebots-, Auswahl-, Bestell- und Abrechnungsvorgang zwischen mehreren Beteiligten im Rahmen einer Supply-Chain nur noch digital abgewickelt. Nach dem ersten Einbruch des Dot.Com-Booms zeichnet sich hier die zweite Welle des E-Business ab.
- Digital Rights Management für die Übertragung und Berechung von Nutzungsrechten an elektronischen Inhalten stellt besondere Anforderungen an die Dokumente selbst als auch an den Nachweis, welche Information mit welchen Rechten an wen übertragen wurde.
- Durch den Einsatz elektronischer Signaturen erhalten digitale Geschäfte eine neue rechtliche Qualität, die durch die Signaturgesetzgebung und die damit verbundene Anpassung anderer Gesetze zur Gleichstellung elektronischer und papiergebundener Dokumente führt. Damit werden vollständig elektronisch durchführbare Geschäfte zwischen Geschäftspartnern, die sich nicht kennen, möglich.
Für die Dokumentation dieser Geschäfte reicht die Versionierung, Historisierung und Archivierung der Webseiten nicht aus. Sie muss um Transaktionsarchivierung, elektronische Posteingangs- und Postausgangsbücher, um das Abgreifen der Aktionen des Nutzers einer Webseite und besonders um die vollständige Integration mit den Daten aus den nachgelagerten internen Verarbeitungs- und Verwaltungshandlungen verknüpft werden. Hier beginnt meistens bereits das Problem: Websites haben häufig ein Eigenleben und sind nicht mit der betriebswirtschaftlichen Software eines Unternehmens oder einer Organisation verknüpft.
Die E-Government-Perspektive
Durch den MEDIAKOM-Wettbewerb und die BUNDONLINE2005-Initiative ist in das Thema Webpräsenz in der öffentlichen Verwaltung viel Bewegung gekommen. Kaum eine Kommune oder Behörde, die nicht inzwischen ihre eigene Webseite unterhält. Hierbei sind entsprechend dem Inhalt und der Form der Interaktion unterschiedliche Qualitäten zu unterscheiden:
- Bei amtlichen Veröffentlichungen, die eine gewisse Rechtsverbindlichkeit haben, ist in jedem Fall zu dokumentieren, welche Inhalte in welchem Zeitraum im Web veröffentlicht worden sind. Hierbei ist auch eine Kennzeichnung des rechtlichen Charakters der Veröffentlichung sicherzustellen. Dies ist besonders wichtig, bei Vorabveröffentlichung von Entwürfen, unterschiedlichen Versionen eines Dokumentes und anderen sich verändernden Inhalten. Bezieht sich ein Besucher der Webseite auf ein solches Dokument, muss der Behörde der Nachweis möglich sein, welche Version mit welcher Rechtsqualität im Web angeboten worden ist.
- Bei Amtshandlungen, wie z.B. der Beantragung eines KFZ-Kennzeichens, einer Umzugsmeldung oder einem Passantrag muss die gesamte Transaktion einschließlich der Authentifizierung des Nutzers gewährleistet sein. Werden über das Web eingegebene Informationen in nachgelagerten Systemen weitergeleitet und verarbeitet, ist der Nachweis des kompletten Prozesses notwendig um die Ordnungsmäßigkeit und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen. Hierzu sind auch elektronische Posteingangsbücher zu realisieren und bei personalisierten Websites mit individualisierter Gestaltung auch die Situation, in der der Bürger diese Dienste genutzt hat, aufzuzeichnen.
- Werden Rechtsgeschäfte mit kaufmännischem Charakter wie z.B. Abrechnung von Dienstleistungen, Ausschreibungen mit elektronischer Abgabe von Angeboten und Zuschlagserteilung oder vergleichbare Transaktionen durchgeführt, müssen diese analog zu den Anforderungen an die freie Wirtschaft elektronisch revisionssicher dokumentiert werden. Hierbei spielen elektronische Signaturen zunehmend eine wichtige Rolle. Da der Gültigkeitszeitraum von personengebundenen qualifizierten Signaturen deutlich unter den Aufbewahrungsfristen für kaufmännisch oder rechtlich bindende Dokumente liegt, stellen sich hier besondere Anforderungen an die elektronische Archivierung.
