Ansichten vom Rande des Kölner Kraters

Kölns Kulturdezernent Professor Georg Quander besuchte laut Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers (KSTA) vom 15. März 2009 die Einsturzstelle des Historischen Archivs der Stadt Köln in der Severinstraße am 14. März gemeinsam mit dem Direktor der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek – \“und zeigte sich erschüttert über das Ausmaß der Zerstörung\“. Gleichwohl werden Perspektiven zur baulichen Zukunft des Kölner Stadtarchivs benannt. Nach Einschätzung Quanders werde Köln frühestens in fünf Jahren ein neues Stadtarchiv haben können. Zunächst müsse ein Standort für den Bau gefunden werden, die Bauphase und die anschließende Austrocknung der Wände und Räume dauere ihre Zeit, so der Kulturdezernent.

Schwierigkeiten bereitet nicht nur ein realer Neubau, zu Komplikationen scheint auch der Aufbau eines virtuellen Kölner Stadtarchivs führen zu können. Auf Initiative des Vereins \“Prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre e.V.\“ wurde einige Tage nach dem Einsturz des Archivs das \“digitale Historische Archiv Köln\“ (www.historischesarchivkoeln.de) ins Netz gestellt. Ehemalige Kölner Archivbenutzer werden gebeten, im Zuge eigener Forschungen erstellte Reproduktionen und Exzerpte von Archivgut aus dem Stadtarchiv nunmehr online zu stellen, um die Rekonstruktion der Bestände zu unterstützen. Die Kopien und Abschriften sollen nach Möglichkeit entsprechend der Systematik des Archivs hochgeladen werden. Dass das \“digitale Historische Archiv Köln\“ nach eigener Auskunft \“dem öffentlichen Anspruch auf \’freien Zugang\‘ (Open Access)\“ folgt, stößt nicht nur auf Gegenliebe. Die Direktorin des Kölner Stadtarchivs, Dr. Bettina Schmidt-Czaia, verweist laut KSTA beispielsweise auf das Problem, dass die Stadtarchivbenutzer etwaige Kopien von Kölner Archivalien lediglich zur eigenen Nutzung erhalten hätten, nicht aber zur Weiterverbreitung, z.B. im Internet. \“Besser wäre es, uns diese Kopien zur Verfügung zu stellen\“, appelliert sie daher an die Forscher.

Letztlich muss sichergestellt werden, dass das Historische Archiv der Stadt Köln möglichst umfänglich wieder in den Besitz des eigenen Archivgutes gelangt – physisch und virtuell. Hierzu bedarf das Kölner Stadtarchiv auf Jahre hinaus der Unterstützung breiter Kreise der (Fach-)Öffentlichkeit und der Solidarität der Zunft. – Schmidt-Czaia selbst forderte am 15. März in der WDR-Fernsehsendung West.art am Sonntag, dass sofort mit der Planung eines Archivneubaus begonnen und ein Digitalisierungszentrum eingerichtet werden müsse.

Die Beurteilung der unübersichtlichen Lage in den ersten Tagen nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs war von Spekulationen über Ursachen und Ausmaß der Katastrophe ebenso geprägt wie von eiligen und voreiligen Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen. Auch mussten gute und gut gemeinte Solidaritätsaktionen und Hilfsmaßnahmen in rechte Bahnen gelenkt werden. Das berechtigte öffentliche Interesse nach Erklärungen zu und Erkenntnissen aus den Kölner Ereignissen ist nach wie vor groß.

Gleichzeitig sollte aber zunehmend die Sachlichkeit bei der Aufarbeitung des Geschehens die Oberhand gewinnen. Die Bergung des Archivgutes wird noch Wochen und Monate dauern; sie konnte erst nach dem Auffinden der beiden verschütterten Anwohner intensiviert werden und muss zugleich unter größter Vorsicht geschehen, da die Einbruchstelle schwer abzusichern ist. Meinungsäußerungen vom Rande des Kraters sind angesichts der Bestürzung, die dessen Eindruck weiterhin hinterlässt, nicht immer sachdienlich.

Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln hat tragischerweise zwei Todesopfer gefordert. Wie viel mehr Opfer hätten beklagt werden müssen, wenn nicht das Archiv, sondern das gegenüberliegende Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in den Krater des U-Bahn-Baus gerutscht wäre! Die Stadt Köln hat einen Teil ihrer Vergangenheit verloren, glücklicherweise aber nicht ihre Zukunft.

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Kontakt:
Historisches Archiv der Stadt Köln
Telefon: 0221-22124455 oder 0221-22128746 (nur in dringenden Fällen)
claudia.tiggemann-klein@stadt-koeln.de
monika.frank@stadt-koeln.de

Jens Murken, Bielefeld

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