Aachener Stadtpuppenbühne »Öcher Schängche« besteht seit 100 Jahren

Inspiriert nicht zuletzt durch ein Gastspiel des bekannten Puppenspielers Ivo Puhonny im Aachener Kurhaus gründeten vor 100 Jahren der Aachener Mundartdichter und Zeitungswissenschaftler Will Hermanns, der Bildhauer Alfred Pieper, der Kunstmaler Willi Kohl, der Dekorateur Hein Lentzen und der Ingenieur Joseph Lausberg gemeinsam die „Aachener Marionettenspiele“, die heutige Stadtpuppenbühne Öcher Schängchen.


Abb.: Puppenspielfigur „Schängchen“ (Bildergalerie Öcher Schängche)

Als Hauptinitiator schrieb Will Hermanns (1885-1958) die ersten Theaterstücke für die neue Bühne und kreierte damit die bis heute maßgeblichen Hauptfiguren: das alterslose, gewitzte Schängche, seine Freundin et Jretche, die als rabiates, großmäuliges und schimpfwütiges Marktweib mit gutem Kern agierende Tant Hatzor, die Freunde Nieres und Veries wie auch den Polizisten Noppeney und nicht zuletzt den Teufel Krippekratz.


Abb.: Puppenspielfigur „Teufel Krippekratz“ (Bildergalerie Öcher Schängche)

Mit dem noch heute jeweils zur Spielzeiteröffnung gezeigten Stück „Der Teufel in Aachen oder Et Schängche köllt der Krippekratz“ wurde das Puppentheater am 4. Mai 1921 in der Hartmannstrasse im Saal der Gaststätte „Zur Maus“ eröffnet. Bei der Bevölkerung fand es sofort großen Anklang.

Die fünf Puppenspielliebhaber waren nicht nur durch die Freude am Spiel mit Figuren motiviert, sondern wollten mit künstlerischer Aktivität auch dem „jugend- und volksverderbenden Sensationsfilm“ etwas entgegensetzen und den Mitbürgern mit kleinem Geldbeutel anspruchsvolles Theatererlebnis ermöglichen.

Zum Repertoire des Stabpuppenspiels „Öcher Schängche“ gehören neben Märchenadaptionen, Aachener Sagen und Kinderstücken auch Stücke für Erwachsene, darunter Kriminalstücke, eine jährlich zu Karneval stattfindende Puppen-Karnevalssitzung sowie seit 2008 auch das Stockpuppenkarabarett „Pech&Schwefel“.


Abb.: Aufführung des Öcher Schängchens (Foto: Nina Krüssmann)

Für ihre Verdienste um die Aachener Mundart wurde die Bühne 1986 mit dem Thouet-Mundartpreis der Stadt Aachen ausgezeichnet. Neben der Stockpuppenbühne in Lüttich und dem „Hännesche Theater“ in Köln ist das „Öcher Schängche“ eine Bühne, die auf die große Zeit des Figuren- und Puppentheaters verweist, aus dem schon Johann Wolfgang von Goethe Motive für „Faust“ geschöpft hat.

In seiner wechselvollen Geschichte hatte das „Öcher Schängche“ insgesamt acht Spielstätten, unter anderem in der heutigen Stadtbibliothek und im Ballsaal des Alten Kurhauses. Im Winter 1981/82 erfolgte schließlich der finale Umzug vom Jugendheim Kalverbenden in das dauerhafte Domizil in der Barockfabrik am Löhergraben, dem heutigen Kulturhaus Barockfabrik in Trägerschaft der Stadt Aachen.

Im Laufe der Jahrzehnte erlebte das Öcher Schängchen, wie die Bühne bald hieß, unterschiedlichste Höhen und Tiefen, wobei auch die leitenden Personen immer mal wechselten. 1989 löste der bis dahin bereits als Spieler tätige Otto Trebels Matthias Stevens in der künstlerischen Leitung ab, die er bis heute innehat. Peter Reuters spielt seit vielen Jahren die Figur des Schängche. Die Bühne blieb jedoch stets auch ein Herzenskind von Will Hermanns.

Hermanns, der auch zahlreiche Mundart-Bücher veröffentlichte, begann Anfang der 1930er Jahre eine Zusammenarbeit mit dem Maler Bert Heller (1912-1970), der einige seiner Publikationen illustrierte. Als die Bühne im September 1942 in den Saal im Mittelstandshaus in der Wirichsbongardstraße umzog, ließ er diesen Saal von Heller passend ausmalen.

Bert Heller, geboren und aufgewachsen in Aachen und nächster Umgebung, hatte an der Kunstgewerbeschule Aachen von 1927 bis 1930 studiert und sich dann in Laurensberg als freischaffender Künstler niedergelassen. Sein Geld verdiente er zu dieser Zeit vor allem mit Gebrauchsgrafik wie Warenhausschildern, Kinoreklamen und Illustrationen. Ab 1940 absolvierte er noch ein zusätzliches Studium an der Kunstakademie in München.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in den 1930er Jahren entwarfen Hermanns und Heller gemeinsam einige Postkarten mit direktem Bezug zu den Figuren des Öcher Schängchen. Diese blieben jedoch wohl unveröffentlicht.

Aus Anlass des Jubiläums des Öcher Schängchens präsentiert das Stadtarchiv Aachen aus dem Nachlass Will Hermanns einen dieser Postkarten-Entwürfe.


Abb.: Die zart aquarellierte Zeichnung von Bert Heller zeigt das Marktweib Tant Hatzor mit einer Käuferin und einem Jungen, im Hintergrund das Aachener Rathaus (Stadtarchiv Aachen)

Unter der Zeichnung ist von der Hand von Will Hermanns der Text gesetzt:

„Wat? Ming Schavoue sönd net jot?

Madämmche, kaucht Üch Ühre Hot!

Do sönd noch Vitamine dren,

Sue wohr ich de Tant Hatzor ben!“ WH“

Übersetzt heißt der Text „Was? Meine Wirsingkohlköpfe sind nicht gut? Verehrte Dame, kochen Sie doch Ihren Hut! Da sind noch Vitamine drin, so wahr, wie ich die Tante Hatzor bin!“

Mit der Ausstellung dieser Zeichnung von Bert Heller gratuliert das Stadtarchiv Aachen dem Öcher Schängchen zum Jubiläum. Corona-bedingt wurde das 100-jährige Jubiläum Anfang Mai 2021 lediglich digital gefeiert. Aktuell laufen jedoch schon die Planungen für einen Nachholtermin der verschobenen Jubiläumsfeierlichkeiten am 19. September 2021.

