Wider das digitale Vergessen: Bits und Bytes fuer die Ewigkeit

Datenbanken ersetzen Karteikästen, Bilddateien ersetzen Fotoabzüge und Textdateien ganze Bücher. Doch wer kann in zehn Jahren noch Disketten lesen? Digitale Medien sind in Museen, Bibliotheken und Archive eingezogen und schaffen dort neue Probleme, wo sie alte gelöst haben. Zurück zu Papier und Holzkästen will freilich niemand mehr. Vielmehr geht es jetzt darum, die Aufgaben und Probleme der digitalen Langzeitarchivierung anzupacken und das Vertrauen, das Museen, Archive und Bibliotheken bei herkömmlichen Medien genießen, auch auf elektronische Medien zu übertragen: Sind dort gespeicherte elektronische Informationen authentisch, und sind sie auch in Zukunft noch nutzbar?

Einen Workshop zum Thema „Vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive: Kriterien und deren Bewertung“ veranstaltet das Kompetenznetzwerk zur Langzeitarchivierung „nestor“ (Network of Expertise in Long-Term Storage of Digital Resources) am Dienstag, dem 21. Juni von 10:30 bis 17:30 Uhr in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Ludwigstr. 16, 80539 München.

Der kostenlose Workshop richtet sich vorrangig an Museumsmitarbeiter, Bibliothekare und Archivare, steht aber grundsätzlich auch Fachleuten verwandter Professionen offen. Ein ausführliches Programm sowie Hinweise zur notwendigen Anmeldung findet sich auf der nestor-Homepage unter http://www.langzeitarchivierung.de. Ziel des Workshops ist es, die von der nestor-Arbeitsgruppe „Vertrauenswürdige Archive – Zertifizierung“ bisher entwickelten Kriterien unter Fachleuten zu diskutieren, ein Echo aller Beteiligten zu erhalten und eine Basis für Zertifizierungen zu erarbeiten. 

Zu den Unterlagen des Workshops gehören Fragebögen für Bibliotheken, Museen und Archive, die sich auch als Checklisten für eine Umsetzung der elektronischen Langzeitarchivierung verwenden lassen. Diese Fragebögen stehen online auf der Web-Seite des Workshops zur Verfügung (www.langzeitarchivierung.de). Einer der Redner des Münchner Workshops ist Peter Rödig (Universität der Bundeswehr München), der über Qualitätsstandards im Kontext der Langzeitarchivierung informiert. Die Universität der Bundeswehr hat erst vor kurzem in der Reihe der kostenlosen nestor-Materialien die Abhandlung „Vergleich bestehender Archivierungssysteme“ veröffentlicht. Dieses Dokument ist als PDF-Datei von der nestor-Homepage herunterzuladen oder dort zum Selbstkostenpreis als gedrucktes und gebundenes Exemplar zu bestellen.

Kontakt:
nestor – Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung und Langzeit-
verfügbarkeit digitaler Ressorcen für Deutschland
c/o Die Deutsche Bibliothek
Hans Liegmann
Adickesallee 1
D-60322 Frankfurt am Main

Tel.: +49-69-1525-1141
Fax: +49-69-1525-1010
E-Mail: lza-info@langzeitarchivierung.de
Web: http://www.langzeitarchivierung.de

Kriegsende im Osnabrücker Land

Zum 60. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wurde die Ausstellung \“Erinnerung und Verantwortung – zum Kriegsende vor 60 Jahren im Osnabrücker Land" eröffnet. Die Ausstellung, die der Landkreis Osnabrück bis zum 3. Juni im Kreishaus zeigt, stößt auf großes Interesse.

Bei der Eröffnungsveranstaltung dankte der stellvertretende Landrat Hartmut Nümann den Kreissparkassen Melle und Bersenbrück und der Sparkasse Osnabrück sowie allen Leihgebern, die für die Ausstellung Fotos und Dokumente zur Verfügung gestellt haben. Ebenso dankte er dem Servicebüro Geschichte und Dr. Michael Pittwald, der im Auftrage und mit Unterstützung des Kulturbüros Osnabrücker Land gGmbH die Ausstellung konzeptionell erarbeitet und umgesetzt sowie die Auswahl der Fotos, Bilder und Dokumente getroffen hat. 

