Die Westfälische Diakonenanstalt Nazareth 1914-1954

Alle Diakone in Bethel, so war es in der „Geschichte der evangelischen Posaunenbewegung Westfalens“ nachzulesen, seien bis 1937 in die SA eingetreten. Lange Zeit hat sich der Mythos der "Braunen Brüder" in Nazareth denn auch hartnäckig gehalten. Jahrelang hat sich der Historiker Reinhard Neumann mit dem Thema befasst. Das Ergebnis seiner Recherchen ist jetzt als Buch erschienen: Im Vergleich zu anderen diakonischen Gemeinschaften in Deutschland seien demnach nur wenige Nazareth-Diakone der NSDAP beigetreten. 1939 habe Nazareth-Vorsteher Pastor Paul Tegtmeyer mitgeteilt, dass von 810 Nazareth-Brüdern zehn Mitglied in der SA seien.

„Es geisterten so viele Mutmaßungen und Legenden über die Haltung der Brüder der Westfälischen Diakonenanstalt Nazareth zum Nationalsozialismus umher, dass es unumgänglich war, darüber zu forschen und die Ergebnisse auf wissenschaftliche Füße zu stellen“, sagt Pastor Bernward Wolf, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und zuständig für die diakonischen Gemeinschaften Nazareth und Sarepta. In Absprache mit der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und der Nazareth-Leitung erteilte der Vorstand daraufhin dem Dozenten Reinhard Neumann den Auftrag, die historische Entwicklung der Brüderschaft in der Zeit von 1914 bis 1954 wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten.

Pastor Johannes Kuhlo, Vorsteher der Diakonenanstalt Nazareth, habe tiefgreifende Veränderungen für die Nazareth-Diakone in Bethel eingeleitet. So habe er etwa die zölibatäre Lebensform gelockert, die Brüderschaft gewann neben der Sarepta-Schwesternschaft größere Eigenständigkeit. „Die männliche Diakonie in Bethel wurde 1877 als Hilfsinstrument der Diakonissen gegründet. Diakone wurden dort eingesetzt, wo das Schamgefühl der Diakonissen verletzt wurde, zum Beispiel in der Pflege männlicher Patienten“, erläutert Reinhard Neumann. Die Diakonissen hatten das Sagen, die Diakone mussten sich – entgegen dem damaligen Rollenverständnis der Geschlechter – unterordnen, so Neumann.

Politisch habe Johannes Kuhlo national-chauvinistisch gedacht. „In seiner Person mischte sich die pietistisch-erweckte Bibelfrömmigkeit seiner Ravensberger Heimat mit der fast schon sakral anmutenden Kaiserverehrung des wilhelminischen Zeitalters“, kommentiert Reinhard Neumann in seinem Buch „Die Westfälische Diakonenanstalt Nazareth 1914–1954“. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg 1918 und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches habe Kuhlo die „Judensippe“ und die „Spartakisten“ als Schuldige für den „kommunistischen, gottlosen Umsturz“ ausgemacht. Seine glühende Verehrung für den Kaiser habe er nahtlos auf Adolf Hitler übertragen.

Kuhlos Nachfolger Pastor Paul Tegtmeyer, der von 1923 bis 1954 das Amt des Vorstehers in Nazareth innehatte, habe gegen den Nationalsozialismus eine tiefe Abneigung gehegt. „Wir arbeiten nicht für das Dritte Reich, sondern für das Reich Gottes“, erinnerte er die Diakone, die Sympathie für die Nazi-Ideologie aufbrachten. Vor allem jüngere Brüder, die ihren Dienst nicht in Bethel versahen, suchten nach Orientierung. Die Propaganda versprach ihnen ein positives Christentum. „Das kann so schlecht nicht sein“, meinten sie. Doch Pastor Tegtmeyer sei stets kritisch geblieben. Reinhard Neumann ist überzeugt: „Tegtmeyer hat die Brüderschaft in ihrer Gesamtheit durch die Zeit des Nationalsozialismus gerettet.“

Paul Tegtmeyer und seine Frau Maria standen an der Spitze der Hierarchie in der Diakonenanstalt Nazareth. Die Brüder redeten sie mit Papa und Mama an. Mit strengen, patriarchalischen Strukturen hätten sie es geschafft, die Mitglieder der „Nazareth-Familie“ durch die Anfeindungen und Verführungen jener Zeit zu manövrieren. 1939 meldete Tegtmeyer auf Anfrage der Deutschen Diakonenschaft, dass von 810 Nazareth-Brüdern zehn Mitglied in der SA seien. Im Archiv der Stiftung Nazareth hat Reinhard Neumann Quellenmaterial erschlossen, das zum Teil erstmalig ausgewertet wurde und für die Zeit von 1914 bis 1954 neue Erkenntnisse liefert. Viele hundert Briefe hat er gelesen. Besonders bewegt hätten ihn die Schilderungen der Soldatenbrüder im Zweiten Weltkrieg.