- Wird ein Portal einer öffentlichen Verwaltung auch als Träger- und Vermittlungsplattform für Dienstleistungen Dritter benutzt, seien es nun städtische Betriebe oder Geschäftsleute auf einer kommunalen B2B-Plattform, sind hier natürlich besondere Dokumentationspflichten in beide Richtungen notwendig- zum nutzenden Bürger oder Unternehmen als auch zum anbietenden Dienstleister. Die öffentliche Verwaltung tritt hier als Kommunikationsdienstleister mit einer ganzen Reihe von Verpflichtungen auf.
In allen diesen Szenarien spielen besondere Verpflichtungen der öffentlichen Verwaltung nach dem BDSG, dem TDSG, dem Signaturgesetz und vielen anderen Verordnungen und Gesetzen eine Rolle. Bei vielen politisch motivierten Projekten wurde häufig nicht über die rechtlichen und technischen Konsequenzen eines Webauftrittes nachgedacht. Bei vielen Webseiten der öffentlichen Hand spielte dies auch häufig keine eine Rolle, da Transaktionen über das Web einfach ausgedruckt und in der Gittermappe auf dem Aktenwägelchen durch die Gänge geschoben, sprich herkömmlich weiterverarbeitet werden. Der Medienbruch zwischen den „aufgemotzten“ Webseiten und den internen Verwaltungsabläufen ist immer noch eines der größten Probleme.
Anforderungen an Archivsysteme für Webseiten
Zu aller erst muss festgehalten werden, dass man keine eigenständige Archivierung von Webinhalten und Webtransaktionen betreiben sollte – die elektronische Archivierung ist als Infrastruktur zu betrachten, die allen Anwendungen eines Unternehmens oder einer Behörde gleichermaßen zur Verfügung stehen muss. Ziel dieses Ansatzes ist, unabhängig von der erzeugenden Anwendung alle Informationen in ihrem Sach- und Nutzungszusammenhang zu verwalten. Elektronische Archive sind die universellen Wissensspeicher, die aktions- und prozessbezogen die benötigten Informationen aktuell, vollständig, authentisch und im Zusammenhang wieder bereitstellen müssen. Für die Archivierung im Webumfeld müssen folgende Funktionen vorhanden sein:
- Datenbankgestützte, kontrollierte Verwaltung und Zugriffsmöglichkeit auf die gespeicherten Informationen. Hierbei sind Metadaten für die sichere und vollständige Identifizierung der gespeicherten Objekten, gegebenenfalls aber auch Suchmöglichkeiten über die Inhalte der Objekte selbst vorzusehen.
- Standardschnittstellen zur Einbindung sowohl in Website-Editions-, Nutzungs- und Verwaltungsprozesse als auch in die internen Anwendungen, die ebenfalls diese Daten und Dokumente nutzen können sollen
- Verwaltung einheitlicher Metadaten zur Beschreibung von Webinhalten, die auch den Zugriff über das Archivsystem ermöglichen, und andere Records Management Funktionen
- Umfangreiche Protokollierungs-, Audit-Trail- und Journalfunktionen um Transaktionsarchivierung, Capturing von Webformularen und elektronische Posteingangsbücher realisieren zu können
- Konverter und Rendition-Management, um aus Webinhalten unabhängige Formate generieren zu können, bei denen auch dynamische Verbindungen „eingefroren“ und dokumentierbar gemacht werden können. Diese Tools sind auch erforderlich, um die Information in unterschiedlichen Umgebungen verfügbar zu machen.
