175 Jahre Deutscher Bühnenverein

Erste Virtuelle Ausstellung des Niedersächsischen Landesarchivs.

Im Mai 1846 schlossen 19 Hof- und Stadttheater in ganz Deutschland einen epochemachenden Vertrag, in dem sie Rechte und Pflichten untereinander festlegten. Weitere Theater schlossen sich bald an. Ferdinand von Gall (1809-1872), einer der beiden Initiatoren, war von 1842 bis 1846 Intendant des Hoftheaters in Oldenburg.


Abb.: Vertragsentwurf von 1846 (Niedersächsisches Landesarchiv)

Dieser Vertrag stellt die Gründungsurkunde des heutigen „Deutschen Bühnenvereins“ dar. Der Deutsche Bühnenverein ist der Interessen- und Arbeitgeberverband der Theater und Orchester. Er thematisiert alle künstlerischen, organisatorischen und kulturpolitischen Fragen, die die Theater und Orchester betreffen. Dazu gehören Themen wie die Bedeutung der Theater und Orchester für die Städte, die Entwicklung des Publikums sowie die Gestaltung juristischer Rahmenbedingungen bis hin zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen.

Weitere Inhalte sind die Ausbildung für die künstlerischen und künstlerisch-handwerklichen Berufe, die Finanzsituation der Theater und Orchester sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Grenzen des künstlerischen Schaffens. Auch die Optimierung von Organisationsstrukturen sowie das Verhältnis zwischen Rechtsträger und Theaterleitung sind wichtige Aufgabengebiete. Darüber hinaus ist der Bühnenverein beratend an den Gesetzgebungsverfahren von Bund und Ländern beteiligt.

Der Verband blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, in der er sich immer wieder als wichtiger Partner von Politik und Öffentlichkeit für die Belange der Theater und Orchester einsetzte. Mit der Jubiläumsveranstaltung hat der Bühnenverein deutlich gemacht, dass er auch künftig gemeinsam mit den Partnern daran arbeiten wird, dass die Theater und Orchester eine gute Zukunftsperspektive haben werden.

Angesichts der aktuellen Debatten über Rassismus und Machtmissbrauch, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in den Theater- und Orchesterbetrieben hat der Deutsche Bühnenverein sich im Rahmen seines Jubiläumsjahres zum Ziel gesetzt, den 2018 beschlossenen Verhaltenskodex vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zu aktualisieren und sich gemeinsam mit den Mitgliedern und der Politik noch stärker für die betriebliche Implementierung einzusetzen. Als Organisation der institutionalisierten Theater und Orchester ist der Bühnenverein von allen diesen Themen unmittelbar berührt. Gemeinsam mit den Rechtsträgern soll damit der wachsenden Bedeutung von Führung und Führungsqualifikationen bei der Auswahl von Leitungspersonen und beim Betrieb Rechnung getragen werden.

Dr. Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins: „Der Deutsche Bühnenverein ist seit 175 Jahren eine wichtige Stimme in der Kultur und hat seit seiner Gründung die einheitliche Regelung der Arbeitsverhältnisse an den deutschen Theatern zum Ziel. Die aktuellen Debatten zeigen, dass das eine dauerhafte Aufgabe ist. Kunst und Kultur stoßen notwendige gesellschaftliche Debatten an. Dieser Diskurs ist immer wieder auch nach Innen notwendig, um in den Kulturbetrieben gute Arbeitsbedingungen und einen fairen und solidarischen Umgang zu leben. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten Leitlinien für das Theater der Zukunft erarbeiten und gemeinsam mit unseren Mitgliedern in die Praxis umsetzen.“

Unter den Leitlinien Verortung, Verantwortung und Vision möchte der Bühnenverein seine Positionen nach innen und nach außen neu verhandeln. Ziel dabei ist es, eine Vorstellung von einem Theater der Zukunft zu entwickeln, das die Vielfalt und Offenheit unserer Gesellschaft in künstlerischen Positionen erfahrbar macht und zuspitzt und das zugleich ein guter Arbeitgeber ist.

„Wir spüren die Auswirkungen einer sich verändernden Gesellschaft und sind gefordert, mit diesen Veränderungen nicht nur mitzuhalten, sondern sie aktiv zu gestalten. Das muss der Anspruch an moderne Kulturbetriebe sein. Dass es in solchen Umbruchphasen zu Reibungen kommt, ist unausweichlich, denn lange haben uns bestimmte Eigenschaften des öffentlichen Kulturbetriebs geschützt. Wenn ein Ensemble nun so divers aufgestellt wird wie unsere Gesellschaft, spüren wir die Aushandlungsprozesse in unserer eigenen Welt, die draußen seit Jahren bestehen. Es ist so unruhig, weil sich etwas ändert. Es kommt darauf an, den Wandel jetzt aktiv zu gestalten, sagte der Geschäftsführende Direktor, Marc Grandmontagne, in Oldenburg.

Das Jubiläum des Deutschen Bühnenvereins wurde am 27. Mai 2021 am Oldenburgischen Staatstheater gefeiert, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Festrede. Weitere Informationen zu dem Festakt finden sich auf der Website 175 Jahre Bühnenverein.