In größter seelischer Not schrieben sie an Pastor Tegtmeyer von den Gräueltaten, die sie erlebten oder die ihnen zu Ohren kamen. „Hier im Krankenhaus habe ich Gelegenheit, in einen Abgrund von Blutschuld zu blicken, die wir auf uns geladen haben, dass ich mich manchesmal frage, wie kann Gott noch mit uns sein?“, schrieb ein Diakon, der als Krankenpfleger in einem Lazarett in Posen diente. Nach Kriegsende musste Paul Tegtmeyer seine ganze Kraft aufbringen, um die desillusionierten und traumatisierten, heimatvertriebenen oder aus langer Gefangenschaft nach Hause kehrenden Brüder in die Nazarethfamilie wiedereinzugliedern. „Das große Verdienst des ehemaligen Vorstehers liegt darin, dass er es geschafft hat, im Nationalsozialismus die Einheit Nazareths zu wahren und ein Abdriften der Gemeinschaft zu den völkisch-nationalistischen Deutschen Christen zu verhindern“, betont Bernward Wolf. Das Buch „Die Westfälische Diakonenanstalt Nazareth 1914 – 1954, Jahrzehnte der Krise“ ist im Luther-Verlag erschienen und kostet 24,90 Euro.

Info:
Reinhard Neumann
Die westfälische Diakonenanstalt Nazareth 1914–1954
Jahrzehnte der Krise
Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte, Band 36
240 Seiten, Paperback, Format 23 x 15,5 cm
€ 24,90 [D]
ISBN 978-3-7858-0453-7

Quelle: EKvW, Nachrichten aus der Evangelischen Kirche von Westfalen, 7.9.2010

Themenabende zu »zugereisten Odenwälderinnen«

Im Rahmen des Kultursommers Südhessen haben sich die Frauen der Odenwälder Frauengeschichtswerkstatt mit dem Thema „Zugereiste Odenwälderinnen – Flucht, Vertreibung und freiwillige Einwanderung in den Odenwald“ beschäftigt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden bei Aufführungen am Freitag, dem 10. September, 19:30 Uhr, im Odenwaldmuseum Michelstadt (Kellereihof) sowie am Samstag, dem 11. September, 19:30 Uhr, im Evangelischen Gemeindehaus in Fränkisch-Crumbach (Bahnhofstraße 1) zu sehen sein.

An beiden Abenden wird im Anschluss an die Aufführungen das Buch „Wo wilde Weiber wohnen – Geschichten von und über Frauen rund um den Odenwald“ präsentiert. Der Eintritt kostet jeweils sieben Euro (ermäßigter Preis fünf Euro).

Der Kreisausschuss des Odenwaldkreises, dessen Frauenbeauftragte, das Kreisarchiv Odenwaldkreis sowie die Frauenbeauftragte der Stadt Michelstadt zeichnen für die Veranstaltungen verantwortlich.

Nähere Informationen vermittelt die Kreis-Frauenbauftragte Amarelle Opel, Telefon 06062 70-222, E-Mail: a.opel@odenwaldkreis.de

Link: www.frauengeschichtswerkstatt-odenwald.org

Quelle: Odenwaldkreis / Pressestelle, Pressemeldung, 3.9.2010

Neue Leiterin für das Kasseler Stadtarchiv

Dr. Alexandra Lutz übernimmt zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Leitung des Stadtarchivs Kassel. Dies hat der Magistrat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, wie Oberbürgermeister Bertram Hilgen am 2. September 2010 im städtischen Pressedienst mitteilte.

Dr. Alexandra Lutz ist derzeit noch als Archivoberrätin an der Archivschule Marburg tätig. Die 41-jährige Archivarin sammelte dort berufliche Erfahrungen als Dozentin und Koordinatorin für Archivwissenschaft. Ihr Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Volkskunde und Soziologie absolvierte Dr. Lutz an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wo sie im Juni 2003 mit der Disputation abschloss.