- Versionierung, um Dokumente selbst als auch die Bezüge zwischen Dokumenten verwalten zu können
- Berechtigungssysteme und Berechtigungssystematiken, um unabhängig vom Erzeuger von Inhalten auf die Dokumente unabhängig, vollständig und langfristig zugreifen zu können
- Verwaltung von elektronischen Signaturen, Zertifikaten und den zugehörigen Objekten über den Lebenszyklus von qualifizierten, personengebundenen Signaturen hinaus
- Revisionssicherheit zum Nachweis der Unverändertheit, Vollständigkeit und Authentizität der gespeicherten Informationen mit einem umfangreichen internen Kontrollsystem zum Nachweis von Veränderungen am System
- Migrationswerkzeuge um die kontrollierte, verlustfreie und richtige Überführung von Inhalten auf neue Plattformen und in neue Systeme zu ermöglichen
Viele dieser Funktionen gehören zum Standardrepertoire eines professionellen Archivsystems, einige sind jedoch speziell für die Belange von Webseiten und Portalen sowie für Schnittstellen und Dokumentformate im Internet-Technologie-Umfeld anzupassen.
Die elektronische Archivierung ist das Gedächtnis der Informationsgesellschaft
Dieses Zitat von Erkki Likaanen, EU-Kommissar für die Informationsgesellschaft, zeigt noch eine andere Dimension des Aspektes Archivierung von Webinhalten und Webtransaktionen auf – neben rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind für Webinhalte auch kulturelle und historische Faktoren zu berücksichtigen. Das Internet ist nicht nur eine weltweite Kommunikations- und E-Business-Plattform, es ist auch ein gigantischer Informations- und Wissensspeicher, dessen Inhalt es gilt für zukünftige Generationen aufzubewahren. In der Vergangenheit war es die Aufgabe von Archivaren, Registraren und Dokumentaren Information für die Nachwelt aufzubereiten, zu bewerten und zu konservieren. Der „staubige Archivjob“ ändert sich vom Berufsbild immer mehr zum Informationsmanager. Bei der Bewahrung elektronischer Information kommt der Archivierung von Webinhalten eine immer größere Bedeutung zu, da immer mehr Dokumente und Daten nur noch für den Zweck einer Webpräsentation entstehen. Bei der Planung von Webseiten und Portalen sollten denn auch Archivare Gehör finden, damit von Anfang an die Belange der elektronischen Archivierung berücksichtigt werden.
Quelle: contentmanager.de, 04/2003 und 08/2003
Virtuelle Reise durch die Schatzkammern der Stabi
Die Berliner Staatsbibliothek gewährt in einer neuen Ausstellung Einblicke in ihre Schatzkammern historischer Drucke. In der Schau „Ex Bibliotheca Regia Berolinensi – Galaxie des Wissens“ werden bibliophile Werke aus fünf Jahrhunderten in moderner Form präsentiert: virtuell und multimedial auf CD-ROM, an Terminal-Installationen und im Internet (www.galaxie-des-wissens.de).
Videosequenzen, Tondokumente, interaktive Funktionen und Detailansichten ermöglichen eine Entdeckungsreise durch den drei Millionen Bände umfassenden historischen Druckschriftenbestand. Vom Plakatdruck der 95 Thesen Martin Luthers bis zur Tarnschrift aus dem Zweiten Weltkrieg reicht die Palette der Exponate. Zu sehen ist die Multimedia-Präsentation im Haus 1 der Staatsbibliothek Berlin, Unter den Linden 8.
Quelle: Die WELT, 22.8.2003
Tag der offenen Tür im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden
40.000 laufende Meter Akten werden im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrt. Ein schöner, aber klotziger, denkmalgeschützter Bau im Dresdner Regierungsviertel, voll mit Unterlagen, Urkunden, Karten und Plänen aus mehr als tausend Jahren. Die Überlieferung des sächsischen Staates seit dem 10. Jahrhundert. Hier wird aufbewahrt, was in sächsischen Behörden und Gerichten produziert oder dokumentiert wurde, damit unsereiner heute noch mal nachlesen kann: Zum Beispiel, wie sich die Markgrafen Friedrich III. und Balthasar von Meißen am 13. Mai 1356 über die Unteilbarkeit ihrer Länder auf Lebenszeit einigten, oder wie die Abgeordneten des Sächsischen Landtags 1881 den „humoristischen Rundgesang“ pflegten, oder wie die Jugendlichen der Firma Sanitätshaus Beckert in Bautzen Spottgedichte auf die SED schrieben. Aufbewahrt auch, damit künftige Generationen noch einmal im „Bericht der Unabhängigen Kommission der Sächsischen Staatsregierung zur Flutkatastrophe 2002“ nachschlagen können.
