Populäre Kellerkinder und die bleibenden Werte

In einer Reportage über das regionale Archivwesen und das Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut in Ludwigsburg nimmt sich die Badische Zeitung vor dem Hintergrund des Kölner Archiveinsturzes der Bedeutung der Archive als "Gedächtnisse" der Gesellschaft an: "Ein Archiv sagt die Wahrheit", es lüge nicht und sei geduldig. Nach der Katastrophe von Köln genießt das Archivwesen zudem besonderes mediales Interesse: "Deutschlands Kellerkinder, die Archivare, [sind] plötzlich populär". Wohl mit Blick auf die Archivpädagogik wird Archivdirektor Dr. Clemens Rehm zitiert: \“20 Jahre haben wir uns die Hacken abgerannt für mehr Aufmerksamkeit, und dann so etwas".

Das Medieninteresse wird vermutlich bald nachlassen, die Rekonstruktion des Historischen Archivs der Stadt Köln hingegen Jahre und Jahrzehnte dauern, mit derzeit noch ungewissen Erfolgsaussichten. Frieder Kuhn und seine dreißig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut rechnen damit, beizeiten von den Kölner Kollegen um Hilfe bei der Wiederherstellung der geborgenen Archivalien gebeten zu werden.

Kuhn leitet das Ludwigsburger Institut, eine Abteilung des Landesarchivs Baden-Württemberg, das im mittelalterlichen \“Arsenal\“, einem früheren Waffenlager, untergebracht ist. Von der Buchbinderei mit Pinseln, Pressen und Prägestempeln bis zum Digitalscanner unterm Dach birgt Kuhns Haus alles, was man braucht, um Kostbarkeiten dem Zahn der Zeit zu entreißen und der Nachwelt aufzuheben. Der Zahn der Zeit – das kann Tintenfraß sein, welcher eine Originalpartitur von Bach durchlöchert, so dass man bald nicht mehr sagen kann, ob der Meister halbe oder ganze Noten gemeint hat. Das kann auch selbstzerstörerisches Papier sein, welches seit etwa 150 Jahren für viele Druckschriften benutzt wird. Es bildet Säuren und zersetzt sich. Der Zahn der Zeit kann aber auch von außen am Dokument nagen, per Sonnenlicht, Feuchtigkeit, Feuer, Wasser, Holzwürmern oder Schimmel. Alles Organische zerfällt, das steht fest. Aber fest steht auch, dass Kuhns engagierte Truppe den Ehrgeiz hat, dem Zerfall die Arbeit so schwer wie möglich zu machen.

Ein Landesrestaurierungsprogramm von 1986, das jährlich knapp 900.000 Euro bereithält, finanziert die Arbeit des Instituts für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut. – Da die "Langzeitarchivierung" digitaler Daten längst noch nicht zuverlässig ist, schwört Chefrestaurator Kuhn weiterhin auf die Sicherheitsverfilmung: Auf acetatfreien 35-Millimeter-Film werden im Dachgeschoss seines Instituts in großer Zahl Dokumente fotografiert. Manche der Dokumentenseiten, die im Zuge systematischer Sicherungsverfilmung auf die Filme kopiert werden, kann man bereits mit bloßem Auge entziffern. "Wer diese Streifen nach, sagen wir, fünfhundert Jahren aus der Tonne holt\“, verspricht Frieder Kuhn, \“der braucht nur eine Lampe und eine Lupe, um sie zu lesen.\“ Einen Ersatz für die zu schützenden und gegebenenfalls – wie im Kölner Fall – auch massenhaft aufwändig zu restaurierenden \’Originale mit Wahrheitsgehalt\‘ stellen sie gleichwohl nicht dar.

Kontakt:
Landesarchiv Baden-Württemberg
Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut
Frieder Kuhn, Abteilungs- und Institutsleiter
Schillerplatz 11
D-71638 Ludwigsburg
Telefon: 07141/18-6622
Fax: 07141/18-6699
frieder.kuhn@la-bw.de

Quelle: Stefan Hupka, Badische Zeitung, 11.3.2009

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