Aufgrund ihrer archivarischen und historischen Fachkenntnisse und Berufserfahrungen sei Dr. Alexandra Lutz die geeignete Bewerberin für die Aufgaben und Anforderungen im Kasseler Stadtarchiv, erklärte Oberbürgermeister Hilgen. Sie folgt auf Stadtarchivarin Dr. Sigrid Schieber, die Ende 2008 die Leitung des Archivs für knapp ein Jahr übernommen hatte (siehe Bericht vom 17.11.2008), und beendet somit ein längeres Provisorium ohne Archivleitung. Mit dem Stadtarchiv Kassel hat Dr. Alexandra Lutz bereits schon einmal zusammengearbeitet. Von September bis Dezember 2009 erschlossen die 24 Teilnehmer des 46. Fachhochschulkurses der Archivschule Marburg unter ihrer Leitung den Bestand "Willi-Seidel-Haus / Jugendarchiv" aus dem Kasseler Archiv.

Kontakt:
Stadtarchiv Kassel
Wildemannsgasse 1 / Marstall
34117 Kassel
Telefon: 0561 / 787-4050
Telefax: 0561 / 787-4060
stadtarchiv@stadt-kassel.de

Quelle: Stadt Kassel, Pressemitteilung, 2.9.2010; HNA, 9.6.2010

Archive im Rhein-Erft-Kreis und in Düren legen Archivführer neu auf

Seit sechzehn Jahren besteht die Arbeitsgemeinschaft der Archive im Rhein-Erft-Kreis sowie der Stadt und des Kreises Düren. Angeschlossen sind auch das Landesarchiv NRW, das Archiv der RWE Power AG, das des Erftverbandes sowie das des Landschaftsverbandes. Dieser Tage stellten die Archivare die Fortschreibung des Archivführers „Fundgruben“ vor. Die 72-seitige Broschüre beschreibt die Aufgaben der Archive, informiert über Ansprechpartner und Öffnungszeiten und listet stichwortartig auf, welche "Schätze" in welchem Haus gehütet werden.

Die redaktionelle Hauptarbeit leisteten Berit Arentz (Kreis Düren), Susanne Harke-Schmidt (Kerpen), Manfred Coenen (RWE Power) und Rudolf Kahlfeld (Landschaftsverband). Als Sponsoren ermöglichten neben den Trägern die Kreissparkassen Düren und Köln das Projekt.

Der Archivführer "Fundgruben" entstand 1996, zwei Jahre nach der Gründung der Arbeitsgemeinschaft. Neu aufgelegt wurde er nun mit 5.000 Exemplaren. Der Archivführer liegt kostenlos in den Archiven und in den Rathäusern aus. Eine PDF-Ausgabe der "Fundgruben" soll noch auf den Internetseiten des Rhein-Erft-Kreises zum Download bereitgestellt werden.

Quelle: Bergisches Handelsblatt, 2.9.2010; Kölnische Rundschau, 2.9.2010

Am Tag des offenen Denkmals Angebote für Kinder in Münster

"Kultur in Bewegung" heißt es am Sonntag, 12. September, dem Tag des offenen Denkmals in ganz Deutschland und so auch im westfälischen Münster. Wer nun glaubt, in Münster beschränkt sich das Programm auf Oldtimer und Lastkähne, unterschätzt die Aktiven der lokalen Denkmalpflege. Facettenreich setzen sie das Thema um und laden ein, Münsters historische Schätze zu entdecken, sachkundig begleitet und kostenlos.

So kam beispielsweise in den 1950er-Jahren Bewegung in die Architektur, als amerikanische Ideen und Konstruktionen auch Münster erreichten. Mit ihrer eigenen Leichtigkeit sind heute noch der Kiffe-Pavillon und das Iduna-Hochhaus Zeugen dieser Entwicklung. Dabei sind Einflüsse aus der Fremde keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts. Schon Johann Conrad Schlaun oder Lambert Corfey hatten sich erstmal selbst in Bewegung gesetzt. Vom barocken Geist Italiens oder Frankreichs inspiriert schufen sie einzigartige Gebäude wie den Erbdrostenhof, das Rüschhaus oder die Dominikanerkirche. Auch die Architekten, die im 19. Jahrhundert den Domplatz im Zeitgeist des Historismus neu gestalteten, waren weitgereist, um dann in Münster Baustile vergangener Jahrhunderte wieder aufleben zu lassen.

