Heftige Debatte über Nauroder Heimatdichter

Der Streit um die Einschätzung des Nauroder Heimatdichters Rudolf Dietz und die persönlichen Angriffe des Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Bernhard Lorenz, gegen Mitarbeiter des Wiesbadener Stadtarchivs beschäftigte gestern erneut das Stadtparlament. Die Grünen hatten sich per Antrag für die Archivare stark gemacht (siehe auch die Pressemitteilungen der Grünen vom 2.10. und vom 14.10.). Nach über einstündiger Debatte erklärte eine Mehrheit aus CDU, FDP und Republikanern die Sache für „durch Aussprache erledigt“.

Mitarbeiter der Stadtverwaltung seien „kein politisches Freiwild für junge wild gewordene Fraktionsvorsitzende“, mahnte Hubert Müller (Grüne) eine Entschuldigung von Lorenz und klare Rückendeckung für das Stadtarchiv von Oberbürgermeister Hildebrand Diehl an. Doch müsse man zur Kenntnis nehmen, dass Lorenz „sein Vergaloppieren nicht zugibt und nicht die Größe besitzt, sich bei den Mitarbeitern des Stadtarchivs zu entschuldigen“. Scharf kritisierte Müller das Redeverbot, das OB Diehl nach dem Vorfall über städtische Mitarbeiter verhängt hatte.

Für die CDU erwiderte Andreas Guntrum, ob Dietz Antisemit gewesen sei oder nicht, lasse sich nicht per Parlamentsbeschluss festlegen. Guntrum wiederholte die Vorwürfe des CDU-Fraktionsvorsitzenden, die Archivare hätten bei ihrer Beurteilung des Heimatdichters die Grundprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens nicht beachtet: „Sie haben eine voreingenommene, schlampige und unwissenschaftliche Arbeit vorgelegt“.

Diese neue Attacke auf ihre Mitarbeiter wies Kulturdezernentin Rita Thies zurück. „Man fasst die Nachricht nicht und erschlägt den Überbringer“, beurteilte sie das Verhalten der CDU. Die Archivare hätten nie den Auftrag gehabt, ein wissenschaftliches Gutachten zu verfassen. Es sei nur um eine Stellungnahme gegangen.

Nachdem Guntrum eine „wissenschaftliche und rechtsstaatlich saubere“ Aufarbeitung gefordert hatte, hielt Peter Schickel (SPD) ihm die Ergebnisse der Nauroder Ortsbeiratsdiskussion vor. Selbst der habe erkannt, dass Teile des Dietzschen Werks problematisch und peinlich seien. „Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, was das für Inhalte sind“, so Schickel.

Stefan Krakowka (CDU) mokierte sich über „die unglaubliche Arroganz, mit der Sie auf einem Toten herumtrampeln, der sich nicht wehren kann“. Falls eine genaue Analyse Rudolf Dietz als Antisemit bewerte, sollte man „unter Umständen eventuell Konsequenzen ziehen“, so Krakowka.

Mehrfach nutzten Redner der „Republikaner“ die Gelegenheit, ihre Ideologie zu verbreiten, ließen sich über Antisemitismus und über Martin Hohmann aus. Ex-Republikaner Hirzel sprach vom „völkischen Grundgesetz“.

„Bereiten Sie diesem unseligen Unfug ein Ende“, mahnte SPD-Fraktionschef Rolf Praml Lorenz zur Entschuldigung, er nannte die Debatte „eine Schande für die Stadt“. Bernhard Lorenz schwieg.

Anfang November hatte auch DER SPIEGEL unter der Überschrift „Kulturkampf in Wiesbaden“ über die Auseinandersetzungen in Wiesbaden berichtet:
 
Vier vergilbte Zähne werden im Heimatmuseum von Wiesbaden-Naurod aufbewahrt – auf grünem Filz und unter Glas. Neben Rasiermesser, Brillen, Spazierstock und zahlreichen Fotos und Büchern. Diese Zähne waren einst dem Heimatdichter Rudolf Dietz gezogen worden. Und er – ein Poet für alle Gelegenheiten- hatte die schmerzhafte Operation in neckischen Versen verewigt.
Die Nauroder lieben „ihren Rudolf“, manche nennen ihn „nassauischen Goethe“, sie kennen ihn auswendig, zitieren ihn auf Hochzeiten und Beerdigungen. Für Alwin Becht, 72, dem Vorsitzenden des Geschichts-und Heimatvereins, ist er „der größte Sohn der Gemeinde“. Die Wander- und Heimatlieder des schriftstellernden Lehrers, der 1863 in Naurod geboren wurde und 1942 in Naurod starb, werden heute noch gesungen. Die Schüler der dritten Klasse lernen bis heute im Sachkundeunterricht zwei bis drei seiner Gedichte. Natürlich nur die netten.

Neben Märchen, Tiergeschichten und Theaterstücken für Laiendarsteller flossen auch Werbe-Sprüchlein für „Zobus Senf“ und „Rheingau Schokolade“ aus seiner Feder. An die 15 Straßen und Plätze in der Region sind nach ihm benannt, sowie ein paar Quellen im Nassauischen, dem Gebiet zwischen Wiesbaden und Limburg an der Lahn. Schon seit 1957 ist Rudolf Dietz Namenspatron der Nauroder Grundschule.

Und genau darüber hat sich das idyllische Dorf am Rande des Taunus, das seit 1977 Stadtteil der Landeshauptstadt Wiesbaden ist, in zwei emotionsgeladene feindliche Lager gespalten. Der Verse schmiedende Biedermann mit dem Zwirbelbart und dem Kneifer, der im Kreise seiner Familie so freundlich aus den alten Fotos lächelt, ist nach Ansicht seiner Kritiker ein „doppelter Rudolf“ dessen düstere Seite heute verborgen wird.

Rassistische Häme

Neben den launigen Liedern über die Freuden und Leiden seiner Mitmenschen hat Rudolf Dietz nämlich mindestens 30 Gedichte geschrieben, in denen er mit rassistischer Häme über „Schmuhlche“, „Mosesche“ oder „Nathansche“ herzieht, die „die klaane Leit“ ausplünderten.