Anlässlich dieses Jubiläums des Deutschen Bühnenvereins plante das Niedersächsische Landesarchiv, eine Ausstellung zur Gründungsgeschichte im Oldenburgischen Staatstheater zu zeigen.


Abb.: 1834 errichtetes Theatergebäude in Oldenburg (Niedersächsisches Landesarchiv)

Dr. Wolfgang Henninger und Christian Meyer vom Niedersächsischen Landesarchiv haben Originaldokumente, Reproduktionen und Fotos aus dem Besitz des Landesarchivs und der Landesbibliothek Oldenburg zusammengestellt. Schwerpunkte sind die bisher weniger bekannten Gründungsjahre 1846-1851 und die Verdienste des Oldenburger Hoftheaterintendanten Ferdinand Freiherr von Gall.

Die in Zusammenarbeit mit der Musikdramaturgin des Oldenburgischen Staatstheaters, Stephanie Twiehaus, entstandene kleine Ausstellung wurde anlässlich des Festakts im Foyer des Theaters gezeigt. Da das Gebäude des Oldenburgischen Staatstheaters für die Öffentlichkeit noch geschlossen ist, entstand die Idee, eine Virtuelle Ausstellung zu zeigen.

Das Niedersächsische Landesarchiv freut sich daher, seine erste Virtuelle Ausstellung mit dem Titel „… die Bühne in das gehörige Licht zu stellen … – 1846-2021: 175 Jahre Deutscher Bühnenverein“ zu präsentieren.

Parallel zur Ausstellung und zum 175-jährigen Bestehens des Deutschen Bühnenvereins ist auch eine Festschrift mit dem Titel „Struktur und Ereignis – Ein Arbeitsbuch zur Situation des Theaters der Gegenwart“ erschienen. Neben Gesprächen, Essays, historischen Skizzen und vielen weiteren Beiträgen zeigt eine Bilderserie Eindrücke aus 175 Jahren Verbandsgeschichte.

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Hannover
Am Archiv 1
30169 Hannover
Tel.: 0511 / 120 66 01
Fax: 0511 / 120 66 99
Hannover@nla.niedersachsen.de

Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Oldenburg
Damm 43
26135 Oldenburg
Tel.: 0441 / 92 44 100
Fax: 0441 / 92 44 292
Oldenburg@nla.niedersachsen.de

Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv, Aktuelles, Neuigkeiten; Deutscher Bühnenverein, Pressemitteilung, 27.05.2021; 175 Jahre Bühnenverein.

Kreisarchiv des Enzkreises an neuem Standort in Pforzheim

Das Kreisarchiv des Enzkreises ist umgezogen. Von der Pforzheimer Nordstadt ging es in die dortige Oststadt, wo das Team um Archivleiter Konstantin Huber nun mit wesentlich größeren Räumlichkeiten sowohl im Büro- als auch im Magazinbereich über deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen verfügt. Zwei Monate nahm der von einer Fachfirma ausgeführte Umzug der knapp zwei Regalkilometer umfassenden Bestände in Anspruch – eine logistische Herausforderung!

Abb.: Rollregalanlage des Kreisarchiv des Enzkreises (Foto: Enzkreis)

Nun sind die dauerhaft aufbewahrenswerten Unterlagen der Kreisverwaltung ebenso wie umfangreiche archivische Sammlungsbestände (z.B. Nachlässe) auf über 500 Quadratmetern Lagerfläche gut klimatisiert in großen Rollregalanlagen untergebracht. Erstmals verfügt das Kreisarchiv auch über Sondermagazine wie einen Kartenraum und ein Fotoarchiv, das besonders kühl und trocken klimatisiert wird.

Jetzt gibt es auch einen Besucherraum, der - nach Aufhebung der Kontaktbeschränkungen – mehreren Personen gleichzeitig die Einsichtnahme in Archiv- und Bibliotheksgut erlauben wird.

Die neue Adresse lautet:
Kreisarchiv des Enzkreises
Östliche-Karl-Friedrich-Straße 58
75175 Pforzheim
(Postfach 101080, 75110 Pforzheim)
Tel.: 07231/308-9423
Kreisarchiv@enzkreis.de

Quelle: Konstantin Huber, eig. Bericht, 2021; Pforzheimer Zeitung, 19.2.2021

 

Einblicke in die Gartensaison auf Schloss Ivano

In seiner Archivale des Monats Mai 2021 gewährt das Südtiroler Landesarchiv Einblicke in die Gartensaison auf Schloss Ivano aus dem Jahr 1847. Noch heute beeindruckt das Castel Ivano über dem gleichnamigen Ort in der Bassa Valsugana in den alten Welschen Konfinen, einer kleineren Region im Trentino.

