Territorial gegliedert, informiert der achte, Thüringen betreffende Band der »Heimatgeschichtlichen Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945« über die Stätten der Verfolgung durch die Naziherrschaft, über Orte des Widerstands sowie über Grabstätten und andere Gedächtnisorte. So werden Kreis für Kreis, Ort für Ort für das Land Thüringen erfaßt und beschrieben. Die Beschreibungen für jeden Ort gliedern sich durchgängig in die Abschnitte »Widerstand und Naziterror« und »Konzentrationslager und Zwangsarbeit«, hin und wieder ergänzt durch »Rassistische Verfolgung und ›Euthanasie‹«.
Vorgestellt werden die Stätten des Naziterrors, die frühen Konzentrationslager Nohra und Bad Sulza, die späteren Buchenwald und Dora und ihre Außenlager, die SA-Folterstätten, die Gefängnisse und Zuchthäuser u.a. in Ichtershausen und Gräfentonna. Beschrieben werden die Stationen der Verfolgung der Juden, der Sinti und Roma bis zu ihrer Deportation in Vernichtungslager. Dokumentiert werden die Orte der Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen, zivilen Zwangsarbeitern und KZ-Gefangenen, so das Kriegsgefangenenstammlager IX C Bad Sulza und seine Arbeitskommandos, die Zwangsarbeiterlager zahlreicher Groß- und Mittelbetriebe der Industrie, der Land- und Forstwirtschaft, das Arbeitserziehungslager Römhild, die unterirdischen Verlagerungsprojekte der Rüstungsindustrie im Kohnstein und in Ohrdruf. Nachgewiesen werden die Stationen der Ausgrenzung und Ermordung behinderter Menschen, so die Landesheilanstalten Mühlhausen-Pfaffenrode, Blankenhain und Stadtroda samt den ihnen übergeordneten Gesundheitsämtern. Die aufgelisteten Orte der Verfolgung beschränken sich nicht auf jene, an denen sich eine Verfolgungsinstitution befand. Aufgenommen wurde jeder Ort, an dem Menschen verfolgt, verhaftet, verurteilt oder umgebracht wurden – soweit sie bekannt sind. Der Wegweiser kann über viele Orte nur wenige Anhaltspunkte liefern, über manche fehlen auch jegliche Kenntnisse, obwohl Vollständigkeit angestrebt wird. Die Autoren verstehen daher ihre Dokumentation als Zwischenbilanz ihrer jahrelangen Recherchen.
Die Dokumentation der Stätten des Widerstandes ist zwar territorial gegliedert, geht aber von den Menschen aus, die an den angegebenen Orten lebten und in dieser oder jener Form Widerstand leisteten. Das Spektrum ist hinsichtlich der einbezogenen Aktivitäten wie hinsichtlich der sozialen und politischen Spannbreite der bekanntgewordenen Personen umfassend.
Der Band stellt jedem Kreis eine Karte mit der Gemeindeeinteilung voran, dabei geht er von der heutigen administrativen Einteilung aus. Für jeden größeren Ort wird eingangs eine soziale Charakteristik gegeben. Zahlreiche Karten, Lagepläne und Abbildungen verleihen dem Band eine vorzügliche Übersichtlichkeit. Vor allem hinsichtlich der kleineren Gedenkorte, also Grabsteine, Gedenksteine, Denkmäler, ist er reichhaltig mit Abbildungen ausgestattet. Für jeden Kreis werden am Schluß der Dokumentation Quellen und Literaturhinweise angegeben.
Bei Gedenkstätten wird über Adressen. Telefon, Öffnungszeiten und Führungen informiert. Ein Ortsregister erleichtert die Übersicht, ein Personenregister fehlt.
Der Band über Thüringen folgt in Aufbau und Präsentation den sieben Bänden der Reihe »Wegweiser«, die vom Studienkreis Deutscher Widerstand initiiert und in langjähriger Forschungs- und Editionsarbeit realisiert wurden. Bisher erschienen Wegweiser zu Baden-Würtemberg 1, Bremen, Hessen (2 Teilbände), Niedersachsen (2 Bände), Saarland, Schleswig-Holstein 1. Der Band zu Thüringen ist der erste in dieser Reihe über ein Land aus der ehemaligen DDR.
Der Hauptzweck des Bandes und der Reihe besteht darin, Spuren zu sichern und sie vor dem Verdrängt- und Vergessenwerden zu bewahren. Mit seiner detaillierten und umfassenden Rekonstruktion der Stätten von Verfolgung und Widerstand gegen den Faschismus in diesem Lande stellt er allen Antifaschisten solide, zuverlässige Information darüber zur Verfügung, wo und von wem gegen die Nazibarbarei Widerstand geleistet wurde. Regional- und lokalgeschichtlich angelegt, reicht die Bedeutung des Wegweisers über die beschriebenen Territorien hinaus.
Info:
»Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945«, Bd. 8: Thüringen.
Mit einem Vorwort von Frank Spieth, DGB-Landesvorsitzender Thüringen, hrsg. vom Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-45,
Frankfurt 2003, ISBN 3-88864-343-0, 380 S.
Quelle: Junge Welt vom 21.6.2003
Reininghaus wird Präsident des Landesarchivs NRW
Der Leiter des Staatsarchivs Münster, Professor Dr. Wilfried Reininghaus, wird Präsident des zum 1. Januar 2004 zu errichtenden Landesarchivs Nordrhein-Westfalen. Der 1950 geborene Reininghaus hat Volkswirtschaftslehre und Geschichte in Münster studiert. Seit 1982 arbeitete er im Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund, als dessen Leiter er 1996 als Ltd. Staatsarchivdirektor an das NRW Staatsarchiv Münster wechselte. An der Universität Münster ist er apl. Professor für Westfälische Landesgeschichte.
