Drei Handschriften des Nibelungenliedes in einer Ausstellung

Dies ist eine Gelegenheit, die zu unseren Lebzeiten nicht wiederkehren wird: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte sind die drei ältesten und wichtigsten Handschriften des Nibelungenliedes in einer Ausstellung versammelt. Und es ist gut möglich, daß es auch das letzte Mal sein wird. Nur wenige Schritte trennen die drei klimatisierten Vitrinen voneinander, in denen die Handschriften A, B und C liegen. Sie stammen aus München, St. Gallen und Karlsruhe, wo die Handschrift C seit drei Jahren aufbewahrt wird, nachdem das Haus Fürstenberg das kostbare Manuskript 1999 zum Verkauf angeboten hatte. Der spektakuläre Ankauf aus Mitteln der Bundesrepublik und der Landesbank Baden-Württemberg bot den Anlaß zu dieser reichen Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, von der man ohne Übertreibung sagen darf, daß sie einmalig ist. Denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß die verschiedenen Leihgeber noch einmal bereit sein werden, die Risiken auf sich zu nehmen, die Transport und Präsentation derart empfindlicher Objekte nun einmal mit sich bringen.

Alle drei Handschriften stammen aus dem dreizehnten Jahrhundert und dürften in Schreibstätten im alemannisch-bayerischen Alpenraum oder in Tirol entstanden sein. Keine der Handschriften gibt das Original wieder, dessen erste schriftliche Fixierung etwa um das Jahr 1200 erfolgt sein dürfte. Die Anfänge des Nibelungenliedes liegen im Dunkeln, der Verfasser ist ebensowenig bekannt wie der Entstehungsort. Es spricht jedoch viel dafür, daß Wolfger von Erla, Bischof von Passau von 1191 bis 1204, der Auftraggeber des Werkes war.

Der Dichter des Nibelungenliedes griff auf jahrhundertealte Überlieferungen zurück, die teilweise bis in die Zeit der Völkerwanderung zurückreichten. Die vernichtende Niederlage eines germanischen Stammes gegen eine Hunnenstreitmacht, die vielleicht in römischen Diensten stand, dürfte der historische Kern der Dichtung gewesen sein, die in vielen verschiedenen Formen und Kulturkreisen überliefert wurde. So zeigt die Ausstellung etwa um 1020 in Mittelschweden entstandene Felsritzungen mit Szenen der Sigurdsage oder einen Bildstein von der Insel Gotland, wo sich seit dem neunten Jahrhundert die frühesten Zeugnisse der Nibelungensage erhalten haben. Der Drachentöter, eine ursprünglich eigenständige Überlieferung mit merowingischen Wurzeln aus dem fünften Jahrhundert und der Nibelungenhort sind Motive, die auch in der „Edda“ zu finden sind, der nordischen Liedersammlung.

Als sich der unbekannte Dichter um 1200 an die Arbeit machte, hatten in einer Jahrhunderte überspannenden Kette mündlicher Überlieferungen ganz unterschiedliche Motive zusammengefunden, die nun nach den damals herrschenden literarischen Moden und Gesetzen der Heldenepik erstmals schriftlich niedergelegt wurden. Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg waren Zeitgenossen des „Nibelungenlied“-Dichters, der seinen Stoff auf 39 Âventiuren verteilte, die wir heute als Kapitel wahrnehmen. Im Mittelhochdeutschen bedeutete das Wort soviel wie Erzählung, Begebenheit oder Abenteuer.

Über den individuellen Anteil des jeweiligen Schreibers an Inhalt und Form des Nibelungenliedes hat die Fachwelt viel diskutiert. Zunächst hatte man die Existenz eines als verbindlich anzusehenden Originals angenommen, das mehr oder minder präzise kopiert wurde. Später wurde der Kopist zu einer Art Redakteur, der nicht Abschriften, sondern eigenständige Fassungen erstellte. Genaue Vergleiche der drei Handschriften haben weitreichende Übereinstimmungen, aber auch gravierende Abweichungen im Detail erkennen lassen.

