Temporäres Umsiedeln des Klosterarchivs Einsiedeln

In mehr als tausend Jahren ist das Archiv des Klosters Einsiedeln nur zweimal wegtransportiert worden. Einmal flüchtete der Abt vor den Schwyzern mit wertvollen Urkunden, und das andere Mal liess die helvetische Regierung das Archiv abführen. Nun wandern die Akten in Kisten verpackt und mit Polizeischutz ins Schwyzer Staatsarchiv, für maximal acht Jahre (AUGIAS-Net berichtete). Nicht länger soll die Sanierung des Archivs dauern.

In der Dreikönigsnacht 1314 überfielen die Schwyzer Einsiedeln, plünderten Kloster und Kirche. Die wenigen hochadeligen Mönche wurden rasch überwältigt und mit verbundenen Händen nach Schwyz geführt. Zweck des Überfalls war die Vernichtung kaiserlicher Schenkungsbriefe, welche Weiderechte des Klosters vor den Schwyzern sicherten. Doch mit den wichtigsten Urkunden war der Abt rechtzeitig ins Schloss Pfäffikon am Zürichsee geflüchtet. 691 Jahre später sind die Mönche froh, dass die wertvollen Akten nach Schwyz ins Staatsarchiv ziehen können. In Kisten verpackt und mit Polizeischutz werden insgesamt über 600 Laufmeter Akten in den nächsten Monaten ins Staatsarchiv transportiert. Im Winter soll die Umzugsaktion abgeschlossen sein. Maximal acht Jahre können die Akten in Schwyz lagern. Bis dann soll die Sanierung des Archivs abgeschlossen sein.

Drei eher kleine Räume im ersten Stock, zuvorderst das sogenannte Rheinauer-Archiv, im zweiten Raum das eigentliche Stiftsarchiv unter vier Gewölben, zuhinterst im letzten Raum das Büro des Archivars. Hier lagert das historische Gedächtnis des Klosters seit dem Neubau im frühen 18. Jahrhundert. Hier wird es gepflegt. Andreas Meyerhans, externer Klosterarchivar, und Andreas Kränzle, Verantwortlicher für die Reorganisation des Archivs, sind damit beschäftigt, aufzuräumen und zu inventarisieren. Spazierstöcke stehen herum, an einer Wand steht ein vierhundertjähriger Feuereimer aus Leder, in einer Schublade finden sich alte Dienstbüchlein der Mönche, an einem andern Ort liegen ungeordnete Soldatenbilder aus dem Ersten Weltkrieg, die als Exvoto in der Kirche aufgehängt wurden, auf einem Schrank türmt sich der Nachlass eines Paters, der in Rumänien wirkte. Archivalisches Strandgut mit Sammlerwert. Es komme noch viel mehr zusammen, sagt Andreas Kränzle und macht eine Handbewegung nach oben. Unter dem Dach des Klosters befinde sich unter anderm eine Sammlung von Wallfahrtsbildern und Münzprägestöcken.

Mehr als 30 Millionen Franken sind in den letzten Jahren in die Restaurierung des Klosters geflossen, auch in einen Kulturgüterschutzraum, in dem die wertvollsten Stücke aus dem Archiv lagern, ottonische Urkunden aus dem 10. Jahrhundert. 8 Millionen Franken bewilligte der Kanton Schwyz in einer Volksabstimmung vor vier Jahren für verschiedene Aufgaben, auch für das Archiv, mit dem erst begonnen wird. Das Kloster sei reich an Kulturgütern, ein Reichtum, der viel koste, aber an dem sich Besucher und Pilger erfreuten, sagt Abt Martin Werlen. Der Abt setzt auf Fundraising und hat dafür ein Dutzend Wirtschaftsleute angefragt zur Unterstützung, darunter Rainer E. Gut. Die Gruppe werde bis im Sommer zum ersten Mal zusammentreten. Wo das neue Archiv untergebracht wird, sei offen.

Das alte Archiv platzt aus allen Nähten, zudem haben Feuchtigkeit und damit verbundener Pilzbefall, Wärme und Kälte, Gebrauch und Transport dem Bestand zugesetzt. Bei zahlreichen Stücken kommt jede Rettung zu spät. Andreas Meyerhans greift nach einer Aktenmappe und öffnet sie. Ein Stück Siegel fällt heraus und auf den Boden. Im Karton liegen lose Urkunden aus dem 13. Jahrhundert herum, die Siegel hängen heraus. Er zeigt eine Urkunde von Rudolf von Habsburg, welcher 1274 dem Abt die Reichsfürstenwürde bestätigte. Bei jeder Benutzung besteht die Gefahr, dass Siegel beschädigt werden oder gar abfallen. Auch die Originale leiden, wenn sie nicht als Einzelstücke gelagert werden. Die Archivmappen liegen in 56 Holztruhen, welche selber mehr als zweihundert Jahre alt sind. Auf der Vorderseite der Truhen klebt roter Siegellack. Zu erkennen ist das Zuger Wappen. Die helvetische Regierung liess die Kisten und das ganze Archiv 1798 nach Zug transportieren.

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Seit 40 Jahren betreut Pater Joachim die Bestände des Archivs. Er kennt jeden Winkel, jede Geschichte und kämpfte auf sanfte Weise für die Renovation. Pater Joachim öffnet eine Eisentüre und zeigt auf zwei gut erhaltene und mit feiner Schrift bezeichnete Totenschädel. Es sind frühere Äbte. Der eine, Maurus von Roll, habe den Bau des Klosters initiiert. Pater Joachim greift zwei Fächer höher und zaubert ein Sackmesser mit Amerika-Flagge hervor, ein Geschenk von Präsident Bush senior, als dieser das Kloster besuchte. Mit einigen Stücken hat er sich regelrecht angefreundet. Seit drei Jahren liegt die Beglaubigungsurkunde von Abt Martin auf dem Tisch. Die Urkunde sei sehr schön geschrieben, aber auf der falschen Seite, auf der Haarseite des Pergaments, «und das von der apostolischen Kurie».

Quelle: NZZ Online, 29.3.2005

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