Im späten 12. Jahrhundert erstmals in den Schriftquellen erwähnt, war die Burg längere Zeit in der Hand wechselnder Besitzer mit zum Teil sehr klingenden Namen, wie Ezzelino III. da Romano (†1259) oder Cangrande della Scala (†1329); später fiel Ivano an die Tiroler Landesfürsten, zeitweise aber auch an die Mailänder Signoren, die Visconti, und an die Republik Venedig, bevor es habsburgisch wurde und durch tirolische Amtleute verwaltet wurde. Im Juli 1527 kam hier als ältester Sohn des Martin von Boimont-Payrsberg Jakob (†1581) zur Welt, der dieses Faktum in seinen autobiographischen Aufzeichnungen festhalten sollte (Am fü[n]fften tag jullÿ des 1527 jars hat herr Martin beÿ der frauen in schlosß Ÿffan in Valzigan zwischen acht und neinn uhr vormitag ein son gehabt und im Jacob genandt). Vom späten 17. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg war es zunächst Lehen, später Eigentum der Grafen von Wolkenstein-Trostburg. Deren Trienter Zweig nutzte die schlossartig ausgebaute Burg gerne als Aufenthaltsort, zumal sie auch über eine schöne Gartenanlage verfügte.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_2, Südtiroler Landesarchiv


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_3, Südtiroler Landesarchiv

Von der akribischen Planung und auch den beträchtlichen Kosten, die die Familie für die Bepflanzung aufwandte, zeugen Pflanzenlisten, Pflanzenkataloge von Versandgärtnereien sowie handgezeichnete Pläne im Archiv der Familie.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_5, Südtiroler Landesarchiv

Eine dieser Listen verzeichnet insgesamt 27 verschiedene Pflanzenarten, darunter Tilia argentea (Silberlinde), Cornus florida (Blüten-Hartriegel), Ptelea trifoliata (Kleeulme), Syringa persica alba (weißer Persischer Flieder), die – vermutlich – Leopold Graf von Wolkenstein-Trostburg für die Gartensaison 1847 beim Mailänder Versandhaus Burdin Maggiore bestellt hatte.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_4, Südtiroler Landesarchiv

Auf einer anderen Liste sind für eine weitere Bestellung bei Burdin eine Trauerweide und Glyzinien aufgezählt, doch wurde dieser Gedanke fallengelassen, ebenso die Bestellung von Schlingpflanzen bei Franz Schober in Wien.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_1, Südtiroler Landesarchiv

Dafür wurden aus Wien und aus einer Gärtnerei in Mühlbach Ende Februar/Anfang März 1847 zahlreiche Rosensorten, Silberklee, Immergrün und verschiedene Kletterpflanzen bestellt. Neue Bepflanzungen wurden penibel unter Berücksichtigung von Sichtachsen und unter Verwendung von Zypressen, Wacholderbüschen, Rotbuchen usw. mit detaillierten Zeichnungen geplant. In diesen Gärten lustwandelte später eine Reihe illustrer Gäste wie Cosima und Richard Wagner, Franz von Lenbach, Eleonora Duse oder die deutsche Kaiserin Auguste Viktoria.

Nach dem 1913 erfolgten Tod von Anton Graf Wolkenstein verkauften die Erben das vom Krieg schwer beschädigte Schloss an den seinerzeitigen Verwalter Franz Staudacher, der es wieder instand setzte und dessen Nachfahren es heute noch besitzen.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8/B
39100 Bozen
Tel.: +39 0471/ 411940
Fax: +39 0471 / 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Aktuelles, Archivale des Monats Mai 2021, 06.05.2021

Monographie über Architekturhistoriker Richard Krautheimer

In der Reihe Academia Marburgensis hat Prof. Dr. Ingo Herklotz eine Monographie über die frühe wissenschaftliche Karriere des Architekturhistorikers Richard Krautheimer (1897-1994) veröffentlicht. Richard Krautheimer, einer der bedeutendsten Architekturhistoriker des 20. Jahrhunderts, habilitierte sich 1928 in Marburg bei Richard Hamann. Er lehrte vom Sommersemester 1929 an als Privatdozent an der Universität Marburg – bis zu seiner Emigration im Sommer 1933, die ihn zunächst nach Rom und Ende 1935 in die USA führte.


Abb.: Richard Krautheimer um 1930 in einer Abbildung im Fotoalbum der Philosophischen Fakultät Marburg (Foto: Archiv der Philipps-Universität Marburg)

Dies war der Ausgangspunkt für Prof. Ingo Herklotz, sich dem aus Fürth stammenden jüdischen Gelehrten und seinen Forschungen zuzuwenden, die nun unter dem Titel „Richard Krautheimer in Deutschland. Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere 1925-1933“ als Band 17 der Schriftenreihe „Academia Marburgensis“ im Waxmann-Verlag erschienen sind.

Krautheimer ist vor allem durch das Corpus Basilicarum Christianarum Romae, seine Forschungen zur frühchristlichen und byzantinischen Baukunst und seine Biographie über Lorenzo Ghiberti bekannt geworden, alle im amerikanischen Exil verfasst. Nach seiner Emeritierung 1971 kehrte er nach Europa zurück und lebte in Rom, dessen frühmittelalterlicher Architekturgeschichte er sich sein ganzes Forscherleben gewidmet hatte. Krautheimer starb 1994 in Rom.

