Auflösung der Graslitzer Gedenk- und Erinnerungsräume in Aschaffenburg

Sudetendeutsche Sammlung wird dauerhaft in München verwahrt

Die für die Stadt Graslitz (heute: Kraslice, Egerland/Tschechien) und die umliegenden 24 Gemeinden zusammengetragene Heimatsammlung ist in die fachliche Obhut der Sudetendeutschen Stiftung (München) übergegangen. Dort werden die musealen Objekte, darunter Gemälde, Zeichnungen, Stickereien, Schnitzereien und zahlreiche historische Musikinstrumente, in den Depots des neuen Sudetendeutschen Museums gelagert, während die schriftlichen Zeugnisse der Graslitzer Geschichte (Fotos, Dokumente, Briefe usw.) in das Sudetendeutsche Archiv am Bayerischen Hauptstaatsarchiv überführt werden.


Abb.: Blick in die Graslitzer Räume im Schönborner Hof (2019, Foto: Charlotte Heß, Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

Seit 1976 hatte sich die Sammlung des Heimatverbands der Graslitzer e.V. im Schönborner Hof in Aschaffenburg befunden. Einige ausgewählte Objekte verbleiben am bayerischen Untermain, unter anderem bei den Museen der Stadt sowie dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg.


Abb.: Musikinstrumente aus der bisherigen Ausstellung (2019, Foto: Charlotte Heß, Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

In Graslitz, heute eine Grenzstadt zu Sachsen (Vogtlandkreis) mit knapp 7.000 Einwohner*innen, hatte der Musikinstrumentenbau lange Zeit große Tradition – was sich auch in den Beständen des Gedenkraums spiegelt.

Seit dem Jahr 1958 hat die Stadt Aschaffenburg die Patenschaft über die im Jahr 1945 vertriebenen Graslitzer inne, wie Oberbürgermeister Jürgen Herzing betont: „Aschaffenburg hat den Heimatverband der Graslitzer seit Jahrzehnten gerne unterstützt und ihm die Räumlichkeiten im Schönborner Hof zur Verfügung gestellt. Auch nach der fachlich sinnvollen Verbringung nach München fühlt sich Aschaffenburg seiner Patenschaftsrolle weiter verbunden.“

Der Heimatverband der Graslitzer hatte sich zum Jahresende 2018 aufgelöst, war aber noch maßgeblich an der Überführung nach München beteiligt, wie Christine Uschek (Karlstein) unterstreicht: „Den Vertretern des Heimatverbands der Graslitzer e. V. war es wichtig, die umfangreiche Sammlung möglichst komplett in fachliche Hände zu geben. Dies ist mit Hilfe aller beteiligten Institutionen gelungen. Unser Dank gilt der Patenstadt Aschaffenburg mit ihren Oberhäuptern für die jahrzehntelange Unterstützung und Verbundenheit im Gedenken an die verlorene Heimat.“

Eric Leiderer, für das Stadt- und Stiftsarchiv zuständiger Bürgermeister, weist darauf hin, dass „die Objekte und Archivsammlungen der Graslitzer von München aus für Ausstellungen ausgeliehen werden können, beispielsweise auch nach Kraslice selbst. Die Archivsammlungen werden im Lesesaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs für Interessierte kostenfrei verfügbar sein.“

Die „Zentralisierung“ und Zusammenführung der zahlreichen sudetendeutschen Erinnerungsräume läuft schon seit einigen Jahren, getragen durch das im Bayerischen Hauptstaatsarchiv angesiedelte Sudetendeutsche Archiv sowie die Sudetendeutsche Stiftung. „Die Zusammenfassung in München bietet den großen Vorteil, dass auch übergreifende und überregionale Forschungsfragen zur sudetendeutschen bzw. deutsch-tschechischen Geschichte besser bearbeitet werden können“, führt Dr. Joachim Kemper, Direktor des Stadt- und Stiftsarchivs, aus. „Beiderseits der bayerisch-tschechischen Grenze ist mittlerweile viel Verständnis für die gemeinsame Vergangenheit vorhanden, was sich auch im seit vielen Jahren laufenden Projekt „Porta Fontium“ des Freistaats Bayern mit Tschechien spiegelt.“


Abb.: Die Graslitzer-Objekte sind am 12. März 2021, gut verpackt und gesichert, durch eine Spedition nach München transportiert worden (Foto: Justyna Baumgart, Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

Ingrid Sauer vom Sudetendeutsches Archiv freut sich auf den Neuzugang: „Die Bestände des Graslitzer Gedenkraums stellen eine wertvolle Ergänzung zu den bereits hier vorhandenen Unterlagen dar. Damit wird die Forschung zu Graslitz erleichtert, da Interessierte alles in einem Haus verwenden können – vielen Dank der Stadt Aschaffenburg und dem Heimatkreis!“

Dr. Klaus Mohr von der Sudetendeutschen Stiftung nimmt die Sammlung in München „mit einem weinenden und einem lachenden Auge entgegen“, wie er sagt: „Schade, dass der Gedenkraum aufgelöst werden musste, aber gut, dass die wertvollen Stücke nun einen dauerhaften Platz im Depot des Sudetendeutschen Museums gefunden haben. Sie werden hier neu inventarisiert und stehen dann für künftige Ausstellungen zur Verfügung.“

Links:

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
Tel. 06021 / 456105-0
stadtarchiv@aschaffenburg.de
https://stadtarchiv-aschaffenburg.de/

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 17.3.2021

Jüdisches Leben in Bingen

Vor wenigen Wochen fand in der Kölner Synagoge der Festakt zum Auftakt des Jubiläumsjahres 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland statt. Wie in vielen Städten entlang des Rheins ist auch in Bingen jüdisches Leben seit vielen Jahrhunderten präsent.

Zurzeit lagern die Binger Akten der Zeit vor 1800 noch im Landesarchiv Speyer, darunter auch die mittelalterlichen Urkunden. Daher datiert das älteste Schriftstück zur jüdischen Geschichte im Binger Stadtarchiv aus der Zeit danach.


Abb.: Das bislang älteste Verwaltungsschriftstück im Binger Stadtarchiv zur jüdischen Geschichte. Es wurde 1826 geschrieben (Stadtarchiv Bingen)

Aus dem Jahr 1826 ist das älteste Schriftstück zur jüdischen Geschichte im Binger Stadtarchiv. Das Dokument ist Teil der Akte „Israelitische Schulen und Religionsunterricht“ (StA Bingen, Bestand 13, Nr. 295). Sie beinhaltet Verwaltungsgut aus der Zeit von 1826 bis 1921, vorwiegend aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Schriftstück von 1826 betrifft den „Unterricht der israelitischen Jugend“, wie in den ersten drei Zeilen am linken Rand dieses Stadtratsprotokolls vermerkt ist.

10 wichtige Ereignisse der jüdischen Geschichte Bingens

1160: älteste Überlieferung mit Erwähnung der jüdischen Gemeinde in Bingen durch den Reisenden Benjamin von Tudela

1254: älteste Überlieferung mit Erwähnung der Judengasse (heute Rathausstraße)

1368: älteste Erwähnung einer Judenschule in Bingen

1403: Bei einem Großbrand in der Stadt werden 75 Prozent der Häuser zerstört – die Judengasse ist betroffen (Auch weitere Großbrände – 1490 und 1540 – betreffen diese Straße)

1602: aus diesem Jahr ist der älteste Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bingen

1689: älteste Erwähnung einer Synagoge in Bingen, die an der Stelle der früheren errichtet wurde: heutige Rheinstraße 4 (heute KUZ).


