Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 2/2020

Unter dem Titel „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ berichtet das Stadtarchiv Gera vierteljährlich über aktuelle Entwicklungen und historische Themen rund um eigene Arbeit. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie hatte auch das Stadtarchiv Gera für rund zwei Monate seine Türen für die öffentliche Benutzung schließen müssen. Unter Berücksichtigung der allgemein geltenden Hygieneregeln (Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und Einhaltung der Abstandsregeln) ist das Stadtarchiv Gera seit dem 18.5.2020 wieder für die Benutzung geöffnet. Da aufgrund der geltenden Hygienevorgaben nur eine beschränkte Anzahl an Benutzerinnen und Benutzern im Lesesaal zeitgleich forschen kann, ist eine vorherige schriftliche oder telefonische Anmeldung und Terminbestätigung durch das Stadtarchiv zur Einsichtnahme in das Archivgut unerlässlich.

In seinem 2. Informationsbrief 2020 spannt das Stadtarchiv Gera einen chronologischen Bogen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die jüngste Vergangenheit. Dabei werden die Streiche der „bösen Geraer Gassenjungen“ ebenso in den Blick genommen wie die um 1950 verpönte „Amerikanisierung im Tanzsaal“ in der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Wanderbericht aus einem historischen Stadtführer sowie die Bildvorstellung eines Exponates aus der neuen Ausstellung in der Geraer Kunstsammlung mit dem Titel „Wundersam Wirklich. Magischer Realismus aus den Niederlanden“ laden zur Erkundung der Stadt Gera und ihrer Sehenswürdigkeiten ein.


Abb.: Pyke Koch: Vrouwen in de straat (Frauen auf der Straße), 1962-1964

Zu dem Bild schreibt Dr. Claudia Schönjahn, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunstsammlung Gera, in den Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 1/2020: Pyke Kochs „Frauen auf der Straße“ könnten auch von dem Geraer „Spießerschreck“ Otto Dix stammen, der in den 1920er-Jahren mit seinen Darstellungen leichter Mädchen in aufreizender Haltung den braven Bürger provozierte. Der 1901 geborene niederländische Maler Pyke Koch, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Pieter Frans Christian hieß, benannte sich nach der Pykestraat, einer in Nimegens Rotlichtviertel gelegenen Straße, in der er einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Diese Kindheitserfahrungen prägten ihn grundlegend und so beschäftigte er sich in seinen Werken immer wieder mit Sexualität und Genderthemen zu einer Zeit, als dies noch ziemlich verpönt war. Tatsächlich ist der Titel „Frauen auf der Straße“, den der Maler seinem Gemälde gab, auch nicht ganz korrekt. Bei genauer Betrachtung wird erkennbar, dass die vermeintliche Dame in der Bildmitte mit roter Perücke und grauer Federboa eigentlich ein Mann ist, nämlich Pyke Koch selbst. Er und sein(e) Nachbar(in) zu seiner Rechten beobachten mit geöffneten Mündern einen Vorgang, der dem Betrachter verborgen bleibt, während die dritte Person im Bild ihren Blick in entgegengesetzte Richtung schweifen lässt. Die drei befinden sich vor einem herunter gekommenen Gebäude – der Ziegelbau mit dem metallenen Pflock im Vordergrund lässt an eine verlassene Fabrikhalle denken. Dass die drei eher am Rande der Gesellschaft stehen, wird nicht nur aus der Umgebung ersichtlich: Details wie die schlechten Zähne verweisen auf ihre prekäre soziale Stellung. Auch in weiteren Werken behandelt Pyke Koch solche Außenseiterthemen. So stellt er in seinem auf dem ersten Blick sehr romantisch wirkenden Gemälde mit dem Titel „Nocturne“ („Nachtstück“) ein Pissoir dar – ein bis dato unerhörtes Bildmotiv! Dazu kommt, dass solche Örtlichkeiten oft als Treffpunkt Homosexueller dienten. Auch hier lenkte er auf hintergründige Weise die Aufmerksamkeit auf Genderthematiken und war damit seiner Zeit voraus.

Die Ausstellung kann bis zum 30.8.2020 im Rahmen der Öffnungszeiten (Mittwoch bis Sonntag sowie an Feiertagen von 12.00 bis 17.00 Uhr) der Kunstsammlung Gera in der Orangerie besichtigt werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Gera
Gagarinstraße 99/101
07545 Gera
Tel. 0365/838-2140 bis 2143
stadtarchiv@gera.de
www.gera.de/stadtarchiv

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