Da kommt natürlich ganz schön was zusammen. 20 Kilometer Akten werden jährlich in sächsischen Behörden angelegt, schätzt Andrea Wettmann, die Sprecherin des Staatsarchivs. Aber höchstens zwei bis fünf Prozent landen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist im Staatsarchiv. „Wir schlagen Schneisen“, sagt Andrea Wettmann. „Eine unserer Hauptaufgaben ist das Vernichten.“ Was übrig bleibt, ist umfangreich genug. Der Archivbestand wächst und wächst, dabei ist das Gebäude auf der nach ihm benannten Dresdner Archivstraße schon mehr als voll. Längst werden Neuzugänge andernorts in Depots verwahrt, beispielsweise in Kamenz.
Thermokopien sind der „totale Horror“
Dringend müsste das Haus aus dem Jahre 1915 saniert werden. Der Fahrstuhl ist von 1935, Heizung, Elektrik und andere Technik sind ebenfalls antik. Von Klimatisierung ganz zu schweigen. Die großen Jugendstilfenster sind zwar schön, aber so viel Licht ist Gift für die offen in Regalen lagernden Akten. Behelfsweise sind die Scheiben derzeit mit gelber Folie beklebt, die vor UV-Strahlen schützt. „Wir brauchen auch dringend einen Magazin-Neubau“, sagt Archivleiter Guntram Martin. Fürs kommende Jahr sind erste Planungsmittel versprochen, vielleicht wird 2005 mit einem Neubau begonnen.
Die äußere Hülle ist das eine, das Innenleben ist nicht weniger problematisch. Denn die Aktenberge bröseln. Ungeschützt liegen die Mappen übereinander in alten Regalen, verstauben und verrotten. Dabei sind die rein mechanischen Schäden am Papier noch harmlos, erklärt Archivleiter Martin. Vor allem Industriepapiere sind anfällig für chemische Prozesse, die die Unterlagen schrittweise auflösen. Thermokopien zum Beispiel seien „der totale Horror“. „Wir sind bei der Lagerung bis an die Grenze des Machbaren gegangen“, sagt Martin.
Seit eineinhalb Jahren wird nun endlich verpackt. Ein riesiger Kraftakt bei laufendem Betrieb. 26 Hilfskräfte packen Päckchen, zwei Jahre lang. 25.000 laufende Meter Archivgut werden in 150.000 Kartons umgelagert. „Arbeit statt Sozialhilfe“ heißt die Fördermaßnahme, die die Hilfskräfte stellt und bezahlt. Auch dazu wird es wohl Akten geben, und auch die landen wohl wieder in Archiven, um verpackt zu werden.
Heiko Voigt steht zwischen den verstaubten Regalen im stickigen sechsten Stock und schwitzt. 18 Grad wären ideal, in den vergangenen Wochen war er froh, wenn es nur 35 waren. Mitten im Sächsischen Kriegsarchiv. Zurzeit sind die Monatslisten des königlichen Hauptzeughauses dran. 1859 und folgende. Verpflegung und Ausstattung der 7. Artillerie-Division. Mit viel Mühe lassen sich die Namen der Soldaten entziffern. Heiko Voigt guckt aber gar nicht rein. „Man kann das Meiste sowieso nicht lesen“, sagt der 34-Jährige.