Man kann bis dahin dem Schängchen und seinen hölzernen Freunden aus der Stadtpuppenbühne auch auf @ Kulturhaus Barockfabrik auf Facebook und Instagram folgen.


Abb.: Titelblatt der Jubiläums-Festschrift von 2021 (Nina Krüsmann / iStock.com)

Außerdem ist passend zum Gründungsjubiläum genau 100 Jahre später, ebenfalls am 4. Mai 2021, eine digitale Festschrift erschienen, die alle Fans des „Öcher Herzbuben Schängche“ hier downloaden können.

Kontakt:
Stadtarchiv Aachen
Reichsweg 30 (Nadelfabrik)
52068 Aachen
Tel.: 0241 / 4324972
Fax: 0241 / 4324979
stadtarchiv@mail.aachen.de

Quelle: Stadtarchiv Aachen, Neuigkeiten, Archival des Monats Mai 2021, 30.04.2021; Stadt Aachen, Aktuellste Pressemitteilungen, 30.04.2021

Leiter der Archive des Landkreises Schwäbisch Hall und von 28 Kommunen

Das Schwäbisch Haller Kreisarchiv sieht genauso aus, wie man es für ein Bilderbuch zeichnen würde: Es ist im Landratsamt ganz oben unterm Dach, man erreicht es nur über verwinkelte Gänge und mehrere Treppenhäuser. Dort hat es schräge Wände und lange, schmale Gänge, die gesäumt sind von Regalen voll alter Bücher, Ordner und Kisten. Dazwischen steht ein Holzklotz. Er ist deshalb im Archiv, weil ein Landwirt aus Kreßberg entdeckt hat, dass sich im Baumstamm 1945 ein französischer Kriegsgefangener verewigt hat.

In ein solches Bilderbucharchiv würde ein Illustrator vermutlich einen alten, etwas schrullig aussehenden Mann malen, der über diese Schätze wacht. Tatsächlich trifft man dort auf den 45-jährigen Matthias Röth, der sehr gerne lacht. Der Archivar und Judith Ramakers, Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, halten dort nicht nur Ordnung, sondern sie machen den Zugriff auf Dokumente früherer Zeiten und unserer heutigen Tage auch zukunftssicher: Papier ist verhältnismäßig einfach zu lagern und bleibt lange lesbar, sofern man die Sprache und die Schrift kennt. Bei elektronischen Akten, Tondokumenten oder Filmen stellen sich ganz andere Probleme, weil Abspielgeräte und Dateiformate sich sehr schnell ändern. Diese Dinge so zu archivieren, dass sie auch in ferner Zukunft gelesen werden können, ist eine Aufgabe, die Röth natürlich nicht alleine angeht: Das Landesarchiv Baden-Württemberg steuert und unterstützt das Vorgehen, aber vor Ort muss es umgesetzt werden.


Abb.: Matthias Röth steht zwischen den Regalen im Haller Kreisarchiv. Seit gut einem Jahr ist er dessen Leiter (Foto: Ufuk Arslan).

Doch derzeit ist Röths Hauptaufgabe noch ganz in der Vergangenheit verhaftet: Er erfasst das Gemeindearchiv von Wallhausen und das Schularchiv von Gerabronn in elektronischen Findbüchern. Da geht es inhaltlich um den Vollzug des Schulgesetzes in Gerabronn in der Zeit von 1836 bis 1839. Und irgendwann viel später wird dann die Umsetzung der Corona-Regeln bei den Abiturprüfungen im Jahr 2021 erfasst werden.

Übernehmen und bewerten
Eines ist Röth wichtig: Einem Archiv wachsen Akten zu, sie werden übernommen, wenn sie im Tagesgeschäft nicht mehr benötigt werden. „Nennen Sie es bitte nicht sammeln“, mahnt er. „Ein Archivar übernimmt und bewertet.“ Aber er sammelt auch: Flugblätter, Flyer, Plakate und mehr dokumentieren das öffentliche Leben. Was wird aufbewahrt, was vernichtet? „Der Archivar entscheidet am Regal“, sagt Röth selbstbewusst. Es gibt überregionale Bewertungsmodelle für die Einschätzung der Relevanz von Dokumenten, aber die Entscheidung trifft letztlich eine Person alleine.

Das ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit: „Wir legen fest, was später verwendet wird, um Geschichte zu schreiben.“ Weil es aber gar nicht möglich ist, bei jedem Dokument zu beurteilen, ob es künftig von Bedeutung sein wird, spielt auch der Zufall mit: Bei „massenhaft gleichförmigen Akten“ wie Anträge auf Sozialhilfe oder Bafög wird eine Buchstabenauswahl getroffen. Das heißt, die Dokumente von Personen, deren Name mit einem bestimmten Buchstaben beginnt, werden aufbewahrt, die anderen weggeschmissen.

Das Firmenarchiv inspiriert
Wie kam es zum Berufswunsch Archivar? „Ich habe mich schon als Kind mit Archivalien beschäftigt“, erklärt Röth. Das war im Firmenarchiv von Zweirad-Röth in Hammelbach im Odenwald. Matthias Röths Ur-Ur-Großvater hat diesen Betrieb im Jahr 1873 gegründet, sein Vater hat ihn in vierter Generation geführt. Es war eine Importfirma, die 40 Motorradmarken aus aller Welt an 400 Fachhändler in Deutschland vermittelte.

Doch Röths beruflicher Weg mäandrierte wie ein Fluss: Er wollte Geschichte und Sprachen verbinden, „ich hatte in der Schule Latein, das war hilfreich“. Trotzdem wurde er zuerst Industriekaufmann, dann Übersetzer. Beide Berufe brachte er auch ins Familienunternehmen ein, aber sie waren ihm auf Dauer nicht kreativ genug. Zwischendrin wollte er Journalist werden, schrieb für die Südhessische Post und ging für eineinhalb Jahre nach Bukarest zu einem Medien-Magazin. Schließlich drückte er nochmal drei Jahre die Schulbank, um das Abi zu machen. Und dann ergriff er die Möglichkeit, Archivar zu werden.