Auch die äußere Form variiert stark. Während Handschrift A und B den Text platzsparend zweispaltig präsentieren, weist Handschrift C nur eine Spalte auf. Wie kostbar aber auch für ihren Schreiber das Pergament gewesen sein muß, zeigt ein Kuriosum: Das prächtige Initial auf der ersten Seite ist spiegelverkehrt. Der Schreiber muß das U also mechanisch kopiert haben, konnte den Fehler aber später nicht mehr korrigieren. Noch weniger Wert auf Vollkommenheit der kostbaren Handschrift legte der Sammler und Historiker Joseph von Laßberg, der sie 1815 während des Wiener Kongresses erwarb und mit seinem Exlibris verunstaltete.

Als Laßberg die Handschrift C mit dem Geld einer Freundin, der Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg, erwarb, war ihre Existenz gerade einmal sechzig Jahre bekannt. Der Lindauer Arzt Jacob Hermann Bodereit hatte sie am 29. Juni 1755 in der Bibliothek des Grafen von Hohenems entdeckt, sein Freund Johann Jacob Bodmer veröffentlichte nur zwei Jahre darauf eine erste Edition und prägte den Vergleich mit Homers „Ilias“. Eine einzigartige, auch unheilvolle Rezeptionsgeschichte begann, die von den Freiheitskriegen bis zum Ersten Weltkrieg reichte, als der Reichskanzler von Bülow Österreich der „Nibelungentreue“ versicherte und nach der Niederlage die „Dolchstoßlegende“ erfunden wurde. Zahllose Künstler wie Füssli, Schnorr von Carolsfeld, Peter Cornelius, Richard Wagner, Fritz Lang und zuletzt Heiner Müller und Moritz Rinke schrieben an dieser Nachgeschichte mit. Die politische Instrumentalisierung des „Nibelungenliedes“ erreichte ihren trostlosen Höhepunkt unter den Nationalsozialisten, als Göring den todgeweihten Soldaten im Kessel von Stalingrad die Nibelungen als Vorbild für einen sinnlosen Heldentod empfahl.

Die Rezeption des Nibelungenliedes wird in der überaus sehenswerten Karlsruher Ausstellung ausführlich dokumentiert, nimmt aber sinnvollerweise deutlich weniger Raum ein als der Versuch, die Lebenswelt der Nibelungen vorzustellen. Dazu wurden zahlreiche, oft einzigartige Objekte zusammengetragen, die unter Überschriften wie „Rittertum“, „Von Lindwürmern und Drachen“, „Höfische Jagd“ oder „Schiffahrt auf Fluß und Meer“ motivgeschichtliche Hintergründe erhellen. Ein kostbarer Tragaltar, eine Einbaumtruhe und die fast tausendjährigen Überreste eines Bootes illustrieren die Reise der Burgunden, die auf der Donau ihrem Tod an Etzels Hof entgegenfuhren. Ein prächtiges Aquamanile und achthundert Jahre alte hölzerne Daubenbecher und Drechselteller geben einen Eindruck von einer mittelalterlichen Festtafel. In Kinderaugenhöhe angebrachte, leicht verständliche Kurztexte sowie zahlreiche Zusatzveranstaltungen wie eine kalligraphische Schreibwerkstatt sorgen dafür, daß auch Kinder Zugang zu einer grausamen, faszinierenden und widersprüchlichen Welt finden, die nicht all ihre Geheimnisse preisgeben will. Noch immer wissen wir etymologisch nicht, was es eigentlich bedeuten soll, das Wort von den „Nibelungen“.

Info:
Die Ausstellung läuft noch bis zum 14. März. Der Katalog kostet im Buchhandel 29,90 Euro. Am heutigen Samstag (28.2.) findet von 18.30 bis 24 Uhr eine „Nibelungen-Nacht“ mit Vorträgen, mittelalterlicher Musik und einer Theateraufführung statt.

Kontakt:
Badisches Landesmusem Karlsruhe
Schloss
76131 Karlsruhe
Tel.: 0721 / 926 – 6514
Fax: 0721 / 926 – 6537
E-Mail: info@landesmuseum.de

Quelle: FAZ, 28.2.2004, Nr. 50, S. 37

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