Er greift zum Staubsauger. Mappe für Mappe entstaubt er mit einer Spezialbürste, schaut nach äußerlichen Beschädigungen, wickelt die Mappen in weißes Pergamentpapier und legt sich sorgfältig ab in säurefreie „Stülpdeckelkartons Nr. 4, aus Archivpappe, hell“. Alles wird sorgfältig beschriftet. Überall stehen Unmengen Kartons rum, zwischen den Regalen, in den Gängen auf den Fluren. Der Platz reicht einfach nicht mehr aus, denn verpackt brauchen die Akten viel mehr Lagerraum. Dafür kommen die Archivare sehr viel schneller an das, was sie suchen.
Zehn bis zwölf Meter schafft Heiko Voigt pro Tag. Eine ganz leichte Arbeit ist das nicht. Der Staub, die stickige Luft. Und volle Konzentration. Wehe, irgendwas kommt hier durcheinander. „Eine Minute Unaufmerksamkeit bedeutet 100 Jahre suchen“, hat Archivleiter Martin den Hilfskräften anfangs klargemacht. Den Spruch haben sie sich ans schwarze Brett geheftet. 20 000 laufende Meter haben die 26 Männer und Frauen bisher geschafft. Die Akten aus dem Forstrevier Moritzburg zum Beispiel warten noch oder die der sächsischen Gesandschaft in Wien aus der Zeit, als Sachsen noch Außenpolitik betrieb.
Eigentlich sei es ein Unding, dass überhaupt in den Magazinen gearbeitet wird, sagt Martin. Allein die menschlichen Ausdünstungen machen vielen Dokumenten zu schaffen. Anderswo, in modernen Archiven, sei das undenkbar. Aber irgendwie müssen die Mappen ja in die Kartons kommen. Nur die ganz wertvollen Stücke werden schon immer in Spezialschränken unter besonderen Bedingungen gelagert.
Die Schlüssel zu Augusts Privatgemächern
Die Schlüsselaffäre am Hof August des Starken zum Beispiel, dokumentiert durch königliche Schreiber und zwei Abdrücke von Schlüsseln zu Augusts persönlichen Gemächern. Die hatte 1718 seine Mätresse Maria Magdalena Gräfin von Dönhoff herstellen lassen. Die geplante Nachfertigung der Schlüssel in Prag kam jedoch aus unbekannten Gründen nicht zustande. 1719 übergab die an der Intrige beteiligte Maria Magdalena Helena von Schlangen die Schlüsselabdrücke an den König und geriet dabei selber in Verdacht. Doch August ließ schließlich Gnade vor Recht ergehen. Dies ist eine von vielen Episoden, deren Dokumente das Hauptstaatsarchiv am Sonnabend während eines Tags der offenen Tür zeigt. Besucher können dort interessantes Archivgut einsehen. Den Niederlassungsvertrag zwischen Sachsen und den USA mit eindrucksvollem Siegel zum Beispiel, 1846 unterschrieben vom US-Präsidenten James K. Polk und dem Außenminister und späteren Präsidenten James Buchanan. Oder die kuriose Tatortskizze eines Mordfalls in der Niederlößnitz. Die Leiche der Hanne Rosine Hässlich war am 5. März 1847 im Hof ihres Hauses gefunden worden. Direkt neben der Hundehütte. Das machte der Zeichner gleich mehrfach deutlich. Vor der Hütte bellt auf der Skizze ein kleines Tier, und damit’s keiner übersieht, steht noch deutlich darüber geschrieben „Hund“.
Am Sonnabend, 23. August, beteiligt sich das Sächsische Hauptstaatsarchiv erstmals mit einem „Tag der offenen Tür“ am „Gläsernen Regierungsviertel“ in Dresden. Von 11 bis 16 Uhr werden einmalige Originale aus der sächsischen Geschichte gezeigt.
Kontakt:
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
Archivstraße 14, 01074 Dresden
Frau Dr. Andrea Wettmann
Tel.: 0351/8006-138
andrea.wettmann@archive.smi.sachsen.de
Quelle: sz-online, 22.8.2003
Neues Verfahren Kohl gegen Birthler
Am 17. September wird das Berliner Verwaltungsgericht über die juristische Auseinandersetzung zwischen dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, verhandeln.