Die Freude an Dingen, die das Leben in verschiedenen Zeiten veranschaulichen, begleitet ihn auch in seiner Freizeit: Die Firma des Vaters hatte auch ein kleines Motorrad-Museum – und dieses pflegt Matthias Röth nach wie vor. Etwa an jedem zweiten Wochenende öffnet er es für angemeldete Besucher.

DDR-Geschichte im Odenwald
Und direkt daneben, ebenfalls auf dem früheren Firmengelände von Zweirad-Röth, gibt es das „DDR-Museum im Odenwald“. Ja, wieso ein DDR-Museum, wenn die Familie ihre Wurzeln im Odenwald hat? „Mein Vater hat Motorräder aus vielen Ländern importiert, darunter ab 1986 die Marken MZ und Simson aus der DDR. Damals war ich elf Jahre alt und durfte mehrfach mit in die DDR reisen. Ich fand das sehr spannend, weil es so anders war.“

Er begann, Alltagsgegenstände in Geschäften in der DDR zu kaufen und zu sammeln. Als Höhepunkt seines etwa 500 Exponate umfassenden Museums benennt er eine Telefonanlage aus dem Palast der Republik, mit der der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker persönlich telefoniert habe: „Die stand in einem Seitenkammerl.“ Mit Ostalgie habe sein Museum nichts zu tun, versichert Matthias Röth. „Alles hat einen fachlichen Hintergrund und ich erzähle immer die historischen Zusammenhänge dazu.“ Denn ohne Führung kann man seine Museen nicht besuchen. Und wie sieht es in seiner Wohnung aus? Ist die auch vollgestopft mit altem Zeug? „Nein, ich schmeiße weg, was weggeschmissen werden muss. Ein Archivar muss wegwerfen können.“

Zur Person
Matthias Röth ist am 13. Dezember 1975 in Weinheim geboren. Er kam früh mit Archivalien in Kontakt: Sein Vater hatte eine große Motorrad-Import-Firma (Zweirad-Röth), und diese hatte ein Firmenarchiv. Dort hat Röth schon als Kind in alten Motorradprospekten gewühlt und aktuelle gesammelt.

Nach der Mittleren Reife machte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitete dann im Familienbetrieb mit. Parallel begann er, als freier Mitarbeiter für eine Zeitung zu schreiben. Er wollte Journalist werden und machte eineinhalb Jahre lang ein Auslandspraktikum bei einer deutschsprachigen Journalisten-Zeitung in Bukarest/Rumänien.

Auf weitere Zwischenstationen im heimischen Betrieb folgte eine Ausbildung zum Übersetzer in Heidelberg, das Abitur am Hessen-Kolleg in Frankfurt und schließlich die Ausbildung zum Diplom-Archivar beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Röths erste Stelle als Archivar war in Starnberg. Dort habe er das Stadtarchiv neu aufgebaut, das vorher brachgelegen habe, berichtet er. Von 2006 bis 2012 arbeitete er dort mit nur einem Kollegen zusammen. Es folgte der Wechsel ins Münchner Stadtarchiv, wo er etwa 50 Kollegen hatte. Er wurde dort stellvertretender Bereichsleiter für den Lesesaal und die Benutzerbetreuung.

Seit Februar 2020 leitet Röth die Archive des Landkreises Schwäbisch Hall und aller Kommunen im Kreis außer Schwäbisch Hall und Crailsheim. Das sind 28 Gemeinden.

Röth ist ledig und kinderlos. Er wohnt in Schwäbisch Hall, fährt aber mindestens jedes zweite Wochenende nach Hammelbach/Gemeinde Grasellenbach im Odenwald, denn dort betreut er zwei private Museen: Das Motorradmuseum, das die Geschichte des Familienbetriebs aufzeigt, und ein DDR-Museum, das Matthias Röth selbst aufgebaut hat. Ein weiteres Hobby ist Motorrad fahren, und er liest sowohl Sachbücher zum Beispiel über die Geschichte der DDR sowie über Motorrad- und Technik-Geschichte als auch literarische Kurzgeschichten.

Die Museen sind nur nach Anmeldung geöffnet: Telefon 01 79 / 4 98 65 65 oder E-Mail an matthias.roeth@web.de

Kontakt:
Matthias Röth, Kreisarchivar
Leiter Fachbereich 11.4 Kreisarchiv
Landratsamt Schwäbisch Hall
Münzstraße 1
74523  Schwäbisch Hall
Tel. 0791-755-7398
Fax: 0791-755-7362
m.roeth@LRASHA.de
www.LRASHA.de

Quelle / Autorin: Monika Everling, „Man muss wegwerfen können“. Matthias Röth leitet seit einem Jahr die Archive des Landkreises Schwäbisch Hall und von 28 Kommunen im Kreis, in: Haller Tagblatt, 5.5.2021, S. 11

Joseph Beuys in Bonn

Ja Ja Ja Ja Ja, Ne Ne Ne Ne Ne statt ta ta ta taa – so erklang es 2013 viele Minuten lang zur Verblüffung der zahlreichen Gäste zu Beginn der Verabschiedung von Ilona Schmiel als Intendantin des Bonner Beethovenfestes in den Räumen der Deutschen Welle.

Die legendäre Aufnahme der Fluxus-Veranstaltung von Joseph Beuys (1921-1986) aus dem Jahr 1968 statt einer Einspielung des Beethoven-Orchesters Bonn, der rheinische Schamane statt des einsamen Revolutionärs – eine gewollte Irritation, ja vielleicht sogar Provokation?

Beides passt neben der rheinischen Herkunft zu Beethoven und Beuys; darüber hinaus zeugt der Beitrag von Beuys zu Mauricio Kagels Film Ludwig van mit der Installation und Performance „Beethovens Küche“ von einer intensiven Beschäftigung des Künstlers mit dem großen Komponisten.

Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag am 12. Mai 2021 überall und natürlich auch in Bonn gefeiert wird, hatte vielfältige Beziehungen zu Bonn. Nicht nur, dass er ein bönnsches Mädchen, die heute 88-jährige Eva, geb. Wurmbach, Tochter eines Zoologie-Professors aus Dottendorf, 1959 in der Doppelkirche von Schwarz-Rheindorf ehelichte, auch seine künstlerischen und politischen Aktionen fanden in Bonn besonderes Interesse und sind in der Fotosammlung des Stadtarchivs Bonn detailliert dokumentiert.

Bereits 1973 stellte der engagierte Galerist und Art Cologne-Preisträger Erhard Klein in der Königstraße alle Multiples des Aktionskünstlers in Beuys‘ Beisein aus, so auch den berühmten Schlitten, und ließ in den kommenden Jahren viele weitere Ausstellungen folgen, immer verbunden mit der Bitte: mach et nisch zu teuer …

Berühmt wurde 1983 eine Aktion im Zusammenhang mit Beuys‘ ökologischem Projekt Difesa della natura, bei der Kartons von 12 mit Beuys-Etiketten versehenen Rosé-Flaschen zugunsten der von ihm in Düsseldorf gegründeten Free International University bei Klein verkauft werden sollten.


Abb.: Joseph Beuys signiert 1983 in der Galerie Erhard Klein im Rahmen seines Projekts DIFESA DELLA NATURA (Foto: Franz Fischer, Stadtarchiv Bonn)

Das Farbfoto von Franz Fischer zeigt Beuys bei genau dieser Veranstaltung. Der Galerist hatte auf der Einladung den Hinweis vergessen, an wen der Erlös gehen sollte, worauf Beuys die übrig gebliebenen Einladungskarten mit der Aufschrift ERHARD KLEIN UNKONZENTRIERT bedrucken ließ, sie signierte, nummerierte und zum Verkauf anbot. Dies löste eine mehrjährige künstlerische Kettenreaktion aus: Albert Oehlen/Martin Kippenbergers Edition ERHARD KLEIN VOLLKONZENTRIERT, Georg Herold mit 10 Wodka Flaschen ERHARD KLEIN KONZENTRAT, ein Notenheft von Friedrich Meschede ERHARD KLEIN KONZERTANT und schließlich das von Reiner Speck und Friedrich Schroers verfasste Jubiläumsheft zum 20-jährigen Bestehen der Galerie ERHARD KLEIN VOLL KONZENTRIERT.

Beuys‘ „erweiterter Kunstbegriff“ umfasste sein politisches und ökologisches Engagement. Seine Ideen zur direkten Demokratie propagierte er 1973 in der Galerie Magers, sein Konzept zur Städteplanung („Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“) 1984 in der Bonner Universität vor einem teils andächtig lauschenden, teils skeptischen Publikum.

Der Pop-Künstler Andy Warhol verewigte ihn 1980 nach einer Begegnung in München; das Porträt schenkte der Bonner Galerist Hermann Wünsche der Stadt für ihr Kunstmuseum, das durch den Erwerb der Sammlung Ulbricht, ergänzt um spätere Ankäufe, und durch die Schenkung der vollständigen Beuys-Bibliothek von Erhard Klein zur ersten Adresse für die Werke dieses Künstlers wurde. Die hauseigene Website verzeichnet immerhin 450 Beuys-Objekte.

Das Bonner Stadtarchiv verfügt über bedeutende und teilweise einzigartige Aufnahmen nicht nur der Bonner Auftritte des Künstlers, vorwiegend gesehen und festgehalten von den (nicht verwandten) Fotografen Camillo Fischer und Franz Fischer.

So hat zum Beispiel Camillo Fischer durch reinen Zufall 1967 von einer der frühen Beuys-Aktionen HAUPTSTROM UND FETTRAUM in Darmstadt erfahren und sie auf Zelluloid gebannt, die einzige Dokumentation dieses 10-stündigen Ereignisses überhaupt, die 1993 im Bonner Syndikat gezeigt wurde. Das Foto zeigt einen Teil dieser Performance.


Abb.: Joseph Beuys 1967 während seiner Aktion HAUPTSTROM UND FETTRAUM in der Galerie Franz Dahlem in Darmstadt (Foto: Camillo Fischer, Stadtarchiv Bonn)

Das legendäre Streitgespräch zwischen Beuys und dem Gründer der Artist-Placement-Group, John Latham 1978 im Bonner Kunstverein über Kunst als soziale Strategie fotografierte hingegen Franz Fischer, der zahlreiche Ausstellungen und Aktionen von Joseph Beuys begleitet und festgehalten hat, zum Beispiel die Kehraktion in Düsseldorf und auch manche private Situation. Auch die letzte Aufnahme wenige Tage vor Beuys Tod im Januar 1986, nach der Verleihung des Lehmbruck-Preises, stammt von Franz Fischer und war das Titelfoto der Ausstellung zu dessen 80.Geburtstag 2017 im Foyer des Stadthauses.

Wie wichtig und weithin anerkannt beide Fotografen für die Dokumentation des Schaffens dieses auch durchaus umstrittenen Künstlers sind, zeigen die Ausstellungen in Salzburg und Wien 1994 von Camillo Fischer und die Verwendung eines Großfotos von Franz Fischer in der Züricher Ausstellung 1993 sowie im Eingangsbereich der bedeutendsten Beuys Dauerausstellung in Schloss Moyland.

Auch nach seinem Tod war Joseph Beuys weiter in Bonn präsent: mit Ausstellungen, Vorträgen und Dokumentationen. Anlässlich seines 100. Geburtstags am 12. Mai 2021 ehren ihn die Bundeskunsthalle und das Kunstmuseum mit Sonderausstellungen.

Kontakt:
Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn
Berliner Platz 2
53111 Bonn
Tel.: 0228 / 772410
stadtarchiv@bonn.de

Quelle: Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn, Zeitfenster, Mai 2021

Johann Hermann Siekendiek, ein Universalgenie aus Bockhorst

Es gibt Persönlichkeiten in der Geschichte, deren Wirken und Bedeutung erst sehr viel später von Historikern erkannt wird. Mehr als 200 Jahre nach seinem Tod ist dies der Fall bei Johann Hermann Siekendiek aus Bockhorst (Westfalen). Sein Entdecker, der Münsteraner Historiker Sebastian Schröder, hat die spannende Lebensgeschichte Siekendieks rekonstruiert.