Abb.: Die Synagoge in der Rheinstraße, später Casino Royal, heute KUZ (undatierte Aufnahme) (Stadtarchiv Bingen)

1789: Zerstörung der Synagoge durch einen Brand. Ein Relikt, der sogenannte Hochzeitsstein, befindet sich heute im Jerusalemer Israel-Museum. Wiederaufbau der Synagoge, die heute als Alte Synagoge bezeichnet wird.

1905: Bau einer zweiten Synagoge für die zweite, liberale jüdische Gemeinde in der Rochusstraße (Neue Synagoge)


Abb.: Fotografie vom Innenraum der neuen Synagoge samt Altar, Jahr unbekannt (Stadtarchiv Bingen)

1938: Zerstörung beider Synagogen am 10. November


Abb.: Der Altar der neuen Synagoge nach der Zerstörung 1938 (Stadtarchiv Bingen)

1970: die Bruchstücke der zerstörten Synagoge in der Rochusstraße werden erst jetzt beseitigt.

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird: Wieso gab es in Bingen zwei Synagogen? – Das Judentum kennt wie die anderen Religionen verschiedene Ausrichtungen, ähnlich der Konfessionen im christlichen Glauben. Darunter auch orthodox-gläubige und liberale.

In Bingen gab es ab 1875 die Israelitische Religionsgesellschaft, die sich von der bestehenden Israelitischen Religionsgemeinde abspaltete, da sie ihnen zu liberal in der Ausrichtung war: Einführung einer Orgel, stärkere Einbeziehung von Frauen und Predigten in deutscher Sprache. Diese Anpassung der jüdischen Kultur an die christliche Kultur Deutschlands begann in allen deutschen Ländern im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts.

Es war die Zeit der Haskala und der Akkulturation der jüdischen Deutschen: Sie waren gläubige Juden und Deutsche gleichermaßen. Die alte Synagoge blieb bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das Bethaus der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft. Die Synagoge in der Rochusstraße wurde von der liberalen Israelitischen Religionsgemeinde errichtet.


Abb.: Die Synagoge in der Rochusstraße, Fotografie von 1924 (Stadtarchiv Bingen)

Genau in diese Zeit fällt allerdings auch der Beginn des Antisemitismus: Während vor 1800 Gewalt gegen Juden vor allem aus christlichen Motiven geschah, war es nun das stärker aufkeimende national-patriotische Gedankengut. Vor 1800 war es die Periode des Antijudaismus: Juden wurde vorgeworfen, Christliches zu vergiften und zu entweihen. Ab 1800, getragen durch den beginnenden Nationalismus in Deutschland, mutierte es in einen Antisemitismus: Man verwehrte jüdisch gläubigen Deutschen die Zugehörigkeit zu ihrem Land, da sie sich gleichermaßen als jüdisches Volk bezeichnen

Diese exkludierende Haltung und die bewusste Verwischung von Religion und Nationalität durch das Wort Volk ist typisch für den Antisemitismus. Auch die aus der Rheinromantik bekannten Clemens Brentano und Achim von Arnim („Des Knaben Wunderhorn“) gehörten dazu. Von Arnim war Mitbegründer der „christlich-deutschen Tischgesellschaft“, der auch Brentano angehörte. Die Gruppe traf sich wöchentlich zum Biertrinken und hielt dabei Reden. Eine der bekanntesten Tischreden ist Arnims „Über die Kennzeichen des Judentums“ von 1811, in der er gar die körperliche Stigmatisierung der Juden und „die Auflösung der Juden in ihre Bestandteile“ forderte.

Die Blütezeit jüdischen Lebens in Bingen

„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Binger Juden auf ein halbes Jahrhundert stetigen Aufstiegs zurückblicken konnten. […] Die wirtschaftlichen Bedingungen in Bingen müssen in französischer Zeit [1793-1813] so gut gewesen sein, dass den jüdischen Händlern eine erhebliche Verbesserung ihrer materiellen Lage gelang. Allerdings konnten nicht nur sie von dieser Situation profitieren, auch die christlichen Händler verzeichneten mehrheitlich ein Anwachsen ihres Vermögens. Die weitere Entwicklung in hessischer Zeit zeigt zudem, dass für die Binger Juden aus konjunkturellen Gründen kein Grund bestand, ihr angestammtes Berufsfeld zu wechseln. Während sich im Handelssektor eine zunehmende Spezialisierung feststellen ließ, die vor allen bei den Wein- und Ellenwarenhändlern [Stoffhändlern] zu einer Zunahme führte, erhöhte sich dagegen die Zahl der jüdischen Handwerker nur unwesentlich.“.

Zu dieser Feststellung kam Matthias Rohde, der die jüdischen Gemeinden in Rheinhessen im frühen 19. Jahrhundert untersuchte (Quelle: Rohde, Matthias: „Tief unter den christlichen Staatsbürgern“?, S. 27). Jürgen Krome untersuchte für den zweiten Stadtgeschichte-Band über die Binger Neuzeit unter anderem die jüdischen Gemeinden in Bingen und stellte fest, dass der Anteil von jüdischen Binger*innen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts recht konstant bei 7-8 Prozent und damit prozentual noch vor Mainz und Worms lag. Bis 1905 ging der Anteil auf 2,5 Prozent zurück – und dennoch: Bingen war 1905 damit wahrscheinlich jene deutsche Kleinstadt mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil. Anfang des 20. Jahrhundert ging der Anteil nur leicht zurück – bis letztendlich die Nationalsozialisten mit ihrer systematischen Verfolgung und Ermordung dem jüdischen Leben in Bingen zunächst ein Ende setzten. #NieWieder

Aber es war kein Ende für immer: Heute leben wieder jüdisch gläubige Menschen in Bingen. In Deutschland wird dieses Jahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert. Mehr zum Jubiläumsjahr bietet die Homepage des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Die Gemeindearchive der beiden jüdischen Gemeinden in Bingen sind im CAHJP (Central Archives for the History of the Jewish People) in Jerusalem überliefert.

Neuere weiterführende Literatur zur jüdischen Binger Geschichte

Aus der Reihe Binger Stadtgeschichte, herausgegeben von der Stadtverwaltung Bingen

  • Ebeling, Dietrich: Bingen in der Geschichte des 19. Jahrhunderts (1815-1870/71). Vom Ende der napoleonischen Zeit bis zum Beginn des Kaiserreichs (= Bingen – Geschichte einer Stadt am Mittelrhein 3.1). Bad Kreuznach 2017.
  • Krome, Jürgen: Bingen 1871-1918. Kaiserreich, Gründerboom und Erster Weltkrieg (= Bingen – Geschichte einer Stadt am Mittelrhein 3.2). Bad Kreuznach 2019.
  • Bernard, Birgit: Bingen 1930-1945. Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Vorgeschichte (= Bingen – Geschichte einer Stadt am Mittelrhein 3.4). Bad Kreuznach 2021.

Aus den Binger Geschichtsblättern der Historischen Gesellschaft Bingen

  • Schmandt, Matthias (Hg.): Bingen im Nationalsozialismus (= Binger Geschichtsblätter 28). Bad Kreuznach 2018.