Mit Hilfe der Fachleute sind diese Spuren am Denkmaltag leicht zu entdecken. Wer sich lieber selbst mehr bewegen möchte, hat dazu zum Beispiel bei einer Radtour entlang des Rings Gelegenheit. Sie verspricht spannende Blicke auf Villen, Kirchen oder Schulen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Oder man geht ein Stück des Prozessionsweges gen Telgte, wie die Menschen es seit über 400 Jahren tun. Plattdeutsche Texte und Meditationen bringen an den historischen Wegemalen auch den Geist in Bewegung.

Drei Veranstaltungen eignen sich zudem explizit für Familien. So können Erwachsene und Kinder in Kinderhaus spielerisch einen Blick ins Mittelalter werfen, als die Leprakranken noch weit vor den Toren Münsters hinter hohen Mauern leben mussten. Kinder sind auch im Landesarchiv NRW Abt. Westfalen willkommen, wo es um Kutschen, Karten und einen reisenden Kaiser geht, oder in der Mauritzkirche, wo sie erfahren, wie man Kirchen baut.

Das Programmheft mit Angeboten für Groß und Klein gibt es in der Münster-Information und im Internet (www.muenster.de/stadt/denkmal). Einige Veranstaltungen eignen sich auch für Menschen mit Behinderungen und sind entsprechend gekennzeichnet.

Link: http://tag-des-offenen-denkmals.de

Quelle: Stadt Münster, Pressemitteilung, 2.9.2010

Karl Valentins »Altmünchner Fotosammlung« jetzt per Datenbank erschlossen

Karl Valentin (1882-1948) ist den meisten Zeitgenossen nur als Volksschauspieler und Komödiant bekannt. Tatsächlich jedoch war er auch in vielerlei Hinsicht ein leidenschaftlicher Chronist seiner Heimatstadt München. So beobachtete und analysierte er die Münchner Mentalität aufs Genaueste, um sie in seinen Sketchen und Filmen zu verarbeiten und zu karikieren. Daneben hatte er aber auch ein besonderes Interesse an der architektonischen Entwicklung der Stadt, die sich seit 1870 rasant veränderte. Valentin sah dies mit eher gemischten Gefühlen: „Leider hat der Fortschritt, der ja nicht aufzuhalten ist, geradlinige oder viereckige Häuserkolosse mitten in die Stadt gestellt, sogar einen Wolkenkratzer, es beginnt also schon zu neuyorkeln.“

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Abb.: Die Mariensäule in Festschmuck zum Wittelsbacher Jubiläum am 25. August 1880, Stadtarchiv München – Fotosammlung (Sammlung Valentin 48)

Wenn diese Entwicklung auch nicht aufzuhalten war, so sollte doch das Gewesene dokumentiert werden. Um 1925 begann Karl Valentin eine rasch wachsende Sammlung von Fotografien zur Stadtentwicklung (mit unterschiedlichen Ansichten von Gebäuden, Straßen und Plätzen) zusammenzutragen, deren Schwerpunkt in den Jahren 1855 bis 1910 liegt. Sie enthält auch 160 Stereoskop-Ansichten, die bei Benutzung einer entsprechenden „Sehhilfe“ dreidimensionale Blicke auf Münchens Straßen und Plätze erlaubten.

Im August 1939 verkaufte Karl Valentin seine Sammlung für 20.000 Reichsmark an die Stadt München, die sie dem Stadtarchiv München überließ. Hatte Valentin schon seit längerem Ideen entwickelt, wie die Fotos interessierten Zeitgenossen zugänglich gemacht werden konnten, so spielte nun auch seine sich zunehmend verschlechternde Wirtschaftslage eine Rolle.

Die rund 2.200 Fotos dieser einzigartigen Sammlung wurde in den vergangenen Jahren digitalisiert und in einer Datenbank erschlossen, die ab sofort im Lesesaal des Archivs einsehbar ist.

Kontakt:
Stadtarchiv München
Winzererstr. 68
80797 München
Tel. +49 (0)89 233 0308
Fax +49 (0)89 233 30830
stadtarchiv@muenchen.de

Quelle: Stadt München, Pressemitteilung, 1.9.2010

Exkursion zum Gebäudekomplex der Konsumgenossenschaft »Vorwärts« in Barmen

In Zusammenarbeit mit der Kunst- und Kulturinitiative Sprockhövel e.V. und dem Verein "Historikerinnen und Historiker vor Ort" lädt das Stadtarchiv Sprockhövel zu einer Führung durch den Gebäudekomplex der ehemaligen Konsumgenossenschaft "Vorwärts" ein.