Das nach einer Entscheidung der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf der Grundlage einer Organisationsuntersuchung zu Jahresbeginn zu schaffende Landesarchiv Nordrhein-Westfalen soll als zentrale Einrichtung des staatlichen Archivwesens dienen. Es wird aus drei Zentral- und vier Fachabteilungen bestehen – den bisherigen Staatlichen Archiven in Brühl, Detmold, Düsseldorf und Münster. Das künftige Landesarchiv ist zuständig für alle Fragen des staatlichen Archivwesens in NRW. Der Präsident wird das Landesarchiv mit Hauptsitz in Düsseldorf leiten sowie zugleich die für die archivfachlichen Grundsatzfragen und die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Abteilung des Landesarchivs. Er führt rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Vor der Übernahme des Präsidentenamtes zum 1. Januar 2004 wird Professor Reininghaus vom 1. Juli an als Leiter des Aufbaustabes für das neue Landesarchiv fungieren.
Entscheidung über Stadtarchiv Alzey verschoben
Erst in einer Stadtratssitzung im September soll die Entscheidung fallen, ob das Alzeyer Stadtarchiv in der Stadt bleibt oder an das Landesarchiv Speyer abgegeben wird, wie Bürgermeister Knut Benkert (SPD) gegenüber der AZ mitteilte. Ursprünglich war ein Votum für Juni vorgesehen, nachdem sich der Stadtrat im Februar 2003 noch Bedenkzeit gegeben hatte. Am kommenden Freitag, den 27. Juni, wird Benkert der interfraktionellen Arbeitsgruppe ein Papier präsentieren, in dem sich Speyer verpflichtet, die Alzeyer Archivalien innerhalb eines Jahres zu erschließen. Bürgermeister Benkert sieht sich durch dieses Schreiben aus Speyer in seiner Position bestätigt
In der Sitzung Anfang Februar 2003 hatte sich der Stadtrat nach Widersprüchen aus der Bevölkerung dem Antrag des Bürgermeisters verweigert, das Stadtarchiv an Speyer abzugeben. Stattdessen war eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die bis Juni Vorschläge zum weiteren Verfahren erarbeiten sollte. Diese Entscheidung ist nun aber bis September aufgeschoben worden.
Die Abstimmungsniederlage Anfang des Jahres sieht Benkert nicht als persönliche Schlappe: „Es geht um Inhalte, nicht um Personen.“ Im Stadtrat hätten ohnehin nur „ein oder zwei Leute Ahnung vom Archivwesen“. Sein Vorschlag sei eine „wirtschaftlich vertretbare, professionelle und bezahlbare Lösung“, warb Benkert. In einer Sitzung der Arbeitsgruppe am kommenden Freitag werde über eine Lösung diskutiert. Auch der Altertumsverein sei mit im Boot.
9.482 Euro müsste Alzey pro Jahr nach Speyer überweisen, das seien etwa 50 Cent pro Einwohner und Jahr, damit die Archivare dort die Kladden und Aktenbündel bearbeiten. Dass Oppenheim heute bereue, sein Archivgut abgegeben zu haben, sei ein unsinniges Argument, das „irgendwelche Idioten“ in die Welt setzten, ärgert sich Benkert. Oppenheim habe keinen Pfennig bezahlt, Alzey werde aber bezahlen und könne deswegen auch auf eine schnelle Bearbeitung vertrauen. „Die Summe ist schwer zu stemmen, aber sehr viel billiger, als einen Archivar und eine Hilfskraft einzustellen“, rechnet Benkert vor. Dies würde das Fünf- oder Sechsfache kosten. Vor allem fehlten in Alzey die geeigneten Räume für die Archivalien.
Zurzeit seien die Schriftstücke in Kellerräumen deponiert, verfielen allmählich wegen der unsachgemäßen Aufbewahrung. Für den neueren Teil des Archivs gebe es keine der so genannten Findbücher – das sind Verzeichnisse, ohne die der Forscher nicht zu seinen Unterlagen findet. Speyer werde diese Aufgabe gerne übernehmen, erklärt Benkert.
Auch wegen des Datenschutzes wehrt er sich dagegen, ehrenamtliche Kräfte an die Archivstücke zu lassen. „Das können nicht Hinz und Kunz machen, wenn es um Vermögensverhältnisse geht“, meint Benkert. Bis zum 100-jährigen Jubiläum des Altertumsvereins 2006 seien die Schriftstücke im Landesarchiv längst erschlossen. „Hätte der Stadtrat im Februar entschieden, wäre der größte Teil des Alzeyer Archivs bereits jetzt aufgearbeitet.“
Forscher und Geschichtsinteressierte sind gegen Abgabe der Akten ans Landesarchiv Speyer
In einem fünfseitigen Papier haben sich die historischen Vereine Alzeys gegen die Abgabe des Stadtarchivs an das Landesarchiv Speyer ausgesprochen. Altertumsverein, Altstadtverein und Verein für Postgeschichte setzen sich in dem Schreiben, das an alle Stadtratsmitglieder geschickt wurde und das unserer Zeitung vorliegt, für den Verbleib und Aufbau des Archivs vor Ort ein.