In der fünften Ausgabe der Versmold-Edition stellt Schröder den „Kartograph und Tausendsassa“ Siekendiek aus der ereignisreichen Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution vor. Als Feldmesser stand Johann Hermann Siekendiek (1731-1811), Bauernsohn aus Versmold-Bockhorst, in preußischen Diensten. Er vermaß Ländereien, Grenzen und Gemeinheitsgrundstücke. Siekendiek verkehrte in den aufgeklärten Kreisen des Minden-Ravensberger Landes und genoss bei deren profiliertesten Vertretern hohes Ansehen, etwa beim Jöllenbecker Pfarrer Johann Moritz Schwager (1738-1804).


Abb.: Ausschnitt der Markenteilungskarte der Siekendieks Heide mit Ansicht der Stätte Siekendiek, Christian Ludolph Reinhard, 1771 (LAV NRW W, Karten A [Allgemein], Nr. 8363). – Die vollständige Karte ist auf den Seiten 58 und 59 der Versmold-Edition 5 zu finden.

Der Beitrag präsentiert überdies zahlreise der von Siekendiek gezeichneten Karten: kleine Kunstwerke, die allesamt unbekannt sind und hier erstmals veröffentlicht werden. Siekendiek wusste nicht nur, wie man Torf stach und Häuser konstruierte. Er zeichnete sich insbesondere als begnadeter Künstler aus, der die von ihm kreierten Karten detailreich ausschmückte und kolorierte. Kurzum: Dieser Mann war ein wahres Multitalent, mithin eine Persönlichkeit, die geradezu idealtypisch das Zeitalter der Aufklärung spiegelt, wie Sebastian Schröder in seiner Einleitung hervorhebt.

Der gesamte, 75 Seiten umfassende Beitrag steht zum freien Download zur Verfügung. In loser Folge veröffentlicht das Stadtarchiv Versmold einzelne Themen zur Stadtgeschichte, wie diese, in seiner Reihe „Versmold-Edition“ in rein digitaler Form.

Info:
Sebastian Schröder: Kartograph und Tausendsassa: Johann Hermann Siekendiek aus Versmold-Bockhorst
(Die Versmold-Edition, Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Versmold, Neue Reihe 5), Versmold 2021, 75 S.

Kontakt:
Stadtarchiv Versmold
Dr. Rolf Westheider
Münsterstraße 16
33775 Versmold
rolf.westheider@versmold.de

Quelle: Stadt Versmold, Pressemitteilung, 6.5.2021

Karl V. bestätigt 1521 Rechte und Privilegien des Rates der Reichsstadt Worms

Das Stadtarchiv Worms verwahrt eine der wenigen originalen Zeugnisse aus den Monaten der Beratungen und Verhandlungen der „Luthersache“ 1521 auf dem Reichstag in Worms. Hierbei handelt es sich um ein seltenes Pergamentheft aus dem Jahr 1521. Der Reichstag von Worms von 1521 mag im Rückblick vor allem wegen der Luthersache von größter Wichtigkeit im Gedächtnis geblieben sein: Für den Rat der Reichsstadt war der Aufenthalt des neuen Reichsoberhauptes dagegen vor allem wichtig, um hier eine Bestätigung der städtischen Rechte und Privilegien zu erlangen – die religiösen Fragen im Umfeld des Lutherauftritts selbst waren aus Sicht des Rates eher ein Nebengleis.


Abb.: Privileg Kaiser Karls V. mit Bestätigung der Rechte der Reichsstadt Worms (Pergamentlibell, 22. April 1521) (Foto: Stadtarchiv Worms Abt. 1 A I Nr. 718, erste Seite, Fotograf: Stadt Worms)

Entscheidend für die Obrigkeit war es, dass Karl V. am 22. April 1521, wenige Tage nach dem „Verhör“ Luthers, in einem Pergamentheft diese seit dem Mittelalter gewachsenen Rechte ausdrücklich bekräftigt hat. Die Quelle ist eine der wenigen originalen Zeugnisse aus den Monaten der Beratungen und Verhandlungen in Worms: Karl V. wiederholte hier auf Bitten der Stadtspitze wörtlich die Texte kaiserlicher Privilegien seit 1315 für seine „ersamen und lieben getreuen stettmeister, burgermaister, rat und gemeind der statt Wormbs“.

Das gab dem Rat die Rechtsgrundlage, seine Herrschaft in der Stadt gegen den faktisch abwesenden bischöflichen Herrn weiter auszubauen. Gleichzeitig liefen im Mai 1521 erneute bzw. weitere Verhandlungen wegen der immer noch latent umstrittenen Verträge über das seit dem späten Mittelalter immer heftig umstrittene Verhältnis von Geistlichkeit und Rat.

Der Rat nutzte die auch durch die reformatorischen Ideen angeheizte Opposition gegen den altgläubigen Klerus, um weitere eigene politische Interessen gegen den Bischof Reinhard von Rüppurr durchzusetzen: Ende 1522 schuf die Bürgerschaft ein 13er-Ratskollegium ohne bischöfliche Zustimmung. Der 13er-Rat blieb bis zum Ende des Alten Reiches bzw. der reichsstädtischen Zeit im Linksrheinischen 1798 die entscheidende Machtspitze der Stadt – der Bischof hatte faktisch ausgespielt. Auch das gehört zu den Auswirkungen des Reichstags auf die Stadt, in der er durchgeführt wurde.

Kontakt:
Stadtarchiv Worms
Raschi-Haus
Hintere Judengasse 6
67547 Worms
Tel.: 0 62 41 / 8 53 – 47 00 (bis – 47 07)
Fax: 0 62 41 / 8 53 – 47 99
stadtarchiv@worms.de

Quelle: Stadt Worms, Pressemitteilung, 16.04.2021

Vor 700 Jahren wurde Elisabeth von Gotha Thüringens erste Regentin

Nicht Christine Lieberknecht, die mit dem Gothaer Martin Lieberknecht verheiratet ist, sondern Elisabeth von Gotha ist die erste Frau, die den Staat Thüringen als Regierungschefin führte. Nicht durch Wahl, wie im Falle der ersten Thüringer Ministerpräsidentin, sondern durch Heirat kam Elisabeth, gebürtige Prinzessin von Lobdeburg-Arnshaugk, an die Macht.