Die in die Ausstellung einführende Rede hielt Dr. Birgit Kehne, Leiterin des Niedersächsischen Landesarchivs, Staatsarchiv Osnabrück. Mit der Ausstellung werde, so erläuterte sie, "ausgehend von der Erinnerung an die Kriegszeit, das Kriegsleid und das Kriegsende, zugleich ein Bogen in die Gegenwart geschlagen". Auch Schülerinnen und Schülern der Realschule Georgsmarienhütte haben mit den Ergebnissen ihrer Projektarbeit zu der Ausstellung beigetragen. Das Kulturbüro hat für die Schulen im Landkreis Osnabrück ein 28-seitiges Begleitheft mit Unterrichtsmaterialien zur Ausstellung erarbeiten lassen. Diese Unterrichtsmaterialien werden den Schulen über das Medienzentrum Osnabrück zur Verfügung gestellt.

Kontakt:
Landkreis Osnabrück
Kreishaus 
Am Schölerberg 1 
49082 Osnabrück 
www.lkos.de 

Quelle: Neue OZ, 11.5.2005

Zwangsarbeiter-Foto aus dem Jahr 1943 missinterpretiert

Als zum 8. Mai der "Bremer Anzeiger" unter der Überschrift \“60 Jahre Kriegsende\“ mit einem Bild von der zerstörten Bremer Innenstadt auf der Titelseite aufmachte, sah man Menschen Schutt schippen. Im Untertitel hieß es: \“Vor 60 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Auch in Bremen krochen die Menschen verstört aus den Kellern – verstört, aber befreit.\“ Die Menschen, die auf dem Foto vermeintlich \“verstört, aber befreit\“ in den Trümmern graben, waren jedoch nicht die Bremer nach Kriegsende, sondern Zwangsarbeiter und als solche gut zu erkennen durch ihre gestreiften Kleider und Mützen. Das Foto zeigt nicht das Kriegsende, sondern Bremen nach dem 122. Bombenangriff, am 20. Dezember 1943.

Nicht nur das Anzeigenblatt hat das Bild falsch datiert, auch auf der Internetseite des für die Kulturhauptstadtbewerbung zuständigen Büros \“Bremen 2010\“ wurde dasselbe Bild als \“zerstörtes Bremen nach dem Krieg\“ bezeichnet. Beide, Anzeiger und Kulturbüro, haben das Bild von der Domgemeinde bekommen, die es der Presseinformation über ihre Gedenkwoche zum Kriegsende beigefügt und dabei aber richtig datiert hatte. – Herbert Wulfekuhl von der Landeszentrale für politische Bildung hält den Schnitzer für ebenso "schmerzlich\“, wie zeittypisch, da der Zeitabstand zum Geschehenen mittlerweile groß, die historischen Kenntnisse und das Interesse an den Zusammenhängen jedoch im Überfluss der Medieneindrücke immer geringer werden. Das gilt offenbar auch für Redaktionen, wenngleich das Bremer Bildmaterial, das aus dem örtlichen Staatsarchiv stammte, dort leicht zu kontextualisieren gewesen wäre.

Quelle: taz Bremen Nr. 7661, 11.5.2005, S. 21

Mannheimer Buch mit Opfer-Liste

Das Mannheimer Stadtarchiv, genauer: das Institut für Stadtgeschichte stellte dieser Tage die neu erschienene Dokumentation \“Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen\“ vor. Das Buch enthält die lange erwartete Liste der auf den Glastafeln des Mannheimer Mahnmals erfassten Mannheimer jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Die Liste begleitet einen Essay des Stadtarchiv-Mitarbeiters Hans-Joachim Hirsch, der den historischen Kontext in seinen Grundzügen darstellt: Von den ersten Spuren jüdischen Lebens in Mannheim, der Entwicklung im Spannungsfeld zwischen antijüdischen Tendenzen und der Assimilation der Juden, ihrem Überlebenskampf zwischen 1933 und 1945 bis zur Deportation und Vernichtung. In seinem Beitrag schlägt Hirsch den Bogen von den Anfängen der Gedenkkultur in Mannheim zum Entstehungsprozess des Mahnmals, das als vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklungen gelten kann.

Info:
Hans-Joachim Hirsch: \“Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen.\“ Die Gedenkskulptur für die Jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim (Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim 23), 120 Seiten mit 43 Abbildungen, Mannheim 2005. Verlagsbüro von Brandt. ISBN 3-926260-65-3, 15 Euro. 

Kontakt:
Stadtarchiv Mannheim
Institut für Stadtgeschichte
Collini-Center
Collinistr. 1
D-68161 Mannheim 
Fon +49 621 293-7027
Fax +49 621 293-7476
stadtarchiv@mannheim.de

Quelle: Wormser Zeitung, 11.5.2005

SED-Archivgut nun online

Am 13. Mai 2005 schaltete das Bundesarchiv eine Internetseite online, die ab sofort einen zentralen Zugang zum SED-Archivgut der Länder und des Bundes ermöglicht (siehe Bericht). Sie hat die Adresse: www.bundesarchiv.de/sed-archivgut.