Wenige Tage vor der Sitzung der Arbeitsgruppe am Freitag haben die in den historischen Vereinen organisierten Fachleute und Forscher ihre Meinung zu der von Bürgermeister Knut Benkert (SPD) vorgeschlagenen Abgabe des Stadtarchivs nach Speyer dargelegt. Unter der Überschrift „Archiv der Stadt Alzey: Situation, Alternativen, Lösungen“ beschreiben die Autoren die Ausgangslage und diskutieren Für und Wider der Abgabe und des Verbleibs der historischen Dokumente. Ihr Fazit: Die Archivalien in der Stadt zu lassen sei „sachlich, personell und finanziell möglich und im Hinblick auf Geschichte und Kulturleben der Stadt wünschenswert.“
Ein Stadtarchiv in Alzey ist nach den Rechnungen der Vereine nicht teurer als die Summen, die jährlich an das Landesarchiv in Speyer entrichtet werden müssten. Für die Kassation – also das Sichten und Aussortieren – der neueren unbearbeiteten Archivalien soll ein Archivar mit einem zeitlich befristeten Werkvertrag angestellt oder aber ein Fachmann eines Archivs der Umgebung zeitweise entliehen werden. Für einen zweijährigen Werkvertrag müssten rund 12.000 Euro ausgegeben werden. Innerhalb von ein bis zwei Jahren könnten die bisher unerschlossenen Archivalien der 1950er bis 1980er Jahre bearbeitet werden. Damit werde der dringend benötigte Platz in der überfüllten Registratur der Stadtverwaltung geschaffen.
Anschließend sollten ehrenamtliche Archivare die historischen Unterlagen und Schriftstücke verwalten. Für ihre neuen Aufgaben könnten sie etwa in der Archivschule in Marburg schlau gemacht werden. Auch der Raumbedarf wird in dem ausführlichen Konzept berechnet: Für 20 Regale würden etwa 50 Quadratmeter benötigt, entsprechende Räume könnten in einer Schule oder einer Wohnung angemietet werden. Somit müssten 3000 Euro Mietkosten, 5544 Euro als Aufwandsentschädigung für die drei Archivpfleger und 906 Euro an Sachmitteln ausgegeben werden, haben die Vereine in einer Modellrechnung herausgefunden. Damit blieben die Kosten nach den ersten Anschaffungen sogar deutlich unter denen von Speyer jährlich geforderten 9.482 Euro.
„Alzey gibt mit dem Archiv seine Identität, seine Geschichte aus der Hand“, befürchtet Privatdozentin Dr. Sigrid Schmitt, die in Mainz an der Johannes Gutenberg-Universität Mittelalterliche Geschichte lehrt und Vorstandsmitglied des Altertumsvereins ist. Das Alzeyer Archiv sei bis zu den 1950er Jahren gut zugänglich, sorgfältig verzeichnet und werde professionell betreut. Im 70 Kilometer entfernten, anonymen Landesarchiv Speyer könne niemand den Forschern Auskunft über Alzeyer Geschichte geben. Dort sei mit mehr Bürokratie und deutlich höheren Kopierkosten zu rechnen. Außerdem sei der Vorschlag, das Archiv abzugeben, verwunderlich, weil die Mitglieder des Altertumsvereins in ehrenamtlicher Arbeit und auch mit hohem finanziellen Einsatz über Jahrzehnte hinweg das Alzeyer Stadtarchiv mit aufgebaut hätten.
Bei einer Abgabe des Stadtarchivs in die Pfalz seien nicht nur lange Anfahrtswege zu befürchten, sondern in letzter Konsequenz ein „Versiegen der historischen Lokal- und Heimatforschung“, heißt es in dem Papier. Dies zeige das Beispiel der Nachbarstadt Bingen, die ihr 1965 nach Speyer abgegebenes Archiv zurückhole. Dort habe die stadtgeschichtliche Aufarbeitung stark unter der Entfernung gelitten, mit dem Auszug des Archivs sei – laut Kulturdezernent – das wissenschaftliche Arbeiten zur Stadtgeschichte „abrupt abgebrochen“.
Kontakt:
Archiv der Stadt Alzey
Ernst-Ludwig-Str. 42
55232 Alzey
Tel.: 06731-4950
Fax: 06731-495555
information@alzey.de
www.alzey.de
Altertumsverein Alzey und Umgebung e.V.
Dr. Helmut Schmahl
Burgunderstraße 3
55232 Alzey
Tel. und Fax: 06731/45298
http://www.altertumsverein-alzey.de/
Altstadtverein Alzey e.V.
Wulf Kleinknecht
Ernst-Ludwig-Straße 45
55232 Alzey
Tel. 06731/2469
Verein für Postgeschichte in Rheinhessen e.V.
Manfred Hinkel
Am Roten Tor 63
55232 Alzey
Tel. 06731/43839
http://www.postgeschichte-rheinhessen.de/
Quelle: Allgemeine Zeitung, 24.6.2003
Tagung: 350 Jahre Wismarer Tribunal
Für den 27. und 28. Juni 2003 laden der Greifswalder Lehrstuhl für Strafrecht und Strafverfahrensrecht (Prof. Dr. Jürgen Regge) und das Universitätsarchiv (Leiter Dr. Dirk Alvermann) zu einer gemeinsamen rechtsgeschichtlichen Tagung mit deutschen, schwedischen, dänischen und polnischen Historikern, Archivaren und Juristen in den Großen Sitzungssaal des Oberverwaltungsgerichtes in Greifswald (Domstraße 7) ein.
Anlass hierfür bietet das 350-jährige Jubiläum der Einrichtung des Königlichen Tribunals in Wismar, des Oberappellationsgerichtes für die schwedischen Lehen im Alten Reich (zu denen ein Teil Pommerns bis 1806 gehörte). Zugleich jährt sich zum 200. Mal die Verlegung des Tribunals von Wismar über Stralsund nach Greifswald im Jahre 1803.
