Postkarte von 1918 zeigt Männer und Frauen mit Mund- und Nasenschutz vor Traditionsgaststätte in Bonn

In der Reihe „Zeitfenster“ gewährt das Stadtarchiv Bonn jeden Monat einen Blick in die Vergangenheit Bonns. Im Monat März 2021 präsentiert es eine Ansichtspostkarte aus seiner Sammlung. Bei dem hier abgebildeten Fachwerkhaus handelt es sich um die Gastwirtschaft Zum Alten Keller, eine der ältesten in Bonn. Auf zwei Gefachen prangt die Jahreszahl „1553“, und tatsächlich wird sie um das Jahr 1561 zum ersten Mal erwähnt. Im November 1792 soll Johann Wolfgang von Goethe dort eingekehrt sein: „in Tabak schmauchender, Glühwein schlürfender Gesellschaft“ – wie er später notierte – versuchte er seine Kleidung und sich zu trocknen, nachdem der von ihm angemietete Kahn – er war auf dem Weg nach Düsseldorf – voll Wasser gelaufen war und zu kentern drohte.


Abb.: Postkarte „Gasthof zum alten Keller“ (Stadtarchiv Bonn, DA02_01917), 1918

„Gasthof & Restauration“ ist über der Eingangstür zu lesen. Zimmer mit Frühstück wurden ebenso angeboten wie ein – vermutlich preiswerter – „Mittagstisch“. Die Gaststätte befand sich in der Rheingasse, dem alten Kneipenviertel Bonns, wo Menschen und Waren jahrhundertelang tagein tagaus zwischen der Anlegestelle am Rhein und dem Markt hin und her fluteten. Es war – vom Strom aus betrachtet – das zweite Haus auf der rechten Seite im Bereich der heutigen Oper. Am 18. Oktober 1944 wurde der Alte Keller und mit ihm ein Großteil der historischen Bonner Altstadt bei einem Luftangriff, dem schwersten des ganzen Zweiten Weltkriegs, zerstört.

Die Fotografie, die die Vorlage für die Bildpostkarte gab, stammt von 1918, dem letzten Jahr des Ersten Weltkriegs. Vor der Gaststätte posieren zwei Frauen und zwei Männer, möglicherweise der langjährige Wirt Leopold Passmann mit Gästen oder mit Personal.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die abgelichteten Personen einen – uns nunmehr seit einem Jahr so vertrauten – Mund- und Nasenschutz tragen. Der Grund für die Maßnahme war eine Anfang 1918 in den USA ausgebrochene Viruserkrankung, die von Soldaten nach Europa gebracht wurde, sich rasant in weiten Teilen der Welt verbreitete und über die erstmals im Mai 1918 in Spanien offiziell berichtet wurde. Von daher bürgerte sich für diese sich zur Pandemie entwickelnden Krankheit die Bezeichnung Spanische Grippe oder Spanische Influenza ein.

Sie grassierte in Europa vor allem an den unmittelbaren Kriegsschauplätzen, aber auch an der Heimatfront kam es zu zahlreichen Ansteckungen und entsprechenden Maßnahmen. So wurde beispielsweise das Tragen von Mund- und Nasenschutz angeordnet und Großveranstaltungen untersagt.

Am 16. Oktober 1918, wenige Wochen vor Kriegsende, berichtete die Kölnische Volkszeitung aus Bonn, dass die Zahl der Erkrankten „stark“ zunehme: „An der Allgemeinen Ortskrankenkasse werden täglich durchschnittlich 100 Krankheitsfälle angemeldet. Die Leitung der Straßenbahnen kündigt erhebliche Betriebseinschränkungen an. Die Schulen sind heute sämtlich geschlossen worden. In vielen Fällen führt die Grippe zur Lungenentzündung und somit zum Tode.“

Jener Herbst 1918 bildete, soweit man weiß, den Höhepunkt der Spanischen Grippe in Bonn, die erst 1920 endgültig abklang. Weltweit fielen ihr zwischen 27 und 50 Millionen Menschen zum Opfer.

Die Medizin hat mittlerweile eine ganze Reihe von Vergleichbarkeiten zwischen der vor einem Jahrhundert wütenden Spanischen Grippe und der aktuell die Welt in ihrem Bann haltenden, auf das Covid-19 Coronavirus zurückgehenden Pandemie ausgemacht.

Der Umgang mit und die Auswirkungen der Spanischen Grippe sind für Bonn im Einzelnen noch nicht erforscht. Die mit Mund- und Nasenschutz ausgestatteten Frauen und Männer vor der Gaststätte Zum Alten Keller sind vielleicht ein Anreiz hierzu.

Kontakt:
Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn
Berliner Platz 2
53111 Bonn
Tel.: 0228 / 772410
stadtarchiv@bonn.de

Quelle: Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn, Zeitfenster, März 2021

Unlocking history – Virtuelles Auffalten alter Briefe

Ein internationales Forscherteam um Jana Dambrogio vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) stellt im Fachblatt „Nature Communications“ ein Verfahren vor, mit dem sich historische, bislang ungeöffnete Briefe computergestützt lesen lassen, ohne sie zuerst öffnen und damit zerstören zu müssen, wie Spiegel Online berichtet.


Abb.: Vier Falttechniken zum Verschließen von Briefen. Beispiele aus der Brienne-Sammlung (Nature Communications)

Die „Brienne-Collection“ ist eine besonders reichhaltige Sammlung von jahrhundertealten Briefen. Die Sammlung umfasst mehr als 3.100 Schriftstücke, die im 17. Jahrhundert quer durch Europa verschickt worden sind, aber nicht zugestellt werden konnten. Das Postmeister-Ehepaar Simon de Brienne und Marie Germain in Den Haag hatte sie in einer Truhe aufbewahrt – und 577 Briefe sind noch ungeöffnet.

Links:

Schutzbrief an die Dorfschaft Laatzen im Dreißigjährigen Krieg im Stadtarchiv Laatzen

Im Stadtarchiv Laatzen lagern viele verborgene Schätze. Diese „Schätze“ sollen für die Öffentlichkeit geborgen werden. Kurze Geschichten oder Erläuterungen zu aktuell erschlossenen Archivalien sollen deshalb präsentiert werden. Jeden Monat wird ein besonderes Archivale oder ein ganzer Bestand aus den hunderten von Regalmetern des Stadtarchivs Laatzen vorgestellt.

Als Archivfund im März 2021 präsentiert Stadtarchivar Manual Schwanse den Schutzbrief an die Dorfschaft Laatzen im Dreißigjährigen Krieg, der auf das Frühjahr 1642 datiert wird.


Abb.: Schutzbrief aus dem Jahr 1642 (Stadtarchiv Laatzen)

„die Unserigen [Soldaten] aber sollen, gedachte unsere arme Unterthanen in erwegung ihrer so lange zeithero außgestandenen Kriegs-Pressuren unnd großen Trangsahlen nicht allein hinfüro mit Einquartierung, sondern auch allen aigenmächtigen exactionen Beraub, Plunderungen und allen ubrigen vom Krieg rührenden oneribus [Lasten] genzlich verschonen“

Die Transkription des gesamten Schutzbriefes ist zu lesen unter diesem Link.

Der im Jahre 1618 ausgebrochene Dreißigjährige Krieg brachte unsägliches Leid über die Zivilbevölkerung. Einquartierungen, Schikanen der beherbergten Regimenter, Kriegskontributionen und Seuchen bestimmten den Alltag der Menschen – auch in Gebieten, die über weite Strecken nicht unbedingt von Kampfhandlungen betroffen waren.

In den ersten Kriegsjahren blieb Niedersachsen von der Kriegsfurie verschont. Im Jahre 1625 trat Christian IV., König von Dänemark und Herzog von Holstein als Kriegsoberster des niedersächsischen Kreises an die Spitze der Protestanten. Die Führer der ihm gegenüberstehenden katholischen, kaiserlichen Armee waren Tilly und Wallenstein.