Aus der Buchreihe des Arbeitskreises Jüdisches Bingen

  • Giesbert, Brigitte/Goetz, Beate/Götten, Josef: Juden in Bingen – Beiträge zu ihrer Geschichte (= Buchreihe Arbeitskreis Jüdisches Bingen 1). 2. Auflage, Bingen 2015.
  • Schmandt, Matthias: Lebensbilder Binger Juden aus dem Mittelalter (= Arbeitskreis Jüdisches Bingen 4). Bingen 2014.
  • Rohde, Matthias: „Tief unter den christlichen Staatsbürgern“? Zur Geschichte der Binger Juden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Arbeitskreis Jüdisches Bingen 5). Bingen 2015.
  • Eyß, Hans-Josef von: Geschichte der Juden in Bingen von den Anfängen bis 1905. (= Arbeitskreis Jüdisches Bingen 3). 2. Auflage, Bingen 2017.

Kontakt:
Stadtarchiv Bingen
Herterstraße 35
55411 Bingen-Bingerbrück
Tel.: 06721 / 184-354
Fax: 06721 / 184-35

Quelle: Stadtarchiv Bingen, Archivalien erzählen Geschichte(n), März 2021

Historische Ansichtskarte des Fürst Styrum-Hospitals in Bruchsal

Als Archivale des Monats März 2021 hat das Stadtarchiv Bruchsal eine historische Ansichtskarte ausgewählt, die den historischen A-Bau des Bruchsaler Krankenhauses zeigt.


Abb.: Fürst Styrum-Hospital in Bruchsal (Stadtarchiv Bruchsal)

Mit der Präsentation der Ansichtskarte soll an den Namensgeber der Klinik erinnert werden, dessen Geburtstag sich im März zum 300. Mal jährt: August von Limburg-Stirum. Der dritte und zugleich vorletzte Bruchsaler Fürstbischof erblickte am 16. März 1721 das Licht der Welt. Als Nachgeborener war er wohl schon früh für eine geistliche Laufbahn bestimmt. Das sollte auch kein Problem sein, war er doch ein Neffe des einflussreichen Kirchenfürsten Damian Hugo von Schönborn.


Abb.: Gemälde Damian August Philipp Karl von Limburg-Stirum (Original im Besitz der Bruchsaler Pfarrei St. Peter, fotografiert von Roland Sand)

Und so wurde August von Limburg-Stirum 1770 dessen Nach-Nachfolger und herrschte bis zu seinem Tod im Jahre 1797 über sein kleines Reich. Laut Zeitgenossen war er ein oftmals mürrischer und jähzorniger Mensch, was vielleicht auch auf die schweren Depressionen zurückzuführen war, die ihn immer wieder heimsuchten. Gleichwohl war er laut seinem Biografen Jakob Wille auch „ein Schenker im großen Stil“. So stiftete er beispielsweise 1777 für die Bruchsaler Bevölkerung ein Spital, das bis auf den heutigen Tag existiert und den Namen „Fürst-Stirum-Klinik“ trägt. Darüber hinaus sind in Bruchsal auch noch eine Schule und eine Straße nach ihm benannt.

Kontakt:
Stadtarchiv Bruchsal
Otto-Oppenheimer-Platz 5
76646 Bruchsal
Tel.: 07251 / 79-708
stadtarchiv@bruchsal.de

Postanschrift:
Stadtarchiv Bruchsal
Postfach 2320
76613 Bruchsal

Quelle: Stadtarchiv Bruchsal, Archivale des Monats März 2021

Erste Bischofsweihe im neugegründeten Bistum Aachen im März 1931

Aachen hat zwar mit dem Dom eine der bedeutendsten Wallfahrtsstätten der katholischen Welt, war aber bis in das 19. Jahrhundert hinein kein Bischofssitz. Als Aachen als „bonne ville“ Teil Frankreichs war (1792/94-1814), richtete Napoléon erstmals ein Bistum Aachen ein, das Teile des Erzbistums Köln sowie der Bistümer LüttichUtrecht, Roermond und Mainz erhielt. Erster Aachener Bischof wurde damals Marc-Antoine Bardolet.

Nach dem Ende der französischen Herrschaft bestimmte eine päpstliche Bulle vom 16. Juli 1821 de jure die Auflösung des Bistums Aachen. Es sollte dann mehr als 109 Jahre dauern, bis das heutige Bistum Aachen am 13. August 1930 durch die päpstliche Bulle Pastoralis officii nostri errichtet wurde. Grundlage hierfür war das sog. Preußenkonkordat, ein Staatskirchenvertrag zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929, der u. a. die Bildung des Bistums Aachen beinhaltete. Das neue Bistum erhielt seine Gebiete vom Erzbistum Köln. Am 25. März 1931 wurde dann Joseph Vogt zum ersten Bischof des neuen Bistums Aachen geweiht.


Abb.: Einladung des Domkapitels an den Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Dr. Wilhelm Rombach, zu den Feierlichkeiten anlässlich der Inthronisation von Bischof Joseph Vogt „in der Kathedrale zu Aachen“ am 25. März 1931 (Stadtarchiv Aachen, Oberbürgermeisterregistratur 81-9, fol. 117)

Diese Einladung des Domkapitels an den Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Dr. Wilhelm Rombach, hat das Stadtarchiv Aachen als Archivale des Monats März 2021 ausgewählt. Das Stück mit einem kurzen Begleittext wird in einem Schaukasten im Foyer des Stadtarchivs sowie digital auf der Homepage des Archivs präsentiert.

Vogt, am 8. September 1865 in Schmidt bei Nideggen geboren, konnte auf eine lange Laufbahn im Dienste der katholischen Kirche zurückblicken. Vor seiner Berufung zum Aachener Bischof war er Dompropst in Köln. Vogt brachte beim Amtsantritt als Bischof mit seinen 65 Jahren viel Erfahrung in Leitungsaufgaben mit; in Köln stand er sowohl fachlich als auch menschlich in hohem Ansehen. Dennoch galt seine Berufung als Überraschung, zum einen wegen seines Alters und eines chronischen Leidens, zum anderen, weil er sich als Vertreter des Kölner Erzbistums klar gegen die Bildung eines Aachener Bistums mit Teilen des Kölner Sprengels positioniert hatte.

Erwartet worden war eigentlich die Berufung des Aacheners Hermann Josef Sträter, der bereits seit 1922 im Rang eines Weihbischofs für das Erzbistum Köln die Region Aachen betreute. Vogt machte Sträter – beide waren befreundet – zu seinem Generalvikar. Vogts Inthronisation in Aachen erfolgte am 25. März 1931, sechs Tage zuvor war er in Köln zum Bischof geweiht worden. Sein Leitspruch lautete: Caritas urget – Die Liebe drängt.

Auf Bischof Vogt geht der Aufbau des Aachener Priesterseminars zurück. Er war der erste Aachener Bischof im Nationalsozialismus. Bischof Joseph Vogt starb am 5. Oktober 1937, von seiner Krankheit schwer gezeichnet, in Monschau.

Kontakt:
Stadtarchiv Aachen
Reichsweg 30 (Nadelfabrik)
52068 Aachen
Tel.: 0241 / 4324972
Fax: 0241 / 4324979
stadtarchiv@mail.aachen.de

Quelle: Stadtarchiv Aachen, Neuigkeiten, Archivale des Monats März 2021, 26.02.2021; Stadt Aachen, Pressemitteilung, 01.03.2021

Älteste Karte der Stadt Schwerin stammt von 1740

Über das Aussehen der mecklenburgischen Stadt Schwerin im Mittelalter weiß man wenig Verlässliches. Alle Karten sind historische Rekonstruktionszeichnungen aus dem 20. Jahrhundert. Weder die Fürsten noch der städtische Magistrat waren lange Zeit bereit, Geld für die Anfertigung einer solchen Karte auszugeben. 1651 nach dem großen Stadtbrand zeichnete Johannes Wedel einen Plan für den Wiederaufbau der Altstadt, und 1705 legte Ingenieur-Kapitän Jacob Reutz (†1710) einen Bebauungsplan für die Neustadt auf der Schelfe vor. Aber diese Pläne zeigten immer nur einen Teil der Stadt. Aus der Zeit um 1735 existieren zwei Karten, die aber leider mehr von der sie umgebenden Landschaft als von der Stadt zeigen. Das vorliegende, um 1740 entstandene Werk ist die erste professionell erstellte Karte, die mit großer Genauigkeit die Stadt samt ihrer Umgebung zeigt. Das Landeshauptarchiv Schwerin stellt sie als Archivalie des Monats März 2021 vor.