Im Oktober 2002 hatte Kohl der Birthler-Behörde für den Fall mit einem Ordnungsgeld gedroht, dass sie Unterlagen über ihn an Journalisten oder Historiker herausgäbe. Kohl ist der Meinung, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das ihn als „Betroffenen oder Dritten“ im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes sieht, schütze ihn dauerhaft davor, dulden zu müssen, dass Stasi-Beobachtungen über ihn publiziert werden.
Frau Birthler reichte gegen die Androhung eines Ordnungsgeldes im Oktober 2002 eine sog. Abänderungsklage beim Verwaltungsgericht ein: Sie ist der Ansicht, das im Sommer 2002 novellierte Gesetz schaffe eine neue Rechtsgrundlage für die Herausgabe von Akten prominenter Stasi-Bespitzelter.
Das Gericht wird über die Klage von Frau Birthler zu entscheiden haben. Hilfsweise haben Kohls Anwälte „Wiederklage“ gegen die Herausgabe von Unterlagen über ihn erhoben. Nach Auskunft eines der Anwälte Kohls zeigt ein in Auftrag gegebenes Gutachten, dass die Neufassung des Stasi-Unterlagengesetzes gegen das Grundgesetz verstößt.
Quelle: FAZ, 21.8.2003, S. 4.
Methoden und Kriterien der Fimrestaurierung
Das Material, aus dem Kino gemacht wird, ist unwiderstehlich. Die Körnung der Bilder, die Kontrastierung des Lichts, die Intensität von Farben und Musik haben schon Generationen von Filmkritikern zu poetischen Höhenflügen veranlasst. „Nicholas Ray ist Kino“, hat Jean-Luc Godard gesagt, als er noch Filmkritiker war – und ihm später sein filmisches Werk gewidmet.
Wie viel Kino das Werk eines einzelnen Regisseurs sein kann, hat kürzlich die erste komplette Nicholas-Ray-Retrospektive im Pacific Film Archive in Berkeley gezeigt. Rays Filme haben alles, wovon das Kino lebt. Gerade deshalb waren sie immer schon besonders anfällig. Die Folgen waren während der Retrospektive unübersehbar. So stand eine rotstichige Kopie von Rays farbenprächtigem Bibelfilm „King of the Kings“ einer kristallinen, in ihrer perfekt rekonstruierten Hypernatürlichkeit fast surrealistisch anmutenden Kopie von „Johnny Guitar“ gegenüber. Magenschmerzen bereitete vielen Zuschauern die in Schweden aufgefundene und bemitleidenswert ramponierte Kopie von „The Lusty Man“. Standing Ovations hingegen gab es für eine krispe, liebevoll restaurierte Kopie von „They Live by Night“. Und doch konnte dieser Höhepunkt nicht darüber hinwegtäuschen, welch schweren Stand die Filmkunst – und nicht nur die Nicholas Rays – heutzutage hat. Sie löst sich buchstäblich auf.
Neuen Konzepten der Bestandspflege wird heute nicht nur in filmwissenschaftlichen Kreisen immer größere Bedeutung beigemessen. Denn es geht unter anderem darum zu zeigen, dass sich Filmpräservation und -restaurierung nicht ausschließlich mit der Vergangenheit befassen, sondern im Gegenteil ein noch sehr junges Arbeits- und Forschungsfeld bilden. Das befindet sich auf dem jüngsten Stand der digitalen Technik, und seine kulturelle Bedeutung ist im Informationszeitalter immens. Das Kino mag zwar per se kein aussterbendes Medium sein, seine Daten jedoch, die Filme nämlich, befanden sich immer schon auf vergänglichen Trägern.