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Der Präsident des Bundesarchivs, Prof. Dr. Hartmut Weber, stellte das Webangebot vor mit den Worten: "Archive von Bund und Ländern schaffen in gemeinsamer Aktion eine neue Transparenz über ihre Bestände. Damit erhält die Forschung und die interessierte Öffentlichkeit neue Möglichkeiten, sich über die Geschichte der DDR und den Einfluss der Staatspartei SED zu informieren."

Präsentiert werden auf den Seiten alle ca. 5000 Bestände mit SED-Materialien aus den beteiligten Archiven, mit z.T. ausführlichen Beschreibungen. Mit Hilfe der Suchmaschine MidosaSEARCH kann der Benutzer nach konkreten Begriffen über alle Bestände suchen und erhält dabei archivübergreifende Ergebnisse. Dazu kommt ein Glossar sowie eine Mitgliederliste der SED-Führungsgremien. Darüber hinaus steht ein Verzeichnis mit 2700 von der SED verwendeten Abkürzungen zur Verfügung, das in dieser Form bislang nicht zugänglich war. Das Projekt haben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von 13 Staats- oder Landesarchiven sowie der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisation der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) in eineinhalb Jahren realisiert.

Info: Reader: "Erläuterungen zum neuen Internetangebot" (pdf)

Kontakt:
Bundesarchiv
Ute Räuber
Finckensteinallee 63
12205 Berlin
Telefon: 0049/(0)1888 7770 720
Fax: 0049/(0)1888 7770 111

OVG-Umfrage: Ein Erschließungsstandard für das Internet-Zeitalter?

Ein Erschließungsstandard für das Internet-Zeitalter? Untersuchungen zu den „Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätzen“ (OVG)

Von 1964 bis 1990 gab es in einem Teil Deutschlands ein verbindliches Regelwerk für die archivische Erschließung: die „Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze für die staatlichen Archive der Deutschen Demokratischen Republik“ (OVG). Basierend auf jahrzehntelangen Erfahrungen in den staatlichen Archiven wurden in ihnen Normen fixiert, welche grundsätzlich auf alle Arten von Archivgut anwendbar waren, ohne dabei einzuengen oder zu veralten. Erörterungen zu archivpraktischen Fragen der Ordnung und Verzeichnung sowie anschauliche Beispiele trugen dazu bei, dass sie sich einen festen Platz in der ostdeutschen Archivwelt etabliert haben und vielerorts auch nach dem Ende der DDR nicht aus dem Regal verbannt wurden.

Der technologische Fortschritt im Informationswesen, insbesondere der Siegeszug des Internets in den 1990er Jahren, haben der Archivwelt neue Möglichkeiten eröffnet. Zunehmend treten Archivbenutzer bereits als „virtuelle Besucher“ an die Archive heran. Dort erwarten sie eine ähnliche Informationswelt, wie sie im privaten und öffentlichen Bereich verbreitet ist. Seiten wie die des Bundesarchivs (www.bundesarchiv.de), des Baden-Württembergischen Landesarchivs (www.landesarchiv-bw.de) sowie der virtuelle Archivverbund in Nordrhein-Westfalen (www.archive.nrw.de) oder das geschichtliche Fachportal „Clio online“ (www.clio-online.de), um nur einige zu nennen, sind erste Meilensteine dieser Entwicklung.

Vernetzung von Informationsangeboten, wie sie z.B. im Bibliothekswesen seit längerem praktiziert wird, ist ein dringendes Desiderat unserer Zeit, bedingt jedoch – bei aller Rücksicht auf lokale Besonderheiten – ein gewisses Maß an Standardisierung bei der Verzeichnung. Akten, Urkunden, Karten und Pläne in viele Bestände in den neuen Bundesländern wurden allerdings bereits vor Jahrzehnten nach einem gemeinsamen Standard erschlossen: nach den OVG.

In einer Diplomarbeit am Fachbereich Informationswissenschaften der FH Potsdam soll untersucht werden, auf welcher Grundlage heute eine Erschließung von Archivgut stattfinden könnte, die sowohl den individuellen Besonderheiten verschiedener Bestände und Archivalientypen als auch den Anforderungen virtueller Verbundrecherchen Rechnung trägt. Dabei werden auch Gemeinsamkeiten mit und mögliche Konflikte zu internationalen Standards wie ISAD(G) Gegenstand der Betrachtung sein.