Dietz lässt kaum ein antisemitisches Klischee aus, stellt in einem Gutachten das Stadtarchiv Wiesbaden fest: Juden sind hässlich, geldgierig, verlogen, kriminell, Kinder wollen nicht neben ihren stinkenden jüdischen Mitschülern sitzen. Diese erschreckenden Texte – alle in der lieblich klingenden hessisch-nassauischen Mundart – habe Dietz – so die Aussage seines Zeitgenossen Werner Prediger- sogar bei Schulfeiern vorgelesen. 
 
Mehr noch. Schon vor der Machtergreifung Hitlers gehörte der Heimatdichter zum berüchtigten „Deutschbund“ einer antisemitischen, faschistischen Vorläuferorganisation. Im April 1933 trat er dann in die NSDAP ein. Nicht etwa eine Jugendsünde. Dietz war damals schon 70 Jahre alt und als Lehrer pensioniert. In mehreren Gedichten bejubelt er die Machtergreifung Hitlers, so in seinem 1936 veröffentlichten Gedicht „Reichslied“ und beschwört die Einigkeit „unterm Hakenkreuz“. Die beiden letzten Zeilen der Propaganda-Reime: „Nie mehr trennt ein fremder Keil, uns're Treuschar. – Hitler Heil!“

Im siebenköpfigen Ortbeirat (CDU,4, SPD,2, Grüne,1) wurde in einer turbulenten öffentlichen Sitzung beschlossen, sich zwar „vom politischen Dietz“ zu distanzieren, den Namen der Schule jedoch nicht anzutasten. So einfach scheint das zu sein. „Es ist unfair aus unserem heutigen Denken den Stab über etwas zu brechen, was in der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches war“, argumentierte Hermann Stöcker, CDU, in seinem Rundbrief an die Bürger Naurods.

Kritiker werden als „Nestbeschmutzer“ beschimpft

Allein der Grüne Hans-Jürgen Anderle stimmte für die Umbenennung und wurde dafür öffentlich als „Nestbeschmutzer“ beschimpft: „Ich weiß, dass Dietz ein eher kleiner Fisch war. Nur leider gab es viel zu viele dieser „kleinen Fische“, sagt Anderle, „wir können die Kindern nicht die Ideale von Demokratie und Toleranz lehren, wenn ihr Schulpatron das Gegenteil gelebt hat.“ Außerdem verstießen die Parteien, die das zuließen gegen das hessische Schulgesetz und gegen das Grundgesetz.

Zwar hatte das Lehrerkollegium der Rudolf-Dietz-Schule geschlossen für einen neuen Namen gestimmt. Aber die Schulkonferenz kippte zwar nur mit einer Stimme Mehrheit den Beschluss. Schulleiter Bernd Siebold gibt sich gelassen: „Wir haben trotz des Namens 45 Jahre lang gute pädagogische Arbeit geleistet, und wir werden das weiterhin tun, wie immer unsere Schule heißt.“

Weniger entspannt ist die Atmosphäre im Dorf. In vielen Geschäften werden Unterschriften für Rudolf Dietz gesammelt. Es wird getuschelt, Nachbarn grüssen sich nicht mehr. An einigen hölzernen Hoftoren kleben Pamphlete, die auch in den beiden Wiesbadener Tageszeitungen als Anzeige erschienen. Darin bezichtigen zwei Nauroder Bürger die Befürworter der Umbenennung des „Hangs zur Diktatur“.

Der Konflikt um den umstrittenen Heimatdichter Rudolf Dietz hat Kreise gezogen: Zweimal schon hat die Stadtverordnetenversammlung der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden das heikle Thema auf der Tagesordnung gehabt. Bisher hat sich das Stadtparlament um eine Abstimmung gedrückt.

„Dann müssten wir auch Kant-, Hegel-, Fichte-, Luther- und Marx prüfen“

Denn auch hier steht die Front der Verweigerer. Da sind auf der einen Seite die grüne Fraktion und die SPD, die im Gegensatz zu ihren Nauroder Genossen für die Umbenennung sind. Auf der anderen Seite stehen geschlossen die CDU und die Fraktion der Republikaner. Die FDP ist gespalten und hat für die Abstimmung den Fraktionszwang aufgehoben.

Eine ganz besondere Begründung für die Ablehnungsfront hat sich der Wiesbadener CDU-Fraktionschef Bernhard Lorenz zurechtgebastelt: „Wir wollen Dietz nicht reinwaschen. Aber wenn man seinen Namen streicht, dann muss man auch alle Kant-, Hegel-, Fichte-, Luther- und Marxstrassen auf den Prüfstand stellen.“ Alle diese in Deutschland so verehrten Denker hätten sich antisemitisch geäußert.

Jetzt hat sich Oberbürgermeister Hildebrand Diehl (CDU) in den Streit um den Heimatpoeten eingeschaltet. Er will einen Prominenten finden, der per Gutachten Rudolf Dietz ein Gütesiegel verpasst – oder auch nicht. Letzte Woche erhielt er eine erste Absage von dem Historiker Michael Wolffsohn, Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Wolffsohn dankte für die „wertvolle Aufgabe“, für die er jedoch leider keine Zeit habe. Der Streit um die Frage, ob die Grundschule des Wiesbadener Stadtteils Naurod den Namen des umstrittenen Mundartdichters behalten soll, geht weiter.

Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
Postleitzahl/Ort:  65197 Wiesbaden
Telefon:  0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429 
Fax:  0611 / 31-3977 
E-Mail:  stadtarchiv@wiesbaden.de

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 5.12.2003, SPIEGEL online, 6.11.2003.

Nachlass Alfred Epsteins jetzt im Stadtarchiv

Kulturdezernent Peter Krawietz (CDU) und Wolfgang Dobras haben gestern Dokumente aus dem Nachlass Alfred Epsteins vor. Esther Epstein hatte die Dokumente dem Stadtarchiv Mainz überlassen.