Grund genug, die Stellung des bedeutenden historischen Gerichtsstandortes Greifswald mit dem Pommerschen Hofgericht, dem Konsistorium sowie dem Spruchkollegium der Juristenfakultät und deren Beziehungen zum Königlichen Tribunal in Wismar zu untersuchen. Solchen Verbindungen läßt sich nicht nur im Instanzenzug nachspüren. Ihnen liegt auch ein sehr enges personelles Geflecht zugrunde, denn mehrere spätere Vizepräsidenten und Assessoren des Tribunals waren zuvor Professoren der Greifswalder Juristenfakultät (David Mevius, Hermann Heinrich Engelbrecht, Augustin v. Balthasar, Breitenstern, Emanuel Friedrich Hagemeister) oder verdankten ihr ihre Ausbildung, andere waren vor ihrem Dienst in Wismar Assessoren am Pommerschen Hofgericht. Durch die enge Verschwägerung unter den pommerschen Juristenfamilien gab es zudem starke familäre Beziehungen zwischen allen Gerichten. Die Universität selbst errang 1753 (noch ein Jahrestag) das Privileg, nur vor dem Königlichen Tribunal beklagt zu werden. Zu diesen und anderen Themen werden dreizehn Referenten sprechen, deren Vorträge später in einem Tagungsband veröffentlicht werden sollen. Das genaue Tagungsprogramm ist dem Veranstaltungskalender der Pressestelle zu entnehmen.
Info:
Prof. Dr. Jürgen Regge, Cornelia Hohn
Lehrstuhl für Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Universität Greifswald,
Domstraße 20,
17487 Greifswald,
Tel. 03834-86-2106,
Fax 03834-862103,
hohn@uni-greifswald.de
Ort und Zeit:
27.06.2003 um 09:00 bis 28.06.2003 17:00
Großer Sitzungssaal, Oberverwaltungsgericht MV
17487 Greifswald
Tagungsprogramm:
27. Juni 2003
09:00-09:15 Begrüßung
09:15-10:00 Jürgen Regge „Greifswald als Gerichtsort in der Übergangszeit von schwedischer zu preußischer Herrschaft“
10:00-10:45 Kjell Åke Modéer „Aktenversendung und Greifswalder Juristenfakultät“
10:45-11:15 Kaffeepause
11:15-12:00 Martin Onnasch „Konsistorium und Tribunal“ 12:00-12:45 Martin Schoebel „Hofgericht und Tribunal“
12:45-14:45 Diskussion
13:00-14.45 Mittagspause
14:45-15:30 Dirk Alvermann „Akademische Gerichtsbarkeit, Hofgericht und Tribunal – der Streit um das forum competens“
15:30-16:15 Uwe Kiel „Das Oberappellationsgericht aus städtischer Perspektive – das Beispiel Greifswald“
16:15-17:15 Kaffeepause/Diskussion
17:15-18:00 Felix Schönrock „Greifswalder Gerichtstopographie“ (anschl. mögliche Besichtigung der ehemaligen Gerichtsstandorte)
20:00 Uhr Empfang/Abendessen
28. Juni 2003
9:15-10:00 Nils Jörn „Greifswalder und Rostocker Professoren am Wismarer Tribunal“
10:00-10.45 Martin Krieger „Greifswalder Gelehrtenkommunikation im Zeitalter der Aufklärung“
10:45-11.15 Kaffeepause
11:15-12:00 Jens E. Olesen „Auswirkungen der dänischen Herrschaft auf Verständnis und Praxis der Tribunalstätigkeit“
12:00-12.45 Diskussion
12:45-14:30 Mittagspause
14:30-15.15 Pawel Gut „Patrimonialgerichtsbarkeit in Pommern“
15:15-16:00 Anja Tews “ Die Strafrechtspflege im Bezirk des Oberappellationsgerichts zu Greifswald (1915-1851)“
16:00-16:45 Diskussion/Kaffeepause
16:45-17:00 Schlußworte
Teilnahme-Informationen über
Prof. Dr. Jürgen Regge, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Domstraße 20, Tel. 03834-862107
Dr. Dirk Alvermann, Universitätsarchiv, Tel. 03834-861155, archiv@uni-greifswald.de
Quelle: idw-online, 20.6.2003
1828 erstes Pferderennen in Neubrandenburg
Zwar feiert der Reitsportverein „Vier Tore“ dieser Tage im Rahmen eines großen Reit-, Spring- und Fahrturniers seinen 50. Geburtstag, doch reicht die Historie des Pferdesports in Neubrandenburg wesentlich weiter zurück. Die Straßennamen Reitbahnweg und Pferdemarkt weisen darauf hin.
Peter Maubach, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalmuseum, öffnete bereitwillig die Archive und heraus kam Erstaunliches: Schon Ende August 1828 gab es in Neubrandenburg erste Pferderennen. Dem allgemeinen Trend folgend, die Ergebnisse der Arbeit der Region bekannt zu machen, hatten die Stadt und der „Landwirtschaftliche Verein für Mecklenburg-Strelitz“ 1827 beschlossen, in Neubrandenburg eine Rennbahn anzulegen. Rennen, Pferdemärkte, Tierschauen und Ähnliches sollten veranstaltet werden. Die Region bekannt machen, den „Tourismus“ ankurbeln, lautete die Devise. Das Schweriner Freimüthige Abendblatt berichtet, dass nach einjähriger Bauzeit vom 27. bis 29. August 1828 „Pferderennen, Pferde- und Füllenschauen sowie Verkauf“ stattfanden.