Abb.: Karte von Schwerin aus dem Jahr 1740 (Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 12.12-2, Nr. 491)

Gezeichnet hat die Karte vermutlich Ingenieur-Kapitän von Zülow. Dieser Artillerieoffizier hatte 1735 an der erfolgreichen Belagerung der Stadt teilgenommen und stand seitdem im Dienst von Herzog Christian Ludwig, dem vom Kaiser die Verwaltung des Landes übertragen worden war. 1747 fertigte Zülow im Auftrag des Herzogs einen Bebauungsplan für die Neustadt auf der Schelfe an, der nahezu den gleichen Gebäudebestand zeigt wie die vorliegende Karte. Im folgenden Jahr wurde er als Stadtbaumeister durch den französischen Architekten Jean Le Geay ersetzt.

Die Karte zeigt eine kleine Stadt mit kaum 4.000 Einwohnern, die harte Zeiten hinter sich hatte. In den turbulenten Regierungsjahren von Herzog Carl Leopold war sie mehrfach belagert und erobert worden. Der 1705 mit großen Ehrgeiz begonnene Ausbau der Schelfstadt war daher nur wenig vorangekommen. Allein in der Apothekerstraße, am Schelfmarkt und in der Landreiterstraße vermerkte Zülow einige „neue Häuser“. Am Ende der Apothekerstraße stand immer noch die alte Bockwindmühle, die erst 1749 abgerissen werden sollte. Das 1698 errichtete Ballhaus am Alten Garten wurde mangels Schauspielern mittlerweile als „Reithaus“ genutzt. Der von 1692 bis 1713 regierende Herzog Friedrich Wilhelm hatte viel begonnen, aber wenig beendet. Unter anderem hatte er angeordnet, entlang des Schweriner Sees vom Beutel bis zum Heidensee eine sogenannte „Maillebahn“ anzulegen. Dabei handelte es sich um ein auf beiden Seiten durch einen hohen Bretterzaun begrenztes Areal, auf dem ein kricketähnliches Ballspiel gespielt werden sollte. Aber die kriegerischen Zeitläufte waren weder dem Theater noch dem Spiel und Sport günstig gesonnen. 30 Jahre später war sie offenbar immer noch nicht fertig, auf dem vorliegenden Plan von 1740 jedenfalls wird die Nummer 2 als die „angefangene Maillesbahn“ bezeichnet.

Dass Schwerin zumindest versuchte, nicht nur eine Residenz, sondern auch eine „Vestung“ zu sein, lassen die Sternbastionen um das Schloss und die die Altstadt schützenden Befestigungswerke noch erkennen. Militärisch waren diese freilich zu dieser Zeit schon völlig wirkungslos, da sie einfach zu niedrig lagen und jeder Angreifer die Stadt von den umliegenden Höhenzügen mit Artillerie beliebig unter Feuer nehmen konnte. Tatsächlich waren die Kämpfe 1735 die letzten ernsthaften Gefechte, die hier stattfanden. Wenn sich in den folgenden Jahrzehnten Preußen oder Franzosen der Stadt näherten, wurde sie stets kampflos eingenommen. Die im 18. Jahrhundert noch bestehenden Wasserläufe, der Mühlengraben vom Pfaffenteich bis zum Burgsee und die sogenannte „Seeke“ vom Ostorfer See zum Burgsee, wurden später im 19. Jahrhundert überbaut.

Sehr akkurat unterscheidet Zülow bei der Darstellung der Umgebung der Stadt, welche der (grün markierten) Flächen als Garten- oder Weideland und welche höher gelegenen Gebiete in (hell gefärbten) Streifenfluren als Ackerland genutzt wurden. Die Häuser standen auf den Höhenzügen, die Uferbereiche dienten als Wiesen- und Weideland. Die sumpfigen Seeufer stellten schlechten Baugrund dar, anders als heute wollte damals niemand am Wasser wohnen. Da die Bewohner stets auf der Suche nach Bau- oder Feuerholz waren, wundert es nicht, dass sich mit Ausnahme einiger vereinzelter Exemplare auf dem Kalkwerder und dem Ostorfer Hals, keine Bäume auf der Karte finden. Die drei großen Landstraßen von Wismar, Lübeck und Rostock münden alle auf einem großen freien Platz in Vorstadt, der später den Namen „Marienplatz“ erhielt und heute das Verkehrs- und Geschäftszentrum der Stadt bildet.

Kontakt:
Landeshauptarchiv Schwerin
Graf-Schack-Allee 2
19053 Schwerin
Tel.: 0385 / 588791-11
Fax: 0385 / 588794-12
poststelle@lakd-mv.de

Stadtarchiv Schwerin
Archivdirektor Dr. Bernd Kasten
Johannes-Stelling-Straße 2
19053 Schwerin
Tel. 0385/5936243
bkasten@Schwerin.de

Quelle: Dr. Bernd Kasten (Stadtarchiv Schwerin), Landesarchiv Mecklenburg-Vorpommern, Archivalie des Monats März 2021

Stadtarchiv Singen plant digitales Stadtlexikon

Das Projekt eines digitalen Stadtlexikons soll die historische Bildungsarbeit des Stadtarchivs Singen im Internet stärken. Das Stadtarchiv Singen beschreitet mit dem Projekt eines Digitalen Stadtlexikons Neuland im Internet: Orte, Personen und Ereignisse der Stadtgeschichte sollen auf der Grundlage eines Stadtplans mit Informationen und Digitalisaten verknüpft und nutzerfreundlich präsentiert werden.


Abb.: Vorschau auf das Crowdsourcing-Projekt „Digitales Stadtlexikon“ (Stadtarchiv Singen)

Ein Workshop am 18. März 2021 (17-18 Uhr) stellt das Projekt vor und will dabei Möglichkeiten für das Crowdsourcing ausloten. Auf Grund der momentan geltenden Corona-Vorschriften findet die Veranstaltung digital als Zoom-Meeting statt. Bis zum 15. März 2021 können sich Interessierte beim Stadtarchiv Singen per E-Mail (archiv@singen.de) oder auf der Facebook-Seite des Stadtarchivs Singen anmelden.

Der Workshop richtet sich vor allem an geschichtsinteressierte Bürgerinnen und Bürger und möchte gezielt auch ein jüngeres Publikum ansprechen: „Mit unserem Facebook-Auftritt, den wir letztes Jahr im Zuge des ersten Lockdowns gestartet haben, konnten wir bereits eine virtuelle Plattform schaffen, um auf unkomplizierte Art ein breites Publikum für die Singener Stadtgeschichte zu begeistern“, erläutert Stadtarchivarin Britta Panzer die Hintergründe der Veranstaltung.