Neben der unten als jpg-Datei dargestellten Version der Umfrage gibt es die Möglichkeit, die Umfrage, die der Realisierung der Arbeit dient, online auszufüllen:

Sollte die Anzeige des Formulars nicht fehlerfrei funktionieren, verwenden Sie bitte die alternative Version.

\"OVG-Umfrage

Link: Umfrage zu den \“Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätzen\“ (OVG) (als dynamische pdf-Datei / als statische pdf-Datei)

Kontakt:
Felix Roth, Bisamkiez 15, 14478 Potsdam, FAX: 0331/5801599, f_roth@arcor.de

Wohin mit dem Lübbecker Stadtarchiv?

Nachdem das Land NRW den erwarteten ersten Zuschuss in Höhe von rund einer halben Million Euro bewilligt hat, könnte noch in diesem Jahr mit dem Umbau des alten Rathauses am Markt in Lübbecke zu einem Medienzentrum begonnen werden. Doch der Startschuss kann erst fallen, wenn für das Lübbecker Stadtarchiv ein Ausweichquartier gefunden worden ist. Dieses soll nach dem Wunsch der Stadt vor allem preiswert sein.

Immerhin einigten sich jetzt zwei Ausschüsse des Rates – der Ausschuss für Bildung und der für Bauen und Stadtentwicklung – einstimmig auf die Empfehlung, dass das Archiv im Westteil der Hauptschule am Wiehenweg, und dort im Erd- und 1. Obergeschoss, eine neue Bleibe finden soll. Da der Schule ohne die Nutzung der derzeit leer stehenden Klassenräume der Abriss droht, erscheint es sinnvoller, hier das Archiv zu integrieren. Wieviel Platz das Stadtarchiv genau benötigt, kann erst nach einer Entscheidung über ein Regalsystem geklärt werden. 

Neben dem Archiv soll ein Vorarchiv in einem mit einem Fahrstuhl ausgestatteten Kellerraum eines anderen Traktes der Schule untergebracht werden. Die "Mehrfachnutzung" der Schule bedarf in diesen und anderen Fragen allerdings noch der Kompromisse. \“Das Kernproblem ist wohl: Die Schule ist nicht mehr alleine Herr im Haus\“, gab Horst Heidrath, zuständiger Fachbereichsleiter im Rathaus, in den Sitzungen beider Fachausschüsse, zu Protokoll. Vorerst solle jedenfalls das Vorarchiv in besagtem Kellerraum seinen Platz finden. Eine endgültige Entscheidung über die Unterbringung des Vorarchivs solle, so Heidrath, zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Lübbecke 
Am Markt 3 
32312 Lübbecke 
Tel.: 05741-298257
Fax: 05741-90561
info@luebbecke.de

Quelle: Neue Westfälische, 12.5.2005

Zwangsarbeit in Wittgenstein

Über die Ergebnisse seiner im letzten Jahr fertig gestellten Magisterarbeit zum Thema \“Zwangsarbeit in Wittgenstein\“ referierte jetzt der Bad Berleburger Journalist Lars-Peter Dickel (33) auf Einladung des Arbeitskreises Toleranz und Zivilcourage. Für den Bereich Wittgenstein lässt sich die Anwesenheit von 1.121 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Ukraine, Polen, Russland, aber auch aus Rumänien und Griechenland definitiv nachweisen. Dabei waren laut den noch vorhandenen Transportlisten 70 Personen über 40 Jahre und 89 sogar jünger als 15 Jahre alt.

Die 300 Seiten starke Magisterarbeit Dickels stützt sich auf umfangreiche Recherchen in verschiedenen Quellen und auf zwei Aktenordner aus dem Stadtarchiv Bad Berleburg. Viele Dokumente seien allerdings im Krieg zerstört oder auch bewusst vernichtet worden. Es könnten demnach wesentlich mehr ausländische Zivilarbeiter in Wittgenstein gelebt haben. Eingesetzt wurden die größtenteils Deportierten in den Bereichen Industrie, Landwirtschaft, bei Privatleuten und in den Rentkammern. Auch die Stadtverwaltung Berleburg hat definitiv mindestens zehn Zwangsarbeiter beschäftigt. Trotz einiger individualisierbarer Informationen, seien die Einzelschicksale der meisten Zwangsarbeiter allerdings nicht bekannt.