Das Areal der Konsumgenossenschaft "Vorwärts" (gegr. 1899) mit eigener Bahnanbindung, Werkstätten und der damals modernsten Großbäckerei des Bergischen Landes ist ein einmaliges Zeugnis der Industrie- und Sozialgeschichte Wuppertals. Zur Zentrale gehörten auch genossenschaftseigene Wohnhäuser und verschiedene Verteilungsstellen, unter anderem auch in Haßlinghausen.

Leiter der Haßlinghauser Filiale war der damalige Haßlinghauser Gemeindevorsteher Wilhelm Kraft. In den 1920er Jahren versorgte man rund ein Drittel der Barmer Bevölkerung – bis die Nationalsozialisten die Erfolgsgeschichte gewaltsam unterbrachen und hier eine SA-Kaserne mit Folterkeller einrichten. Auch Wilhelm Kraft gehörte zu denjenigen, die ihren Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben bezahlen mussten. Nach dem Krieg bis in das Jahr 2000 dienten die Gebäude in der Münzstraße als Flüchtlingsunterkunft.

Um diesen Gebäudekomplex und seine Geschichte zu bewahren und als historischen Lernort neu zu nutzen, gründete sich 2004 der Förderverein Konsumgenossenschaft "Vorwärts" – Münzstraße e.V. Ein Ausstellungsraum, Räume für Schulungen und Wohnungen sind bisher entstanden bzw. sind hier geplant.

Reiner Rhefus, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins und exzellenter Kenner der Wuppertaler Geschichte, wird die Gruppe führen. Für die Führung ist vor Ort eine kleine Gebühr zu entrichten, deren Höhe von der Anzahl der Teilnehmer abhängt. Die Anreise erfolgt in Eigenregie; es können aber auch Fahrgemeinschaften organisiert werden.

Info:
Das Stadtarchiv Sprockhövel lädt ein:
Auf den Spuren von Wilhelm Kraft – Exkursion zum Gebäudekomplex der Konsumgenossenschaft "Vorwärts" nach Wuppertal-Barmen, Münzstraße 47-53

Anmeldung im Stadtarchiv Sprockhövel
Tel.: 02324 – 9701 555 oder bei Dieter Hering unter Tel.: 0202 – 52 14 54

Termin: Freitag, 24. September 2010
Treffpunkt: 14.45 Uhr im Innenhof Münzstraße 51/53 in Wuppertal-Barmen

Weitere Infos unter: www.vorwaerts-muenzstrasse.de

Quelle: Stadt Sprockhövel, Pressemitteilung, 26.8.2010

Skandale in der Geschichte – neuer Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten startet

Am 1. September 2010 startet der 22. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten zum Thema »Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte«. Alle Kinder und Jugendlichen unter 21 Jahren sind aufgerufen, auf Spurensuche in ihren Wohnorten zu gehen. Ausgerichtet wird der Wettbewerb von der Körber-Stiftung in Hamburg, die Preise im Gesamtwert von 250.000 Euro auslobt. Einsendeschluss ist der 28. Februar 2011.

Skandale – Bruch mit zeitgenössischen Wertvorstellungen
Ob Machtmissbrauch in der Politik oder Bestechung in der Wirtschaft, ob Betrug beim Sport oder Tabubruch im Theater: Skandale sind kein neues Phänomen. Zu allen Zeiten, in großen Städten wie in kleinen Dörfern, haben sich Menschen über mutmaßliches Fehlverhalten empört. Skandale waren Anlass, gemeinsame Wertvorstellungen zu überprüfen. Sie konnten Fehlentwicklungen korrigieren und konnten Reformen bewirken, aber auch Vorurteile verschärfen und ein Klima des Misstrauens erzeugen.

Bundespräsident Christian Wulff: »Wichtig erscheint mir bei der Betrachtung von Skandalen, genau hinzusehen, kritisch mit Vorwürfen und Vorverurteilungen der Beteiligten umzugehen und danach zu fragen, welche Interessen und Einflussnahmen jeweils mit im Spiel sind.«

Informationen und Service
Beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten stellen Kinder und Jugendliche eigene Fragen an ihr Lebensumfeld, recherchieren in Archiven und sprechen mit Zeitzeugen und Experten. Ausgezeichnet werden die Sieger auf Landes- wie auf Bundesebene. Preise erhalten auch die besten Schulen und drei Lehrer für herausragendes Engagement.

