Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ahrensburg

Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht des Jahres 1938. Aus diesem Anlass stellt die Sozial- und Wirtschaftshistorikerin Dr. Martina Moede an diesem Sonntag die erste Chronik der jüdischen Gemeinde in Ahrensburg vor (Vortrag im Rathaus um 15 Uhr, Eintritt frei).

„Auf das Thema bin ich 1997 bei einem Spaziergang gekommen. Ich kam zufällig am jüdischen Friedhof am Wulfsdorfer Weg vorbei. Daraufhin habe ich in der Stadtbücherei, im Stadtarchiv und im Landesarchiv Schleswig recherchiert“, erzählt die Schlossstädterin.

Obwohl die Reichspogromnacht vom 9./10. November, bei der die Nazis 267 Synagogen zerstörten, 91 Menschen töteten und rund 30 000 in Konzentrationslager verschleppten, noch nicht mal ein Menschenleben zurückliegt, gibt es auch in Ahrensburg Fragen über Fragen. Moede: „Wir können zum Beispiel nicht eindeutig sagen, ob die Synagoge hinter dem heutigen Pastorat der Schlosskirche brannte. Es leben ja kaum noch Augenzeugen.“

Moede hat trotzdem einiges über die „Reichskristallnacht“ (Nazi-Jargon) in Ahrensburg herausfinden können: „Sicher ist, dass die drei Brüder Harry, Ludwig und Magnus Lehmann aus der Kornhandelsfamilie Lehmann, die ihr Geschäft in der kleinen Rathausstraße betrieben, bei dem Pogrom verhaftet wurden. Ebenfalls am 9. November wurde der Student Otto Lehmann, Sohn von Harry Lehmann, in Kiel verhaftet. Vermutlich, weil er dort versucht hatte, die brennende Synagoge zu fotografieren.“

Die Brüder Lehmann wurden ins KZ Sachsenhausen verschleppt. – Otto Lehmann, dem die Emigration nach Südamerika gelang, schrieb in der Nachkriegszeit an das Ahrensburger Stadtarchiv: „Die Ereignisse der Kristallnacht waren eine große Ernüchterung, und mein Bruder (Hellmut Lehmann) beeilte sich, für die ganze Familie die Einreisegenehmigung nach Brasilien durchzusetzen, nachdem mein Vater, meine beiden Onkel (Ludwig und Magnus Lehmann) und ich im Konzentrationslager waren. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich meine Einreisebewilligung nach Brasilien bekam.“

Die drei Brüder waren ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden, kamen erst einige Wochen später wieder frei, weil sie versicherten, das Land verlassen zu wollen. Ludwig und Harry Lehmann gelang die Flucht nach Südamerika, Magnus Lehmann nicht. Moede: „Er wurde im Dezember 1941 nach Minsk deportiert und ermordet.“ Zwei weitere Ahrensburger hat die Forscherin ausgemacht, die von den Nazis ermordet wurden. Malie Levy, geboren am 28. September 1868 in Ahrensburg, wurde im November 1941 nach Lodz deportiert und ermordet. Edgar Levy, geboren am 2. Januar 1898, wurde einen Monat zuvor deportiert.

Es gab jedoch noch weitere Opfer der Nazi-Hetze gegen Juden. „Eheleute mit einem jüdischen Partner wurden unter Druck gesetzt, sich scheiden zu lassen.“ So sah sich der Ahrensburger Arzt Dr. Hugo Rath, der in der Waldstraße ein „Ambulatorium“ leitete, wegen seiner jüdischen Frau Veronika einer regelrechten Kampagne ausgesetzt. Abgesandte der NSDAP suchten sogar seine Patienten auf und empfahlen ihnen, seine Sprechstunden zu boykottieren.

Die Besitzerin der Adler-Apotheke wurde enteignet.
Moede: „Veronika Rath glaubte, dass sie ihrem Mann im Wege stünde. Sie nahm sich im Frühjahr 1938 das Leben.“ Veronika Rath, damals 55, war eine bekannte Wohltäterin: Als Mitglied im Frauenverein hatte sie Lebensmittel an Bedürftige verteilt.

Die Pogromnacht war auch der Auftakt zu einer organisierten Bereicherungswelle („Arisierung“). 1939 wurde die Ahrensburgerin Gertrud Eickhorst verhaftet. Begründung: Sie habe sich „auffällig benommen“. Der Apothekerin gehörte die Adler-Apotheke an der heutigen Hamburger Straße. Ihr nichtjüdischer Mann erwirkte ihre Freilassung, indem er den Wegzug nach Hamburg zusicherte. Die Apotheke wurde später zwangsverkauft, der Erlös beschlagnahmt.

Info:
Martina Moede: „Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ahrensburg – Von der ersten Ansiedlung 1788 bis zur Deportation 1941“, Wachholtz-Verlag Neumünster (Reihe „Stormarner Hefte“), 410 Seiten, 26 Euro

Quelle: Hamburger Abendblatt, 8.11.2003

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