Zum Ablauf der ersten Neubrandenburger Pferdetage vermeldet das Freitmüthige Abendblatt weiter: Die Fläche der Neubrandenburger Rennbahn „ist durchweg eben und mit großer Sorgfalt sind alle Vertiefungen – deren es hier gewiss viele gegeben hat, da der Boden mit Holz bewachsen war, welches erst ausgeradet werden musste – durch aufgefahrenen und eingestampften Sand ausgeglichen. Wenn alles erst gehörig beraset ist, welches bei der fruchthaltenden Lage des Erdreichs binnen kurzem der Fall seyn muß, so wird die Neubrandenburger Rennbahn, rücksichtlich ihrer mit Umsicht kunstvoll geebneten Grundfläche, nicht leicht ihres Gleichen finden, obgleich sie wegen der Lage und natürlichen Mischung des Erdbodens nie die Festigkeit erhält, also auch den Rennpferden weniger zusagt !
Wir hoffen, dass es den Neubrandenburger Rennen nie an Konkurrenz fehlen werde, und dass die patriotische Bereitwilligkeit der Stadt, die Sorgfalt und Kosten, welche sie auf die so zweckmäßig vollendete Rennbahn verwendet, durch einen ferner fortdauernden lebhaften Verkehr belohnt werde!“
Neubrandenburgs Pferderennen hatten zunächst lebhaften Zuspruch. Wer was auf sich hielt, kam zum Rennen. Der Bürgermeister war etablierter Hauptschiedsrichter. Gewettet wurde an der Rennbahn und es ist auch von ersten Versuchen die Rede, Rennen zu manipulieren. Kritiker gab es natürlich auch. Der englische Profireiter Ch. J. Apperlay schrieb unter anderem.: „Ich wohnte mit Graf Hahn zusammen mitten in der Stadt, die das schlechteste Pflaster hat, das mir in dünnen Schuhen jemals vorgekommen ist.“ Und an anderer Stelle: „Unter den Nennungen befand sich Baron Biels ,Bolero‘, der, obwohl ein herzlich schlechtes Pferd, mit Webb im Sattel, doch von den Neubrandenburger Sportsmen als zu überlegen angesehen wurde, so dass sich diese einstimmig weigerten, gegen einen solchen Gegner zu starten. Erst die Zurücknahme von ,Bolero‘ ermöglichte das Rennen.“
Um 1860 sank das Interesse der Zuschauer. Es kamen nur noch wenige. Die Stadt gab schließlich 1868 die Rennbahn zugunsten der Stralsunder Bahnlinie auf, die genau durch das einstige Renngelände führte.
Kontakt:
Regionalmuseum Neubrandenburg
Treptower Straße 38
17033 Neubrandenburg
Tel. 0395/5551921
Fax. 0395/5552936
Museum@Neubrandenburg.de
www.mvweb.de/museen/hm003.html
Kontakt:
Reitverein RSV Vier Tore Neubrandenburg e.V.
Rostocker Str.17
17033 Neubrandenburg
Quelle: Nordkurier vom 23.6.2003. – Die Zeitung wird die Geschichte des Pferdesport in Neubrandenburg in einer kleinen Artikelserie weiter beleuchten.
Krakower Bibliothek erhält Königliche Chronik
Eine Familie aus den Niederlanden löste ein Versprechen ein – und die Bibliothek Krakow am See ist um eine Attraktion reicher: eine Kopie einer Chronik von Dobbin aus dem Königlichen Hausarchiv Den Haag. Zu verdanken hat die Bibliothek das der niederländischen Familie G. Maassen aus Ugchelen/Appeldoorn.
Wie es dazu kam, schilderte Annette Bernstein, die Leiterin der Bibliothek, der SVZ: „Das Ehepaar war im vergangenen Jahr in unserer Bibliothek und suchte etwas über Dobbin. Es war hier in Krakow im Urlaub und betrieb private Studien, wo ihre Königin einmal ihre Sommerresidenz hatte. Da konnte ich aber kaum helfen, weil wir sehr wenig haben. Die Familie versprach mir daher, etwas zu schicken, aus dem Den-Haager Archiv. Herr Maassen erzählte mir auch, dass er im Landesarchiv Schwerin auch schon Vorträge gehalten habe. Natürlich habe ich mich sehr gefreut als die Familie jetzt vor mir stand und das Versprechen eingelöst hat.“
Die Krakower Bibliothek ist damit im Besitz einer Kopie der „Geschichte des ritterlichen Gutes Dobbin“, Amt Goldberg, geschrieben vom Grafen von Oeynhausen, 1903. Die Chronik wird Annette Bernstein binden lassen, damit sie auch ausgeliehen werden kann. Außerdem hat sie jetzt die Adresse des Hausarchivs in Den Haag. Annette Bernstein: „Vielleicht nehme ich schon bald Verbindung auf.“
Quelle: Güstrower Anzeiger, 24.6.2003.
Begrenzte Haltbarkeit der digitalen Signatur
Die Ziele waren abgesteckt, Umsetzungspläne erstellt, Fortschrittsanzeiger eingerichtet und bis Ende 2005 wollte der Bund alle seine Dienstleistungen online (http://www.bund.de/BundOnline-2005-.6164.htm) stellen. Schließlich hatte man die elektronische Unterschrift gesetzlich der eigenhändigen gleichgestellt und mit Signaturgesetz (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/sigg_2001/index.html), Signaturverordnung (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/sigv_2001/index.html) sowie dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften alles penibel festgelegt. Somit sollten sich Anträge, Auftragsvergaben oder Beschaffungsmaßnahmen sicher online abwickeln lassen.