Links:

Informationen zum Thema:
Körber-Stiftung
Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten
Stefan Frindt
Kehrwieder 12
20457 Hamburg
Telefon +49 · 40 · 80 81 92 – 152
Telefax +49 · 40 · 80 81 92 – 302
frindt[ at ]koerber-stiftung.de
www.geschichtswettbewerb.de

Archiv Haus Marck wappnet sich gegen Katastrophen: Microfiches aus Tecklenburg werden zusätzlich im Kreisarchiv Steinfurt deponiert

Ricarda Baronin von Diepenbroick-Grüter will ganz sicher gehen, dass die rund 1.500 Archivalien auf Haus Marck in Tecklenburg der Forschung für die Zukunft erhalten bleiben, deshalb fährt sie mehrgleisig: Neben dem Wasserschloss Haus Marck, auf dem die Originalakten lagern, werden die doppelt vorhandenen Microfiches vom Adelsarchiv zum einen vom LWL-Archivamt für Westfalen in Münster und zum anderen vom Kreisarchiv Steinfurt archiviert. Eigentümerin der Microfiches bleibt die Familie von Diepenbroick-Grüter.

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Abb.: Freuen sich über die Kooperation (v. l.): Ricarda Baronin von Diepenbroick-Grüter, Dr. Antje Diener-Stäckling vom LWL-Archivamt für Westfalen, und Ute Langkamp, Leiterin Kreisarchiv Steinfurt (Foto: Kreis Steinfurt)

Viel Zeit und Geld wurde investiert, um das Archiv Haus Marck zu erforschen, zu erhalten und für die Zukunft sicher aufzubewahren. Bestens verpackt in Archivkartons, sicher gelagert in Archivschränken und gut erschlossen durch ein detailliertes Findbuch können die Unterlagen auf Haus Marck direkt eingesehen werden. Baronin von Diepenbroick-Grüter betont, dass sie gerne Besucher nach Voranmeldung in ihren Archivräumen willkommen heißt.

Gefahren, denen Archivgut ausgesetzt sein kann, sind nicht zu unterschätzen. Die Kölner Stadtarchivkatastrophe steckt jedem Archivar noch in den Knochen. So ist die Idee von Baronin Diepenbroick-Grüter, in verschiedenen Archiven das Aktengut sicher verwahrt zu wissen, nachahmenswert.

Im Kreis Steinfurt können sich die Forscher freuen, wie bequem sie die Geschichte rund um Haus Marck erforschen können. Im Kreisarchiv in Steinfurt steht ein Readerprinter zur Verfügung, mit dem die Microfiches gelesen und ausgedruckt werden können. Microfiche bedeutet, dass jede Seite einer Urkunde, eines Tagebuchs, eines Aktennotiz oder einer Stammtafel microverfilmt und dann auf einem Fiche, einer DIN A 5 großen Plastikfolienkarte, kopiert wurde.

Interessierte können jetzt in Münster oder in Steinfurt forschen. Sie wenden sich an das LWL-Archivamt für Westfalen in Münster, das die Adelsarchive in Westfalen-Lippe betreut, oder sie gehen ins Kreisarchiv, das sich im Kreishaus in Steinfurt-Burgsteinfurt befindet und an allen Werktagen ganztägig geöffnet hat.

Kontakt:
Kreisarchiv Steinfurt
Tecklenburger Str.10
48565 Steinfurt
Telefon: 02551-69-2086
Telefax: 02551-69-1-2086
ute.langkamp@kreis-steinfurt.de

Quelle: Kreis Steinfurt, Pressemitteilung, 26.8.2010

Gummischutz und Kamasutra. Ein Stück Offenburger Sittengeschichte aus den 1950er Jahren

Am 15. Mai 1959 führte die Offenburger Kriminalpolizei einen nicht alltäglichen Einsatz aus. Die Kripo-Beamten entfernten aus sieben öffentlichen Warenautomaten alle zum Kauf angebotenen Präservativpackungen. Das Jugendamt, die Schulleitungen, Kirchen und Frauenverbände atmeten auf. Endlich hatte Offenburg kondomfreie Straßen.

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Kurz vor dem Polizeieinsatz hatte der Bundesgerichtshof ein Urteil gefällt, wonach "das Feilhalten von Gummischutzmitteln in Warenautomaten an öffentlichen Straßen oder Plätzen Sitte und Anstand verletze". Der Jugendwohlfahrtsausschuss nahm die per Eilfax eingegangene Entscheidung mit dem Bemerken zur Kenntnis, die Angelegenheit weiter im Auge zu behalten und darüber zu wachen, dass "keine Rückfälle eintreten". Einer der Betroffenen war der Drogist Wilhelm Litterst. Er betrieb die Burg-Drogerie in der Hauptstraße 17. Im Frühjahr 1954 hatte er sich entschlossen, das Warensortiment seines Verkaufsautomaten um ein neues Produkt zu erweitern. Neben Rasierklingen, Alleskleber, Binden und Puder fanden sich ab sofort auch Gummischutzartikel "in den bekannten grün-violetten Streifen" der Marke "Fromms". Der Drogist muss, so die Aussage einer ehemaligen Mitarbeiterin, sehr geschäftstüchtig gewesen sein. Immer, wenn sich die Kolping-Jugend in Offenburg traf, musste das Kondomfach aufgefüllt werden.