Mit dem Digitalen Stadtlexikon soll nun ein zweites Standbein für die historische Bildungsarbeit des Stadtarchivs im Internet geschaffen werden: „Ich stelle immer wieder fest, dass die Singener sich sehr für ihre Geschichte interessieren und ein großes stadtgeschichtliches Wissen haben – und dieses Wissen möchten wir gerne kooperativ für unser Vorhaben nutzen“, beschreibt die Stadtarchivarin ihre Intention für den Workshop.

Solche Crowdsourcing-Projekte werden genutzt, um Internetnutzer für Innovationen bei eigenen Projekten einzubinden. So können auf unkomplizierte Art Inhalte und Digitalisate geteilt und in einer entsprechenden Anwendung zur Verfügung gestellt werden. Wie dies funktionieren kann und welche Themen hierbei für ein breites Publikum interessant sein können, soll ebenfalls Thema des Workshops sein. Als technische Grundlage dienen das Findmittel-Portal des Stadtarchivs auf www.stadtarchiv-singen.findbuch.net und die GIS-Anwendung der Abteilung Vermessung.

Kontakt:
Stadtarchiv Singen
Julius-Bührer-Straße
78224 Singen
Tel.: 07731 / 85-253
Fax: 07731 / 85-254
archiv@singen.de

Quelle: Stadtarchiv Singen, Aktuelles und Veranstaltungen; Stadt Singen, Pressemeldung, 01.03.2021

Wichtiges Zeugnis der Offheimer Geschichte

Es ist ein Stück Offheimer Geschichte, was sich im fünften Band der Beiträge zur Geschichte der Kreisstadt Limburg a. d. Lahn versammelt. Die von Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker transkribierte und mit Erläuterungen versehene Schulchronik von Offheim umfasst die Jahr 1821 bis 1975.


Abb.: Stellen die transkribierte Offheimer Schulchronik vor (v.l.): Bürgermeister Dr. Marius Hahn, Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker, die langjährige Schulleiterin Carmen Roßbach, Ortsvorsteher Arne Piecha und Schulleiter Michael Wüst (Foto: Stadt Limburg)

„Wie wichtig ein geregelter Schulbetrieb ist und wie schmerzlich er vermisst wird, wenn er nicht gewährleistet werden kann, ist in der Chronik an mehreren Stellen nachzulesen“, schlug Bürgermeister Dr. Marius Hahn bei der Vorstellung des Werkes einen Bogen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. In der Vergangenheit waren es allerdings kriegsbedingte Unterbrechungen und keine durch Viren verursachte Pandemien. Gegenüber Ortsvorsteher Arne Piecha, der ehemaligen Schulleiterin Carmen Roßbach sowie ihrem Nachfolger Michael Wüst lobte Hahn die Arbeit von Stadtarchivar Dr. Waldecker, der mit seiner Übertragung der handschriftlich verfassten Schulchronik (dabei finden sich in dem Zeitraum verschiedene Schriften wie Kurrent, Süttlerin und die heutige lateinische Schrift) die reichhaltige Geschichte der Schule und des Ortes allgemein zugänglich gemacht habe.

Carmen Roßbach, die über 20 Jahre die Grundschule leitete und insgesamt über 27 Jahre dort als Lehrerin tätig war, übergab im Jahr 2015 die in Leder gebundenen Bände der Schulchronik an das Stadtarchiv. „Das sind doch sehr wertvolle Aufzeichnungen und das Stadtarchiv ist der richtige Ort für die Aufbewahrung und einen fachlichen Umgang“, machte sie deutlich. Und natürlich freut es sie, dass die Chronik nun in einer gut lesbaren Form in lateinischer Schrift vorliegt, zudem noch wichtige Hinweise und Erläuterungen enthält, um Ereignisse und Personen einordnen zu können.

„Viele sind stolz auf diese Schule“, betonte Michael Wüst als Nachfolger von Carmen Roßbach. Dieser Stolz auf die Schule sei an vielen Stellen in der Chronik nachlesbar. Damit werde auch der Stellenwert der Schule im Leben des Limburger Stadtteils unterstrichen. Für Ortsvorsteher Arne Piecha sind Schule und Kindergarten unverzichtbare und prägende Einrichtungen in Offheim. Er selbst sei dort zur Schule gegangen, habe auch Carmen Roßbach als Lehrerin in der vierten Klasse gehabt und nun besuche seine Tochter die Schule. Die nun vorgelegte gebundene Fassung der Schulchronik ist für ihn ein wichtiges Zeugnis, dass über die Geschichte der Schule wie des Ortes Ausschluss gebe. „Das ist in Zeiten, in denen die Erzählungen über die Vergangenheit immer mehr verloren gehen, sehr wichtig“, so Piecha.

Die Chronik hält nicht nur Ereignisse fest, die direkt mit der Schule zu tun haben, sondern widmet sich auch dem Geschehen im Dorf. „Die herzoglich nassauische Landesregierung verfügte 1819, dass in jeder Schule eine Chronik zu führen ist und dass dabei auch Vorkommnisse festzuhalten sind, die den Ort insgesamt betreffen“, erläuterte Waldecker den Ausgangspunkt für die Chronik. Mit der Offheimer Chronik wurde 1821 begonnen, wobei Jacob Widerstein als erster Verfasser auch einen Blick auf die Zeit bis ins Jahr 1752 zurück gewährt, als es zum ersten Mal in Offheim eine Schule gab.

Die Schulchronik hält die Zahl der Schülerinnen und Schüler fest, gibt Auskunft über die Lehrerinnen und Lehrer, widmet sich mit regelmäßigen Einträgen den Ernten und dem Wetter. Eingetragen wurde natürlich auch, wenn es im Orte brannte oder welcher Pfarrer seinen Dienst in Offheim versah. Die Chronisten nahmen dabei auch Ereignisse der großen Politik mit auf. „Die Schulchroniken erhalten viele Informationen, die sich in anderen Akten und Quellen nicht finden“, unterstreicht Waldecker.

Info:
„Die Offheimer Schulchronik (1752-)1821 bis 1975“ als fünfter Band der Beiträge zur Geschichte der Kreisstadt Limburg a. d. Lahn von Christoph Waldecker als Bearbeiter ist in einer Erstauflage von 300 Stück erschienen und ist im Limburger Stadtarchiv und im Buchhandel (ISBN 978-3-936162-16-5) erhältlich.

Kontakt:
Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn
Mühlberg 3
65549 Limburg
Tel. 06431/203-368
christoph.waldecker@stadt.limburg.de

Quelle: Stadt Limburg an der Lahn, Aktuelles, 10.3.2021

Im März 1921 erste Abiturientin in Lingen

Noch im 19. Jahrhundert endete der Bildungsweg für Frauen gewöhnlich mit dem Abgang von der Bürgerschule. Weiterführende Schulen, die sie hätten besuchen können, existierten in Lingen zunächst gar nicht. Das änderte sich 1831. Um dem Wunsch einiger Familien entgegenzukommen und den sinkenden Schülerzahlen entgegenzuwirken, richtete das Gymnasium Georgianum – zunächst versuchsweise – eine Höhere Töchterschule ein. Sie stand Mädchen nach dem Besuch der Bürgerschule offen. Die Schülerinnen stammten meist aus den protestantischen Familien der höheren Stände. Doch schon 1840 stand die Töchterschule vor dem Aus.