Herklotz vertritt die These, dass Krautheimer für sein in den USA entstandenes Werk „entscheidende Impulse und Grundlegungen“ in Marburg beziehungsweise in Deutschland erhielt. Krautheimer promovierte 1925 mit einer Arbeit über „Die Kirchen der Bettelorden in Deutschland“ und verfasste dann eine Schrift über „Mittelalterliche Synagogen“. Mit dieser Arbeit wurde er in Marburg habilitiert, obwohl er zunächst zur europäischen Plastik um 1400 arbeitete und wohl auch ein sehr umfangreiches Manuskript erstellt hatte.
Im Habilitationsverfahren wurde die Untersuchung zur Plastik zwar berücksichtigt, sie ging dann aber unter ungeklärten Umständen verloren. Eine weitere in dieser Zeit verfasste, wegen der Zeitumstände jedoch nicht publizierte Arbeit Krautheimers, die „Geschichte der deutschen Baukunst des Mittelalters“, konnte Herklotz in Teilen in dessen Nachlass in der Bibliotheca Hertziana in Rom auffinden. Sie ist im Anhang des Bandes abgedruckt.

Nicht nur die Entstehung dieser Untersuchungen stellt Herklotz in der Monographie dar, sondern damit im Zusammenhang auch Krautheimers Lebensumstände im Deutschland der 1920er Jahre und die Verhältnisse am Kunstgeschichtlichen Seminar in Marburg – vor allem mit Blick auf Richard Hamann.

Kontakt:
Archiv der Philipps-Universität Marburg (im Hessischen Staatsarchiv Marburg)
Friedrichsplatz 15
35037 Marburg
Tel.: 06421 / 9250 – 176
Fax: 06421 / 161125
Universitaetsarchiv.Marburg@hla.hessen.de

Quelle: Archiv der Philipps-Universität Marburg, Aktuelles, Neuigkeiten, 03.05.2021

Das Thalrecht von 1386 in Halle (Saale)

„Weißes Gold“ prägte 1386 das wirtschaftliche Geschehen der Stadt Halle. Nur wenige Schritte vom Markt entfernt befand sich im tiefergelegenen „Thal“ die mittelalterliche Saline mit vier Solebrunnen und etwa hundert kleinen Siedehütten. Zahlreiche Bornknechte, Salzwirker und Läder waren dort mit der Förderung der Sole, dem Sieden und der Verpackung des Salzes beschäftigt.

Das durch Grenzsteine abgegrenzte Gelände des Salzwerks unterlag einer eigenen Rechtssprechung. Bereits im 13. Jahrhundert wurde das „Thalrecht“ niedergeschrieben und hundert Jahre später erneut von den Bornmeistern und Schöffen des Thalgerichts notiert. Dieses vor 635 Jahren in mittelniederdeutscher Sprache aufgezeichnete Dokument wird heute im Handschriftenbestand des Stadtarchivs Halle (Saale) aufbewahrt.


Abb.: Letzte Seite des Thalrechts von 1386 (Stadtarchiv Halle (Saale))

Ein lederbezogener Holzeinband schützt den Folioband mit 48 Pergamentblättern. In gotischer Buchschrift hat der für das Salzwerk zuständige Schreiber „DALES RECHT“ mit bräunlicher Tinte aufgezeichnet und neue Abschnitte durch rote oder blaue Großbuchstaben hervorgehoben. Eine Zeichnung am Ende zeigt Petrus mit dem Schlüssel und Paulus mit dem Schwert.

Die Bestimmungen des Thalrechts enthalten juristische Grundsätze ebenso wie Festlegungen zu Arbeitsablauf und Organisation des Salinenbetriebes. So legte ein Artikel die Zusammenkunft des Thalgerichts an drei Tagen des Jahres fest. Zum Schutz der Salzhändler regelte ein Passus die wöchentliche Überprüfung der zu verkaufenden Salzstücke. Den Aufgaben der Salinenarbeiter war ein weiterer Absatz gewidmet.

An die hier gleichsam als Präambel niedergeschriebenen Bestimmungen schließt sich die Aufzeichnung der vom Thalgericht in Streitfällen gesprochenen Urteile, der „Schöffensprüche“, an. Mit rechts-, sozial- und wirtschaftshistorischen Aspekten ist das Thalrecht eine wichtige Quelle zur Saline im Thal und zur Stadtgeschichte.

Kontakt:
Stadtarchiv Halle (Saale)
Rathausstraße 1
06108 Halle (Saale)
Tel.: 0345 / 221-3300

Postanschrift:
Stadt Halle (Saale)
Stadtarchiv
06100 Halle (Saale)

Quelle: Stadtarchiv Halle (Saale), Archivale des Monats Mai 2021

Musikleben unter Erzbischof Friedrich Karl Joseph von Erthal (1719-1802)

Ausstellung ab 1. Juni 2021 im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg.

„Ausklang von Kurmainz in Mainz und Aschaffenburg“ ist Titel und Thema einer Ausstellung, die vom 1. Juni bis 16. Juli 2021 im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg zu sehen ist. Die Ausstellung widmet sich dem vielfältigen Musikleben in Mainz und Aschaffenburg während der Regierungszeit des Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal (1774-1802).


Abb.: Porträt Erzbischof von Erthal, historische Radierung (Stadt- und Stiftsarchiv, SSAA, PT 12).

Im Fokus der Ausstellung stehen dabei die verschiedenen Bereiche und Orte, an denen Musik erklang – sei es am Hof, in der Kirche, in der Öffentlichkeit oder im Privaten – wie auch die Akteure, die das Musikleben mitgestalteten. Darüber hinaus werden die zahlreichen Neuerungen thematisiert, die unter Erthal zum Florieren des kulturellen Lebens beitrugen sowie die Folgen des Umbruchs, den die Koalitionskriege bedeuteten.

