Historische Bibliothek des Gymnasiums Carolinum Ansbach

Schon im 18.Jahrhundert tanzten freche Schüler den Lehrern auf der Nase herum. Aus Ansbach ist überliefert, dass die Zöglinge öfter mal im Schlafrock zum Unterricht erschienen seien. Bis die Gaudi dem Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich zu bunt wurde: Um die Disziplin zu schärfen, erließ er eine der ersten Schulordnungen, die nicht nur den Lehrern Rechte und Pflichten zuwies, sondern auch den Schülern. In der Regel sind solche schulhistorischen Episoden längst vom Staub der Geschichte bedeckt.

Nicht aber in Ansbach, wo das Gymnasium Carolinum dieses Jahr 475 Jahre alt wird. Neben der Tatsache, dass nicht wenige der 60 Lehrer und 500 Schüler behaupten, sie erfreuten sich dort paradiesischer Zustände, ist vor allem die alte Schul-Bibliothek erwähnenswert, deren Akten und Bücher nicht nur außergewöhnliche Einblicke in den alten Schulbetrieb erlauben, sondern immer noch wertvolle Anregungen für den Unterricht liefern. Das belegt jedenfalls eine aktuelle Ausstellung: Die alten Schätze versprühen nach wie vor pädagogische Aufbruchsstimmung.

Trotzdem: Wer profitiert heute noch von 250 Jahre alten Schulbüchern? Der Kunsterzieher Helmut Sacha wusste darauf lange Zeit auch keine Antwort. Bis ihn sein Chef beauftragte, die historische Bibliothek mit mehr als 14.000 Bänden zu betreuen. Seither weiß er um den zeitlosen Wert dieses Schatzes: „Diese Bibliothek muss lebendig erhalten werden“, lautet deshalb Sachas Credo. Also motiviert er fleißig Lehrer und Schüler, die Bücher für Facharbeiten zu nützen. Und er geht an die Öffentlichkeit. Zusammen mit 21 Kollegen hat er ein Jahr lang die jetzige Ausstellung vorbereitet. Dort sind auch so genannte Einladungsschriften (Jahresberichte) zu sehen, die seit 1730 archiviert sind. Weil in ihnen unter anderem die Unterrichtsstunden und die verwendeten Bücher verzeichnet sind, liegt das pädagogische Programm der damaligen Lehrer praktisch offen vor dem Betrachter. „Wir stoßen hier auf die Wurzeln unseres Berufs“, sagt Sacha.

Zum Beispiel auf den Grundsatz, „Anfängern nur so viel zu sagen, als sie in der Lage sind zu begreifen“. Womit man sogleich bei der Pisa-Studie angelangt ist, die ja kritisiert hat, dass viel zu viel Stoff in das Kurzzeitgedächtnis der Schüler reingepresst werde, ohne dass sie den Sinn des Gelernten verstünden. Die Schulbücher des 18. Jahrhunderts haben sich bereits intensiv mit der Frage beschäftigt, wie das Lernen nachhaltig gestaltet werden könne. „Wir waren fasziniert, das zu entdecken“, sagt Sacha. Mit Hilfe von Bildern, Kupferstichen und kleinen Holzschnitten bemühten sich die Autoren um Anschaulichkeit. Aber auch mit Worten, wie etwa Georg Christian Raff in seiner „Naturgeschichte für Kinder“ von 1778. „Erstmals wird hier versucht, naturwissenschaftliche Phänomene in kindgerechte Sprache zu übersetzen“, erklärt Sacha. Über die Fledermaus kann man dort lesen: „Der liebe Gott schuf ein Thier, halb Vogel und halb Maus, es flog, und hieß Fledermaus.“

Bis heute können die Bücher ergänzend im Unterricht eingesetzt werden. Es ist ein Erlebnis, wenn ein Deutschlehrer die Fabeln von Gellert im alten Ledereinband mitbringt und daraus vorliest, mit der Patina, der goldenen Schrift, dem Geruch, den Kupferstichen: Die fremde Ästhetik fasziniert die Schüler. Als alte Schule wolle man das Internet-Zeitalter bewusst damit begleiten, sagt Sacha. „Es ist wertvoll, alte Bücher und ihre Inhalte zu entdecken.“ Und natürlich auch die Lehrer, die dahinter standen. Wie jenen Meister Brunner, der schon Ende des 18.Jahrhunderts Italienisch-Kurse anbot. An Menschen wie ihm zeigt sich, dass Lernerfolg immer auch von Persönlichkeit und Engagement des Lehrers abhängt. „Seitdem wir die Ausstellung vorbereitet haben, unterrichten wir bewusster“, sagt Helmut Sacha. „Weil wir über unsere Arbeit selbstkritischer reflektieren.“

Die Ausstellung „zeitschulbuch-schulzeitbuch-schulbuchzeit“ läuft bis 5. September in der Schlossbibliothek (Reitbahn 5, Ansbach, http://www.schlossbibliothek-ansbach.de). Montag bis Freitag von 9 bis 12.30 Uhr und von 13.30 bis 17Uhr. Mittwoch Nachmittag geschlossen.
 
Quelle: SZ, 12.8.2003

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