Abb.: Lingens erste Abiturientin Berta Gelshorn im Kreise ihrer Mitschüler (Stadtarchiv Lingen)

In Lingen war das Konzept einer Höheren Schule für Mädchen nicht unumstritten. Selbst Gymnasialdirektor Moritz Rothert sah sie grundsätzlich skeptisch, da sie „vom Hauptberuf des Weibes ab und zur Verbildetheit hinführe“. Zudem würde „die Eitelkeit auch die Töchter der Krämer, Handwerker und ähnlicher Klassen in sie hineinlocke[n]“, was sie „zu einer schlichten und tüchtigen Bürgerfrau untüchtig“ machen würde. Letztlich sprach sich Rothert aber doch für die Schule aus, da es im Lingener Land keine andere Schule „mit Ausschließung des eigentlichen Pöbels“ gebe, „der in eine Armen- oder Freischule gehört“. So siegte letztendlich Standesdünkel über Sexismus, und 1843 wurde die Höhere Töchterschule neu gegründet – jedoch nur, um wegen geringer Besuchszahlen 1851 erneut geschlossen zu werden.

Der Unterricht wurde dennoch fortgeführt, allerdings nur noch von einer einzelnen Lehrerin ohne Verbindung zum Gymnasium. Die Katholiken blieben auch dieser Privatklasse fern und gründeten 1862 ihre eigene Höhere Töchterschule. Und die konnte mit 30 bis 44 Schülerinnen bald eine ähnlich hohe Belegung vorweisen wie ihr de facto nun evangelisches Gegenstück. Das Ziel beider Schulen war die basal gebildete, gerne auch in der Wohlfahrtspflege engagierte Ehefrau und Mutter des gehobenen Bürgertums. Von einer den Jungen gleichwertigen Schulbildung war das weit entfernt.1909 gründete die Stadt eine eigenständige Höhere Mädchenschule für Schülerinnen aller Konfessionen.

Eine der ersten Schülerinnen war Berta Gelshorn. Ihren schulischen und beruflichen Werdegang stellt das Stadtarchiv Lingen (Ems) in der Archivalie des Monats März 2021 vor. Berta Gelshorn wurde 1901 als Tochter des Lingener Malermeisters Gelshorn geboren und hatte bereits drei Jahre lang die Bürgerschule besucht. Zu Ostern 1910 wechselte sie auf die Höhere Mädchenschule. Dort konnte man jedoch keinen Abschluss erwerben und sich danach höchstens noch zur Handarbeits-, Turn- oder Hauswirtschaftslehrerin ausbilden lassen. Die Schulleiterin Eylert drängte jedoch auf einen Unterricht nach dem Lehrplan der Höheren Schulen. So konnte Berta nach der vorletzten Klasse eine Prüfung ablegen und in die Abschlussklasse des Lyzeums in Rheine wechseln. Nach einem Jahr bestand sie dort die Prüfungen zur Mittleren Reife. Damit ist die nunmehr 17jährige Berta zum Besuch eines Oberlyzeums berechtigt. Noch sind das nichts anderes als höhere Lehrerinnenseminare.

Das nächste Oberlyzeum befand sich in Münster, doch Berta ging stattdessen auf die städtische Studienanstalt Hannover. Erstmals steht plötzlich Latein auf ihrem Stundenplan. Um den Anschluss zu schaffen, muss sie sich privat die nötigen Lateinkenntnisse aneignen. Auf ihrem Abschlusszeugnis hatte die ansonsten gute Schülerin in Latein auch nur ein „genügend“.

Die Weimarer Republik eröffnete Frauen neue Möglichkeiten. Ihnen wurde das Wahlrecht zugestanden, und auch das Georgianum stand nun regulär Schülerinnen offen. Erstmals seit dem Scheitern der schuleigenen Töchterschule (1831-1851) und einer auch von Mädchen besuchten Vorschule (1834-1887) wurden wieder Schülerinnen aufgenommen. So kehrte Berta Gelshorn nach Lingen zurück und wechselte Ostern 1919 in die Unterprima des Georgianums. Zwar war sie dort zunächst nur als Hospitantin zugelassen, doch wurde ihr die Gastschulzeit später durch entsprechende Verfügung angerechnet. Erstmals hatte sie nun auch Griechischunterricht. Und wieder musste sie den Unterrichtsstoff privat nachholen.

1921 wurden sie und zwölf Mitschüler zu den Abiturprüfungen zugelassen. Ende Januar wurden die Klausuren geschrieben: Montag Deutsch, Mittwoch Griechisch, Freitag Mathe und Samstag Latein. Berta bestand alle Prüfungen mit einem „gut“, Mathematik sogar mit „sehr gut“. Von ihren Mitabiturienten erhielt sonst nur einer Bestnoten: Franz Demann, der spätere Bischof von Osnabrück, in Mathematik und Deutsch. Beide gehörten damit zu den fünf Schülern, deren Leistungen so gut waren, dass sie zur mündlichen Prüfung nicht mehr antreten mussten. Ein Kandidat fiel durch. Für alle anderen galten alle Prüfungen am 8. März als bestanden, und so war Berta Gelshorn vor genau hundert Jahren die erste Schülerin, die in Lingen das Abitur machte.

Nach ihrem Abitur nahm Berta Gelshorn ein Jurastudium auf. Nach Aufenthalten in Siegen und Recklinghausen kehrte sie im August 1933 ein letztes Mal nach Lingen zurück. Mittlerweile Gerichtsassessorin und Rechtsanwältin, heiratete sie im April 1934 den Rechtsanwalt Paul Humann. Sie folgte ihm nach Essen, wurde schwanger und war nach seinem Tod an der Ostfront 1941 mit vierzig Jahren plötzlich alleinerziehende Mutter von drei Töchtern. Sie starb 1989 in Essen.

Genau zwei Wochen nach den bestandenen Abiturprüfungen veranstaltete der Katholische Frauenbund am 22. März 1921 in Lingen einen Vortragsabend über Frauenbildung und Frauenberuf. Hier sprach man sich deutlich für den Besuch von mittleren und höheren Mädchenschulen aus, auch wenn deren Aufgabe lediglich die „Erziehung zum hausmütterlichen Berufe“ sein sollte. Der Vortrag war nur schlecht besucht. So überrascht es nicht, dass ein Ausbildungsweg wie der von Berta Gelshorn die Ausnahme blieb. Bis 1943 legten am Georgianum lediglich elf Schülerinnen das Abitur ab. Neben Berta Gelshorn waren es Hanna-Marie Fueß (1928), Ellen Weinmann (1929), Carla Grüter und Theodore Meyer (1931), Hermine Niebuhr (1936), Johanna Günther und Ilse Mohrmann (1938), Jutta Rohloff (1942), Dorothea Jahn und Almuth Staedtke (1943). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Lingener Abiturientinnen zu.

Quellen und Literatur:

• Stadtarchiv Lingen, Lingener Volksbote vom 9.3. und 26.3.1921.
• Stadtarchiv Lingen, Lingensches Wochenblatt vom 8.3.1921.
• Stadtarchiv Lingen, Melderegister.
• Stadtarchiv Lingen, Personenstandsregister.
• Beesten, Werner v.: Beiträge zur Chronik der Stadt Lingen aus den Jahren 1860 bis 1880, Lingen 1880.
• Begger, Clara: Stationen des höheren Töchterschulwesens in der Stadt Lingen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Arbeitsgemeinschaft Frauen in der Geschichte des Emslandes (Hg.): Uns gab es auch, Bd. 2, Sögel 1993, S. 82-92.
• Buss, Heinz: Die Anfänge eines gegliederten Schulwesens in Lingen. Aus der Schulgeschichte des Lingener Gymnasiums, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 66 (2020), S. 217-238.
• Landkreis Emsland/ Gymnasium Georgianum Lingen (Hg.): 325 Jahre Gymnasium Georgianum 1680-2005, Lingen (Ems) 2005.
• Rickling, Hanni: Die städtische Höhere Mädchenschule in Lingen. Frauenbildung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Arbeitsgemeinschaft Frauen in der Geschichte des Emslandes (Hg.): Uns gab es auch, Bd. 2, Sögel 1993, S. 93-120.
• Schriever, Ludwig: Geschichte des Kreises Lingen, 2. Teil. Geschichte der einzelnen Kirchspiele, Lingen (Ems) 1978.
• Skutella, Martin: Die Lingener Abiturienten 1832-1933 (Georgiana Lingensia 2), Lingen-Ems 1933.