Studierende der Universität Mainz unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Pietschmann haben die Ausstellung ursprünglich anlässlich des 300. Geburtstags des Kurfürsten erarbeitet. Nun, ein Jahr vor seinem 220. Todestag, ist sie in erweiterter Form im Aschaffenburger Stadt- und Stiftsarchiv zu sehen, betreut und im Hinblick auf Erthals Zweitresidenz Aschaffenburg ergänzt von Kristina Krämer.

Info:
Geöffnet ist die Ausstellung montags bis freitags von 11 bis 16 Uhr sowie am Samstag und Sonntag, 5. und 6. Juni, und am Samstag und Sonntag, 3. und 4. Juli, jeweils von 11 bis 16 Uhr.
Der Eintritt ist frei.

Aktueller Hinweis:
Es gelten zum Besuch der Ausstellung die aktuellen Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Nach dem derzeitigen Stand ist ein Besuch nach Terminvereinbarung möglich (Telefon 06021 / 456105-0, stadtarchiv@aschaffenburg.de). Unter Vorbehalt kann die Anmeldung auch vor Ort erfolgen, sofern die maximal mögliche Zahl an Besucher*innen noch nicht erreicht ist.

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
Telefon 06021 456105-0
stadtarchiv@aschaffenburg.de

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemeldung, 26.5.2021

Heimatverein Spexard übergibt historisches Kommunikationsmittel an Stadtarchiv Gütersloh

Einer der wenigen noch vorhandenen historischen Spexarder Sprachtaler wurde jetzt dem Stadtarchiv Gütersloh übergeben.


Abb.: Jetzt ist er da, wo er heute hingehört: Die Vertreter des Heimatvereins Spexard übergaben den Sprachtaler an das Stadt- und Kreisarchiv Gütersloh. V.l.: Jana Knufinke (Stadtarchiv Gütersloh), Christian Janzen (Schriftführer des Heimatvereins Spexard), Lena Jeckel (Fachbereich Kultur der Stadt Gütersloh), Markus Schumacher (Heimatverein Spexard) (Foto: Stadt Gütersloh)

Vom damaligen Bürgermeister Franz Grochtmann war er zunächst an seinen Nachfolger Robert Mahne übergeben worden und schließlich im Besitz des Heimatvereins Spexard angekommen. Dessen Mitglieder waren jedoch der Ansicht, dass er im Gütersloher Stadtarchiv auf Dauer richtig aufgehoben sei.

Durch wieviel Hände er wohl schon gewandert ist, fragt man sich beim Anblick des historischen Messingtalers, der in der Bauerschaft Spexard vor gut 200 Jahren als gängiges Kommunikationsmittel diente.


Abb.: Spexarder Sprachtaler (Foto: Stadt Gütersloh)

Mit seiner Hilfe verkündeten die Obrigkeiten Nachrichten an die Einwohner und Einwohnerinnen. Das System war simpel, aber gut durchdacht. Um wichtige Nachrichten, Meldungen oder Verordnungen in kürzester Zeit zu verbreiten, wurde der Sprachtaler mit Nachrichten in schriftlicher oder auch mündlicher Form in einer ganz bestimmten Reihenfolge von Haus zu Haus gebracht und dabei der Sprachtaler als amtliche Beglaubigung weitergereicht. Handelte es sich um ein Schriftstück, wurde dieses zusammengerollt und dann mit Schnüren oder Lederriemen, die durch eine Öffnung im oder am Taler gezogen wurden, an diesem befestigt.

Wenn das kreisrunde Messingstück (8 cm Durchmesser) zum Ausgangspunkt, also dem ursprünglichen Absender, zurückgekehrt war, konnte man davon ausgehen, dass alle Familien die Nachricht erhalten hatten, denn das Verzögern oder Blockieren der Weitergabe stand unter Strafe. Das geht aus seiner Inschrift hervor: „Das rath ich Dich – behalt mich nicht“ ist auf der Vorderseite zu lesen. Auf der Rückseite wird mit „Wer mich last stehen dem wirds uebel gehen“ gedroht. Die Regel war, den Taler innerhalb einer Stunde an den nächsten in der Reihenfolge weiter zu geben.

Vorläufer des Sprachtalers war der sogenannte Burdaler, mit dem bis zum 19. Jahrhundert zum Burgericht einer Bauerschaft geladen wurde. Ein Burrichter entschied dort über Besitzstreitigkeiten und kleinere Strafen.
Bei eiligen Mitteilungen wurden auch mal zwei Sprachtaler in den Umlauf gegeben, um die Verbreitung zu beschleunigen. Tauchten bei einem Bauern beide Taler auf, war er verpflichtet, sie beide dem Absender zurück zu bringen, denn das bedeutete, dass die Nachricht die Runde gemacht hatte.

Die Jahreszahlen der überlieferten Exemplare reichen von 1783 bis 1848 und sind bisher ausschließlich im Gütersloher Raum bekannt. Bei dem in der Mitte der Rückseite abgebildeten sechsspeichigen Wagenrad handelt es sich um das Speichenrad im Wappen des Fürstbistums Osnabrück.