Das neue Verkaufsprodukt erregte bald den Unmut der städtischen Behörde. Litterst erhielt bald Post von dem städtischen Leiter des Wohlfahrts- und Jugendamtes, Stadtamtmann Josef Schulz. Dieser forderte ihn auf, seine Präservative zukünftig nicht mehr im Automaten zu verkaufen, sondern "zum Schutz der Jugend" diskret am Ladentisch. Das Jugendamt monierte, dass insbesondere Frauenorganisationen das Jugendamt auf die sittlichen Gefahren des Verkaufs von Präservativen hingewiesen hätten. Litterst lehnte die Forderung entrüstet ab. Das Städtische Jugendamt müsse gerade wegen der "Schutzbedürfnisse der Jugendlichen den automatischen Verkauf von Präservativen gutheißen". Es sei doch so, dass gerade Jugendliche in ihrer Unerfahrenheit in viel größerem Umfange als Erwachsene den Gefahren einer Infektion unterworfen seien. Das Jugendamt wolle jedoch aus moralischen Gründen den Verkauf aus Automaten unterbinden. "Es mag doch einmal offen ausgesprochen werden, dass die Jugend heute sehr viel früher und sehr viel öfter den Geschlechtsverkehr ausübt als das früher der Fall gewesen ist. An dieser Tatsache kann man nicht vorbeigehen, gleichgültig ob man darin ein Absinken der Moral sehen will oder nicht (…)."

Stadtamtmann Schulz reagierte auf das Nichteinlenken des Drogisten mit einer deutlichen Drohung: "Es wurden bei uns aus Ernst zu nehmenden Kreisen der Bevölkerung Stimmen laut, die auf eine Boykottierung Ihres Geschäfts und auf die Einleitung einer größeren Propaganda in dieser Hinsicht in Organisationen kirchlicher Verbänden von Mund zu Mund hinausliefen, abgesehen von der Inanspruchnahme der Presse (…). Vielleicht haben Sie inzwischen auch wahrgenommen, dass, für Sie unerklärlich, mancher Kunde bereits Ihr Geschäft meidet." Inzwischen schalteten sich Schulleiter und die Dreifaltigkeitspfarrei ein. Der dortige Pfarrer warnte in den Pfarrnachrichten die weiblichen Gläubigen vor der Burg-Drogerie. Litterst hatte sich nämlich in einer Briefkastenaktion direkt an die "Frauenwelt" gewandt. In einem Werbezettel soll er, so das Pfarrblatt, Dinge angepriesen haben, bei denen "jeder christlichen Frau die Schamröte ins Gesicht steigen müsse". Mütter beschwerten sich zudem, dass ihre Söhne Präservative mit nach Hause brachten und ihnen peinliche Fragen stellten. Im April 1955 stellte das Stadtjugendamt Strafanzeige gegen Litterst. Gleichzeitig wandte sich Stadtamtmann Schulz an die Abgeordneten des Kreises, um auf politischem Wege Druck aus zu üben. Bundestagsabgeordneter Rümmele, eigentlich Vorsitzender des Ausschusses für Verkehrswesen (!), gab das Anliegen an seinen Abgeordnetenkollegen Kemmer weiter, der den Ausschuss für Jugendfragen leitete. Auch in Lahr wurde Strafanzeige gegen einen Drogisten gestellt. Doch die geltende Rechtslage ließ eine Klage zu diesem Zeitpunkt nicht zu. Litterst ließ die Sache nicht auf sich beruhen und provozierte mit einem Tabubruch erneut die Behörden. Im Januar 1956 erhielt er weitere Strafanzeigen, weil er Minderjährigen "anstößige" Werbezettel mitgegeben haben soll. Darunter befand sich das Erotik-Werbeblatt "Ehedoktor" und Werbung für "französische Spezialitäten". Eine Kundin, die in der Burg-Drogerie lediglich eine Handcreme kaufen wollte, erhielt von Litterst eine Werbeschrift zum Buch "Kamasutra", das indische Lehrbuch der Liebe von Dr. Feyerabend.

