Endlich der erste Blick aufs Schloss

„Mit 17 Jahren wurde ich von meinen Eltern getrennt und ins Eisenwerk gebracht. Dort musste ich arbeiten und durfte das Lager und das Werk nicht verlassen.“ Der Autor des Briefs hat jahrelang in Brühl gelebt, aber weder das Schloss, noch die Innenstadt gesehen. Er ist einer von zwölf ehemaligen Zwangsarbeitern, die zusammen mit ihren Begleitern die Einladung der Stadt angenommen haben und im November nach über 50 Jahren Brühl besuchen. Nach Hürth ist Brühl die zweite Stadt im Erftkreis, die Zwangsarbeiter aus der Zeit des Nationalsozialismus eingeladen hat.

„Inzwischen kenne ich alle Namen und die Schicksale, die sich dahinter verbergen“, sagt Margret Reuter. Die Leiterin der Kulturabteilung hat gemeinsam mit Archivar Günter Deuster monatelang in den Archiven gewühlt, 626 Bücher mit Meldekarteien durchforstet, Briefe geschrieben und organisiert. Heute weiß sie, dass ein Franzose nach einem Aufenthalt in zwei Konzentrationslagern bei einem Friseur in Brühl unterkam.

„Dort wurde ich zum ersten Mal gut behandelt“, schreibt er in einem Brief. Nach kurzer Zeit habe er zur Familie gehört und dort sogar seine spätere Frau kennengelernt. Nicht alle Erinnerungen der Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft, in Privathaushalten, im Gruhlwerk und im Eisenwerk tätig sein mussten, sind so positiv. Ein Ukrainer schreibt, er habe „hungrig, erkältet und fast nackt“ Gleise reparieren müssen.

Die Einladung geht auf einen Antrag der Grünen im Jahr 2001 zurück, der Rat beschloss 2002 eine Einladung auszusprechen, die im Herbst vergangenen Jahres verschickt wurde. „Zum Teil waren die Wege abenteuerlich, und die Post hat hervorragende Arbeit geleistet“, erzählt Reuter. Ein Brief nach Australien landete schließlich richtig beim nach Kanada verzogenen Adressaten. Der 81-Jährige wollte eigentlich aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen. Nachdem ihm Reuter jedoch ein Paket mit neuen Fotos und Unterlagen aus Brühl zugesandt hatte, entschloss er sich, doch zu kommen. Während die Reiseplanung der Gäste aus Polen, Kanada und Frankreich bereits feststeht, entwickelt sich der Besuch der größten Gruppe aus der Ukraine zunehmend zum Problem.

„Viele der Ukrainer, die bereits zugesagt haben, bekommen kein Visum, weil sie keinen Pass haben“, sagt Reuter. Das Geld für das Dokument könne aus Brühl bezahlt werden, aber viele Behörden weigerten sich schlicht, den Pass auszustellen. Außerdem müssten die Antragsteller persönlich nach Kiew reisen. „Wir denken im Moment darüber nach, einen Subunternehmer zu beauftragen, der vor Ort versucht, die Sache zu regeln“, berichtet Kulturdezernentin Elisabeth Hackstein. „Von hier aus sind wir machtlos. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass in diesem Land so katastrophale Verhältnisse herrschen.“

Kontakt:
Stadtarchiv Brühl
Rathaus
Mühlenbach 65 
50321 Brühl
Telefon: 02232-79-266
Telefax: 02232-79-568
http://www.bruehl.de

Quelle: Kölnische Rundschau, 15.8.2003.

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