Abb.: Inschrift des Spexarder Sprachtalers „Wer mich last stehen dem wird’s uebel gehen“ Die Aufforderung zur Weitergabe des Talers war unmissverständlich. In der Mitte befindet sich das sechsspeichige Wagenrad des Fürstbistums Osnabrück (Foto: Stadt Gütersloh)

Es weist damit auf die alte Landeshoheit des Fürstbistums über das Amt Reckenberg hin, zu dem Spexard damals gehörte. – Insgesamt gibt es noch neun dieser Sprachtaler aus verschiedenen Bauernschaften der Umgebung. Sie befinden sich zum großen Teil in den Museen des Kreises.

Kontakt:
Stadtarchiv Gütersloh
Hohenzollernstraße 30 a
33330 Gütersloh
Tel.: 05241 / 82 – 2374
jana.knufinke@guetersloh.de

Quelle: Stadt Gütersloh, Pressemeldung, 20.05.2021; Stadt Gütersloh, Stadtgeschichte Gütersloh, Nachrichtenverkehr

Krippe der Sophie Scholl

Außergewöhnlich viele Anfragen hatte das Stadtarchiv Crailsheim in den letzten Wochen zu bearbeiten – Anlass war der 100. Jahrestag des Geburtstags von Sophie Scholl, die am 9. Mai 1921 geboren wurde. Im Stadtarchiv Crailsheim wird eine Sammlung zur Geschichte der Familie Scholl mit Schriften und persönlichen Gegenständen verwahrt. Deswegen meldeten sich zahlreiche Institute und Verlage, sogar ein Fernsehbeitrag des Bayrischen Rundfunks ist entstanden. Darin sind als herausragende Stücke der Sammlung die Brieftasche von Robert Scholl mit den Bildern seiner Frau und seinen Kindern Hans und Sophie sowie eine von Sophie gefertigte Krippe zu sehen.


Abb.: Wandkrippe von Sophie Scholl (Stadtarchiv Crailsheim, aus der Scholl-Grimminger-Sammlung So 2/39)

Diese von Sophie eigenhändig gefertigte Laubsägearbeit wird daher als Archivale des Monats Mai näher vorgestellt. Das rund 50 cm hohe Kunstwerk wurde von Elisabeth Hartnagel, der Schwester von Sophie Scholl, an das Stadtarchiv Crailsheim zur Aufbewahrung übergeben. Nach ihren Schilderungen wurde es im Jahr 1940 geschaffen und von Sophie den Eltern zu Weihnachten geschenkt.

Das dreidimensionale Wandbild zeigt eine idyllische Szene: Vor einem Nadelbaum mit weit ausgreifenden Ästen sitzt, ein wenig aus der Mitte gerückt, eine junge Frau auf einem Schemel. Sie trägt ein schlichtes dunkelrotes, knielanges Kleid. Ihre nackten Arme umfangen den Säugling auf ihrem Schoß. Mit ruhigem Ausdruck blickt sie auf das Kind, ihr helles Gesicht wird von ihren langen schwarzen Haaren betont. Der Frau gegenüber stehen am linken Rand zwei halbwüchsige Kinder. Der außen stehende Junge in kurzen braunen Hosen und hellem Hemd spielt auf einer Flöte. Das Mädchen hält eine Gabe. Es trägt ein dunkles knielanges Kleidchen mit roten Bortenverzierungen. Vor den Kindern steht ein Reh, dessen Kopf verloren ist. Hinter der Frau kauern zwei weitere Tiere, ein Hase und ein Eichhörnchen, dessen Schwanz ebenfalls abgebrochen ist. Die Figuren sind in szenischer Anordnung auf einen nach unten spitz zulaufenden Sockel gestellt. An diesem sind noch zwei Halter montiert, die das Aufstellen von Kerzen ermöglichen, als stimmungsvolle Rahmung der Szene.

Das liebevoll bemalte Werk wurde schon mehrfach in Krippenausstellungen gezeigt. Krippendarstellungen haben eine lange Tradition: Seit etwa 1600 wurde das Geschehen um die Geburt Christi von katholischen Gläubigen mit Skulpturen nachgestellt – und seitdem wuchs die Freude, dies mit zahlreiche Figuren in spannungsvollen Szenerien zu illustrieren, weit über die biblische Grundlage hinaus. Die öffentlich zugänglichen figurenreichen Krippen wurden jedoch um 1800 verboten, weil man darin in den „unanständigen Schauspielen“ mit den „buntscheckigen Figuren“ eine bloße „sinnliche Zerstreuung“ und Herabwürdigung der heiligen Geschichte sah. Das Bedürfnis zum Schauen und (Be-)Wundern gab es dennoch: So entstanden im privaten Raum die ersten Hauskrippen. Lange Zeit waren sie das häusliche Symbol der Weihnachtszeit, bevor dem Christbaum diese Rolle zukam.