Doch nun dies: Da macht die Marktforschungsfirma Mummert Consulting (http://www.mummert-consulting.de/) darauf aufmerksam, dass die Zertifikate für digitale Signaturen gerade mal fünf Jahre lang gesetzlich gültig sind. Das heißt, längerfristige Verträge, etwa Grundbucheinträge, enthalten nach Ablauf von fünf Jahren keine rechtsgültige Unterschrift mehr. Dann müsste man Nutzern zumuten, die entsprechenden Unterlagen erneut zu zertifizieren.
Da es bislang aber noch keine befriedigenden Lösungen gibt, die zeitliche Befristung aufzuheben beziehungsweise Zertifikate zu archivieren, ist guter Rat gefragt. Bis zu drei Jahren, so schätzt Mummert Consulting, könne sich das E-Government nunmehr verzögern, dabei hatte Innenminister Schily gehofft, durch die Einführung elektronischer Abläufe in der Verwaltung jährlich 400 Millionen Euro an Verwaltungskosten einzusparen. (Heise/c't; 21.6.2003)
Konflikt um »Bundeslöschtage« geht weiter
Das Bundeskanzleramt trägt die Einstellungsverfügung der Bonner Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens, das wegen Datenlöschungen im Bundeskanzleramt im Frühherbst 1998 sowie wegen dort verschwundener Akten geführt wird, nicht mit. Dies geht aus einem Schreiben hervor, das das Bundeskanzleramt nach einer Fristverlängerung nunmehr am 12. Juni der Staatsanwaltschaft zugehen ließ.
Hintergrund für die unterschiedlichen Auffassungen um die sog. „Bundeslöschtage“ ist, dass sich in der Bewertung der Kanzleramts-Spurensuche von „Sonderermittler“ Burkhard Hirsch (FDP) über die letzten drei Wochen der Ära Kohl zwei Lager gegenüberstehen: Die einen glauben der These Hirschs, dass Daten absichtlich und großflächig gelöscht und Akten gezielt vernichtet bzw. verbracht worden seien, um mehr oder weniger kriminelle Machenschaften zu verdecken. Die anderen, so z.B. Unionsfraktionsgeschäftsführer Eckart von Klaeden, sehen in den Vorwürfen ein „gigantisches Täuschungsmanöver“ der Regierung Schröder.
Eckart von Klaeden beschuldigte am 7. Mai laut dpa die rot-grüne Bundesregierung, die angebliche Aktenvernichtung der Vorgängerregierung Kohl selbst getätigt zu haben. Die „Bundeslöschtage“ am 30. September sowie am 6. und 20. Oktober 1998 seien eine Technikpanne gewesen, die für eine Anti-Kohl-Kampagne benutzt wurde. Zuvor war von Seiten der Bonner Staatsanwaltschaft der Vorwurf laut geworden, dass Hirsch als Ermittler der gegenwärtigen Bundesregierung in diesem Fall Zeugen manipuliert haben soll, um belegen können, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ihm nicht genehme Akten habe vernichten lassen. Laut Staatsanwaltschaft fanden Zeugen Aussagen in der Niederschrift Hirschs, die sie so nicht gemacht hätten. Die Befragung sei suggestiv gewesen.
Die Bonner Staatsanwaltschaft will, wie Mitte April bekannt wurde, die Ermittlungen gegen zwei frühere Spitzenbeamte des Kanzleramts – Ministerialdirektor a.D. Hans-Achim Roll und Ministerialrat Theodor Grewenig – wegen verschwundener Akten und gelöschter Daten zur Amtszeit Helmut Kohls einstellen. Die Staatsanwaltschaft bezweifle, dass im Kanzleramt kurz vor dem Regierungswechsel 1998 zwei Drittel aller Daten zentral und vorsätzlich gelöscht wurden, berichtete DIE ZEIT, und sehe deshalb keinen Tatverdacht gegen die beiden Beamten. Ein Großteil der vorgeblich im Herbst 1998 verschwundenen Unterlagen unter anderem zur Privatisierung der ostdeutschen Leuna-Werke seien gefunden worden, teilte Behördensprecher Friedrich Apostel mit. Die Akten seien zum Teil falsch abgeheftet worden. Damit bestätigte Apostel einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Zu angeblich verschwundenen Daten habe ein Gutachten ergeben, dass der Nachweis einer vorsätzlichen Löschung nicht geführt werden könne, sagte der Sprecher.
Für Burkhard Hirsch, der bis Juni 2000 im Auftrag des Leiters des Bundeskanzleramtes im Gesetz vorgesehene disziplinarrechtliche Vorermittlungen durchgeführt, d.h. nach den Akten geforscht hatte und auf Lücken in den Akten gestoßen war, steht – einem Bericht der FAZ vom 19. April zufolge – hingegen fest, dass es sich um „ein Märchen“ handelt, dass Daten und Akten wieder aufgetaucht sein könnten. Rätselhaft ist seinen Aussagen zufolge das Schicksal der verschwundenen Akten. Die in seinem Bericht als verschwunden bezeichneten Akten seien bisher nicht wieder aufgetaucht – sieben Original-Ordner Leuna und sieben Originalvorgänge weiterer wirtschaftlich bedeutsamer Privatisierungsvorgänge, darunter Braunkohlekombinate, die Interhotel-Kette, die Motorrad-Werke Zschopau und die Mitteldeutsche Kali. Die in Hirschs Bericht nachgewiesenen zum Teil mehrjährigen Lücken in der Leuna-Akte und in anderen untersuchten Vorgängen bestünden unverändert. Es ist nach seiner Ansicht unstreitig, dass in erheblichem Umfange Daten gelöscht wurden. Streitig sei der Umfang der Löschungen, wer sie vorgenommen hat und ob diese Vorgänge strafrechtlich relevant waren.