Die Truppen des Königs von Dänemark zogen von Norden heran und besetzten Hameln. Tilly rückte von Süden herbei und besetzte Holzminden. In den folgenden Monaten drangen die kaiserlichen Truppen unter Tilly in das Land zwischen Weser und Leine vor. Für Oktober 1625 und Februar 1626 sind Plünderungen in Laatzen und umliegenden Dörfern belegt. Der Döhrener Pastor Ernst Wehr kommt in seiner Chronik zu dem Schluss, dass „der Winter 1625 auf 1626 für unsere Gegend die härteste Zeit in jenem furchtbaren 30jährigen Krieg gewesen sein“ dürfte [Ernst Wehr: Das Kleine Freie. Mitteilungen aus der Geschichte von Döhren – Wülfel – Laatzen. Hannover 1989].

Zwar spielte sich der Krieg in den folgenden Jahren in der Hauptsache in anderen Gegenden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab, doch sind immer wieder Truppen durch die Region um Laatzen gezogen, wodurch die Bevölkerung belastet wurde. In dieser Situation stellte der Herzog Friedrich zu Braunschweig-Lüneburg im Frühjahr 1642 der Dorfschaft Laatzen einen Schutzbrief aus.

Zuvor waren offenbar viele Laatzener aus ihren Häusern verjagt worden. Verantwortlich dafür waren vermutlich schwedische Truppen, die 1641 ins Land einfielen und von Sarstedt aus die Gegend verwüsteten. Die Schweden standen in dieser Kriegsphase den kaiserlich-habsburgischen Truppen gegenüber.

Für die Laatzener Bevölkerung dürften die politischen und militärischen Konstellationen kaum eine Rolle gespielt haben, denn die vermeintlich eigenen Truppen plünderten und mordeten kaum weniger als die feindliche Soldateska. Ob die Laatzener nach Ausstellung des Schutzbriefes tatsächlich wieder in ihre Häuser zurückkehren konnten und Kriegsbelastungen, Einquartierungen und Plünderungen von nun an der Vergangenheit angehörten, kann mangels Quellen nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Spätestens mit der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens am 24. Oktober 1648 war dieses dunkle Kapitel der Laatzener Geschichte aber beendet.

Kontakt:
Stadtarchiv Laatzen
Manuel Schwanse
Gutenbergstraße 15
30880 Laatzen OT Laatzen-Mitte
Tel.: 0511 / 8205-1015
manuel.schwanse@laatzen.de

Quelle: Ilka Hanenkamp-Ley, Pressemeldung Stadt Laatzen, 26.02.2021; Archivale des Monats, Archivfund März 2021

Stadtgeschichte(n) aus 9 Jahrhunderten im Haus der Essener Geschichte

Das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv (HdEG) ist im Jahr 2020 zehn Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat das HdEG-Team die Ausstellung „Stadtgeschichte(n) aus 9 Jahrhunderten. Ausgewählte Quellen aus dem Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv“ erarbeitet.

Gleichzeitig konnte im Jahr 2020 auch der Historische Verein für Stadt und Stift Essen e.V., der am 27. Oktober 1880 gegründet wurde und seinen Sitz ebenfalls in der ehemaligen Luisenschule hat, sein 140-jähriges Jubiläum feiern. Über die wechselvolle Vereinsgeschichte informiert die Ausstellung „Aufruf! 140 Jahre Netzwerker für die Kultur. Der Historische Verein für Stadt und Stift Essen e.V.“

Beide Ausstellungen wurden bereits am 29. Oktober 2020 im Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv eröffnet, konnten aber bislang aufgrund der Pandemiesituation nicht gezeigt werden. Jetzt besteht aber die Möglichkeit, die Ausstellungen online auf der Homepage des Stadtarchivs zu besichtigen.

Die Ausstellung „Stadtgeschichte(n) aus 9 Jahrhunderten. Ausgewählte Quellen aus dem Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv“:


Abb.: Ansichten der Städte Essen und Werden, aus: Jan Janssonius, Newer Atlas (Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv)

Das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv wurde als eine von vier städtischen Kultureinrichtungen im Kulturhauptstadtjahr 2010 neu eröffnet. Seitdem ist es mit seinen drei Säulen, dem Stadtarchiv, der historischen Dauerausstellung „Essen – Geschichte einer Großstadt im 20. Jahrhundert“ und der Fachbibliothek Stadt & Region, das Kompetenzzentrum für die Essener Stadtgeschichte.


Abb.: Innenansicht Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv (Foto: Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv)

Seinen Sitz hat das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv in der 1906 errichteten ehemaligen Luisenschule am Bismarckplatz, die für die Zwecke des neuen Kulturinstituts baulich adaptiert wurde. Auf dem ehemaligen Schulhof wurde nach Entwürfen der Essener Architekten Hermann Scheidt und Frank Ahlbrecht ein mehrfach ausgezeichnetes Magazingebäude zur sachgerechten Unterbringung der wertvollen Bestände gebaut. Es sticht durch seine markante Cortenstahlfassade hervor und dient mit seinem Konzept der natürlichen Klimatisierung heute als Modell für andere Archivbauten im Rheinland.


Abb.: Das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv (Foto: Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv)

Das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv ist das Gedächtnis der Stadt Essen. Es bewahrt derzeit Archivgut im Umfang von etwa zehn Kilometern und stellt es für die Nutzung bereit. Neben Dortmund und Duisburg ist Essen eine der wenigen Städte im Ruhrgebiet, die auf eine städtische Tradition bis ins Mittelalter zurückblicken können. Dies spiegelt sich auch in der Überlieferung wider, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Die im HdEG verwahrten Quellen sind äußerst vielfältig. Urkunden, Amtsbücher, Akten, Karten und Pläne, Plakate, Münzen, Siegel machen die lange Stadtgeschichte Essens bis heute sichtbar und lebendig. Die Ausstellung bietet in elf thematischen Kapiteln insgesamt 40 ausgewählte Originalquellen aus dem Zeitraum von 1272 bis 2020. Die meisten Exponate werden erstmals öffentlich gezeigt. Jedes Kapitel wird durch einen einleitenden Text eröffnet. Dann werden die einzelnen Exponate mit Text und Bild vorgestellt. Bislang sind sieben Kapitel freigeschaltet worden. Die übrigen Kapitel folgen bis Mitte März 2021.

Die Ausstellung „Aufruf! 140 Jahre Netzwerker für die Kultur“:

Seit seinen Anfängen tritt der Historische Verein als Netzwerker für die (Geschichts-)Kultur in Essen auf.


Abb.: Am 21. Oktober 1880 veröffentlichte der Apotheker Wilhelm Grevel in der Essener Zeitung einen Aufruf zur Gründung eines Historischen Vereins, dem 32 Herren folgten (Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv)

So engagierte er sich sowohl für die Gründung der Stadtbibliothek als auch für die Einrichtung eines Stadtmuseums, das die Keimzelle des Ruhr Museums und des Museums Folkwang bildete. Nicht zuletzt setzte sich der Historische Verein für das Stadtarchiv ein, das zunächst vom Verein ehrenamtlich mitbetreut wurde und erst seit 1936 eine eigene, hauptamtlich geführte Dienststelle der Stadt Essen ist. Die Roll-Up-Ausstellung stellt in sieben Kapiteln die wechselvolle Geschichte sowie die heutigen Aufgaben und Aktivitäten des Historischen Vereins für Stadt und Stift Essen vor. Zum Abschluss präsentiert eine Chronik die Vereinsaktivitäten der letzten 140 Jahre.