Bei der Ausgestaltung des Weihnachtsfestes verloren allmählich die gepflegten konfessionellen Unterschiede ihre Schärfe: Um 1900 hatte sich das Aufstellen von Krippen auch in protestantischen Haushalten etabliert. Es gab Aufstellkrippen aus Papier zu kaufen, bei denen die Figuren tiefenräumlich gestaffelt waren – ähnlich wie bei der Krippe von Sophie Scholl. Doch gerade der Vergleich mit solchen Krippendarstellungen zeigt, dass diese keine Weihnachtsdarstellung im herkömmlichen Sinn ist, so wie man es erwarten würde: mit dem Jesuskind in der Krippe im Stall, mit Maria und Josef, Engel, Hirten, Ochs und Esel. Vielmehr ist eine junge Frau mit Kind in der Abgeschiedenheit des Waldes gezeigt. Die zahmen Tiere, die ihr zugewandt sind, und der dunkle, schützende und abschirmende Baum schaffen ein märchenhaftes Ambiente. Kein heiliger Schein umgibt die Frau, nur die Kinder mit Musik und Gaben verstärken den innigen Moment. So könnte man mehr an eine Verbildlichung eines Märchens denken, mit den typischen, immer wiederkehrenden Erzählmotiven. Sehr ähnliche Züge weist beispielsweise die Legende der in einen Wald verstoßenen Genoveva von Brabant auf. Deren bildliche Darstellungen zeigen eine vergleichbare Szenerie.

Die Krippe von Sophie Scholl hat somit kein übliches weihnachtliches Bildprogramm, sondern fängt eine zarte Stimmung ein: die Wertschätzung des Wunders des kindlichen Lebens, die Erfüllung in der Abgeschiedenheit und Einfachheit der Natur. Das sind Empfindungen, die der Erzähl- und Märchenwelt des 19. Jahrhunderts entstammen, die in Form von Geschichtenbüchern, häufig mit Illustrationen von Ludwig Richter, auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast in jedem Haushalt Einzug gehalten hat. So erinnerte sich Sophies Schwester Inge, dass das Ludwig-Richter-Buch mit seinen liebevollen Zeichnungen von Kindern eine wichtige Rolle in Sophies frühem Leben spielte. Inge dachte auch, dass die talentierte Sophie Kunst studieren würde. Doch Sophie hielt dies für nicht möglich, wählte ein Studium der Biologie und Philosophie. Sie zeichnete und malte weiterhin gerne, entwickelte ihren Stil weiter, zeigte sich unter anderem beeindruckt von der expressiven Malweise Paula Modersohn-Beckers.

Die innige Verbundenheit mit der Natur, die in der Laubsägearbeit festgehalten ist, bleibt in Sophies Leben eine Grundkonstante – sie hat dies immer wieder in ihren Aufzeichnungen zum Ausdruck gebracht:


Abb.: Sophie Scholl, lachend mit Blumen im Haar (Stadtarchiv Crailsheim, aus der Sammlung Hartnagel)

Am Tag vor ihrer Verhaftung schrieb sie einen Brief an ihre Freundin Lisa Remppis, in der sie ihre Gefühle beim Hören von Schuberts Forellenquintett festhielt: „Man kann ja nicht anders als sich freuen und lachen, so wenig man unbewegten oder traurigen Herzens die Frühlingswolken am Himmel und die vom Wind bewegten knospenden Zweige in der glänzenden jungen Sonne sich wiegen sehen kann.“

Kontakt:
Stadtarchiv Crailsheim
Marktplatz 1 (Gebäude: Arkadenbau)
74564 Crailsheim
Tel.: 07951 / 403-1290
www.stadtarchiv-crailsheim.de

Quelle: Dr. Helga Steiger, Stadtarchiv Crailsheim, Archivale des Monats Mai 2021

Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 2/2021

Unter dem Titel „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ informiert das Stadtarchiv Gera vierteljährlich über aktuelle Entwicklungen und historische Themen rund um eigene Arbeit und vermittelt damit einen Einblick in die Vielgestaltigkeit und die inhaltliche Bandbreite der im Stadtarchiv verwahrten Unterlagen.

Die zweite diesjährige Ausgabe der „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ wirft unter anderem einen Blick zurück auf den Besuch der Kaiserin Auguste Viktoria (1858-1921) in Gera vor 130 Jahren. In einem anderen Artikel wird das Sterbebuch des Jahres 1922 statistisch ausgewertet und den Zahlen manche familien- und individualhistorisch interessante Fragestellung entlockt. Der abschließende Beitrag wendet sich der Namensgebung der heutigen „Gagarinstraße“ vor 60 beziehungsweise 30 Jahren zu und ermöglicht einen Blick auf den Besuch des russischen Fliegermajors in Gera im Jahr 1963.


Abb.: Besuch der Kaiserin Auguste Viktoria am 8. Mai 1905 anlässlich der Konfirmation ihres Patenkindes Prinzessin Feodora Reuß jüngerer Linie in Gera(Quelle: Stadtmuseum Gera, A2 –0711)

Ein weiterer Beitrag, der von der Gleichstellungsbeauftragten der Stadtverwaltung Gera, Dr. Lilia Uslowa, und der Soziologin Judy Slivi verfasst worden ist, nimmt Bezug auf die von Zeitgenossen als „Clara Zetkin von Gera“ bezeichnete Frauenrechtsaktivistin Anna Schneider (1876-1953), die von 1919 bis 1933 sowie nach 1945 in Gera kommunalpolitisch tätig war und auch über die Stadtgrenzen hinaus Bekanntheit erlangte.