Epstein wurde 1903 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Mainz geboren und ist hier aufgewachsen. Nach seiner Flucht vor den Nazis kehrte er 1960 durch einen Zufall nach Mainz zurück. Archivdirektor Dobras bezeichnete Epstein als eine „bedeutende Mainzer Persönlichkeit“. Epstein fungierte über Jahre als Vorsitzender, später Ehrenvorsitzender, der Mainzer Jüdischen Gemeinde und engagierte sich im Jugendwohlfahrtsausschuss der Stadt.

Der Nachlass, der bis in die Zeit kurz nach der Flucht Epsteins aus Deutschland zurückgeht, besteht zum Großteil aus Korrespondenz, Fotoalben, amtlichen Urkunden und Ehrungen, wie den Mainzer Ehrenring, sowie den Lebenserinnerungen Epsteins. Diese hatte er noch selbst dem Stadtarchiv übergeben. Gemeinsame Fotos Epsteins, zusammen mit Papst Johannes Paul II. oder Oberbürgermeister Jockel Fuchs gestatten Einblicke in Epsteins Leben. Dobras betonte den unschätzbaren Wert des Nachlasses. Nur mit persönlichen Unterlagen Mainzer Bürgen könne das Archiv seiner „Aufgabe als Gedächtnis der Stadt“ wirklich nachkommen, so Dobras. Krawietz bezeichnete den Nachlass Epsteins als „Teilstück der Mainzer Identität“.

Sowohl Krawietz als auch Dobras dankten Esther Epstein, der Frau des Verstorbenen. „Es muss für sie“, so Krawietz, „mit Gefühlen verbunden sein, die schmerzlich sind“. Ester Epstein bezeichnete die Gabe als Selbstverständlichkeit. Schließlich habe sich ihr Ehemann immer als Mainzer gefühlt.

Kontakt:
Stadtarchiv Mainz
Rheinallee 3 B
55116 Mainz
Telefon (0 61 31) 12 21 78
Telefax (0 61 31) 12 35 69
stadtarchiv@stadt.mainz.de

Quelle: Allgemeine Zeitung, 5.12.2003

Steiner Stadtarchivar mit Leib und Seele

«Hier könnte man 200-jährig werden», hat Stadtarchivar Max Ambühl einmal gesagt. Mit «hier» meinte er das Stadtarchiv Stein am Rhein, das er nach seiner Pensionierung von 1981 bis 1989 liebevoll und gewissenhaft betreute, nachdem er 25 Jahre als Mittelstufenlehrer tätig gewesen war. Max Ambühl hat uns in der Woche vor dem 1. Adventssonntag für immer verlassen und wird nicht 200-jährig werden.

Was meinte Max Ambühl mit «200-jährig werden»? – Dazu gibt es zwei Antworten, schreibt der Stadtarchivar Michel Guisolan in seinem Nachruf: Die Ordnungs- und Erschliessungsarbeiten in einem Archiv sind nie abgeschlossen. Es kommen immer wieder neue Akten dazu, und es lassen sich immer bessere, feinere Findmittel erstellen. Zudem regen die Vielfalt und die Vielzahl der Archivdokumente sowie ihr verborgener Inhalt den Archivar und Geschichtsliebhaber zu stets neuen Forschungen und Arbeiten an. Ein Menschenleben genügt keinem Archivar, um sein Archiv in einen perfekten Zustand zu bringen, und schon gar nicht, um alle Schätze, die er pflegt, im Detail kennen zu lernen und in Form von Publikationen oder Dokumentationen auszuwerten und so dem interessierten Publikum zugänglich zu machen.

Die fehlenden Jahre zwischen seiner Amtsdauer und seinem Wunschalter von 200 Jahren hat Max Ambühl mit einem absolut bewundernswerten Einsatz wettzumachen versucht. Er hat nicht nur die reguläre Arbeitszeit in seinem Büro im Haus zum Steinbock verbracht, sondern viel, viel mehr Zeit: Das waren lange Abende – mitunter fast Nächte – und manches Wochenende. Pflichtbewusstsein – kann man aber bei einem Mann, der seine Arbeit als Hobby betrachtet, von Pflicht reden? – und Einsatz gingen bei Max Ambühl so weit, dass sogar der Stadtrat ihm einmal nahe legte, doch wenigstens am Wochenende zu ruhen, was er vehement verwarf. Als er 1981 sein Amt antrat, traf er einen riesigen Arbeitsberg an und hatte zahlreiche Projekte im Kopf.

Ich habe Max Ambühl nicht sehr gut gekannt. Doch in den sieben Jahren meiner Tätigkeit im Steiner Stadtarchiv bin ich ihm durch seine Arbeit fast täglich begegnet, sodass ich heute behaupten kann, ich kenne den Archivar Ambühl bestens. Meine Achtung vor seinen Leistungen ist ständig gestiegen. Ihn kennzeichneten ein äusserst hohes Mass an Einsatz, Arbeitsfreude, Präzision, Ausdauer, Begeisterungsfähigkeit und Liebe zur Geschichte aus. Nicht nur hat er als eine seiner ersten grossen Arbeiten den umfangreichen, von seinem Vorgänger verzeichneten Bestand verpackt und beschriftet, sondern er hat das notwendige Verpackungsmaterial – sprich Archivschachteln – selber angefertigt. Die von ihm, dem einstigen Handfertigkeitslehrer, aus ökonomischen und praktischen Gründen selber hergestellten Schachteln (es waren deren mehrere hundert) sind ein Muster an archivischer Durchdachtheit. Zudem hat er einen beachtlichen Teil der Verwaltungsakten des 19. und 20. Jahrhunderts geordnet, in seiner ihm eigenen perfekten Art verpackt und verzeichnet.

