Zwei Geburtstage sind es, die den äußeren Anlass dafür bieten, den diesjährigen Tag der Westfälischen Kirchengeschichte in Freudenberg im Siegerland zu begehen. Vor 275 Jahren wurde der Freudenberger Johann Christian Stahlschmidt geboren, und am 12. September desselben Jahres 1740 kam im Siegerländer Örtchen Grund bei Hilchenbach Heinrich Jung zur Welt, der später als Jung-Stilling berühmt werden sollte. Beide Persönlichkeiten sollen auf der Tagung am 11. und 12. September 2015 in den Blick kommen.
Am Freitag berichtet Pastor Thomas Ijewski im Freudenberger
Tillmann-Siebel-Haus mit zahlreichen Fotos über Stahlschmidt, der mit 19 Jahren aus dem Freudenberger Elternhaus floh, in Amsterdam auf einem Segelschiff der Vereinigten Ostindien-Kompanie anheuerte und nach Südostasien, Indien und China reiste. Später lebte er als Prediger in Nordamerika. Zwischenzeitlich knüpfte er enge Kontakte zu dem Liederdichter Gerhard Tersteegen, baute Webstühle und Globen und gründete mit anderen die Elberfelder Missionsgesellschaft
Danach referiert der Theologe und Kirchenhistoriker Dr. Ulf Lückel aus Marburg über die Wittgensteiner Pietisten und ihre Verbindungen nach Halle (Saale) und nach Herrnhut im 18. Jahrhundert. Der Wittgensteiner Pietismus wurde in seiner zweiten Phase in der Berleburger Grafschaft unter der Regierung des Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (1687–1741) erheblich von Halle aus inspiriert. Seit den 1730er Jahren trat die Herrnhuter Brüdergemeine mit ihrem Begründer Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) in Wittgenstein auf und etablierte hier für eine kurze Phase eine ihrer Diasporagemeinden.
Sodann besteht die Möglichkeit, eine Ausstellung im Freudenberger Stadtmuseum 4FACHWERK zu besuchen. Unter dem Titel „Unser Volk betet wieder, … wenigstens am Anfang des Krieges“ werden mannigfache Einblicke in die Kirchenkreise Siegen und Wittgenstein im Ersten Weltkrieg geboten.
Am Abend hält Prof. Dr. Wolf Friedrich Schäufele, Kirchengeschichtler an der Universität Marburg, den Hauptvortrag in der Ev. Kirche Freudenberg. Er wird das Leben von Johann Heinrich Jung-Stilling zwischen Aufklärung und Erweckung beleuchten. Als junger Mann verdingte sich Jung-Stilling einige Jahre mit mäßigem Erfolg als Hauslehrer und arbeitete als Kaufmannsgehilfe. In Straßburg begegnete er Goethe, der sein schriftstellerisches Talent erkannte und für die Veröffentlichung der Autobiographie Jung-Stillings sorgte. Als Augenarzt kurierte Jung-Stilling rund 3.000 Patienten und lehrte später als Professor für Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg und Marburg. Als Berater des badischen Kurfürsten Karl-Friedrich hatte er auch Verbindungen zum russischen Zaren Alexander I.
Nach einer Andacht mit Superintendent Peter-Thomas Stuberg wird am Samstagmorgen Prof. Dr. Christian Peters aus Münster Ludwig Friedrich Graf zu Castell-Remlingen (1707–1772) vorstellen. Dieser Verwandte von Zinzendorf erweckte 1737 Solingen und Elberfeld und wurde später zum Objekt westfälisch-pietistischer Gegenspionage.
Im Anschluss daran gibt Archivdirektor Dr. Johannes Burkardt aus Münster Einblicke in die Entstehung des Jung-Stilling-Denkmals in Hilchenbach. Vor der Kirche, an prominenter Stelle auf dem Marktplatz steht dort ein imposantes Denkmal, das 1871 nach jahrzehntelangen, deutschlandweiten Bemühungen der Anhänger Stillings zur Erinnerung an den berühmten Sohn der Stadt errichtet wurde.
Nach dem Mittagessen schließt sich eine Exkursion an: Zunächst wird das Vereinshaus in Freudenberg-Mausbach besichtigt, dann geht es nach Hilchenbach, wo das Jung-Stilling-Denkmal in Augenschein genommen werden kann. Sodann führt die Exkursion nach Grund, also zum Geburtsort Jung-Stillings. Auch wenn dessen
Geburtshaus leider abgebrannt ist, gibt es in dem auf den Grundmauern errichteten Neubau ein kleines Museum mit manchen Erinnerungsstücken, die fachkundig erläutert werden.
An der Tagung, die vom Verein für Westfälische Kirchengeschichte vorbereitet worden ist, können Interessierte ohne Anmeldung teilnehmen. Auch der Besuch von einzelnen Veranstaltungen ist problemlos möglich.
Die Fachwerkstadt Freudenberg mit der 1606 gebauten Evangelischen Kirche ist in diesem Jahr Tagungsort für den Verein für Westfälische Kirchengeschichte. Interessierte sind zu den verschiedenen Vorträgen und zur Exkursion eingeladen, der Eintritt ist frei.
Link: Programm
Foto-Repro: T. Ijewski