Kontakt:
Haus der Essener Stadtgeschichte / Stadtarchiv
Ernst-Schmidt-Platz 1
45128 Essen
Tel.: 0201 / 8841 300
Fax: 0201 / 8841 313
hdeg@essen.de
www.essen.de/stadtarchiv

Historischer Verein für Stadt und Stift Essen e.V.
Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv
(alt Bismackplatz 10, Luisenschule)
Ernst-Schmidt-Platz 1
45128 Essen
Tel: 0201 / 5147550
info@hv-essen.de
www.hv-essen.de

Quelle: Stadt Essen, Pressemeldung, 19.2.2021

 

Stadtarchiv Pforzheim und der französische Verein Les Amis de Pforzheim starten Kooperation

Die Kooperation des Stadtarchivs Pforzheim und des französischen Vereins „Les Amis de Pforzheim“ soll die Erinnerung an Pforzheimer Zwangsarbeiter aus den Vogesen wachhalten.

Unter den Tausenden Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Pforzheim zur Arbeit gezwungen und ausgebeutet wurden, zählte auch eine Gruppe von über 600 Franzosen. Sie wurden am 8./9. November 1944 aus den Vogesendörfern La Bresse, Cornimont und Ventron deportiert und nach Pforzheim verschleppt, wo sie in der Stadt und im Umland in Rüstungsfabriken, der Stadtverwaltung, im Forst, bei Bauern und Handwerkern bis März 1945 schwerste Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen leisten mussten. 18 von ihnen wurden beim Luftangriff am 23.2.1945 getötet. Weitere fünf verstarben an den Folgen oder aus anderen Ursachen.

Alljährlich am 23. Februar wird in Pforzheim der Zerstörung Pforzheims im Zweiten Weltkrieg, die mehr als 17.600 Menschen das Leben kostete, gedacht. Auch in diesem Jahr legte Oberbürgermeister Peter Boch im Namen der Bürgerschaft Pforzheims in würdigem Gedenken an alle Opfer des Krieges einen Kranz nieder. Das Gedenken wurde mit weiteren Kränzen unter anderem aus den Vogesengemeinden La Bresse, Cornimont und Ventron gewürdigt.


Abb.: Kranzniederlegung, v.l. Pfarrer Georg Lichtenberger, Oberbürgermeister Peter Boch und Dekanin Christiane Quincke (Foto: Stadt Pforzheim, Ella Martin)

Inzwischen besteht seit vielen Jahrzehnten ein freundschaftlicher Austausch zwischen der Stadt Pforzheim und den Vogesengemeinden, die von Verbindungen der Deutsch-Französischen-Gesellschaft Pforzheim und dem französischen Verein „Les Amis de Pforzheim“ begleitet werden. Aus diesen Kontakten ist im Jahr 2020 ein Projekt entstanden, das die wenigen erhaltenen Quellen zu den französischen Zwangsarbeitern im Pforzheimer Stadtarchiv durch Dokumente der Betroffenen und ihrer Familien ergänzt. Im September 2020 besuchte Christian Claudel aus La Bresse das Stadtarchiv.


Abb.: Mit Unterstützung der Deutsch-Französischen-Gesellschaft zu Besuch im Stadtarchiv: Christian Claudel aus La Bresse mit Bernhilde Starck von der DFG (l.) und Archivleiterin Klara Deecke (Foto: Stadt Pforzheim; Eugen Schüle)

Er übergab u. a. die verschriftlichten Erinnerungen seines Onkels an die Zwangsarbeit sowie die Kopie eines Schreibens der Pforzheimer Schmuckfirma E. G. Bek, in der die letzten Stunden eines der am 23. Februar 1945 getöteten Zwangsarbeiter geschildert werden. Bei einer anschließenden Archivführung mit Quellen zur Zwangsarbeit sowie detaillierten Recherchen konnten auch Informationen ermittelt werden, die den Nachfahren von Zwangsarbeitern in La Bresse noch nicht bekannt waren.


Abb.: Auf den Spuren französischer Zwangsarbeiter in Pforzheim: Stadtarchiv-Praktikantin Fabienne Bitz zeigt Christian Claudel zeitgenössische Dokumente zur Zwangsarbeit in Pforzheim (Foto: Stadt Pforzheim; Klara Deecke)

Eine Exkursion zur Bek’schen Fabrikvilla in der Schwarzwaldstraße sowie zum Schützenhaus in Büchenbronn, in dem zahlreiche zur Zwangsarbeit im Wald herangezogene Männer aus den Vogesen einquartiert waren, ergänzten den Besuch im Stadtarchiv.


Abb.: Im Schützenhaus Büchenbronn waren einige der aus den Vogesen verschleppten Zwangsarbeiter untergebracht, die im Forst arbeiten mussten (Foto: Stadt Pforzheim; Klara Deecke)

Nach dem arbeitsintensiven, aber ergebnisreichen Treffen waren sich die Kooperationspartner einig: Die Zusammenarbeit und der Austausch von Archivdokumenten sollen fortgesetzt werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Pforzheim – Institut für Stadtgeschichte
Dr. Klara Deecke
Kronprinzenstr. 28
75177 Pforzheim
Tel.: 07231 / 39-2898
klara.deecke@pforzheim.de

Quelle: Stadtarchiv Pforzheim, Aktuelles, 09.02.2021; Stadt Pforzheim, Pressemeldung, 23. Februar 2021

Kalender aus der NS-Zeit im Stadtarchiv Bonn

„Praktisch sein leicht gemacht!“

Fotos, Grafiken, Urkunden, Akten, Briefe oder historische Bücher: Im Depot von Stadtarchiv und Stadthistorischer Bibliothek Bonn lagert so manche Rarität. Die Reihe „Zeitfenster“ gewährt jeden Monat einen Blick in die Vergangenheit Bonns. Im Monat Februar 2021 handelt es sich dabei um einen Kalender aus der NS-Zeit aus dem Jahre 1941.

Das Stadtarchiv Bonn besitzt eine Sammlung mit 134 Kalendern, darunter auch einen Kalender aus der NS-Zeit mit dem Titel „Praktisch sein leicht gemacht!“ für das Jahr 1941, der vom Kaufhof Bonn herausgegeben wurde. Er ist historisch interessant – als NS-Propagandamittel war er ein wichtiges Verbreitungsmittel der Blut- und Bodenideologie der Nazis.


Abb.: „Praktisch sein leicht gemacht!“, 1941 (Signatur: 2001/78, Stadtarchiv Bonn)

Der Kalender richtet sich an die „deutsche Hausfrau“ über die Hitler 1936 sagt: „Die Welt der Frau [sei] die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim“ – diese Rolle spiegelt der Kalender durchgängig wider. So wird dem 1938 ins Leben gerufenen „Muttertag“ natürlich auch ein Kalenderblatt gewidmet. Da viele Männer an der Front sind, der Kalender wurde 1940 – also im zweiten Kriegsjahr – produziert, wird die Frau zu einem wichtigen Vermittler der nationalsozialistischen Ideologie und kämpft „heldenhaft“ als Frau und „deutsche Mutter“ für die Volksgemeinschaft an der „Heimatfront“.


Abb.: Kalenderblatt der 31. Woche 1941 aus: „Praktisch sein leicht gemacht!“ (Stadtarchiv Bonn)

Bei dem mittelgroßen Abreißkalender (Maße: 16 x 24 cm) im Hochformat wird die Kalenderwoche jeweils von einem Foto unterlegt. Die schwarz-weißen beziehungsweise braungetönten Kalenderblätter geben unter anderem beidseitig Schönheits- und Haushaltstipps, so wie beispielsweise zur „Fuß-Gymnastik und -Pflege“ oder zur „Richtigen Nähmaschinen-Pflege“. Da die „deutsche Hausfrau“ vor allem Mutter war, kommen Ratschläge zur Kindererziehung nicht zu kurz: neben dem Abriss über „die wichtigsten Ereignisse der ersten Monate“ eines Kindes, dem Stricken von Windelhosen über das Anfertigen von Wadenwickeln bei Fieber, bis hin zu dem Einrichten eines Schularbeitsplatzes zu Hause, wird alles Existentielle behandelt.

