Sprechende Tische

Da die Gründung des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) erst im Jahr 1950 erfolgte, sind die Bestände des Institutsarchivs noch sehr jung. Der Schwerpunkt der Überlieferung liegt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Verschiedene Materialien, vor allem aus den aufbewahrten Nachlässen, reichen allerdings bis in das 19. Jahrhundert zurück. 

Das derzeit älteste datierbare Dokument im Archiv des IGPP stammt vom 29. Januar 1854. Es handelt sich um ein Protokoll einer spiritistischen Sitzung im Haus des österreichischen Beamten Johann Heinrich Stratil (1793-1874). Das Dokument stammt demzufolge aus dem Umfeld des damals in Europa aufkommenden Spiritismus, dem als gesellschaftliche Bewegung des 19. Jahrhunderts inzwischen vermehrt die Aufmerksamkeit der Sozialgeschichtsschreibung zukommt. Seit dem Frühjahr 1853 hatte sich die Praxis des „Tischrückens“, aus den USA kommend, in Europa ausgebreitet und sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer „Mode zwischen Spiritismus, Wissenschaft und Geselligkeit“ (Timo Heimerdinger) entwickelt. In vielerorts stattfindenden Sitzungen wollten die Teilnehmer/innen mit Hilfe des Tisches, um den sie sich versammelt hatten, Botschaften aus dem Jenseits einholen. Das „Rücken“ oder „Klopfen“ des Tisches in Reaktion auf gestellte Fragen brachte man in Verbindung zu einem „Klopfalphabet“: der Tisch konnte dadurch zu den Anwesenden „sprechen“. Die Fragen und übermittelten Antworten wurden aufnotiert: ein neuartiges Gesellschaftsspiel – durch viele weitere Faktoren interpretierbar – war entstanden. 

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Abb.: Protokoll einer spiritistischen Sitzung vom 29.1.1854

Das vorliegende Protokoll aus dem Hause Stratil präsentiert einen etwas eigensinnigen und frechen „Klopfgeist“, der vor allem Spötteleien parat hat. Mit der äußerlich unscheinbaren Niederschrift seiner zwölf Antworten aus dem Jenseits beginnt chronologisch ein großes Konvolut ähnlicher Protokolle aus österreichischen Spiritistenkreisen, die Johann Heinrich Stratil hinterlassen hat (IGPP-Archiv, Bestand 10/10).

Kontakt:
Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.
Wilhelmstraße 3a
79098 Freiburg i.Br.
Telefon: +49-(0)761-2072110 
igpp@igpp.de
www.igpp.de 

Quelle: Uwe Schellinger (IGPP), Schaufenster ins Archiv Nr. 08-07, 1.8.2007

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