Doch gerade das jedem Perfektionismus anhaftende Sture war bei Max Ambühl wegen seiner Begeisterung für «sein» Archiv und seiner Offenheit für die Anliegen der Archivbenützer nicht vorhanden. Er war beileibe kein Elfenbeinturmgelehrter; vielmehr war er der Überzeugung, dass «Archive nur leben, wenn man sie öffnet», wie er 1986 anlässlich eines Interviews betonte. Max Ambühl indessen hat das Steiner Stadtarchiv nicht nur geöffnet. Er hat selber sehr intensiv an der Auswertung der darin befindlichen Dokumente teilgenommen. Daraus sind über fünfzig zum Teil umfangreiche unpublizierte Manuskripte, elf wissenschaftliche Publikationen und (für den Schulgebrauch) mehr als fünfzig Unterlagen zur Heimatkunde hervorgegangen, die uns auch heute noch sehr wertvolle Dienste leisten sowie viel Recherchierarbeit und damit das Verschwenden kostbarer Zeit ersparen.

Überragt werden diese Arbeiten noch von zwei sehr eindrücklichen Dokumentationen: Die erste betrifft die städtischen Ämter und die zweite die Häuser von Stein am Rhein. Erstere besteht in Form von umfangreichen Listen mit allen Ämtern und Amtsinhabern der Stadt aus der Zeit vom 15. bis 18. Jahrhundert. Die zweite Dokumentation ist noch eindrücklicher. Es ist die so genannte «Häuserdokumentation»; ihr kommt angesichts der historischen Häuserlandschaft von Stein am Rhein ein besonderer Stellenwert zu. Sie umfasst rund 15 000 Fichen, wo alle Besitzerwechsel und besondere Vorkommnisse minutiös aufgezeichnet sind. Diese Dokumentation ist einer der wertvollsten Schätze des Archivs.

Kontakt:
Stein am Rhein
Stadtarchiv Rathaus
CH – 8260 Stein am Rhein
Telefon (0 52 )7 42 20 41
Telefax (0 52) 7 42 20 30
E-Mail:   stadtarchiv@steinamrhein.ch
Internet: www.steinamrhein.ch

Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 4.12.2003

Nachbesserung bei Stadtteilarchiven

Das Timing war perfekt. Rechtzeitig zum Lokaltermin des Kulturausschusses der Bürgerschaft im Stadtteilarchiv Ottensen hatte die Koalition sich darauf geeinigt, den Etat der 14 Hamburger Geschichtswerkstätten im Haushalt 2004 noch einmal deutlich nachzubessern: 400.000 Euro soll die Subvention im kommenden Jahr betragen. Zur Erinnerung: Im Juni war im Haushaltsansatz 2004 die Streichung der kompletten jährlichen Zuwendung für die Geschichtswerkstätten in Höhe von 539.000 Euro angekündigt worden. Nach heftigen öffentlichen Protesten hatte die Kulturbehörde Ende Juli eingelenkt und 133.000 Euro versprochen, damit Räume und Sammlungen der Stadtteilhistoriker erhalten werden könnten.

Selbst innerhalb der Koalition war die radikale Sparmaßnahme, unter der in einem steigenden Kulturhaushalt ausgerechnet eine kleine, verdienstvolle Einrichtung mit zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern leiden sollte, umstritten. Die FDP, angetrieben von ihrem damaligen kulturpolitischen Sprecher Martin Woestmeyer, hatte mit Nachdruck auf eine Korrektur hingearbeitet. Überdies haben die Stadtteilarchive starke Fürsprecher in den Bezirken – was umso mehr ins Gewicht fällt, als die Geschichtswerkstätten entsprechend den neuen Globalrichtlinien Stadtteilkultur künftig nicht mehr bei der Kulturbehörde, sondern direkt in den Bezirken angesiedelt sein sollen. Und mit Gerhard Fuchs aus Wandsbek machte auch ein Bezirksamtsleiter mit CDU-Parteibuch deutlich, dass dies ohne mehr Mittel nicht funktioniere. Ausschlaggebend für die zweite Nachbesserung war am Ende wohl, dass Bürgermeister Ole von Beust sich persönlich dafür einsetzte, die Subvention durch Gelder aus Resttiteln des allgemeinen Haushalts der Finanzbehörde aufzubringen.

Der Ortstermin in Ottensen ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass diese Aufstockung eher eine Atempause als eine Bestandsgarantie sein kann. Denn die Geschichtswerkstätten sollen diesen Aufschub nutzen, sich neu zu strukturieren, sich in den Stadtteilen stärker zu vernetzen, Sponsoren zu suchen und das Ehrenamt weiter auszubauen. Doch ihre Vertreter ließen bei der Anhörung keinen Zweifel daran, dass diese Potenziale längst ausgeschöpft werden. Der Anteil an ehrenamtlichen Mitarbeitern liegt bei mehr als 80 Prozent. In der kleinen, agilen Geschichtswerkstatt St. Georg beispielsweise arbeiten nur Ehrenamtliche.

Trotz des Teilerfolgs sind die Archive unzufrieden, denn auch die 400.000 Euro bedeuten eine Kürzung von rund 25 Prozent, die bei kleinen Etats nur schwer verkraftet wird. Ruhe dürfte nach dieser Aufstockung jedenfalls nicht einkehren: Im kommenden Jahr wird über die Etats für 2005 und 2006 verhandelt. Das ist schon Vorwahlkampf, und ein so öffentlichkeitswirksames Thema wie dieses könnte eine unvorhersehbare Eigendynamik entwickeln.

Quelle: Hamburger Abendblatt, 3.12.2003

Handelskammer HB öffnet Archive

Die Bremer Handelskammer hat im Haus Schütting ein „Medienzentrum“ eingerichtet, das den Zugang zu mehr als 55.000 Bänden der ältesten noch existierenden Bibliothek der Hansestadt und den Archivalien aus mehr als sechs Jahrhunderten bremischer Wirtschaftsgeschichte ermöglichen soll.

Die Kammer bietet künftig über elektronische Datenbanken auch schnellen Zugriff auf Lieferantenadressen, Warenzeichen und andere Informationen für die unternehmerische Praxis.

Das Medienzentrum wird am Freitag, den 5.12., eröffnet.