Quelle: Westfalenpost, 12.5.2005

Historiker: Allende war Rassist und Antisemit

Fast 42 Jahre nach dem Tod von Salvador Allende kratzt ein Berliner Historiker am Mythos der linken Kultfigur. Der erste frei gewählte Präsident, der sich zum Marxismus bekannte, habe in seiner Dissertation nationalsozialistische Rassentheorien propagiert, sagt Victor Farias, Dozent für Lateinamerikanistik an der Freien Universität Berlin. Allende, einst Führer der Volksfront \“Unidad Popular\“ in Chile sei \“glühender Antisemit\“ gewesen.

Dem jüdischen Volk habe er in seiner Arbeit eine \“allgemeine verbrecherische Anlage\“ zugeschrieben. In seiner Doktorarbeit von 1933 sowie als Gesundheitsminister von 1939 bis 1941 habe der Mediziner Allende außerdem die Zwangssterilisierung psychisch Kranker und Alkoholiker propagiert. Farias hatte die Dissertation des Sozialisten im Archiv der Medizinischen Fakultät der Universität in Santiago de Chile entdeckt.

Info:
Victor Farias: \“Salvador Allende, antisemitismo y eutanasia\“ (2005) / Salvador Allende : Antisemitismus und Euthanasie, Berlin (Philo Verlagsgesellschaft mbH), 2003.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 11.5.2005

Speer war Mitwisser der Shoah

Hitlers Rüstungsminister Albert Speer wird 60 Jahre nach Kriegsende nach Ansicht der Historikerin Susanne Willems durch Auschwitz-Bauakten schwer belastet. Willems fand nach eigenen Angaben Dokumente, in denen der Ausbau des Vernichtungslagers als \“Sonderprogramm Prof. Speer\“ aufgeführt wird. Andere Akten belegen nach Aussage von Willems, dass Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß Abgesandte Speers im Mai 1943 über den Völkermord an den Juden informierte. Die ARD veröffentlichte die Dokumente und einen Aufsatz von Willems auf der Webseite zum Dreiteiler \“Speer und Er\“.

Es war bereits bekannt, dass Speer Mittel zum Ausbau von Auschwitz bewilligt hatte. Speer hatte aber stets bestritten, vom Holocaust gewusst zu haben. Er war beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg nicht zum Tode, sondern zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Auch bisher war schon klar, dass Speer Baueisen und Wasserrohre für Auschwitz zur Verfügung gestellt hatte. Speer stellte dies in seinen Erinnerungen aber als humanitäre Aktion zur Verbesserung der Hygiene dar.

In SS-Akten, die die Berliner Historikerin Willems nach eigener Aussage jetzt fand, heißt es, Höß habe Speers Mitarbeiter darüber informiert, dass zum Zweck des Lagers \“in letzter Zeit die Lösung der Judenfrage\“ gehört habe. Speers Leute seien durch das \“gesamte\“ Lager geführt worden. Sie nahmen eine Fotomappe für Speer mit und erstatteten ihm demzufolge Bericht. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass sie Speer etwas von dem verschwiegen, was sie sahen, meinen Willems und Heinrich Breloer, der Regisseur des Films \“Speer und Er\“.

Die Medienresonanz auf Heinrich Breloers Speer-Dreiteiler lenkt nicht nur das Interesse auf einen der bekanntesten NS-Größen, sondern macht auch deutlich, wie die Forschungsstände der Geschichtswissenschaft ignoriert werden. Schon über zwanzig Jahre lang ist bekannt, dass Albert Speer ein führender NS-Täter war. Im Gespräch mit der taz erinnert der Jenaer Historiker Norbert Frei daran, dass bereits 1982 das Buch von Matthias Schmidt (Albert Speer: Das Ende eines Mythos, Goldmann, München 1983) mit dem \“Mythos Speer\“ als eines verführten, eigentlich unschuldigen Intellektuellen und Technokraten ziemlich aufgeräumt habe. Die Fachwissenschaft habe daran ohnehin nie geglaubt.

Speer begann seinen Ausstieg aus dem NS-Reich und aus seiner Verantwortung schon deutlich vor Kriegsende. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen kam er damit durch – und hatte Glück, weil damals die Dokumentenlage schlechter war als heute. Und in seiner Spandauer Haftzeit konstruierte er an dem Mythos munter weiter, so Frei. "Bei seiner Freilassung hat er dann die richtigen Formulierungshelfer für diese Interpretation gefunden. Das hat auch mit Verlagsmarketing zu tun, für die vor allem zwei Namen stehen: Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest".

Quelle: Der Standard, 11.5.2005; Philipp Gessler, taz Nr. 7662, 12.5.2005, S. 17 (Interview)