Der grobe Gottlieb zu Dannenwalde

Was einen flüchtigen Strafgefangenen mit einer toten Preußenkönigin und sowjetischen Raketen verbindet.

Gleichsam am Ausgang des sogenannten Fürstenberger Zipfels, bis Ende 1933 zu Mecklenburg-Strelitz und seit Mitte 1950 zu Brandenburg gehörend, liegt das ehemalige Gutsdorf Dannenwalde. Der nebst Tornow südlichste mecklenburgische Ort, 1890 erstmals an der 200-Einwohner-Marke kratzend, zeigt auf dem Ansichtskartenmarkt verblüffende Präsenz. Dafür genügten im Grunde vier seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aufgenommene Fotomotive: das ganz gern als Schloss bezeichnete Guts- oder Herrenhaus, gefolgt von – in dieser Reihenfolge – Gastwirtschaft und neugotischer Oktogon-Kirche, und schließlich das 1877 errichtete Bahnhofsgebäude.

Die Häufigkeit des Gasthof-Motivs mag zunächst irritieren, aber das ändert sich bei genauerem Hinsehen. Denn die Ansichtskarten ließen den jeweiligen Dorfkrug-Inhaber nicht ungenannt: W. Albrecht, O. Günther, H. Lordain und Fritz Rickmann. Zumindest letzterer nannte sein mit drei verschiedenen Aufnahme-Perspektiven vertretenes Haus, vor welchem Hintergrund auch immer, „Der grobe Gottlieb“ und warb überdies mit „Gute Küche, solide Preise“.


Abb.: Dannewalde – Dorfstraße mit Gasthof (Foto: Landeshauptarchiv Schwerin: LHAS, 13.2-5, Nr. 1/170)

„Werbung“ ist dann wohl das Stichwort für die Präsenz der Wirtschaft auf den im Übrigen von verschiedenen Verlagen produzierten Ansichtskarten – die Inhaber nutzten sie für Werbezwecke. Einem der Verleger unterlief in der Herstellung ein vermutlich flüchtiger und dennoch schwerwiegender Fehler, aus dem sich diese „Archivalie des Monats Februar“ des Landeshauptarchivs Schwerin letztlich speist.

Die Buchbinderei und Papierhandlung Paul Fielitz in Fürstenberg vergaß ein „n“ zu setzen, so dass deren undatierte Postkarte nicht Dorfstraße und Gasthof im mecklenburgischen „Dannenwalde“ zeigte, sondern in einem nicht zu lokalisierenden „Dannewalde“! Über eventuelle Konsequenzen lässt sich lediglich spekulieren, aber das Wirtshaus bietet dann doch mehr als nur die Folie für ein Kuriosum. Einerseits stellte es zumindest 1925 ein Kunst- und Geschichtsdenkmal des Freistaates Mecklenburg-Strelitz dar, fand es sich doch mit Foto im gleichnamigen Kompendium des Stargarder Kirchenrates Georg Krüger wieder, im Übrigen neben bzw. nach der erwähnten Dorfkirche und dem Herrenhaus. Andererseits war der Dorfkrug am Morgen des 7. November 1850 nichts weniger als ein Schauplatz von National-, wenn nicht gar von Weltgeschichte. Und zwar weder erst- noch letztmalig.

Denn zum einen war er am 25. Juli 1810 der letzte mecklenburgische Ort bei der Überführung des Leichnams der am 19. Juli mit nur 34 Jahren in Hohenzieritz verstorbenen preußischen Königin Luise geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, deren antinapoleonischer Patriotismus sie bereits zu Lebzeiten zur Ikone und nach ihrem Tod zum Mythos werden ließ, nach Berlin-Charlottenburg. Allerdings widersprechen sich die Quellen, ob der Wechsel von einer Strelitzer auf eine preußische Eskorte im mecklenburgischen Dannenwalde oder im preußischen Fischerwall – je keinen halben Kilometer entfernt von der über den sogenannten Wentow-Kanal zwischen Kleinem und Großen Wentow-See verlaufenden mecklenburgisch-preußischen Grenze – stattfand. Auf der einst preußischen Seite erinnert jedenfalls ein 1811 errichteter, 1910 restaurierter und 2002 sanierter Gedenkstein an das Geschehen.

Und zum anderen hätte am 14. August 1977 von Dannenwalde aus, seit 1952 dem DDR-Bezirk Potsdam zugehörig und damit letztlich nicht einmal mehr brandenburgisch, gut und gern ein dritter Weltkrieg seinen Lauf nehmen können. Vermutlich von einem Blitzschlag ausgelöst flogen zwischen 14.00 und 19.45 Uhr dort stationierte sowjetische Katjuscha-Raketen unkontrolliert da durch die Luft, wo auch Kern- oder chemische Waffen vermutet wurden. Zum Ärgsten kam es nicht, es ließen „nur“ 70 Angehörige der Roten Armee ihr Leben und zivile Sachschäden in Höhe von 37.000 DDR-Mark fielen an. Ob davon auch die nunmehrige Konsum-Gaststätte „Alter Dorfkrug“, wie der „grobe Gottlieb“ in der DDR hieß, betroffen bzw. zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch existent war, ist gegenwärtig nicht geläufig.

Doch zurück zur Weltgeschichte, die am 7. November 1850 kurz in Dannenwalde rastete. Die Deutsche Revolution von 1848/49 formte manchen Biedermann zum politisch Radikalen, so auch den Bonner Universitätsprofessor für Kunst-, Literatur- und Kulturgeschichte Gottfried Kinkel. Als Teilnehmer am Sturm auf das Siegburger Zeughaus und am Badischen Aufstand geriet er in die Fänge der preußischen Justiz, die sich mit einer lebenslangen Zuchthausstrafe revanchierte. Allerdings war diese Rechnung ohne den ehemaligen Studenten Carl Schurz gemacht, der seinen Professor in der Nacht vom 6. auf den 7. November spektakulär aus der Festung Spandau befreite. Sie entwichen gen Norden, „bis die Flüchtlinge die Strelitzsche Grenze bei Dannenwalde erreichten. Sie atmeten hoch auf, als sie das mecklenburgische Wappen erblickten. Die dringendste Gefahr war überstanden. In Dannenwalde machten sie kurze Rast. Der Gastwirth daselbst hat später gerichtlich ausgesagt, daß am 7. November Morgens 8 Uhr zwei Fremde in einer Chaise mit zwei dunklen abgetriebenen Pferden bei ihm angekommen wären. […]. Von Dannenwalde fuhren die Flüchtlinge in langsamerem Tempo nach der Strelitzschen Stadt Fürstenberg, wo sie anhalten und ausspannen mußten, weil die Pferde keinen Schritt mehr vorwärts konnten.“

So beschrieb es später der Rostocker Anwalt Moritz Wiggers, der beiden zu einem Schiff ins sichere England verhalf. Gottfried Kinkel reüssierte dann in England und der Schweiz, Carl Schurz in den USA – als Lincolns Botschafter in Spanien, als Unions-General im Bürgerkrieg, als Senator für Missouri und als Innenminister.

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Quelle: Dr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin, Archivalie des Monats Februar 2021

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