Zum Auflockern der eigentlichen Thematik – den Überlebensstrategien in Kriegszeiten – wurde von den Herausgebern der Erholung und Freizeit gedacht: So zeigt das erste Kalenderblatt fröhliche Skifahrer in idyllischer Winterlandschaft. Darüber hinaus gibt es nicht nur Anleitungen zum „richtigen“ Einkellern von Kartoffeln, dem „Bauen eines Treibhauses am Küchenfenster aus einer alten Kiste“ oder Tricks beim wirtschaftlichen Heizen, sondern es werden auch „Erste Hilfe“-Maßnahmen aufgelistet.

Wie hochpolitisch der so unverfänglich wirkende „Hausfrauenkalender“ war, verdeutlichen die Eintragungen bestimmter Ereignisse. So wird im Kalender nicht nur die Propagandaaktion des monatlichen „Eintopfsonntags“ vermerkt. Politische Ereignisse, wie der Eintrag am 30. Januar: „1933 Adolf Hitler wird Reichskanzler“, die „Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland“ am 3. September 1939 oder die „Heimkehr des Saarlandes“ am 1. März 1935 sowie die Kapitulationen verschiedener Länder, sind eingetragen. Auch Geburts- und Todesdaten von NS-Prominenz fehlen nicht in diesem vornehmlich Propagandazwecken dienenden Druckwerk.

Kontakt:
Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn
Berliner Platz 2
53111 Bonn
Tel.: 0228 / 772410
stadtarchiv@bonn.de

Quelle: Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn, Zeitfenster, Februar 2021

Wasserschaden im Stadtarchiv Amberg

Großen Schaden am Gebäude und an den Archivalien richtete in der Nacht auf den 16.2.2021 das durch ein geplatztes Zuleitungsrohr der Lüftungsanlage ausgetretene Wasser im Stadtarchiv Amberg an. „Die Freiwillige Feuerwehr hat schnell reagiert und war schon bald nach dem Alarm der Brandmeldeanlage vor Ort. Nichtsdestotrotz sind das denkmalgeschützte Archiv und ihr wertvoller Inhalt arg in Mitleidenschaft gezogen worden“, bedauerte Oberbürgermeister Michael Cerny. Er war sofort am Morgen in das erst 2018 bezogene Stadtarchiv geeilt, um sich vor Ort von der Situation zu überzeugen. Das, was er zusammen mit dem Leiter des städtischen Hochbauamtes Hubert Meier und dem stellvertretenden Archivleiter, Diplom-Archivar (FH) Jörg Fischer, sah, war jedoch schlimmer als er sich das hatte vorstellen können. „Es ist wirklich eine Katastrophe! Unser Archiv ist eines der wertvollsten Kommunalarchive in Bayern und beherbergt viele teilweise mehr als 700 Jahre alte Schätze, von denen einige sehr gelitten haben“, zog der Amberger Oberbürgermeister eine erste Bilanz.


Abb.: Begutachtung des Wasserschadens im Amberger Stadtarchiv (Stadt Amberg)

So sind unter anderem 40 antike Ratsbücher von der Feuchtigkeit angegriffen und werden unverzüglich nach Leipzig gebracht, wo sie von den Experten im dortigen Zentrum für Bucherhaltung zunächst fachkundig getrocknet sowie anschließend restauriert werden sollen. Ein Problem sind aber nicht nur die Archivalien selbst, sondern vor allem auch das durchfeuchtete Gebäude, in dem noch zahlreiche weitere, nicht direkt betroffene Schätze lagern. Kann es nicht schnell und richtig austrocknen, drohen weitere Gefahren für Haus und Archivmaterial.

Auch deshalb lässt sich der Schaden zum momentanen Zeitpunkt nicht beziffern. Fest steht nur, dass sowohl im denkmalgeschützten Mantel des einstigen Kurfürstlichen Wagenhauses als auch in der als „Haus im Haus“ konzipierten Stahlbetonkonstruktion viel zu tun sein wird, um das Archiv wieder richtig instand zu setzen. „Wir stehen vor einer großen Herausforderung“, konstatierte Archivar Jörg Fischer und machte darauf aufmerksam, dass das Stadtarchiv damit auf jeden Fall vorerst geschlossen bleiben muss.


Abb.: Erheblicher Wasserschaden im Stadtarchiv (Foto: Susanne Schwab, Stadt Amberg)

Die Nachricht vom Wasserschaden im Stadtarchiv Amberg hat unterdessen weite Kreise gezogen. Bis nach Périgueux war die Information gedrungen. Doch nicht nur von dort ließen Hilfsangebote nicht lange auf sich warten. „Auch aus unserer Nachbarstadt Weiden haben sich Oberbürgermeister Jens Meyer und die Stadtarchivarin Petra Vorsatz gemeldet, genauso wie Archivare aus Donauwörth, aus Bochum und aus Wedel in Schleswig-Holstein“, berichtet Oberbürgermeister Michael Cerny und spricht ihnen sowie allen weiteren Personen und Stellen, die ihre Unterstützung zugesagt haben, sein herzliches Dankeschön aus.

Diesem Dank schließt sich auch Archivar Fischer für das Amberger Stadtarchiv an. „Gleich zu Anfang hat sich auch unser Amberger Staatsarchiv gemeldet und uns ein umfassendes Hilfsangebot gemacht. So bekommen wir von dort eine Stellfläche mit Regalen von 200 laufenden Metern zur Verfügung gestellt, wenn das notwendig werden sollte“, zeigt er sich begeistert von dieser großen Hilfsbereitschaft und dem Entgegenkommen, das dem Stadtarchiv aus vielen Richtungen entgegenschlägt.

Beeindruckt ist Fischer auch von dem Angebot der Universitätsbibliothek Regensburg, die Bereitschaft signalisiert hat, über das Notfallprogramm für Bibliotheken Unterstützung zu gewähren. Außerdem hätten sich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise aus dem Kulturreferat und der Gewerbebau, sowie die Generaldirektion der Staatlichen Archive und der VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare gemeldet und Bereitschaft signalisiert, zu helfen. „Hinzu kommt, dass uns mehrere Konservierungsfirmen kontaktiert und das Angebot gemacht haben, uns schnell und unbürokratisch zur Seite zu stehen“, so der Archivar.

Ein großes Dankeschön richten er und Oberbürgermeister Michael Cerny aber auch noch einmal an die Freiwillige Feuerwehr Amberg für ihr beherztes und professionelles Eingreifen. „Ihrem umsichtigen Einsatz ist es zu verdanken, dass rund 700 Jahre altes Archivgut gerettet werden konnte, indem sofort mit der Sicherstellung dieser Archivalien begonnen wurde“, betont der Amberger OB und macht deutlich, dass damit auch der immaterielle Schaden, der durch eine vollständige Zerstörung von Archivgut immer auch entsteht, begrenzt werden konnte.

Rund 20 aktive Feuerwehrleute waren, wie erwähnt, im Einsatz, nachdem die automatische Brandmeldeanlage des Gebäudes am Dienstag, 16. Februar, um 5 Uhr 30 Alarm ausgelöst hatte. Sofort nach der Ankunft wurden die gefährdeten oder bereits durchnässten Archivalien in Sicherheit gebracht und das Wasser abgepumpt. Nahezu drei Stunden dauerten die Arbeiten, in deren Rahmen auch der Bretterboden im Dachboden zu öffnen war und Teile des Gebäudes vom Strom genommen werden mussten. „Unsere Feuerwehraktiven haben diese nicht alltägliche Herausforderung mit Bravour bewältigt. Dafür vielen herzlichen Dank“, so OB Michael Cerny.

Kontakt:
Stadtarchiv Amberg
Paulanerplatz 17
92224 Amberg
Tel.: 09621 / 10-1267 oder 10-1827
Fax: 09621 / 37600-267
stadtarchiv@amberg.de

Quelle: Stadt Amberg, Pressemeldung, 16.2.2021; Stadt Amberg, Pressemeldung, 18.2.2021

Vom Bistum Freising zum Erzbistum München und Freising

Das Bayerische Konkordat von 1817 und seine Umsetzung 1821.

Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Erzbistum München und Freising“ zeigen Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising seit dem 12. Februar 2021 erstmals eine Online-Ausstellung aus ihren Beständen. Unter dem Titel „Vom Bistum Freising zum Erzbistum München und Freising. Das Bayerische Konkordat von 1817 und seine Umsetzung 1821“ werden anhand von 52 Objekten die kirchengeschichtlichen Umbrüche vor 200 Jahren veranschaulicht.


Abb.: Titel der Ausstellung in Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising

Vor 200 Jahren begann in der bayerischen Kirchengeschichte eine neue Epoche: Durch die Säkularisation von 1802/03 war eine über tausendjährige Kirchenordnung untergegangen. Die Bischöfe waren nicht mehr zugleich Fürsten; im Fall ihres Todes wurden die Bistümer nicht mehr neu besetzt und nur provisorisch verwaltet.

Erst das 1817 zwischen dem Königreich Bayern und dem Heiligen Stuhl geschlossene Konkordat schuf ein neues Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Umgesetzt wurde die Neuordnung 1821. Für das alte Bistum Freising brachte das besonders einschneidende Veränderungen: neuer Bischofssitz, neuer Dom, deutlich vergrößertes Bistumsgebiet und neuer Rang des Oberhirten (als Erzbischof).


Abb.: Das alte Bistum Freising

Diese vor 200 Jahren geschaffene kirchliche Ordnung war Grundlage des kirchlichen Lebens in Bayern bis zum Konkordat von 1924. In wesentlichen Punkten, wie der Bistumseinteilung, gilt sie bis heute.

Ausgehend von der Säkularisation des Bistums Freising 1802/03 geht es um die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Bayern durch das 1817 zwischen dem Königreich Bayern und dem Heiligen Stuhl geschlossene Konkordat sowie um dessen schließlich 1821 vollzogene Umsetzung. Für das heutige Bistumsgebiet brachte dies besonders einschneidende Veränderungen mit sich:


Abb.: Der neue Bischofssitz

Der Bischofssitz wurde von Freising nach München verlegt, die Münchner Frauenkirche zum neuen Dom und das Bistum zum Erzbistum erhoben, der Bistumssprengel um fast die Hälfte durch ehemals salzburgische Gebiete erweitert.


Abb.: Das neue Erzbistum

Am 23. September 1821 verkündete der päpstliche Nuntius im Münchner Dom die Neuumschreibung aller bayerischen Diözesen, am 28. Oktober wurde das Metropolitankapitel München errichtet und am 5. November der erste, vom König ernannte Erzbischof Lothar Anselm von Gebsattel in sein Amt eingeführt. Weil diese Ereignisse die Struktur der bayerischen Kirche bis heute prägen, ist ihre Kenntnis zu deren Verständnis unerlässlich.


Abb.: Erzbischof und Metroplitankapitel

Unter den 52 Ausstellungsobjekten sind zahlreiche Dokumente, die erstmals zu sehen sind – etwa die Ernennungsurkunde für Erzbischof Gebsattel und das Dekret, mit dem der altehrwürdige Freisinger Dom auf den Rang einer Pfarrkirche zurückgestuft wurde. Besonderes Augenmerk gilt den Gebietsveränderungen zwischen dem Erzbistum Salzburg und dem Erzbistum München und Freising. So zeigt eine erst kürzlich im Archiv der Erzdiözese Salzburg entdeckte Karte die früheren Salzburger Zuständigkeiten auf bayerischem Territorium. Dank der Kooperation mit dem Metropolitankapitel München und dem Diözesanmuseum Freising können in der Ausstellung überdies einige ausgewählte Kunstwerke in digitaler Reproduktion präsentiert werden, darunter das goldene Kapitelkreuz des Domdekans. Das rührende Lied, das die Münchner Schuljugend 1821 zur Amtseinführung von Erzbischof Gebsattel sang, ist nicht nur als Notenblatt zu sehen, sondern in einer eigens für die Ausstellung erstellten Aufnahme auch zu hören, gesungen vom Vokalensemble der Jungen Domkantorei München unter Leitung von Domkantor Benedikt Celler.

Für die erstmalige Präsentation einer reinen Online-Ausstellung wurde das seit Juli 2019 bestehende Digitale Archiv des Erzbistums um einige Funktionalitäten erweitert. Insbesondere kann nun bei handschriftlichen Dokumenten parallel zur Reproduktion eine buchstaben- und zeilengetreue Umschrift angezeigt werden.


Abb.: Parallelansicht des Schreibens von Fürsterzbischof Hieronymus

Die Programmierung dieser innovativen Funktion wurde gefördert mit Mitteln des Förderprogramms „WissensWandel“, das Bibliotheken und Archive bei ihrer digitalen Weiterentwicklung unterstützt und Teil des Rettungs- und Zukunftsprogramms NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ist. Zu den lateinischen Dokumenten gibt es eine deutsche Übersetzung, zumeist die erste, die überhaupt existiert. Bei allen entsprechenden Dokumenten und Büchern ist zusätzlich zu den ausgewählten Einzelseiten ein Link gesetzt, der zu einem Volldigitalisat des gesamten Aktes oder Bandes im Digitalen Archiv oder im Bibliotheksverbund Bayern führt. Die Ausstellungsobjekte sind durch Links auch untereinander verbunden, und Fachbegriffe werden durch externe Informationsquellen erklärt. Bei jedem Titel der zur Vertiefung angegeben Fachliteratur ist nachgewiesen, welche wissenschaftlichen Bibliotheken in Bayern ihn zur Ausleihe anbieten.

Die Funktionserweiterung und die gestalterische Einpassung in das Online-Erscheinungsbild der Erzdiözese wurden in Zusammenarbeit mit der Stabsstelle Kommunikation des Erzbischöflichen Ordinariats und dem diözesanen Medienhaus Sankt Michaelbund konzipiert und realisiert.

Kontakt:
Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising
Dr. Benita Berning
Karmeliterstraße 1 (Eingang Pacellistraße)
80333 München
Tel.: 089 / 2137-1346
archiv@eomuc.de

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Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising
Postfach 330360
80063 München

Quelle: Benita Berning, Archiv des Erzbistums München und Freising, 16.02.2021; Ausstellungstext Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising

Abstellung von Soldaten durch Weil der Stadt für den Schwäbischen Reichskreis

Inspiriert durch die Ereignisse der Französischen Revolution fand im Jahre 1790 im damals zum Deutschen Reich gehörenden Fürstbistum Lüttich (heute Belgien) ein Aufstand statt. Diese sog. Lütticher Revolution wurde von Reichstruppen im Jahr 1791 niedergeschlagen. – Welche Auswirkungen dies auf die Stadt Weil der Stadt hatte, liest man in der Archivale des Monats Februar 2021 (Acten die Vermehrung des hieisgen Soldaten Contingents betreffend, in Gelegenheit des Lütticher Aufstands und der deswegen vom Kaiserl. Kammergericht angeordneten Execution de anno 1790), die das Stadtarchiv Weil der Stadt vorstellt.


Abb.: Titelblatt der Akte aus dem Jahre 1790 (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt)

Weil der Stadt, gelegen im Landkreis Böblingen, ist die Geburtsstadt des Astronomen und Mathematikers Johannes Kepler (1571-1630) sowie des württembergischen Reformators Johannes Brenz (1499-1570).