Abb.: Die Nachbildungen eines historischen Siegels aus dem Sächsischen Staatsarchiv zeigen Elisabeth von Meißen geb. Gräfin von Lobdeburg-Arnshaugk (Foto: Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 12880 Siegel und andere Objekte, Nr. 6522)

Am 24. August 1300 versammelte Albrecht II. Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen (1240-1314) auf seiner Burg Grimmenstein zu Gotha den Hochadel des Staates, um die Hochzeit seines Sohnes Friedrich (1257-1323) mit der erst vierzehnjährigen Elisabeth aus dem reichen thüringischen Fürstenhaus von Lobdeburg-Arnshaugk zu feiern. Mit dieser Fürstenhochzeit wurde das neue Jahrtausend eingeläutet, und es begann für mehr als ein Jahrhundert der Aufstieg Gothas zur mächtigsten Machtzentrale im wettinischen Land zwischen Dresden, Wittenberg und Coburg.

Es ist ein tragischer Unglücksfall, der Elisabeth an die Macht führt: Denn während eines Mysterienspiels in Eisenach erlitt Landgraf Friedrich I. am 4. Mai 1321 einen Schlaganfall und konnte die Amtsgeschäfte nicht mehr führen, so dass seine Frau vor genau 700 Jahren die Macht in Thüringen übernahm. Als Friedrich I. 1323 starb, war der gleichnamige und 1310 in Gotha geborene Sohn Friedrich II. (1310-1349), noch unmündig, so dass bis zu seiner Volljährigkeit 1328 die Mutter die Regentschaft ausführte.

Landgräfin Elisabeth ließ ihre Residenz Gotha, die ihr 1332 auch als Witwensitz zugesprochen wurde, ausbauen und schuf 1344 mit der Verlegung der Augustiner-Chorherren aus Ohrdruf nach Gotha den ersten Residenzstift deutscher Prägung. Sie förderte die Bildung durch den Ausbau der Lateinschule von 1292 und stiftete der Marienkirche eine Kapelle, die der Heiligen Elisabeth von Ungarn gewidmet war. Sie hatte die erste nachweisbare Silberkammer der Wettiner und dazu eine Münzstätte, eine Rüstkammer und ein Tanzhaus. Elisabeth zeichnete selbst als „domina de Gotha“ und ihr politisches, soziales und kulturelles Wirken sowie ihre reichen europäischen Verflechtungen machten sie zu einer „Dame“ oder „Herrin“ (so die Übersetzung des lateinischen Begriffes „domina“) von Welt.

Elisabeth Markgräfin von Meißen und Landgräfin von Thüringen war eine starke Frau, die in der „Sächsischen Biografie“ des Instituts für sächsische Geschichte und Volkskunde, wie folgt beschrieben wird: „Sie gehörte zu den wenigen Fürstinnen, denen mehrmals die Rolle einer Regentin zufiel und füllte so in der Herrschaft von drei Generationen wettinischer Land- und Markgrafen eine maßgebliche Rolle aus. Erkennbar verfügte sie über einen ausgeprägten politischen Verstand und über Härte in der Verfolgung ihrer und ihrer Familie Interessen. Aus den Quellen spricht aber auch die Fähigkeit zur Vermittlung und Schlichtung in den über weite Strecken erbarmungslos ausgetragenen Kämpfen ihrer Zeit. Zu Elisabeths religiösem Selbstverständnis gehörte eine – offenbar eher zurückhaltende – Förderung kirchlicher Institutionen.“

Bisher ist die Rolle von Landgräfin Elisabeth für die Entwicklung Gothas noch nicht tiefgründig untersucht worden und bleibt der ersten modernen Stadtgeschichte Thüringens am Beispiel Gothas vorbehalten, die in Verantwortung des Stadthistorikers Dr. Alexander Krünes in den nächsten Jahren erarbeitet wird. Erste Informationen über „Elisabeth domina de gotha“ können dem von Oberbürgermeister Knut Kreuch erarbeiteten Stammbaum, der im „Gotha adelt“-Laden der KultTourStadt Gotha GmbH (am Hauptmarkt 40) erhältlich ist, entnommen werden.

Quelle: Stadt Gotha, Pressemitteilung, 03.05.2021

Regengebet aus dem Jahr 1747 im Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Das Wetter ist heute ein Thema, das in den Medien stets präsent und aus Gesprächen im Alltagsleben nicht wegzudenken ist. Wetterprognosen, Wetterberichte und Berichte über Umweltkatastrophen stoßen auf reges Interesse. Unsere freizeitorientierte Gesellschaft versteht Sonnenscheindauer und die Anzahl der „Sommertage“ als einen Maßstab für Lebensqualität. Gleichzeitig gelten diese heißen Tage hierzulande auch immer mehr als Zeichen des drohenden Klimawandels.

In den vergangenen Jahrhunderten, als die Menschen noch unmittelbarer von der Natur und damit auch vom Wetter abhängig waren, wäre eine solche Betrachtungsweise nicht denkbar gewesen. Von Hagel, Sturm und Regen, von den Folgen eines Gewitters usw. gingen existenzielle Bedrohungen für Leib, Leben, Behausung und Ernte aus. Zur Abwehr solcher umweltbedingter Gefahren setzten die Menschen auch auf die Gebete und die Anrufung Gottes. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert entstand eine Fülle von Publikationen, darunter viele Wettergebete und Wetterpredigten, in denen solche „theologisch-meteorologischen“ Reaktionen auf Wetterphänomene veröffentlicht wurden, die oft auf konkrete Wetterereignisse Bezug nahmen.