Kontakt:
Stadtarchiv Lingen (Ems)
Baccumer Straße 22
49808 Lingen (Ems)
Tel.: 0591 / 91671-11
stadtarchiv@lingen.de

Quelle: Stadtarchiv Lingen (Ems), Archivalie des Monats März 2021, 02.03.2021

Die Zulassung der Freisinger CSU durch die US-Militärregierung 1945

Im Archivstück des Monats März 2021 thematisiert Stadthistoriker und Leiter des Stadtarchivs Freising, Florian Notter, die Zulassung der Christlich Sozialen Union (CSU) nach dem Zweiten Weltkrieg und nimmt vor allem Bezug auf die CSU in Freising.

Angesichts der unbeschreiblichen menschlichen Katastrophe, in die Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg Europa und die Welt geführt hatten, schien es im Mai 1945 kaum vorstellbar, dass noch im selben Jahr politisches Leben in Deutschland neu entstehen könnte. Tatsächlich wurden die Grundlagen dafür aber schon im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 gelegt. Unter den hierin publizierten Beschlüssen der Potsdamer Konferenz schrieben die Siegermächte unter anderem fest, dass innerhalb der einzelnen Besatzungszonen „alle demokratischen politischen Parteien zu erlauben und zu fördern“ sind und zwar „mit der Einräumung des Rechtes, Versammlungen einzuberufen und öffentliche Diskussionen durchzuführen.“ Ziel war es, die deutsche Selbstverwaltung zügig wiederherzustellen. Dies galt allerdings ausschließlich für die Landes- und Kommunalebene; die Zukunft Deutschlands als Nationalstaat einschließlich einer zentralen deutschen Regierung lag zu jenem Zeitpunkt sehr im Ungewissen.


Abb.: In der Ausgabe vom 20.12.1945 der „Bekanntmachungen für Stadt und Kreis Freising“ wird die Zulassung der CSU Freising durch die US-Militärregierung veröffentlicht (Stadtarchiv Freising)

In der amerikanischen Besatzungszone, der auch Bayern (ohne die bayerische Pfalz) angehörte, wurde der Potsdamer Beschluss zur Wiedererrichtung demokratischer Strukturen am 27. August 1945 in Kraft gesetzt – durch eine Direktive des damaligen Militärgouverneurs der US-Besatzungszone (und späteren US-Präsidenten) Dwight D. Eisenhower.

In den darauffolgenden Tagen und Wochen kam es überall im besetzten Bayern zu lokalen Aufrufen zur Gründung demokratischer Parteien. Tatsächlich regte sich bald wieder politisches Leben. Während die SPD und die KPD dabei programmatisch und auch in Bezug auf ihren Parteinamen an die Zeit vor 1933 anknüpften, formierte sich das bürgerlich-konservative Lager neu.

Gesellschaftliche und konfessionelle Gegensätze, die in der Weimarer Zeit zur Zersplitterung in mehrere bürgerlich-konservative Parteien (in Bayern v.a. Bayerische Volkspartei und Bayerischer Bauernbund) geführt hatten, sollten nun überwunden werden. So fasste im Spätsommer und Herbst 1945 die Idee der konfessionell und gesellschaftlich geeinten „Christlich-Sozialen Union“ immer stärker Fuß. Die meisten lokalen Neugründungen gaben sich Ende 1945 diesen (oder zumindest einen ähnlich lautenden) Namen. Parallel zu den örtlichen Gründungen liefen die Vorbereitungen zur Gründung der Landespartei CSU. Sie sollte schließlich am 8. Januar 1946 von der Militärregierung ihre Zulassung erhalten.

In Freising formierte sich das bürgerlich-konservative Lager um einen Kreis von Personen, die teils schon vor 1933 innerhalb der lokalen Gruppe der Bayerischen Volkspartei (BVP) politisch aktiv gewesen waren. Dazu gehörten etwa der Buchdrucker Karl Warmuth (1903-1954), der Lehrer Alois Braun (1892-1963) oder der Hotelier Carl Dettenhofer (1885-1970). Ihnen schlossen sich Vertreter der jüngeren Generation an, so etwa der Rechtsanwalt Philipp Held (1911-1993), den die Militärregierung am 1. Oktober 1945 zum Freisinger Landrat bestimmt hatte. Über Helds Vater Heinrich Held (1868-1938), 1924 bis 1933 bayerischer Ministerpräsident (BVP), bestanden freundschaftliche Beziehungen zu Josef Müller („Ochsensepp“), von 1945 bis 1949 erster Parteivorsitzender der CSU.

Auf diese Weise verfügte die Freisinger Gründungsgruppe über beste Kontakte zu maßgeblichen Personen der landesweiten Initiative. Die formale Gründung der CSU in Stadt und Landkreis Freising vollzog sich schließlich in der dritten Dezemberwoche 1945: Mit Datum vom 15. Dezember wurde der Zulassungsantrag bei der US-Militärbehörde in Freising eingereicht. Den strengen Zulassungsbedingungen entsprechend mussten den Antrag 25 von nationalsozialistischen Verstrickungen unbelastete Personen als Bürgen („sponsors“) unterzeichnen (es unterschrieben dann sogar 34 Bürgen); ferner waren dem Antrag das lokale Parteiprogramm und die Satzung in englischer und deutscher Sprache beizufügen. Bereits vier Tage später, am 19. Dezember 1945, erhielt die Freisinger CSU ihre Zulassung.


Abb.: In der Ausgabe vom 20.12.1945 der „Bekanntmachungen für Stadt und Kreis Freising“ wird die Zulassung der CSU Freising durch die US-Militärregierung veröffentlicht (Stadtarchiv Freising)

In der tags darauf erschienenen Ausgabe der „Bekanntmachungen für Stadt und Kreis Freising“ wurde die Zulassung schließlich publik gemacht; bei jenen „Bekanntmachungen“ handelte es sich um ein Amtsblatt, über das die lokalen Behörden und die US-Militärregierung das alltägliche Leben der Nachkriegszeit zu regeln versuchten.


Abb.: Aktendeckel zum Zulassungsantrag („application“) der CSU Freising (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Mikroverfilmung des Originals aus den National Archives der USA)

Während sich die „Bekanntmachungen“ in mehreren Exemplaren im Stadtarchiv Freising erhalten haben, werden die originalen Dokumente zur Gründung bzw. Neugründung der Freisinger Parteien 1945/46, so auch der CSU, in den National Archives der USA aufbewahrt, dort innerhalb des Bestandes „Office of Military Government for Germany, US (OMGUS)„.

Ein großer Teil der OMGUS-Dokumente wurde im Rahmen des sog. „OMGUS-Projekts“ (1976-1983) auf Mikrofiches verfilmt. Die Filme zu Dokumenten, die die Militärregierung in Bayern betreffen, liegen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München vor.