Die Bundesregierung hatte im Sommer des Jahres 2000 Strafantrag gestellt. – Nun wurde mit Spannung erwartet, wie die Bundesregierung zu den Ermittlungsergebnissen der Bonner Staatsanwaltschaft Stellung nimmt. Das Kanzleramt stellte sich, laut FAZ vom 9. Mai, hinter Hirsch und bereitete die nunmehr ergangene Entgegnung vor. Wie aus dem Amt bekannt wurde, bestehen zwischen den Darlegungen der Staatsanwaltschaft und den Bewertungen des Bundeskanzleramtes Differenzen. Im Kanzleramt wird vermutet, dass Vorwürfe gegen Hirsch, er habe Zeugen manipuliert, von Dritten lanciert wurden; es wird allerdings nicht gesagt, von wem. Nach wie vor laufen die Disziplinarverfahren gegen zwei frühere Mitarbeiter des Kanzleramtes, ruhen allerdings wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.
Wiederholt hatte das Kanzleramt der Behauptung widersprochen, es seien verschwundene Akten zu „Leuna“ oder anderen Privatisierungsverfahren aus der Zeit nach der Wende in der DDR wiederaufgetaucht. Zwar seien Teile von „Leuna“-Akten durch aufgefundene Schriftstücke in anderen Ministerien rekonstruiert worden. Gleichwohl fehlten die Originalakten.
Der Widerspruch des Kanzleramtes gegen die Verfahrenseinstellung knüpft sich, so berichtet die FAZ am 14. Juni, in erster Linie an Bewertungsfragen. Man beharre darauf, dass viele Leuna-Akten verschwunden seien. Staatsminister Schwanitz (SPD) sagte im Bundestag, dass sich der Umfang des fehlenden Aktenmaterials zwar nur vermuten lasse, in Vermerken sei aber von „15m“ und von „mehr als 100 AB“ [Aktenbänden] die Rede. Auch wertet das Kanzleramt die Tatsache, dass Aktengruppen aus bestehenden Konvoluten ausgegründet wurden und die Stellkarte für ursprüngliche Akten, die über den Umfang der Akte hätten Aufschluss geben können „nicht mehr vorhanden“ seien, als „beispiellosen Vorgang“. – Da bislang allerdings neue Ermittlungsansätze nicht zu erkennen sind, ist die Einstellung des Verfahrens wohl absehbar, wenngleich die politische Auseinandersetzung um die „Bundeslöschtage“ damit noch nicht beendet sein dürfte.
Mitarbeiter fordern Entlassung des Direktors des Irak-Museums
Aus dem Nationalmuseum in Bagdad wurden nicht 170.000 Exponate aus den Vitrinen sowie Gegenstände aus dem Archiv gestohlen, sondern 32 (in Worten: zweiunddreißig). Schuld an dieser grotesken Übertreibung war Donny George Youkhanna, Chef der Forschungsabteilung des Nationalmuseums und während des Krieges faktisch amtierender Direktor des Museums.
Mehr als 130 der 185 Angestellten der irakischen Antikenbehörde, berichtet Die WELT am 20.6. unter Rückgriff auf den Londoner Guardian, hätten nunmehr eine Petition unterschrieben, mit der der Rücktritt des Direktors Donny George gefordert wird. Zum einen heben sie darin hervor, viele der Diebstähle nach dem 8. April seien auf das Konto von Museumsleuten zu buchen. Dass sie wertvolle Stücke mit nach Hause genommen hätten, um sie vor Plünderern in Sicherheit zu bringen, sei lediglich eine Schutzbehauptung. Zum anderen aber wird Donny George vorgeworfen, er habe an die Angestellten Waffen verteilen lassen und sie aufgefordert, gegen die amerikanischen Truppen zu kämpfen.
George hat die Ausgabe von Waffen nicht bestritten, aber es sei nur geschehen, um das Museum vor möglichen Plünderungen zu schützen. Auf die Amerikaner hätten lediglich einige „Fedayin“ vom Museumsgelände aus geschossen, hatte er Ende Mai in Bonn bei der Tagung „Archäologie im Niemandsland“ in einem Nebensatz erwähnt. Zugleich betont der Direktor, der seit 26 Jahren an führender Stelle im Museum tätig ist und über die Jahre Mitglied der herrschenden Baath-Partei war, er sei keineswegs ein hoher Funktionär gewesen. Die Partei hätte er jedoch nicht verlassen können, weil damit erhebliche Schwierigkeiten im Museum wie im Privatleben verbunden gewesen wären.
Damit rückt eine Person ins Zwielicht, die bislang als einer der Hauptzeugen für die Anklagen gegen die Amerikaner wegen ihrer Untätigkeit beim Schutz des Museums galt – nicht zuletzt bei Unesco-Tagungen in London und Bonn. Wiederholt berichtete George von jenem Engländer, der ihn wissen ließ, er warte nur darauf, dass die Amerikaner in Bagdad einmarschierten, weil er sich dann aus dem Nationalmuseum bestimmte Stücke holen könne. Das sei dann, von den Amerikanern geduldet oder gar gefördert, tatsächlich geschehen. In Bonn sagte George, er habe das bereits in dem Jahr vor dem Krieg zufällig in einem Restaurant in London gehört. Bei einem Vortrag in Essen erklärte er dagegen, ihm sei dieser Raub in einer anonymen E-mail angekündigt worden.