Erstmals treten ab dem 13. Jahrhundert neben den Urkunden andere Formen schriftlicher Dokumentation auf, in denen Vorgänge von zeitlich begrenzter, nicht direkt rechtserheblicher Bedeutung ihren Niederschlag finden. War die Zeit der ausschließlichen Urkundenüberlieferung dadurch gekennzeichnet, dass nur Tatsachen und Vorgänge rechtlicher Natur mit den Mitteln der Schrift dauerhaft fixiert wurden, bildet sich nun, vor allem und zuerst in den Städten, auf der Basis der Ratsverfassung eine Verwaltung heraus, die sich immer weiter differenziert. Um in den zunehmenden Alltagsgeschäften auf frühere Vorgänge und Entscheidungen zurückgreifen zu können, benötigt die Verwaltung schriftliche Aufzeichnungen, die langfristig als Gedächtnisstütze aufbewahrt werden müssen. Vorbereitende oder ausführende Maßnahmen zu Rechtshandlungen, die früher nur mündlich erledigt wurden, werden nun schriftlich festgehalten. Die Entwicklung von Entscheidungen wird damit nachvollziehbar gemacht.

„Quod non es in actis, non est in mundo – Was nicht in den Akten steht, existiert nicht.“ Dieser Satz steht stellvertretend für den Abschluss des Prozesses der Ausbildung des Aktenwesens im Lauf des 18. Jahrhunderts.

Man kann davon ausgehen, dass es in Weil der Stadt schon vor dem magischen Datum, dem Stadtbrand 1648, Akten gegeben hat. Sie wurden aber alle ein Raub der Flammen. 1807 und 1884 wurde jeweils eine systematisch geordnete Gesamtübersicht der Weil der Städter Akten erstellt, in die aber auch Bände und Rechnungen integriert waren. Leider findet sich diese Ordnung der Akten im realen Aktenbestand nicht wieder. Ziel ist es aber, diese Aktenordnung im Bestand „Alte Akten Weil der Stadt“ zu rekonstruieren und damit alle älteren Akten, die mit dem Jahr 1648 beginnen, zu verzeichnen.

Die Akten des 20. Jahrhunderts sind in vier weiteren Aktenschichten vorhanden. Diese Aktenschichten grenzen sich in ihrer Ordnung nach einem bestimmten verwendeten Aktenplan voneinander ab. Aus der Aktenschicht Weiler Akten des 18. Jahrhunderts soll ein Faszikel vorgestellt werden, welches die Abstellung von Soldaten durch Weil der Stadt für den Schwäbischen Reichskreis betrifft.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation (dieser Name taucht erstmals im Jahre 1512 auf), dessen Ursprung im Ostfrankenreich liegt und dessen erster Kaiser Otto der Große war (Krönung zum Kaiser im Jahre 962), bestand bis zum Jahr 1806. Das Reich wurde aus unzähligen Territorien geistlicher und weltlicher Herren gebildet und war ein komplexes Gebilde, das einen Kompromiss aus Monarchie und Staatenbund darstellte. Zu den zahlreichen Reichsinstitutionen zählten unter anderem auch die Reichskreise, die ab dem Jahr 1500 eingerichtet wurden. Die Reichskreise fassten geographisch zusammenliegende Reichsstände zusammen. Insgesamt gab es ab dem Jahr 1500 zunächst sechs, später dann insgesamt 10 Reichskreise.

Weil der Stadt repräsentierte als freie Reichsstadt einen eigenen Reichsstand innerhalb des Schwäbischen Reichskreises. Dieser war in vier Kreisviertel aufgeteilt, dabei gehörte Weil zum ersten Viertel. Zu den Aufgaben der Reichskreise gehörte unter anderem die Wahrung des Landfriedens, die Einhaltung der Münzordnung und Durchsetzung der Reichsgesetze und auch die Stellung von Truppen für das Reichsheer. Zu diesem Zwecke verfügte der Schwäbische Reichskreis über eine Wehrverfassung, die an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden sollte.

Seit dem 17. Jahrhundert unterhielt der Kreis ein stehendendes Heer, dessen Stärke in Abhängigkeit von Krieg und Frieden variierte und gegenüber dem Reich sowie den anderen Reichskreisen in Art und Umfang festgelegt war. Innerhalb des Kreises wurden die zu stellenden Truppen und Abgaben auf die Kreisstände in den einzelnen Kreisvierteln umgelegt.

In der Einteilung der Kreismiliz vom 11. August 1732 wurde Weil der Stadt die Stellung von 5 Soldaten in Kriegszeiten sowie 2 Soldaten in Friedenszeiten für die 8. Kompanie des Württembergischen Kreisregiments zu Fuß auferlegt. Zusätzlich musste im Kriegsfall ein Soldat für die 3. Kompanie des Baden-Durlachschen Kreisregiments zu Fuß abgestellt werden.[1] Die hier vorliegende knapp 60 Jahre später datierte Akte erwähnt in einer Auflistung zunächst zwei Weiler Soldaten, in einer tabellarischen Übersicht dann acht Weiler Soldaten.


Abb.: Tabelle zu den Weiler Soldaten (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt). Eine in der Akte enthaltene tabellarische Aufstellung über das Weiler Soldatenkontingent (verfasst vom Weiler Syndicus Franz-Karl Brandt [2]) vom 12. April 1790


Abb.: Transkription der Tabelle Soldaten Übersicht (Weilerstadt Nationalien dasigen Soldaten Contingents Nationalien: Angaben zur Person, wohl auch Lebenslauf) (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt)

Außerdem gibt es eine Auflistung über den Soldaten zur Verfügung zu stellende Ausrüstungsgegenstände.


Abb.: Ausrüstungsgegenstände Weiler Soldaten (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt)

Für einen ins Feld auszurüstenden Infanteristen
Außer der completen großen Montierung

An kleinen Montirungsstüken
2 Unterhemden, mit Imbegrif dessen,
so er auf dem Leib trägt
1 pr Schuhe
1 pr wollene
1pr leinene Strümpfe
1pr schwarze Gamaschen

An armatur-Stüken
1 Tornister von Kalbleder
1 Bajonet Scheide und
1 Batterie Dekel

Die hier erwähnten Soldaten wurden im Zuge des Lütticher Aufstands im Jahr 1790 angefordert. Die Lütticher Revolution trug sich 1789 im Fürstbistum Lüttich, welches zum Deutschen Reich und innerhalb dieses zum Niederrheinisch-westfälischen Reichskreis gehörte, zu. Der Aufstand richtete sich gegen den dortigen absolutistisch regierenden Fürstbischof von Hoensbroech und war von den Ereignissen der Französischen Revolution beeinflusst. Nachdem das Reichskammergericht entschieden hatte, die bisherige Ordnung wiederherzustellen, wurde der Aufstand 1791 durch Reichstruppen niedergeschlagen. Zu diesen Truppen hatte auch der Schwäbische Reichskreis und damit Weil der Stadt als Teil der Kreisstände seinen Beitrag zu leisten.

Die vorgestellte Akte ist nachträglich auf 52 Blatt paginiert und besteht aus zahlreichen mittels Fadenheftung gebundenen Blättern verschiedenen Formats. Vornehmlich ist diverse Korrespondenz mit dem Kreis zu finden, darunter Abschriften von Anordnungen des württembergischen Herzoges als Kreisgeneralfeldmarschall sowie Schreiben des Hauptmanns von Kolleffel. In diesen Schreiben macht Kolleffel die Vorgehensweise bei der Kontingentsabstellung bekannt, auch bietet er mehrfach an, einen Unteroffizier zu senden bzw. selbst die Weiler Truppen in Augenschein zu nehmen. Allerdings lehnt der Weiler Magistrat diese Ansinnen stets ab. Ob dies ein Hinweis auf eine etwaige mangelnde Tauglichkeit der Weiler Soldaten ist, sei dahingestellt.

Hauptmann von Kolleffel wird im Württembergischen Adressbuch von 1790 als einer von drei Hauptleuten im Infanterieregiment unter dem Kommando des Prinzen von Sachsen-Coburg genannt.[3]

Exemplarisch für diese Akte soll nun ein Schreiben von Hauptmann v. Kolleffel, vom 5. Februar 1790 gezeigt werden. Die Transkription dieses Schreibens sowie weiterer Schriftstücke erfolgt in buchstabengetreuer Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.