Kontakt:
Handelskammer Bremen
Am Markt 13 
28195 Bremen
Haus Schütting
Telefon : (0421) 3637-0
Telefax : (0421) 3637-299
service@handelskammer-bremen.de
http://www.handelskammer-bremen.de/

Quelle: Nordwest Zeitung, 4.12.2003

Freiberger Protest gegen geplanten Frevel an Beständen des Bergarchivs

Nach den öffentlich gewordenen Forderungen des Landesrechnungshofes zur Reduzierung des Bestandes der sächsischen Staatsarchive reißt die Empörung in Freiberg nicht ab (siehe vorigen Bericht). Es wäre ein Kulturfrevel, wenn historisch wertvolle und einmalige Unterlagen aus dem Bergarchiv auf Mikrofilm gebannt und danach im Reißwolf enden würden, hält der Rektor der TU Bergakademie Freiberg, Georg Unland, allein die Formulierung für völlig aus der Luft gegriffen. „Schließlich sind das einmalige Kulturschätze, die ähnlich den Museumsbeständen von Gemäldegalerie oder Grünem Gewölbe zu schützen sind“, meint der Chef der Universität, die zu den Hauptnutzern des Bergarchivs mit seinen Dokumenten aus über 500 Jahren zählt.

Auch der Vorstandsvorsitzende des Geokompetenzzentrums, Horst Richter, hat „große Sorge, dass das, was im Bericht des Landesrechnungshofes niedergeschrieben ist, bei den Finanzleuten auf fruchtbaren Boden fällt. Viele der über 60 Firmen des Zentrums würden den regionalen Vorteil des Bergarchivs nutzen und in Größenordnungen hier arbeiten. Ob bei Auswirkungen der Flut oder beim Altbergbau, im Bergarchiv hätten die Firmen schnell Zugriff, was für schnelles Handeln und Untersuchungen von entscheidendem Vorteil ist. Das Freiberger Archiv biete auch Unterlagen, die für die Sicherung des Altbergbaus der Wismut bedeutsam sind. Das von Staatsregierung und Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt wäre schwieriger zu realisieren, wenn Originalunterlagen fehlen. „Die Forderungen sind nicht seriös. Hier wird versucht, an der falschen Stelle zu sparen“, so Richter. Man sollte vielmehr die Dokumente in geeigneter Form einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Werde Schloss Freudenstein die neue Heimstatt des Archivs, könnten Ausstellungen zum Bestandteil der Angebote gehören.

„Vergessen wir nicht, es gab schon einmal eine Zeit, und die liegt gar nicht weit zurück, da nahm manches Kulturgut den Weg zu finanzstarken Sammlern. Was nützt uns heute in Archiven und Museen das auf ein Foto gebannte wertlose Exponat“, fragt Knut Neumann, 1. Vorsitzender der Historischen Freiberger Berg- und Hüttenknappschaft. Als langjähriger Nutzer des Bergarchivs hat er die Empfehlung des Rechnungshofes mit Verwunderung aufgenommen. Oft könne man von einem Original mehr erfahren als von der besten Kopie. Bei dem Archivgut handele es sich nicht nur um festgehaltene Erkenntnisse der Vergangenheit, sondern um Zeitzeugen von unersetzbarem Wert.

„Das Bergarchiv Freiberg ist ein unverzichtbarer Bestandteil nicht nur der sächsischen, sondern insbesondere der Freiberger Identität. Er ist verwurzelt mit den Bergbautraditionen unserer Vorfahren, zu denen sich die Freiberger Bevölkerung bewusst bekennt. Diese Wurzeln schrittweise zu kappen, führt zu Konsequenzen, die in Geld nicht mehr zu messen sind“, wendet sich der Vorstand des Fremdenverkehrsvereins der Stadt an die Verantwortlichen des sächsischen Landtages und der Staatsregierung. So berechtigt die Bemühungen des Rechnungshofes zur Reduzierung der Kosten im öffentlichen Bereich seien, so sollte der Respekt vor den wissenschaftlich-technischen und kulturellen Leistungen der sächsischen Geschichte eine Grenze setzen, heißt es. Bisher habe es keine Generation gewagt, Hand an Originaldokumentationen der durch Wissenschaft und Technik geprägten Vergangenheit zu legen.

Kontakt:
Sächsisches Bergarchiv Freiberg
Kirchgasse 11
09599 Freiberg
03731/372-250
03731/372259

Fuchsmühlenweg 7
09599 Freiberg
03731/30079-0

e-mail für beide Häuser:
bergafg@archive.smi.sachsen.de

Quelle: Freie Presse online, 3.12.2003

Neuer Platz fürs Stadtarchiv Freiburg (CH)

Mit einem «Ja, aber» hat der Generalrat am späten Montagabend dem Umbau des Justizgebäudes zugestimmt. Für 905.000 Franken soll das Stadtarchiv Freiburg einen neuen Platz finden, die geschützten Fenster im Generalratssaal sollen aber bleiben.

Im Justizgebäude an der Chorherrengasse 1 soll das städtische Archiv richtig in Szene gesetzt werden. Die beiden Untergeschosse seien ideal für eine Zusammenfügung der Archive für die nächsten 20 Jahre, sagte Gemeinderat Claude Masset den ausharrenden Generalrats-Mitgliedern kurz nach 23 Uhr.

Für den Umbau des 184-jährigen Gebäudes hatte der Generalrat bereits vor einem Jahr einen Kredit von 250.000 Franken genehmigt. Für den zweiten Erneuerungsteil sind nun 905.000 Franken vorgesehen. Das ist fast doppelt so viel, wie ursprünglich budgetiert. «Damals war eine Zusammenfügung der Quartier-Wahlbüros noch nicht vorgesehen», erklärte Masset. Nun brauche es dafür einen behindertengerechten Zugang. Auch müsse im Haus der Lift ins zweite Untergeschoss verlängert werden.