Im Stadtarchiv Dessau-Roßlau, Anhaltische Landesbücherei (Wissenschaftliche Bibliothek), befindet sich ein äußerst seltener Gelegenheitsdruck aus dem Jahr 1747 mit zwei Wettergebeten, von dem lediglich ein weiteres Exemplar in der Landesbibliothek Oldenburg nachgewiesen ist. Diese Druckschrift, die vom Stadtarchiv Dessau-Roßlau im Mai 2021 als „Archivale des Monats“ präsentiert wird, trägt den Titel:

»Allgemeine Beichte und Kirchengebete Welche Auf Christfürstlichen gnädigsten Befehl Der Durchlauchtigsten Fürstin und Frau FRAU Johanna Elisabeth Verwittweter Fürstin zu Anhalt, Herzogin zu Sachsen Engern und Westphalen […] Bey dem öffentlichen Gottesdienste Im Fürstenthume Anhaltzerbst Und In der Herrschaft Jever Zu bestimmten Zeiten Geschehen, Zerbst, gedruckt bey Christian Lägels hinterlassener Wittwe, 1747.«


Abb.: Titelblatt der Druckschrift aus dem Jahr 1747 (Stadtarchiv Dessau-Roßlau – Anhaltische Landesbücherei (Wissenschaftliche Bibliothek))

Gebet um Regen.
Grosser und starker Gott, du allein bist es, der den Thau auf die Erde fallen lässt. Du allein bist des Regens Vater, indem du das Wasser zu kleinen Tropfen machest und deine Wolken zusammen treibest zum Regen, daß die Wolken fliessen und sehr trieffen können auf uns Menschen und auf unser Land, das du uns gegeben hast. […] Laß doch, guter Vater, den Himmel über uns nicht ehern, noch die Erde unuter uns eisern seyn; gieb unserm Lande nicht Staub und Asche für Regen, sondern thue deinen guten Schatz auf, den Himmel, daß er das lechzende Erdreich tränke und ihm Thau und Regen gebe zu seiner Zeit. Laß das Feld nicht jämmerlich stehen und die Gärten und Wiesen trauern. Laß das Vieh nicht seufzen, weil es keine Weide hat. […] Nun, Herr, erhebe dich in deiner Kraft, so wollen wir singen und loben deine Macht, Amen.

Gebet um Sonnenschein.
Herr Zebaoth, allmächtiger Gott, der du das Wasser bewegest und die Fenster des Himmels öffnest, der du zum Platzregen sprichst, so ist er da mit Macht, du hast bisher deine Stimme erhoben mit starkem Regen und uns viel Nässe gegeben. Unser Undank hätte auch wohl verdienet, daß du uns allen Segen des Landes entzögest. Aber, Herr, handle nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missethat. […] Laß den Regen nicht mehr trieffen auf Erden, sondern setze ihm seine Masse. Verstopfe die Wasserschläuche am Himmel und scheide die dicken Wolken von einander, daß es helle werde und die Sonne wiederum ihre Strahlen über unser Land ausbreite. Mache das Angesicht der Erde frölich durch gnädig verliehenen Sonnenschein, daß Menschen und Vieh erquicket werden und die Früchte des Landes gedeyen. […] THue deine Hand auf, milder Vater, und verleihe bequeme Witterung, daß wir nicht nur säen, sondern auch, nach deinem Wohlgefallen, durch deinen Segen, reichliche erndten und des Landes Gut in deiner Frucht mit Danksagung geniessen. […] Amen.

Die im Titel des Büchleins genannte Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, geborene Prinzessin von Schleswig-Holstein-Gottorf (24.10.1712-30.5.1760), regierte ihr Fürstentum nach dem Tod ihres Gatten, des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst, von 1747 bis 1752 für ihren Sohn Friedrich August. Sie ist die Mutter der russischen Zarin Katharina II.

Kontakt:
Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Anhaltische Landesbücherei (Wissenschaftliche Bibliothek)
Heidestraße 21
06842 Dessau-Roßlau
Tel.: 0340 / 204-1047
wissenschaftliche.bibliothek@dessau-rosslau.de

Quelle: Stadtarchiv Dessau-Roßlau, Archivale des Monats Mai 2021, 30.4.2021

Archiv des Rheinischen Mühlen-Dokumentationszentrums im Stadtarchiv Mönchengladbach

Das Stadtarchiv Mönchengladbach hat mit dem Verein Rheinisches Mühlen-Dokumentationszentrum (RMDZ) aus Duisburg vertraglich vereinbart, dass dessen Dokumentationsarchiv als Depositum im Stadtarchiv Mönchengladbach archivgerecht untergebracht wird. Damit keine Schädlinge ins Archiv gelangen, werden die Unterlagen zunächst tiefgefroren. Anschließend kann das Archiv dann hier auch weiter erschlossen werden.


Abb.: Bücher, Karten und Akten des Bestandes auf einem Umzugswagen im Stadtarchiv Mönchengladbach (Foto: G. Mohr 2021).

Das RMDZ dokumentiert und inventarisiert seit 2015 Mühlen im Rheinland. Zudem forscht es zur Geschichte der Mühlenobjekte und ihrer Technik. Zur Zeit digitalisiert der Verein mit Mitteln der regionalen Kulturförderung des Landschaftsverbandes Rheinland sowie der Nordrhein-Westfalen-Stiftung / Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege sein komplettes analoges Archiv, um es im nächsten Jahr der Allgemeinheit über www.rmdz.de zugänglich zu machen.


Abb.: Schriefersmühle mit neuem Flügel (Foto: Stadt Mönchengladbach). Die vor dem Verfall gerettete und für die Öffentlichkeit nutzbar gemachte Schriefersmühle aus dem Jahr 1747 ist eines der ältesten weltlichen Bauwerke in Mönchengladbach. Sie steht direkt B 57 zwischen Rheindahlen und Erkelenz und gilt als eines der bekanntesten Denkmale im Umkreis.

Die analogen Archivalien, Karten, Pläne und Bücher werden bei einer Kölner Firma geordnet und verzeichnet sowie für die Datenbank des RMDZ ausgewertet. Am 22.4.2021 wurden bereits erste Archivalien und Bücher aus dem Dokumentationsarchiv von Köln nach Mönchengladbach gebracht und im Magazin des Stadtarchivs deponiert.

Für Mönchengladbach ergibt sich dadurch die Möglichkeit, die Erforschung der Mühlen im Stadtgebiet zusammen mit dem RMDZ zu professionalisieren und zu erweitern. In der Vergangenheit sind bereits einige der Mönchengladbacher Mühlen unter Federführung des RMDZ beflogen und aus der Luft fotografiert worden (s. oben). – Mit der Planung weiterer Projekte wird nun begonnen.