Das größte Problem der Filmarchive besteht derzeit darin, dass die neu entwickelten digitalen Sicherungsmedien, die das Lagern großer Datenmengen ermöglichen, schneller obsolet sind, als die Archivare und Restauratoren weltweit mit der Sicherung der gigantischen Bestände an Originalkopien nachkommen können. Dietrich Schüller, der Direktor des Österreichischen Phonogrammarchivs und Mitarbeiter der Unesco-Studie „A Philosophy of Audiovisual Archiving“ (1998), sagt, dass heute bereits 80 Prozent aller Stummfilme und mehr als die Hälfte aller Tonfilme für die Nachwelt verloren seien. Ein Verfall, der sowohl die marginalen Werke der Filmgeschichte als auch Hollywood-Klassiker wie „The Sound of Music“ betrifft, der zurzeit von der American Academy wieder in präsentable Form gebracht wird. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Der Impuls zum Restaurieren ging im Wesentlichen von den großen Hollywood-Konzernen aus, allen voran Sony. Sie erkannten Mitte der 80er-Jahre, dass die Filmbestände aus der Studio-Ära langsam zerfielen. Dies betraf nicht nur das äußerst empfindliche und leicht entflammbare Nitrozellulose-Material, auf dem bis in die 50er-Jahre gedreht wurde, sondern im selben Maße auch die vermeintlich sichereren Acetat-Filme der letzten fünfzig Jahre, auf die man nach der Verbannung der explosiven Nitro-Filme aus den Lichtspielhäusern umstieg.
Das auf Acetatzellulose basierende Filmmaterial erwies sich zwar als weit weniger feuergefährlich, war aber wie der Nitro-Film chemisch nicht sehr beständig. Schlechte Lagerzustände wie Hitze und Feuchtigkeit haben über die Jahre bei vielen Kopien das so genannte „Vinegar Syndrome“ hervorgerufen, bei dem eine der Essigsäure verwandte Substanz vom Material freigesetzt und von dort auf andere Kopien übertragen wird. Erst in den 80er-Jahren gingen die Filmlaboratorien dazu über, Polyester als Filmmaterial für Sicherungskopien zu verwenden.
Die wissenschaftliche Disziplin Filmrestaurierung befindet sich heute an einem entscheidenden Wendepunkt. Da die erste Expertengeneration sich ihr Handwerk noch selbst beibringen musste, fehlten ihr lange ein professionelles Selbstverständnis sowie ein kritisches Rahmenwerk im Hinblick auf theoretische, methodische und ethische Fragen, das die jahrezehntelangen beruflichen Erfahrungen schließlich in einem fundierten Programm, einer Art Philosophie, zusammengefasst hätte.
Hier ist in den letzten Jahren vor allem in den Filmarchiven selbst wichtige Basisarbeit geleistet worden. Der Internationale Zusammenschluss von Filmarchiven (FIAF) verfügt seit einigen Jahren über einen dezidierten Satzungsbeschluss, den „Code of Ethics“, der, basierend auf der Unesco-Studie von 1998, allen Mitgliedern klare Richtlinien im Umgang mit seltenem Filmmaterial vorgibt. Ganz oben auf der Liste steht der Schutz der Integrität des Materials sowie der Schutz gegen jede Form der Manipulation, Verstümmelung, Verfälschung oder Zensur. Der „Code of Ethics“ ist heute ein verbindlicher Standard, der auch in den führenden Filmpräservationsprogrammen an der Universität Los Angeles (UCLA) und der Jeffrey Selznick School am George Eastman House in Rochester, New York, gelehrt wird.
Wer aber zeichnet nun für die Pflege des Filmbestandes verantwortlich? Und wer kommt für die anfallenden Kosten auf? Die belaufen sich immerhin auf knapp 40.000 US-Dollar pro restaurierter Kopie; 100 Jahre materialgerechter Lagerung würden pro Kopie mit etwa 4.500 Dollar zu Buche schlagen. Kulturpolitisch wurde Film schon immer weniger als universales Gut denn als nationales Erbe betrachtet. Aber der Staat hat ganz andere Sorgen, als sich mit dem verblichenen Andenken seiner Filmgeschichte zu befassen – besonders dann, wenn es ihn Geld kostet. Der Filmrestaurator Martin Körber, der unter anderem für die digitale Restauration von Fritz Langs „Metropolis“ (2001) verantwortlich zeichnet, sieht die Grundlage für einen verantwortungsvollen Umgang vor allem darin, dass das Bewusstsein für Film als kulturhistorisch relevanter Kunstform hoch entwickelt ist. Dieses Bewusstsein muss notwendigerweise nationale Interessen überwinden.