Abb.: Schreiben des Hauptmanns von Kolleffel Seite 1 (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt)

Wohlgeborene hochgelehrte, hochedelgeborene, hochedelgestrenge, hochedle, hochgeachtete, hochzuehrend hochgeehrteste Herren!
In der Anlage habe ich die Ehre, Euer
Wohlgeborn, und meinen hochzuehrenden Herren
Einen ergangenen herzoglich craißgeneralfeldmarschall-
Amtlich Ordre mit zwei weitern Beilagen zu
Überrsenden, aus deren inhalt woldieselbe
Gefälligst zu ersehen belieben werden, welcherge-
Stalt die Stände des löblich schwäbischen Craises
Ihre Mannschaft bis den 15. Diß Monats in solcher
Bereitschaft halten sollen, daß solche auf jeden
Fall sogleich ausrücken- und die bataillons
(verlesen in senatu Wile d9ten Febr 1789)


Abb.: Schreiben des Hauptmanns von Kolleffel Seite 2 (Foto: Stadtarchiv Weil der Stadt)

Abwechslungsweise commandirt werden können.
Da ferner dieser höchsten ordre zufolge
Die Mannschaft der Stände gut requiriert und
Zur Dienstverwendung tüchtig gemacht werden
Solle; so dependirt es nun einzig von
Der Disposition Euer wohlgeborn , und meiner
Hochzuehrenden Herrn, ob ich zu diesem
Ende für die Hinsendung eines tüchtigen
Unterofficirs (um solche das Exerciren zu lehren) besorgt seyn solle; als
Worüber ich mir baldigst gefällige Nachricht
Erbitte und mit der vollkommensten hochach
Tung zu verharren die Ehre habe

 

Stuttgart,
den 5. Febr. 1790
unterthänigster Diener
von Kolleffel Hauptmann

Anmerkungen:

[1] Storm, Peter-Christoph. 1974. Der Schwäbische Kreis als Feldherr: Untersuchungen zur Wehrverfassung des Schwäbischen Reichskreises in der Zeit von 1648 bis 1732. Bd. 21. Schriften zur Verfassungsgeschichte. Berlin: Duncker & Humblot. – Seite 338

[2] Der Syndikus. Ein Schurkenstück in zwei Akten. Franz Karl von Brandt und Weil der Stadt 1785 bis 1796. Vortrag am 29.11.2018 von Stadtarchivar Lothar Sigloch

[3] Das württembergische Adressbuch erschien 1736 bis 1806. Es gibt die Zusammensetzung des Verwaltungsapparates in Altwürttemberg wieder und bietet Informationen zu Herrscherfamilie, Hofstaat und Militär. Orts-, Personen- und Sachregister erleichtern die gezielte Recherche. Digital im Volltext auf der Seite der WLB unter http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz410310441-1790 verfügbar.

Kontakt:
Stadtarchiv Weil der Stadt
Kapuzinerberg 1
71263 Weil der Stadt
Tel.: 07033 / 309-188
Fax: 07033 / 309-190
stadtarchiv@weilderstadt.de

Quelle: Stadtarchiv Weil der Stadt, Archivalie des Monats Februar, 20.1.2021

Friedliches Bingen – Pax Aura Bingens

Das Stadtarchiv Bingen beschäftigt sich in seiner Reihe „Archivalien erzählen Geschichte(n)“ im Monat Februar 2021 mit der „Pax Aura Bingens“. – Friede. Was ist Friede? Wann ist Frieden? Lediglich das Gegenteil von Krieg? Ist es Ruhe? Noch vor 400 Jahren galt Friede lediglich als phasenweise Unterbrechung einzelner Kriege und Streitigkeiten. Der Begriff Friede wurde damals selten verwendet und stattdessen – je nach Kontext – mit Ruhe, Glückseligkeit, Freundschaft, Gerechtigkeit, Glaube, Ewigkeit oder Nächstenliebe umschrieben.

Selbst im 30jährigen Krieg, vor genau 400 Jahren, war die Friedenssehnsucht noch nicht intensiv. Dabei hätte dieser verheerende 30jährige Krieg schon nach 3 Jahren durch den Friedensvertrag von Bingen am Rhein beendet werden können. Noch nie vom Binger Friede gehört?

Viele Straßen führen nach Bingen
Es ist hinlänglich bekannt, dass Bingen am Rhein ungemein verkehrsgünstig gelegen ist. Ob per Auto, Schiff, Zug oder Fahrrad – in Bingen trifft sich ein Straßennetz, das schon zu Zeiten der Römer Bestand hatte – schließlich hatten sie es erbaut. Auch im Mittelalter und den darauffolgenden Jahrhunderten wurde Bingen durch seine strategische Lage sehr geschätzt. Und deshalb gehörte Bingen nicht durchgehend von ca. 983 bis 1800 zum Erzbistum Mainz, Kurmainz, sondern auch ein paar Mal zu Frankreich, zur Kurpfalz und sogar Schweden.


Abb.: Der Kupferstich von Matthäus Merian wurde 1646 veröffentlicht, basiert aber auf Merians Reise nach Bingen um 1620. Er befindet sich im Museum am Strom, Bingen (Stadtarchiv Bingen)

Denn eine verkehrsgünstige Lage verheißt nicht nur einen geeigneten Ort für Treffen und Handel, sondern auch für Eroberungen. Und für Verhandlungen und militär-strategische Möglichkeiten. Letzteres ballte sich im Frühjahr 1621 in Bingen am Rhein.

Bingen als beliebter Kongress-Standort
Am 16. Juni 1614 fand der „Binger Ligatag“ statt. Es trafen sich die katholischen rheinischen Stände in Bingen, um über die Erhöhung ihrer Verteidigungsfähigkeit zu diskutieren. Dazu bedurfte es der endgültigen Teilung des rheinischen Direktoriums in einen ober- und einen niederrheinischen Bezirk mit zwei Kriegsdirektorien innerhalb der katholischen Liga. Die Grenzen markierten die Flüsse Mosel und Lahn, wobei das Erzbistum Trier komplett zum oberrheinischen Bereich gehörte

Am 7. Juli 1628 fand in Bingen eine Versammlung zumindest eines Teils der Katholischen Liga statt, nämlich der vier rheinischen Kurfürsten (Mainz, Trier, Köln und Bayern als Nachfolger für den pfälzischen Kurfürsten). Sie diskutierten über die Absetzung des kaiserlichen Feldherrn Wallenstein, die der bayerische Kurfürst forderte. Die anderen drei Kurfürsten sprachen sich jedoch gegen diese kompromisslose Lösung aus und zog ein Abwarten vor.

Bingen, der Treffpunkt
Nachdem der katholische Heerführer Ambrosio Spinola bereits im August und September 1620 durch Bingen gezogen war und einige seiner Soldaten in Bingen stationiert waren, kehrte er im Januar 1621 zurück. Diesmal nicht zur Besetzung von Bad Kreuznach, sondern um Verhandlungen zu führen. So saßen sich in Bingen die Bevollmächtigten des Kaisers, darunter Spinola, und die Bevollmächtigten des hessischen Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel gegenüber. Es ging um die Forderung der Kaiserlichen, die hessische Zollschranke auf Höhe des Binger Lochs freizustellen. Das bedeutete für Hessen und die ganze Protestantische Union, dass ihr freier Durchgang entlang des Rheingrabens unterbrochen wird und in die Gewalt des Kaisers und der Katholischen Liga fällt – samt dem Verlust der sehr ertragreichen Zolleinnahmen der Schiffe auf dem Rhein.