Kontakt:
Stadtarchiv Mönchengladbach
Goebenstraße 4-8 (Vitus-Center)
41061 Mönchengladbach
Tel.: 0 21 61 / 25 535 11
stadtarchiv@moenchengladbach.de

Rheinisches Mühlen-Dokumentationszentrum e.V. (RMDZ)
Sitz und Geschäftsführung
Tonstraße 26
47058 Duisburg
Telefon 0203 31776369 (nur AB)
info@rmdz.de

Quelle: Stadt Mönchengladbach, Pressemitteilung, 13.04.2021; RP online, 19.4.2021; Rheinisches Mühlen-Dokumentationszentrum, Aktuelles, 24.04.2021

Die Pest in Limburg im 14. Jahrhundert

Neue Veröffentlichung des Stadtarchivs Limburg.

Die Menschheit wird in ihrer Geschichte immer wieder von Seuchen begleitet und bedroht. Gegenwärtig erleben wir mit der Corona-Pandemie eine solche Situation, die die ganze Welt betrifft. Dass eine Seuche noch wesentlich schlimmere Auswirkungen haben kann, präsentiert Limburgs Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker in seiner jüngsten Publikation, dem fünften Heft der Reihe „Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn“ über die Pest im Mittelalter.

„Das ,Große Sterben‘. Die Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in Limburg und anderswo“ hat Waldecker seinen Beitrag betitelt. Das „Große Sterben“, diesen Begriff hat der Chronist Tilemann Elhen von Wolfhagen in der „Limburger Chronik“ aus dem 14. Jahrhundert für die Pest verwendet.

Um 1350 dezimierte die Krankheit die europäische Bevölkerung, und auch Limburg war davon stark betroffen. Die damalige Medizin war machtlos, die Auswirkungen waren immens. Städte verloren zahlreiche Bewohner, so dass die Stadtentwicklung mitunter jahrhundertelang stagnierte, es fehlten Arbeitskräfte, was zu einer sozialen Mobilität führte und einen Aufstieg ermöglichte. Religiöser Eifer machte sich breit.

Großen Eindruck machten insbesondere die Geißler oder Flagellanten, die von Stadt zu Stadt zogen und sich bis aufs Blut peitschten. Gesellschaftliche Konventionen lösten sich auf, für viele standen Vergnügungen an erster Stelle. Und dann gab es einen sehr düsteren Aspekt: die Verschwörungstheorien. Den Juden wurde unterstellt, die Seuche durch Brunnenvergiftung ausgelöst zu haben, um die Christenheit auszulöschen. Durch ständiges Behaupten und Wiederholen glaubten viele, das verleumderische Gerücht sei dies Wahrheit. Dies zog schwere Pogrome und tausendfachen Mord nach sich. Vermutlich geschah dies auch in Limburg.

Als die Seuche endlich wich, „hob die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu sein“, wie Tilemann es ausdrückt. Doch die nächsten Pandemien ließen nicht lange auf sich warten …

Info:
Christoph Waldecker: Das „Große Sterben“. Die Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in Limburg und anderswo. Limburg 2021 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn 5). 42 Seiten

Gratis erhältlich im Stadtarchiv Limburg und im Rathaus in der Werner-Senger-Straße.

Kontakt:
Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn
Mühlberg 3
65549 Limburg
Tel. 06431/203-368
christoph.waldecker@stadt.limburg.de

Quelle: Stadt Limburg a.d. Lahn, Pressemitteilung, 4.5.2021

Ankunft Johann Gottfried Herders in Bückeburg 1771

Als der 26-jährige Theologe Johann Gottfried Herder am 24. August 1770 an den Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe schrieb, da hielt er sich vorbildlich an die formalen Bedingungen des Briefschreibens seiner Zeit: Ein großer „Devotionalabstand“ trennte den Beginn seines Textes von der ehrfürchtigen Anrede des weit ranghöheren Reichsgrafen. Der Inhalt jedoch war ungewöhnlich.

  

Abb.: Brief Herders an Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe vom 24. August 1770 (Niedersächsisches Landesarchiv, NLA BU F 1 A XXXV 18 Nr. 96)

Graf Wilhelm hatte als ehrgeiziger Regent des kleinen Schaumburg-Lippe an Herder schreiben lassen, zuletzt gar selber geschrieben, weil er ihn als vielversprechenden Denker und jungen Kopf gerne an seinen Hof ziehen wollte. Graf Wilhelm selbst schrieb an Herder von seinem „Verlangen eines der ersten Genies Deutschlands zu sehen“. Herder aber, der zu jener Zeit als Privatlehrer auf Reisen war, zierte sich, das durchaus lukrative Angebot aus dem winzig kleinen Bückeburg anzunehmen.

In seinem Antwortschreiben schmeichelt er zwar Wilhelm als einem „außerordentlichen, einsehenden, durchdringenden, aufmunternden Herren“, nennt ihn einen „Apollo Deutschlands“ und freut sich auf den „begeisternden Umgang eines großen Mannes“, macht aber zugleich Bedingungen. Er will erst noch seine Reise zu Ende führen, und er bittet noch vor Antritt seiner Stelle darum, später Urlaub für eine ausgiebige Italienreise zu bekommen.

Derlei Vorbedingungen hielten aber Graf Wilhelm nicht vorm Warten ab. Im Mai 1771, vor 250 Jahren, war es schließlich so weit: Herder kam in Bückeburg an und wurde Oberprediger, Konsistorialrat und 1775 auch Superintendent in Bückeburg. Zwar verstand er sich mit Graf Wilhelm nicht so gut, wie es letzterer erhoffte, und er klagte in seinen Briefen anrührend über die Provinzialität Bückeburgs, dennoch verbrachte er fünf produktive Jahre in Bückeburg, bevor er Goethes Ruf nach Weimar folgte.

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Bückeburg
Schloßplatz 2
31675 Bückeburg
Tel.: 05722 / 9677-30
Fax: 05722 / 9677-31
Bueckeburg@nla.niedersachsen.de

Quelle: Aus den Magazinen des Landesarchivs, April 2021