Die angelernte Weberin Anna stand im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal als Streikposten bei der Firma Bauer und Focke. 1897 heiratete sie in Gera den Eisendreher Carl Gustav August Schneider, welcher der politischen Arbeit von Frauen fortschrittlich gegenüber stand. 1908 trat Anna Schneider in die SPD ein. Sie besuchte häufig Versammlungen der SPD-Frauen, was nicht alle sozialdemokratischen Männer gern sahen. Anna Schneider sprach völlig frei und konnte Menschen in ihren Bann ziehen. Sie war eine Zeit lang auch Mitarbeiterin der von Clara Zetkin geleiteten Zeitung „Die Gleichheit“. Das alles schaffte sie, obwohl sie mit ihrem Mann insgesamt elf Kinder hatte.

Während der Novemberrevolution 1918 war sie Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Gera. Von 1919 bis 1933 war Anna Schneider Abgeordnete der SPD im Stadtrat und ist damit die einzige Frau, die über die gesamte Weimarer Republik in Gera kommunalpolitisch tätig gewesen ist. Im August 1944 wurde sie im Alter von fast 70 Jahren verhaftet, war einige Tage im Gestapo-Gefängnis Leipzig und Weimar inhaftiert und wurde anschließend im Konzentrationslager Ravensbrück interniert.

Nach 1945 war Anna Schneider erneut Mitglied der SPD und nahm am Vereinigungsparteitag der KPD und SPD zur SED in Gotha teil. Sie wurde Mitglied des Geraer Frauenausschusses und war im Vorstand des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) tätig. Sie leitete die Frauengruppe Gera-West und war Patin für einen großen Kindergarten. Außerdem war Anna Schneider Mitglied des Kreisvorstandes der SED und aktives Gemeinderatsmitglied. Sie wurde von ihren Zeitgenossen das „soziale Gewissen der Stadt“ genannt.
Anna Schneider starb am 29. November 1953 in Gera.

Link: Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 2/2021

Kontakt:
Stadtarchiv Gera
Gagarinstraße 99/101
07545 Gera
Tel. 0365/838-2140 bis 2143
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Urkunde von Papst Coelestin III. von 1196 im Vorarlberger Landesarchiv

Diener der Diener Gottes.

Mit der sogenannten Intitulatio Celestinus episcopus servus servorum Dei (Bischof Coelestin, Diener der Diener Gottes) führten die päpstlichen Kanzlisten ein offizielles Schreiben des Pontifex Maximus im Mittelalter ein und gaben damit den Aussteller und seine Funktion an. Diese besonderen päpstlichen Mitteilungen in Form von litterae (von lat. Brief) aus Rom geben der Nachwelt bis heute einen Eindruck von den oftmals ganz profanen Entscheidungen eines Papstes im Hochmittelalter.


Abb.: Papst Coelestin III. (rechts) und Kaiser Heinrich VI. aus dem Geschlecht der Staufer (um 1165 bis 1197) in einer Abbildung aus dem Liber ad honorem Augusti des Petrus de Ebulo, ca. 1196 (Bildrechte: Wikimedia Commons)

Am 9. Februar 1196 gibt Papst Coelestin III. (etwa 1106 bis 1198) dem Kloster Bregenz (Mehrerau) das Recht, in der Kirche von Bregenz (ecclesia de Brigantia), welche dem Kloster unmittelbar zugehört (que ad vos inmediate[!] noscitur pertinere), den Gottesdienst durch Brüder aus dem Kloster zu besorgen. Jedoch beschränkt der Papst die Anzahl auf drei Brüder gleichzeitig. Auch ist dieser Dienst in der Bregenzer Kirche nur auf die Dauer einer Nichtbesetzung des Seelsorgers in der Kirche vorgesehen. Ebenso bezieht sich die Zugehörigkeit der Pfarre Bregenz nur auf die eine Hälfte der Grafschaft Bregenz, welche bei der Gründung des Klosters Mehrerau im Jahre 1095 von den Grafen von Bregenz als Grundbesitz diesem beigegeben wurde.


Abb.: Urkunde von Papst Coelestin III., 9. Februar 1196 (Bildrechte: Vorarlberger Landesarchiv)

Die vorliegende Urkunde wird als litterae cum serico klassifiziert, da das päpstliche Siegel, die sogenannte Bleibulle, an rot-gelben Seidenfäden befestigt ist. Litterae cum serico sind graphisch etwas feierlicher ausgestattet als jene mit Hanffäden (litterae cum filo canapis). Die Unterschiede in der Siegelbefestigung und graphischen Ausgestaltung entsprechen dem verschiedenen rechtlichen Gehalt der Urkunden: Mit den litterae cum serico wird eine Gnade gewährt, also etwa ein Rechtstitel verliehen oder bestätigt. Das Vorarlberger Landesarchiv verwahrt in seinen Beständen alle bekannten Formen von päpstlichen Urkunden, wie bspw. Bullen, Seiden- und Hanfschnurbriefe oder auch verschiedene Formen von Breven.

Quelle: Vorarlberger Landesarchiv, Urk. 776 (Kloster Mehrerau).

Literatur:

  • Horst Fuhrmann, Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II. München 1998.
  • Thomas Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2). Stuttgart 2000.
  • Volker Reinhardt, Pontifex. Die Geschichte der Päpste von Petrus bis Franziskus. München 2017.

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Quelle: Markus Schmidgall, Vorarlberger Landesarchiv, Archivale des Monats Mai 2021