Archiv für alternatives Schrifttum in Duisburg bangt weiter um Existenz

Die größte private Sammlung linker Schriften – das Archiv für alternatives Schrifttum (Afas) in Duisburg – sieht sich weiterhin in seiner Existenz gefährdet, berichtet der Deutschlandfunk. Die Finanzierung sei ein permanenter Kampf, sagte der Mitgründer und hauptverantwortliche Leiter des Afas, Dr. Jürgen Bacia, dem Sender gegenüber. Er und sein Team vermuten politische Gründe hinter den Schwierigkeiten. Teilen der Politik sei die Arbeit des Afas suspekt, führte Bacia aus. Viele würden das Afas leider oft mit den Materialien identifizieren, die dort gesammelt würden.


Abb.: 2021 konnte das Afas ein Teilprojekt im Rahmen eines dreijährigen Erschließungsprojektes abschließen: 1025 Plakate aus der Region Westfalen-Lippe aus dem Zeitraum 1970er – 2010er Jahre wurden digitalisiert und katalogisiert (Foto: Afas).

Das Afas umfasst Material linksalternativer Bürger-, Studierenden- und Umweltbewegungen seit den 1960er-Jahren. Das Spektrum reicht bis zu den Kommandoerklärungen der linksextremistischen Terrorgruppe RAF. 1985 gegründet, gilt das Afas heute mit mehr als zwei Regalkilometern an Dokumenten aus linkspolitischen Kreisen als größtes freies Archiv in Deutschland.

Bacia kritisierte, dass im Kulturausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen getroffene Beschlüsse nicht umgesetzt würden. Schon 2019 seien alle Landesmittel gestrichen worden, obwohl der Ausschuss 2009 für die dauerhafte Förderung des Afas gestimmt habe. Wer im Landtag letztlich für die Streichung der Haushaltsgelder gesorgt und sich damit gegen die Entscheidung gestellt habe, sei bis heute unklar. Öffentlich bekannt habe sich niemand, führte Bacia im Deutschlandfunk weiter aus. 2018/2019 formierte sich öffentlicher Widerspruch aus der Archiv- und Geschichtsszene gegen das Ende der Förderung.

Aktuell finanziere sich das Afas durch projektbezogene Mittel. Diese Notlösung laufe Ende 2022 ab. Bacia hofft auf einen neuen Beschluss im Laufe des Jahres, der wieder Haushaltsmittel für die private Sammlung bereitstellt.

In einem Beitrag im Rahmen der Ausstellung Pop Punk Politik. Die 1980er Jahre in München führte Jürgen Bacia dieser Tage aus, welche Rolle Archive für die Erkämpfung und Erinnerung von autonomen Räumen spielen und warum Freie Archive, wie das Afas, wichtig seien:

»Im Lesesaal des archivs für alternatives schrifttum (afas) hängt ein Transparent mit dem Spruch „Werft Eure Geschichte nicht weg.“ Einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit verbringt das afas damit, den Spuren – und damit den Dokumenten – all der soeben geschilderten Gruppen und Initiativen nachzugehen. Denn Bewegungen haben, wie ihr Name schon sagt, die Eigenschaft, sich zu bewegen, also sich fortzuentwickeln – und nicht selten, sich aufzulösen. Fast alle der oben abgebildeten Zeitschriften haben längst ihr Erscheinen eingestellt, die genannten Broschüren sind vergriffen. Dadurch besteht die Gefahr, dass auch das Wissen, das sich dort angesammelt hat, aus dem kollektiven Gedächtnis nicht nur der Freien Szene, sondern der Gesellschaft insgesamt verschwindet.


Abb: Viertausend. Düsseldorf 1986. Foto: afas. Bedeutung von Archiven. #PopPunkPolitik (Münchner Stadtbibliothek, Blog)

Es braucht also Archive, die dafür sorgen, dass die Materialien all der Gruppen und Initiativen, die in den letzten 50 Jahren autonome Räume und Gegenentwürfe zur Mehrheitsgesellschaft geschaffen und ausprobiert haben, dauerhaft gesichert und zugänglich gemacht werden.

Auf die traditionellen Archive ist diesbezüglich kein Verlass, weil sie häufig schon durch ihre Kernaufgaben vollständig ausgelastet sind, keinen Zugang zu oder kein Interesse an den autonomen Räumen haben, von den alternativen und autonomen Milieus nicht akzeptiert werden: Gruppen, die sich in ihrem Kampf um autonome Räume jahrelang mit Stadtverwaltungen oder Kulturbürokratien herumgeschlagen haben, denken oft gar nicht daran, die Materialien ihrer gesellschaftskritischen Aktivitäten einem traditionellen Archiv zu überlassen. Glücklicherweise hat sich im Laufe der letzten vierzig Jahre eine Freie Archivlandschaft herausgebildet, die dafür sorgt, dass die „Geschichte der linken und alternativen Bewegungen nicht zu einer Geschichte der verschollenen Dokumente wird“ (so die Formulierung des afas).

Am besten funktioniert das bei den Frauen- und Lesbenarchive. Sie haben sich schon 1994 zum ida-Dachverband der Frauen- und Lesbenarchive zusammengeschlossen. Seit 2003 gibt es den Workshop der Archive von unten, in dem sich informell Leute aus allen Archivsparten zu jährlichen Fachsimpeleien treffen. Die Protokolle aller Workshops sind auf „Bewegungsarchive“ nachlesbar. Das afas erarbeitet und betreut seit vielen Jahren ein Verzeichnis Freier Archive, das auf seiner Homepage aufrufbar ist.

Das 1985 gegründete afas nimmt eine Sonderrolle in der Freien Archivszene ein, weil es 1.) Hunderte von Sammlungen von Gruppen und Einzelpersonen übernommen hat, 2.) zum letzten Anker für ganze Archive geworden ist, die aufgeben mussten. Mit einem Gesamtbestand im Umfang von rund 2.500 Regalmetern ist das afas zum bei weitem größten Freien Archiv in Deutschland angewachsen. Details unter http://afas-archiv.de/bestande/

Den meisten Freien Archiven geht es wie den Gruppen in den autonomen Räumen: Sie kämpfen ständig um öffentliche Unterstützung (die berühmte „Staatsknete), halten sich jahrzehntelang mit Projektmitteln über Wasser, überbrücken Trockenzeiten mit unbezahlter Arbeit. Eine Parole in der Freien (Archiv-)Szene lautet: „Unsere Geschichte gehört uns!“ Damit das so bleibt, müssen die autonomen Räume der Freien Archive deutlich besser abgesichert werden.«

Info:
Dr. Jürgen Bacia ist Politologe und konnte sich nach seiner Arbeit im APO-Archiv der Freien Universität Berlin ein Leben ohne Archive nicht mehr vorstellen. 1985 war er Mitbegründer des archivs für alternatives schrifttum (afas) in Duisburg und gehört bis heute zum Leitungsteam des Archivs. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen. Außerdem ist er seit langem an der Vernetzung der Freien Archive beteiligt.

Kontakt:
Archiv für alternatives Schrifttum (afas)
Münzstraße 37-43
47051 Duisburg
Tel.: 0203 / 93 55 43 00
Fax: 0203 / 93 55 43 02
afas-archiv@t-online.de
http://afas-archiv.de/

Quelle: Deutschlandfunk, Nachrichten, 11.2022; Münchner Stadtbibilothek, Blog: Die Kämpfe um autonome Räume und die Bedeutung von Archiven: Was bleibt? | #PopPunkPolitik, 8.2.2022; ARCHIVAR 2/2017

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