Der Offenburger Präservativkonflikt war nicht auf die mittelbadische Kleinstadt begrenzt. In anderen deutschen Städten kam es bereits 1953 zu Aktionen der konservativen katholischen Jugend gegen öffentlich aufgestellte Kondomautomaten. Nach dem Untergang des Dritten Reiches verwandte die bundesrepublikanische Gesellschaft viel Energie auf die Reorganisation der sexuellen Beziehungen. Nach einer zunächst bemerkenswert freizügigen Debatte in den ersten Nachkriegsjahren folgte Anfang der 50er Jahre ein abrupter Schwenk hin zu einer konservativen Auffassung von Sexualität. Kondomautomaten auf der Straße oder beim Friseur waren während des Krieges noch normal. Erst Anfang der 50er Jahre entbrannte unter Juristen eine Debatte darüber, ob solche Automaten eine moralische Gefahr für die Jugend darstellten. Eine Flut von Sexratgebern forderte Frauen auf, sich wieder der männlichen Autorität zu unterwerfen und in der sexuellen Reinheit und Zurückhaltung ihr Wohl zu finden. Die Historikerin Dagmar Herzog räumt allerdings in ihrer Untersuchung über die Geschichte der Sexualität in Deutschland mit einem Mythos der 1968er-Zeit auf. Der Kampf christlich-konservativer Autoren und Politiker gegen eine freizügigere Sexualität sei, so Herzog, nicht als Beweis für die Verbindung von unterdrückter Sexualität mit dem Nationalsozialismus zu begreifen, wie dies seit Mitte der 1960er Jahre geschieht, sondern zu einem Hauptschauplatz der Debatte über die deutsche Vergangenheit, über Schuld, Moral und Ethik. Sie stellt die These auf, dass die Nationalsozialisten eine Lockerung der traditionellen Sexualmoral gefördert hätten und sich damit gegen die christlichen Werte gewandt hatten. So wurden insbesondere in den Kriegsjahren voreheliche Geschlechtsbeziehungen nicht mehr verpönt. Rassentheoretiker wie Hans Endres erklärten 1941, dass "wir in einer verbrecherischen Bigotterie groß geworden" seien, weil "die orientalische christliche Mentalität unsere gesunden germanischen Instinkte in Geschlechtsfragen unterdrückt" habe. Die Historikerin Anna Maria Sigmund betont in ihrer Veröffentlichung über die Sexualität im Dritten Reich, dass für die Nationalsozialisten Keuschheit und Jungfräulichkeit keine Rolle mehr gespielt hätten. Heterogene Beziehungen seien liberalisiert worden. Das Monopol der Ehe sei aufgebrochen worden. Mehrehen und Nebenehen standen zur Diskussion und die massive Förderung der Zeugung. Die Liberalisierung der sexuellen Beziehung der "reinarischen" Bevölkerung standen rassistische Maßnahmen gegenüber: So genannte "Artfremde" und "Volksfeinde" wie Juden und Homosexuelle sollten gnadenlos ausgemerzt werden. Die aus heutiger Sicht als progressiv bewertete Haltung des Drogisten Wilhelm Litterst wurde von den christlichen Konservativen im damaligen Kontext in die Nähe der NS-Sexualmoral gerückt.

Das Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1959 bedeutete das vorläufige Ende des öffentlichen Präservativverkaufs. Wilhelm Litterst legte Revision ein und zog bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Erst 1964 endete der Prozess mit der Ablehnung. Doch um den Ausgang interessierte sich keiner mehr. Am 1. Juni 1961 führte der Berliner Pharmakonzern Schering die Antibabypille in Deutschland ein. 1962 scheiterte eine Verschärfung des Sexualstrafrechtes am Widerstand liberaler Juristen und wurde einige Jahre später unter ganz anderen Prämissen vom Bundestag verabschiedet.

Wolfgang M. Gall

Der Autor ist promovierter Historiker und in Offenburg Leiter von Stadtarchiv und Museum im Ritterhaus. Auf diese Geschichte ist Wolfgang M. Gall bei Recherchen gestoßen. Ein Artikel in der Badischen Zeitung (BZ) über die Reaktionen auf die Einführung der Antibaby-Pille vor 50 Jahren (BZ vom 21. August 2010) hat ihn zur Niederschrift dieses Artikels für die Badische Zeitung vom 28. August 2010 angeregt (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Vf.; Abb. "Pfarrnachrichten": Burgmeier, BZ).