Inzwischen bleiben allerdings nur wenige Objekte übrig, die damit gemeint sein könnten. Denn die Verlustliste wird immer kleiner, nachdem nun auch die Nr. 1, die Vase von Uruk/Warka dem Museum zurückgegeben wurde. Vor allem aber, weil die Kommission, der die Bestandsaufnahme der Schäden und Verluste obliegt, inzwischen zahlreiche Depots ausfindig machen konnte. So fand sich der Goldschatz von Nimrud, der 1988/90 ausgegraben worden war, in einem überfluteten Tunnel unter der Nationalbank. In einem anderen geheimen unterirdischen Gewölbe entdeckte man 179 Kisten mit bedeutenden Objekten aus dem Museum. Das Versteck war den Museumsbeamten bekannt, aber sie hatten es verschwiegen.
Auch der Direktor des Museums hat nichts dazu beigetragen, dass diese Bergungsorte entdeckt wurden. Ihm kam es offensichtlich darauf an, die Amerikaner, die auf eine Sicherung des Museums in den ersten Tagen der Besetzung Bagdads zunächst verzichtet hatten, ins schlechte Licht zu rücken. Unausgesprochen blieb, dass der größte Teil der Museumsbestände bereits vor dem Krieg in Depots gebracht worden war, und die – oft fotografierten – leeren Vitrinen im Museum nicht unbedingt von der Anwesenheit von Plünderern zeugten.
Statt dessen hatte Donny George in den ersten Kriegstagen die Zahl von 170.000 Museumsobjekten genannt, die schnell als Verlustzahl um die Welt ging. Tatsächlich handelt es sich um alle inventarisierten Stücke, nicht um die verschwundenen. George hat wenig dazu getan, diesen Irrtum zu korrigieren. Auch redete er nicht darüber, was lange und unmittelbar vor dem Krieg außerhalb des Museums in Sicherheit gebracht worden war. Statt dessen half er, den Eindruck zu erwecken, wesentliche Teile des kulturellen Erbes der Iraker – wie der Menschheit überhaupt – seien aufgrund amerikanischer Indolenz verloren gegangen. Dieser Tenor wurde von vielen aufgenommen und verbreitet, auch und gerade von der akademischen Zunft der Archäologen und Orientalisten.
Deshalb stellt sich zum einen die Frage, wie es um die kulturelle Identität der Iraker, die sich angeblich vor allem anhand der reichen Museumsschätze aus der Vergangenheit des Zweistromlandes definierte, stand, wenn der Großteil dieser Schätze „gesichert“, aber nicht zu sehen war – und der Schatz von Nimrud bislang nur im Verborgenen existierte? Zum anderen aber, ob da vielleicht Gefühle der Leichtgläubigkeit – und der weltweiten Desinformation als Folge – den Vorwurf gegen die Amerikaner beförderten?
Quelle: Die WELT, 20.6.2003
Die Schweiz wäscht weißer – Gegen Öffnung der Archive
Schweizer Banken und Unternehmen sollen nicht verpflichtet werden, ihre Archive zur Aufarbeitung der Beziehungen zum südafrikanischen Apartheidregime zu öffnen. Der Nationalrat hat eine entsprechende Initiative mit 103 zu 67 Stimmen abgelehnt.
Die von 79 Ratsmitgliedern unterzeichnete Parlamentarische Initiative von Pia Hollenstein (Grüne/SG) verlangte einen Bundesbeschluss, damit das Verhältnis der Schweiz zu Südafrika in den Jahren 1948 bis 1994 aus den Akten dargestellt werden kann. Die Initiative wurde Ende November 2001 noch vor der Aktensperre durch den Bundesrat im Zusammenhang mit Sammelklagen eingereicht.
Gegner der Initiative wiesen darauf hin, dass bereits mehrere Untersuchungen zu diesem Gegenstand laufen würden. Die Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte untersuche beispielsweise die Beziehungen Schweiz – Südafrika, und im Verteidigungsdepartement laufe eine Administrativuntersuchung über die geheimdienstlichen Beziehungen. Gleichzeitig sei ein Nationales Forschungsprogramm im Gange. Auch würde die Verpflichtung der Banken und Unternehmen zur Öffnung ihrer Archive das Geschäftsgeheimnis in Frage stellen. Es gebe keinen Grund, die Schweizer Wirtschaft Sammelklägern ans Messer zu liefern.
Die Initiatorin Hollenstein wies hingegen darauf hin, dass die Schweiz die Wahrheitskommission in Südafrika gelobt habe und fragte, weshalb dasselbe nicht in der Schweiz passieren solle.
Ein anderes Ratsmitglied der Grünen wies darauf hin, dass die Regierungspraxis des Apartheid-Regimes als Verbrechen gegen die Menschheit eingestuft wurde. Daher dürfe die Einsetzung einer Untersuchungskommission nicht einfach vom Tisch gefegt werden.
Der Bundesrat hatte den Forschenden Mitte April die Akteneinsicht im Hinblick auf die Sammelklagen von Apartheid-Opfern gegen Schweizer Unternehmen unterbunden. Sie dürfen Südafrika-Akten mit Namen von Schweizer Unternehmen im Bundesarchiv nicht mehr einsehen (vgl. dazu auch den NZZ-Artikel vom 19.4.2003).
Quelle: News.ch und Swiss Info, 20.6.2003