Dass das Haus geschützt ist, weckte einige Fragen aus den Reihen der Generalräte. Die Stadt hatte nämlich angekündigt, dass die Entwicklung des Projekts in Absprache mit dem Kulturgüterdienst geschehen sei. «Es hat aber kein positives Gutachten des Kulturgüterdienstes gegeben, sondern nur eine Ortsbesichtigung», sagte Gilles Bourgarel (Stadtbewegung). Wie Christoph Allenspach, Präsident der Baukommission des Generalrats, verlangte er eine andere Lösung bei den Fenstern im Grossratssaal. Diese hätten ersetzt werden sollen. Allenspach und Bourgarel forderten hingegen, dass die bisherigen Fenster bleiben und nur zu einem Doppelfenster verstärkt werden sollten. «Die städtische Geschichte sind nicht nur Papiere», sagte Bourgarel. Solche Fenster seien selten und wertvoll. Masset versprach, die Doppelfenster-Variante in die Planung mit einzubeziehen. Das sei noch möglich. Laut Ammann Dominique de Buman werde dies wohl auch billiger sein als ganz neue Fenster.

Dieter Zingg (FDP) hätte zwar lieber eine kantonale Lösung für die Archive gehabt. Das habe die Stadt auch gewollt, antwortete Masset, aber der Kanton habe kein Interesse gezeigt. Für François Eugster (CVP) schliesslich war der neue rollstuhlgängige Eingang zu massiv. Es gebe sicher andere Lösungen. Masset versprach, solche zu prüfen.

Die Vorlage wurde schliesslich ohne Gegenstimme angenommen. Ab kommendem Jahr kann also in den Quartieren nicht mehr abgestimmt oder gewählt werden. Wer nicht brieflich abstimmt oder den Umschlag vorgängig beim Stadthaus in die Urne wirft, muss sich zur Ausübung der politischen Rechte zum Justizgebäude bemühen.

Quelle: Freiburger Nachrichten, 3.12.2003

Neue Dokumente für Haydn-Archiv

Die Internationale Joseph Haydn Privatstiftung, die neben der wissenschaftlichen Arbeit auch den Auf- und Ausbau eines Haydn-Archivs in Eisenstadt forciert, präsentierte am 1.12. den zweiten Band der Eisenstädter Haydn-Berichte.

Gleichzeitig übernahmen Vorstandsvorsitzender Architekt Matthias Szauer und Generalsekretär Haydnfestspiel-Intendant Walter Reicher aus dem Besitz der Freistadt Eisenstadt stammende Originaldokumente zum Hauserwerb und -verkauf Joseph Haydns als Dauerleihgabe. Haydns Wohnhaus in der ehemaligen Klostergasse beherbergt heute das Haydn-Museum.

Die Originaldokumente wurden auf Anregung des Eisenstädter Altbürgermeisters Ing. Alois Schwarz der Haydn-Stiftung überlassen und von Vizebürgermeisterin Andrea Fraunschiel übergeben. Schwarz ist Kuratoriumsmitglied dieser Stiftung. Unter den Schriftstücken, die einen historischen Bogen über Haydns 48 Jahre lang andauernde Beziehung zu Eisenstadt spannen, befinden sich auch Schuldverschreibungen. Haydn und seine Frau standen auch bei Schwiegervater Johann Peter Keller in „Kreide“, um ihren doch ansehnlichen Besitz in Eisenstadt finanzieren zu können.

Der zweite Band der Eisenstädter Haydn-Berichte enthält die Ergebnisse des musikwissenschaftlichen Symposions „Haydn & Das Streichquartett“, das im Mai 2002 im Rahmen eines außergewöhnlichen Haydn Streichquartett Weekends – innerhalb von fünf Tagen wurden alle 69 Streichquartette Haydns aufgeführt – stattgefunden hat. Dokumentiert sind nicht nur die Referate von neun namhaften Musikwissenschaftern, sondern auch die Diskussionen über Haydns Streichquartett-Schaffen. Der Band, herausgegeben von Prof. Georg Feder und Walter Reicher, ist im Hans Schneider Verlag, Tutzing (ISBN 3 7952 1133 6 zu 48 Euro) erschienen.

Das nächste Symposion wird es – wieder in Kooperation mit den Haydnfestpielen und der Kulturabteilung des Landes Burgenland – während der Eisenstädter Haydntage 2004 geben. Es wird sich mit den Grundlagen der dokumentarischen Haydn-Forschung befassen. „In letzter Zeit sind einige Archive neu aufgearbeitet worden, darunter auch das Esterhazy-Archiv auf Burg Forchtenstein„, berichtete Reicher. Daher wolle man der Frage nachgehen, „wo steht momentan die Haydn-Forschung?“

Kontakt:
Haydn-Archiv – Haydn-Museum
Haydngasse 21
A-7000 Eisenstadt
Tel.: (02682) 62652-29
Fax: (02682) 62715-30
bgld.lm@aon.at

Quelle: Burgenländische Volkszeitung, 1.12.2003

Akten der Israelitischen Religionsgemeinschaft jetzt im Stadtarchiv

Im Anschluss an eine Feierstunde auf dem Killesberg, die jetzt an die Deportation der Juden in Stuttgart während des Zweiten Weltkriegs erinnerte, wurden Akten der jüdischen Gemeinde an das Stadtarchiv übergeben.

Am Gedenkstein, der in Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse des Jahres 1941 im Killesberg-Park steht, wurde an die deportierten jüdischen Mitbürger gedacht. Barbara Traub von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRG) erinnerte an die Deportation, die damals nur 42 von 1.000 Menschen überlebt haben. „An diesem Ort des Gedenkens müssen wir die Erinnerung in den Herzen der Menschen wach halten und an die nächsten Generationen weitergeben“, so Traub. Vom Stuttgarter Nordbahnhof aus sei zwölf Mal deportiert worden, so Hans Heiner Boelte von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „In unserer Erinnerung bleibt nur Verzweiflung und Angst „, sprach er zu den Teilnehmern der Trauerfeier. Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch forderte dazu auf, „sich mit ganzer Überzeugungskraft gegen Stimmen zu wehren, die versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen.“ Laut Barbara Rahm von der IRG sei es wichtig Erinnerungsarbeit zu leisten: „Abwehrkräfte gegen Anti-jüdische Einstellungen müssen gestärkt werden.“

Zur Schaffung eines historischen Bewusstseins soll ein Vertrag beitragen, der gestern von OB Schuster und Barbara Traub, als Vertreterin der Israelitischen Religionsgemeinschaft unterzeichnet wurde. Die Akten der IRG, die sich seit 1945 angesammelt haben, waren bisher unter schlechten Bedingungen gelagert und somit gefährdet. Mit der Unterzeichnung des Vertrags hat die IRG die Unterlagen an das Stadtarchiv übergeben. Dort werden sie dauerhaft aufbewahrt und für die Forschung zugänglich gemacht. Laut OB Schuster will die Stadt damit das jüdische Leben in Stuttgart stärken. Schuster hofft, dass die Kulturstiftung Baden-Württemberg finanzielle Mittel für dieses Projekt zur Verfügung stellt. Das Material, dass jetzt als „Bestand IRG“ im Stadtarchiv lagert, ist umfangreich. Würde man die Akten ausbreiten, ergebe dies eine Länge von 150 Metern.