Quellen und Literatur:

QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Bibliothek, Bekanntmachungen für Stadt und Kreis Freising, Jg. 1945. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, OMGUS, CO 449/04, political parties applications (Mikrofich-Verfilmung von Originaldokumenten aus den National Archives der USA).

WEITERFÜHRENDE LITERATUR: CSU Ortsverband Freising (Hg.): 40 Jahre CSU in Freising. Festschrift, Freising 1985; Gelberg, Karl-Ulrich: Vom Kriegsende bis zum Ausgang der Ära Goppel (1945-1978), in: Schmid, Alois (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. IV/1, München 2003, S. 635-956, bes. S. 757-789; Lanzinner, Maximilian: Zwischen Sternenbanner und Bundesadler. Bayern im Wiederaufbau 1945-1958, Regensburg 1996, bes. 33-58; Weisz, Christoph (Hg.): OMGUS Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, München 1995.

Kontakt:
Stadtarchiv Freising
Florian Notter, M.A.
Major-Braun-Weg 12
85354 Freising
Tel.: 08161 / 54-44710
Fax: 08161 / 54-54700
stadtarchiv@freising.de

Quelle: Florian Notter, Stadtarchiv Freising, Archivstück des Monats März 2021; Stadt Freising, Aktuelles, 02.03.2021

Deutsch-britische Sportfeste in Fallingbostel in den 1980er Jahren

Das Stadtarchiv Bad Fallingbostel erinnert in seiner Archivalie des Monats März 2021 an die deutsch-britischen Sportfeste in Bad Fallingbostel in den 1980er Jahren. – Sieben Jahrzehnte lang waren von 1945 an britische Einheiten auf dem Truppenübungsplatz Bergen stationiert. In Fallingbostels Einwohnerschaft machten britische Staatsbürger immerhin ein Drittel aus. Da kann es nicht überraschen, dass Brauchtum von der Insel auch in der Heide gepflegt wurde – wie das Tauziehen und die „Operation Oatcake“ beweisen.


Abb.: Die Mannschaften kurz vor dem Beginn des Tauziehens beim deutsch-britischen Sportfest 1985 (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Das Tauziehen – oder „Tug of war“, wie es die Briten nennen – hat eine lange Tradition. In China war es vom 8. bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. im Frühling und im Herbst Bestandteil des Trainings der Krieger. Im antiken Griechenland wurde es dagegen ab ca. 500 v. Chr. vor allem als Training für andere Sportarten ausgeübt.

Ab etwa 1000 ist das Tauziehen im westlichen Europa nachweisbar. Es erschien dann im 15. und 16. Jahrhundert in Frankreich und Großbritannien. Das Tauziehen wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts organisiert betrieben und war von 1900 bis 1920 sogar olympische Disziplin. In Großbritannien erfreut es sich bis heute großer Beliebtheit – es ist auch Bestandteil der schottischen „Highland Games“.

Deshalb lag es nahe, dass bei den vom Sportverein SV Fallingbostel veranstalteten deutsch-britischen Sportfesten in den 1980er Jahren auch Tauziehwettbewerbe zum Programm zählten. Wie verbissen es dabei zur Sache geht, zeigt das Foto der britischen Mannschaft 1981.


Abb.: Die Mannschaft von Fallingbostels britischer Partnereinheit REME beim Tauziehen 1981 (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Möglicherweise machten sich schon im Voraus die Fallingbosteler Teilnehmer keine großen Hoffnungen auf einen Sieg, denn das Tauziehen zählte zu den „Wettkämpfen ohne Punktewertung“. Die im Programmheft des Sportfestes 1985 abgedruckten Regeln für das „Tauziehen ohne Gewichtsbegrenzung“ hielten fest: „Das Tauziehen wird zuerst zwischen zwei Mannschaften der 7 Armoured Workshop REME untereinander durchgeführt. Aus diesen beiden Mannschaften wird danach eine neue Mannschaft der 7 Armoured Workshop REME gebildet, die dann gegen eine Mannschaft der Stadt Fallingbostel antritt.“ Etwas laxer ging es 1985 zu – vielleicht aber auch nur in den wenigen Sekunden vor dem Wettkampfbeginn.

Der zweite Wettkampf, der ohne Punktewertung durchgeführt wurde, war das Handballspiel auf dem Großfeld. Der Grund dafür dürfte in den Mannschaftsaufstellungen gelegen haben. Dem Programmheft ist zu entnehmen: „Das Handballspiel findet zwischen den Vorständen der Sportvereine und Angehörigen der 7 Armoured Workshop REME auf der einen Seite gegen die Stadtverwaltung und den Rat der Stadt Fallingbostel auf der anderen Seite statt. Jede Mannschaft besteht aus 11 Personen – beliebig viele Auswechselspieler sind zugelassen. Spieldauer: 2 x 15 Minuten.“

Nicht nur beim Sport gab es einen britisch-deutschen Kulturtransfer, auch beim Essen war dies der Fall. Die „Operation Oatcake“ des Staffordshire Regiments war auf dem Fallingbosteler Weihnachtsmarkt 1987 jedenfalls ein voller Erfolg. Sogar der NDR interessierte sich dafür. Der junge Rundfunkreporter Michael Thürnau berichtete: „Sie haben schon eine besondere Art von Humor, die Engländer. Da marschierte gestern abend ein Bataillon an einem Pfannkuchen vorbei und salutierte. Hintergrund des Klamauks mit Pauken und Trompeten: Die Soldaten nahmen Teil am traditionellen Weihnachtsmarkt in der Heidestadt Fallingbostel und bei dem Pfannkuchen handelte es sich auch nicht um einen beliebigen, sondern um einen Staffordshire Oatcake, eine Art von Deluxe-Pfannkuchen.“


Abb.: Michael Thürnau interviewt Bürgermeister Dieter Gerlach für eine NDR-Rundfunksendung (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Zwar wird der Staffordshire Oatcake nur aus zwei Teilen Hafermehl, einem Teil Vollkornmehl, einem Teil Weizenmehl, Salz, Hefe und Wasser gebacken. Zum Frühstück aber mit (geschmolzenem) Käse, Tomaten, Schinken usw. gereicht, gewinnt er sehr an Geschmack.

Bürgermeister Gerlach erinnerte der Hafermehlpfannkuchen aus der inmitten der englischen Midlands gelegenen Grafschaft Staffordshire beim Probieren auf dem Weihnachtsmarkt an Pizza, andere Fallingbosteler zogen Buchweizenpfannkuchen als Vergleich heran.


Abb.: Der Stand des Staffordshire Regiments auf dem Weihnachtsmarkt 1987: Die Offiziellen probieren den Oatcake (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Ernster Hintergrund der der „Operation Oatcake“ war 1987 die jährliche BBC-Wohltätigkeitsaktion „Children in Need – Kinder in Not“. Die Staffordshire Oatcakes gingen – wenn der Vergleich nicht so hinken würde – weg wie warme Semmeln. Für den guten Zweck wurde einiges eingenommen, und zur Verständigung zwischen Briten und Deutschen trug die Aktion auch bei.


Abb.: Staffords stellvertretender Bürgermeister Matthew Guywer beim Besuch des Staffordshire Regiments 1987 mit Bürgermeister Dieter Gerlach und seinem Stellvertreter Martin Ahrens (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Kontakt:
Stadtarchiv Bad Fallingbostel
Vogteistraße 1
29683 Bad Fallingbostel
Tel.: 05162 / 401-18
stadtarchiv@badfallingbostel.de

Quelle: Stadtarchiv Bad Fallingbostel, Archivalie des Monats März 2021