Interessanterweise ist solch ein kulturelles Bewusstsein aber besonders in solchen Ländern stark ausgeprägt, in denen eine nationale Filmkultur von einer einflussreichen und potenten Filmindustrie Rückhalt erfährt. In Europa gilt das vor allem für Frankreich, in geringerem Maße auch für England und Italien. Dass die partikularen nationalen Interessen Hand in Hand mit einem universalen, in den Filminstitutionen weltweit kultivierten Bewahrergeist gehen, war maßgeblich für die rasanten Fortschritte, die in den letzten zehn Jahren auf dem Feld der Filmrestauration zu verzeichnen sind.
Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Retrospektive auf der diesjährigen Berlinale war ein gelungenes Beispiel für solch eine internationale Kooperation. Nicht zuletzt die enge Zusammenarbeit der Friedrich-Wilhelm Murnau-Stiftung, die seit ihrer Gründung 1966 den nach dem Zweiten Weltkrieg von den Westalliierten beschlagnahmten Filmstock der ehemals reichseigenen Produktionsgesellschaften UFA, Universum Film, Bavaria, Tobis und Terra verwaltet, mit dem National Film and Television Archive des British Film Institute, der 20th Century Fox, dem L'Immagine Ritrovata in Bologna und anderen Institutionen gewährleistete den Erfolg der Retrospektive und der begleitenden Panels.
Und wer bezahlt die Rechnungen, die durch solche aufwändigen Restaurierungsprojekte anfallen? Eine Frage, die die prekäre Situation der Filmrestaurierung in Deutschland verdeutlicht. In den USA befinden sich von jeher sowohl Filmrechte als auch Filmmaterial in solventer privater Hand, nämlich in der der Hollywood-Studios. Diese verfügen über Möglichkeiten, die Budgets für ihre Archive sowohl mit Einnahmen aus aktuellen Titeln als auch durch den immer noch boomenden amerikanischen DVD-Markt, der mit Filmklassikern noch längst nicht gesättigt ist, abzudecken. Allein Sony restauriert im Jahr fast 300 Filme aus dem Bestand. Deutschland dagegen verfügt nicht über eine vergleichbare Filmindustrie; so bleibt es finanziell schwach ausgestatteten Institutionen wie der Murnau-Stiftung oder dem Filmmuseum München überlassen, die historisch-wissenschaftliche Arbeit mit der Filmgeschichte zu pflegen.
Die Murnau-Stiftung hat in dieser Hinsicht erste Schritte unternommen, die Pflege des Filmstocks zu professionalisieren. In enger Zusammenarbeit mit der Transit Film GmbH arbeitet die Stiftung daran, die kommerzielle Auswertung ihres Rechtebestandes durch gewerblichen Kinoverleih, eine weitreichende Video- und DVD-Vermarktung sowie den Lizenzhandel mit TV-Sendern und Vertriebsfirmen im Ausland zu verbessern. Die im April veröffentlichte Edition von deutschen Stummfilm-Klassikern, zu der neben vier Murnau- und drei Lang-Filmen auch „Der Golem“ und Joe Mays „Asphalt“ gehören, war das erste Großprojekt, mit dem die Murnau-Stiftung die filmrestaurative Arbeit in Deutschland internationalen Maßstäben angleichen will. Manche Experten meinen, dass es höchste Zeit ist.
Denn nur, wenn Filmgeschichte sichtbar bleibt, schärft sich das Bewusstsein für die Bedeutung des Films als künstlerischer Gestaltungsform. Wenn die Bilder aus der – wie es im Jargon der Unesco heißt – „World Memory“ gelöscht sind, bleibt nichts als ein flackernder Schein auf leerer Leinwand.
Quelle: taz Nr. 7136 vom 21.8.2003, Seite 15.