Quelle: Esslinger Zeitung, 1.12.2003

Heimatforscher aus Berufung und Passion

„Wer nicht von 2000 Jahren sich weiß, Rechenschaft zu geben, bleibt im Leben unerfahren, mag von Tag zu Tag er leben.“ Erich Langguth zitiert Altmeister Goethe bei der Frage, warum es so wichtig ist, um die eigene Geschichte und die der Stadt, in der man lebt, zu wissen. Gutes wie weniger Schönes hat Langguth, Wertheimer Stadtarchivar im Ruhestand und Heimatforscher aus Berufung und Passion, reichlich erfahren in seinem bisherigen Leben. Am heutigen Montag wird er 80 Jahre alt.

Keineswegs wirkt Erich Langguth wie ein 80-Jähriger, eher wesentlich jünger. Was dazu beiträgt – außer dem regelmäßigen Rad fahren, der Gartenarbeit und den frühmorgens zu absolvierenden Freiübungen -, erklärt er selbst so: „Es ist wohl außer himmlischer Gabe und wahrscheinlich guten Genen die Faszination meines Arbeitsgebietes, das einen täglich beschäftigt, voll auslastet und einen immer zu neuen Ufern lockt“. Da war und ist noch nicht einmal Urlaub nötig. „Ich brauche eigentlich keinen Urlaub, Fernweh hat mich nie geplagt. Meine Reiseziele und schönen Küsten sind die Archivalien“.

Schon als Kind ist Erich Langguth, der am 1. Dezember 1923 in der Mühlenstraße zur Welt kam, umgeben gewesen von „lauter historischen Dingen. Mein Vater war ja ein großer Sammler, und er hat gemerkt, dass auch ich auf der Seite interessiert bin, hat mir unendlich viel gezeigt, alte Bücher, alte Schriften, alte Fotos und alte Bilder.“ In der Schule lernt Langguth die alte deutsche Schrift, liest zu Hause mit Hilfe des Vaters aus alten Büchern und wird dort auch kontinuierlich herangezogen zu Archivarbeiten. So steht für ihn bald fest, was er einmal werden möchte: Archivar oder Historiker, nichts anderes.

Da er mitten im Zweiten Weltkrieg sein Abitur macht (1942), muss er aber auch zunächst seine Militärzeit absolvieren. Einem Einsatz in Frankreich folgt dabei die Verlegung an die Ostfront und dort eine schwere Verwundung mit anschließendem Aufenthalt in einem Lazarett in Tirol. Zusammen mit seiner Mutter, die ihn dort besucht, kehrt er im Frühjahr 1945 zurück nach Kreuzwertheim, wo die Familie seit 1937 wohnt, gerät doch noch in Kriegsgefangenschaft und muss ein halbes Jahr „im berüchtigten Lager 404 in Frankreich“ verbringen.

Als es die erste Möglichkeit zur Aufnahme des Studiums gibt, im Frühjahr 1946, ist Heidelberg die Adresse, auch weil Würzburg angesichts der Trümmerberge dort zu der Zeit nicht in Frage kommt. Das kärgliche Angebot am Neckar veranlasst Erich Langguth aber nach nur zwei Semestern, nach Göttingen zu wechseln, um dort weiter Geschichte, historische Hilfswissenschaften und Kunstgeschichte zu studieren. „Da das Mittelalter an der Universität Göttingen mit fünf Ordinarien vertreten war, ging dort die Post ab“, erinnert sich Langguth lebhaft an jene Jahre, in denen er auch auf den Historiker Hermann Heimpel trifft. Von ihm lernt er das wissenschaftlich-exakte Arbeiten streng nach den Quellen. Abschließen kann Erich Langguth sein Studium aber nicht.

Er kehrt um 1950 herum zum einen aus familiären Gründen nach Hause zurück. „Um die Zeit war mein Vater, der im Gegensatz zu mir schwache Augen hatte, schon fast erblindet. Es musste etwas verdient werden, zumal mein jüngerer Bruder Theologie studiert hat und er unbedingt zum Examen kommen sollte, um gemäß unserer Familientradition Pfarrer zu werden.“ 1952 wird der Bruder auch ordiniert. Zum anderen zwingen ihm Würzburger Archivleute sein Dissertationsthema auf, betreuen ihn aber nicht dabei. „Die haben mich im Stich gelassen, und das war dann alles zuviel, auch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse hier.“

Etwas verdienen, das gelingt Erich Langguth zunächst mit Auftragsarbeiten aus Amerika, von Mormonen, dann beginnt er Anfang der 50er Jahre seine Publikationstätigkeit bei einer zu jener Zeit auch in Wertheim erscheinenden Tageszeitung mit wöchentlich erscheinenden Kolumnen zu historischen Themen. Auch die Familienforschung kommt wieder in Gang, und schließlich übernimmt er zum 1. April 1954 den Posten des ehrenamtlichen Stadtarchivars.