Spinola forderte außerdem den freien Durchzug seiner Soldaten auf beiden Seiten des Mittelrheins und lenkte damit das Gespräch auf die übriggebliebene Einflussnahme der protestantischen Union im Generellen. Im Klartext: Wenn der hessische Landgraf und gläubige Calvinist Moritz sein Land vor einer kriegerischen Eroberung sichern möchte, müsse er sich von der Union absagen. Das war ein starkes Stück. Und die hessischen Gesandten, Eitel von Berlepsch, Graf Wilhelm Georg von Solms, Johann Bernhard von Dalwigk und Christian von Boyneburg, wurden unsicher, denn darauf waren sie nicht vorbereitet. Sie hatten von Moritz von Hessen-Kassel keine Vorgaben bekommen und baten daher um eine Unterbrechung der Verhandlungen. Doch sie ließen sich von den kaiserlichen Gesandten irritieren, die ihnen nur eine zweiwöchige Unterbrechung der Verhandlungen gewährten. Deshalb nahmen die hessischen Gesandten die Forderungen von katholischer Seite an, ergänzten aber, dass sie es anschließend noch mit dem Landgrafen absprechen wollten.

Das taten sie – und Landgraf Moritz tobte über das Verhalten seiner Bevollmächtigten. Wieso hatten sie die Forderung schon vorbehaltlich angenommen? Das sei Amtsmissbrauch! Anderthalb Monate rang der Landgraf mit sich, weshalb die Verhandlungen, die am 24. Januar 1621 begonnen hatten, erst nach mehr als zwei Monaten abgeschlossen wurden. Am 5. April verpflichtete sich Landgraf Moritz als einer der damaligen Wortführer der protestantischen Union, von dieser und dem geächteten ehemaligen Pfalzgrafen, Kurfürsten von der Pfalz und böhmischen König Friedrich V., abzulassen. Dafür wurde sein Land von kaiserlichen Soldaten verschont.

Das also beinhaltete das Binger Traktat, das den frühen Frieden bedeutet hätte.

Bingen, die Friedensstadt
Aber wieso ist im Museum am Strom nun das Binger Traktat von 1621 ausgestellt und nicht der Binger Friedensvertrag?


Abb.: Das Binger Traktat im Museum am Strom in Bingen (Stadtarchiv Bingen)

Das hat mit der eingangs erwähnten seltenen Verwendung von Frieden, zu tun und dem gleichen Ursprung von Friede (pax) und Vertrag bzw. Vereinbarung (pacti, pactio). Das verdeutlicht noch einmal, wie sehr damals zwischen dem politischen Frieden (Beendigung eines Krieges durch einen Vertrag) und dem himmlischen, religiösen Frieden (Erlösung, Ewigkeit) unterschieden wurde.

Im 17. und 18. Jahrhundert werden also für den Binger Frieden ganz unterschiedliche Begriffe verwendet. Nicht nur Traktat, sondern auch Verhandlung oder Vertrag. Binger Friede, Binger Vertrag, Binger Vereinbarung – so viel Unterschied gab es damals weithin nicht.


Abb.: Pax Aurea. Kupferstich von Daniel Meisner, 1620 er Jahre, im Museum am Strom, Bingen, erinnert an den Binger Frieden (Stadtarchiv Bingen).

Umso überraschender ist dieser Kupferstich. Mit „Pax Aurea“, goldener Friede, übertitelt, zeigt er eine völlig andere, einmalige Überlieferung. Der Stich wurde in den 1620er Jahren von Daniel Meisner erstellt. Also nur wenige Jahre nach dem Ereignis, als – wie eingangs erwähnt – das damalige deutsche Reich noch gar nicht von einer intensiven Friedenssehnsucht ergriffen worden war. Und zu einer Zeit, als Bingen noch nicht viel unter den Konsequenzen des 30jährigen Krieges gelitten hatte.

Untertitelt ist der Stich mit den lateinischen Worten: „Nulla salus bello, / pacem te poscimus omnes: / Aurea libertas in firma pace tenetur.“ (Kein Heil durch den Krieg. / Frieden, wir fordern dich alle: / Goldene Freiheit wird durch dauerhaften Frieden bewahrt.). Die daran anschließenden deutschen Worte demonstrieren, dass Meisner nicht damit rechnete, dass der Krieg erneut angefacht werden und Bingen davon betroffen sein könne.

Der Binger Friede hätte in der Tat weitreichende Folgen haben können.

Bingen im Krieg
1631, durch den Eintritt von Schweden in den 30jährigen Krieg, wurde Bingen nicht mehr nur aus militär-strategischen Gründen in den Krieg involviert, sondern besetzt. Der schwedische König Gustav Adolf war bereits im Dezember 1631 im Rheingau gegenüber von Bingen, orientierte sich dann aber zunächst in Richtung Bayern. Im Frühjahr 1632 kehrte er zurück und konnte zügig die Stadt einnehmen. Bei den Kämpfen zwischen Schweden und den in Weiler lagernden kaiserlichen Soldaten wurde jedoch Kloster Rupertsberg zerstört.

Von April 1632 bis Mai 1660 war Bingen dann fast dauerhaft besetzt, allerdings von Militärpersonen wechselnder Herkunft. Der Krieg endete für Bingen nicht mit dem Westfälischen Frieden, sondern vielmehr mit dem Abzug der französischen Truppen im Mai 1650. Daran schloss sich aber noch eine zehnjährige Zeit als kurfürstliche Garnisonsstadt an. Erst 1660 war Bingen wieder selbstständig. Wenn auch nur für ein Vierteljahrhundert, denn 1689 wurden die Stadt Bingen und ihre Umgebung von französischen Truppen gebrandschatzt. Es begann die Zeit des neunjährigen Krieges, der umgangssprachlich auch als Pfälzischer Erbfolgekrieg bezeichnet wird.

Bingens Besatzungen im 30jährigen Krieg
Da es zahlreiche Legenden oder Halbwahrheiten in der heimatgeschichtlichen Literatur gibt, die sich als Narrativ weitervererben, hier etwas Fakten.

04.1632 – 08.1634 Schweden Die Zeit der schwedischen Besatzung war weitaus nicht so drastisch wie in manch allzu unkritischer heimatkundlicher Literatur beschrieben: Es gab keine systematische Zerstörung, Tötungen und Brandstiftung (Ausnahme: Rupertsberg).
08.1634 – 08.1635 Kaiser & Kurmainz (verbündet) Im Frühjahr/Sommer 1635 fanden einige Kämpfe zwischen kaiserlichen Truppen aus Bingen und weimar-französischen im Rheingau statt.
08.1635 – 12.1635 Weimar & Frankreich (verbündet)
12.1635 – 11.1639 Kaiser & Kurmainz (verbündet)
11.1639 – 08.1640 Weimar & Frankreich (verbündet) Unmittelbar vor nach der erneuten Eroberung der Stadt durch weimarische Truppen flohen viele Bürger. Tatsächlich waren diese neun Monate die wirtschaftlich verheerendste Phase des Krieges für Bingen.
08.1640 – 07.1641 Kaiser & Kurmainz (verbündet) Nach der erneuten Rückeroberung folgte ein strenges Strafgericht des Mainzer Domkapitel gegen jene Binger Bürger, die lieber aus der Stadt geflohen waren als diese zu verteidigen.
07.1641 – 08.1644 ohne Besatzung
08.1644 – 05.1650 Weimar & Frankreich (verbündet)
05.1650 – 1660 Kurmainz

Dieser Artikel erschien auch unter dem gleichen Titel im aktuellen Bingen-Heft, das sich frei verfügbar anschauen und downloaden lässt. In dem Heft befindet sich auch eine kurze wissenschaftlich fundierte Geschichte des Winzerfestes, die in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Bingen entstanden ist.

Kontakt:
Stadtarchiv Bingen
Herterstraße 35
55411 Bingen-Bingerbrück
Tel.: 06721 / 184-354
Fax: 06721 / 184-359

Quelle: Stadtarchiv Bingen, Archivalien erzählen Geschichte(n), Februar 2021