Obwohl es in den Jahren danach teils lukrative Angebote gibt, sich beruflich zu verändern, bleibt Erich Langguth in Wertheim/Kreuzwertheim. „Ich wollte die Arbeit meines Vaters fortsetzen, außerdem hat mich die Wertheimer Geschichte an sich hier gehalten und der unbändige Drang, mich an der Aufhellung der Stadtgeschichte zu beteiligen.“ Zu den wichtigsten Aufgaben in jener Zeit gehört dabei, das Stadtarchiv auf den laufenden Stand zu bringen. 1958 wird das Archiv vom alten Rathaus (heute Grafschaftsmuseum) ins alte Krankenhaus (heute Kulturhaus) verlagert, 1977 folgt der Umzug in die ehemalige fürstliche Hofhaltung.

In diesen Jahren hat die Stadt Wertheim ihr Gesicht stark verändert, und in diesen Jahren war es vor allem Erich Langguth zu verdanken, dass die Stadt wenigstens teilweise ihr Gesicht bewahren konnte. Hätte Langguth, als die Odenwaldbrücke geplant worden ist, nicht rechtzeitig vehement interveniert, würde man heute statt auf die Stadtsilhouette am Main auf einen bis zu drei Meter hohen Straßendamm schauen. Auch der Straßendurchbruch im Bereich Linden-/Mühlenstraße in der jetzigen Form und die folgende Objektsanierung im Bereich Rittergasse ist dem Einsatz Langguths zu verdanken. Ursprünglicher Plan war hier, bis auf das Kallenbachsche Haus (heute Glasmuseum) in diesem Quartier alle Gebäude abzureißen und durch einen geschlossenen Betonklotz zu ersetzen.

Stets hat Langguth bei seiner Tätigkeit als Stadtarchivar (ab 1963 festangestellt) und als Denkmalpfleger (ab 1964 ehrenamtlich, ab 1981 als Städtischer Konservator) teils starken politischen Gegenwind zu spüren bekommen, sei es bei der Modernisierungswelle in den 50er Jahren oder, wie eben erwähnt, bei der Altstadtsanierung vor allem in den 70er Jahren.

Und wenn er sich heute ansieht, was am Spitzen Turm gebaut wird, hat er wieder allen Grund, sich zu Wort zu melden. „Man hätte allen Ernstes pietätvoller umgehen müssen mit diesem Quartier, in dem bis 1961 die Synagoge der jüdischen Gemeinde stand, gerade jetzt, wo so vieles im Schwange ist mit Bewältigung der Vergangenheit. Die Stadt Wertheim ist ja durch die Bank sehr unrühmlich mit ihren Zeugnissen umgegangen. Deshalb hätte man sagen müssen, die Synagoge in der Kubatur wieder aufzubauen und eine Gedenkstätte zu gestalten, dann hätte sich alles weitere an Bebauung zum Spitzen Turm hin ergeben. Dann wäre Wertheim auch wieder einmal seinen moralischen Ansprüchen gerecht geworden und hätte auch mal wieder Vorbildfunktion haben können.“ Statt dessen aber sieht er dort „krassen Materialismus“ im Entstehen, verbunden mit einer starken Veränderung der Stadtsilhouette, gerade weil eines der neuen Gebäude ganz knapp bis an den Spitzen Turm heranreichen wird. „Ich kenne kein Beispiel in Süddeutschland oder gar in ganz Deutschland, wo das so ist.“

Das leidvollste Kapitel im Berufsleben des Erich Langguth aber ist die Verlegung der Archive nach Bronnbach. Gerade mal zehn Jahre Bestand gehabt hat das Kulturzentrum, das sich dort durch die Einrichtung von Stadt- und Staatsarchiv, dem ebenfalls in der Hofhaltung untergebrachten Museum und dem benachbarten Glasmuseum entwickelt hat. „Das war eine ideale Geschichte, die Kultureinrichtungen auf engstem Raum beisammen zu haben“, so Langguth rückblickend, „und es ist schon ein herber Verlust gewesen, dass das wieder zerklopft wurde.“ Der gemeinsame Kampf, neben Langguth wehrte sich auch Dr. Hermann Ehmer gegen die Archivverlegung, endet zum einen mit einer schmerzlichen Niederlage und mit dem „bleibenden Zorn der Gewaltigen“. Der führt schließlich auch dazu, dass Langguth entgegen seiner Absicht, den Posten des Stadtarchivars so lange auszuüben, wie er psychisch und physisch dazu in der Lage ist – also auch heute noch – , in den Ruhestand geschickt wird. Im Laufe der Zeit hat sich Erich Langguth mit den geschaffenen Fakten abfinden müssen und dies auch bewerkstelligen können. „Es hat sich eingependelt, man kann ja mit allem leben.“

Nun, da er 80 Jahre alt ist, etwas kürzer zu treten, kommt ihm allerdings nicht in den Sinn. Zu den bisher rund 350 Artikeln, Aufsätzen und anderen Veröffentlichungen sollen sich, wenn es nach ihm geht, noch einige mehr gesellen. Angefangene Arbeiten sind die jüdischen Familienbücher aus Wertheim und Wenkheim und vor allem das Mammutunternehmen Wertheimer Häuserbuch, „aus dem heraus es auch noch ein paar spektakuläre Fälle gibt, die nach Darstellung rufen. Sobald es geht, werfe ich mich da wieder drauf. Daran habe ich die nächsten zehn Jahre noch tapfer zu tun, falls es keine wesentlichen Einbußen auf dem Umgebungssektor gibt.“ Geplante Themen, beispielsweise für die Jahrbücher des Historischen Vereins, sind Beiträge zur Reformationszeit in Wertheim, ohnehin ein Schwerpunkt seines Wirkens.

Er wird ihr also zweifellos treu bleiben, der faszinierenden Beschäftigung mit der Wertheimer Geschichte. Zumal die Stadt Gefahr läuft, in die Geschichtslosigkeit abzugleiten. „Es wird bald die Zeit kommen, in der es Wertheimer Ur-Einwohner nicht mehr gibt“, hat Erich Langguth feststellen müssen. „Was in Wertheim einmal war, als gewachsene Bürgerschaft, die irgendwie immer homogen war, ausgestattet auch mit einer eigenen Mundart, das noch festzuhalten und zu dokumentieren, sehe ich als eine der dringlichsten Aufgaben an.“

Quelle: Fränkische Nachrichten, 1.12.2003