Rund 50.000 Häftlinge, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebten, standen 1945 vor dem Nichts. Diesen, von den Alliierten so bezeichneten Displaced Persons (DPs), stellten die Briten in der Kaserne Hohne einen Aufenthaltsort. Seit Mai 1945 bis Anfang der 50er Jahre kamen rund 600 Juden in Celle in Wohnungen unter, oft Tür an Tür mit Celler Bürgern. Das Stadtarchiv Celle, die Celler Synagoge und die Gedenkstätte Bergen-Belsen rufen nun für Forschungszwecke Zeitzeugen auf, sich zu melden.
Etwa 60.000 Häftlinge aus allen von den Nationalsozialisten besetzten europäischen Staaten, davon die Hälfte Juden, befreiten die Briten am 15. April 1945 aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. In den ersten drei Monaten nach der Befreiung starben noch einmal 14.000 ehemalige Insassen an den Folgen der Haft. Die Überlebenden wurden in Kasernen untergebracht. Bergen-Belsen ist das einzige deutsche Konzentrationslager, in dessen unmittelbarer Nähe nach Kriegsende ein Lager für DPs, das Camp Hohne, wie es die Briten nannten, eingerichtet wurde. Mittelfristiges Ziel war die endgültige Rückführung der Zwangsverschleppten in ihre Heimatländer (Repatriierung). Für die meisten osteuropäischen Juden gab es keine Perspektive mehr im einstigen Heimatland. Die Alternative auswandern war nicht immer schnell zu realisieren.
In den Wochen nach der Befreiung gelingt es rund 600 Juden, allmählich in Celle in Privatwohnungen unterzukommen. Beweis hierfür ist eine Kartei aus dem Einwohnermeldeamt, die an das Stadtarchiv übergegangen ist. In ihr finden sich aufgelistet Adressen aus dem Stadtgebiet und den angrenzenden Stadtteilen Celles. „Wie die Juden den Kontakt zu den Cellern knüpften ist nicht überliefert“, sagt Thomas Rahe, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die Sprache dürfte bei den überwiegend polnischen Juden mit guten Deutschkenntnissen kein Problem gewesen sein. „Die Frage ist nur, mit welchen Gefühlen die Celler den Juden begegnet sind, gegen die noch Monate vorher Hasstiraden geschürt wurden“, so Rahe.
Überliefert ist, mit welcher Energie die Juden versuchten, sich in Celle zu etablieren. Bereits im Juni 1945 gründete sich unter der Führung eines aus Polen stammenden Rabbiners, Israel Mojsze Olewski, eine jüdische Gemeinde mit anfangs 100, später mehreren hundert Personen. „Aber das ist kein Indikator für den Willen einer Eingliederung“, meint Rahe. Erklärtes Ziel sei immer die Auswanderung gewesen und nicht „im Land der Mörder“ zu bleiben. Wegen der Einwanderungsquoten, auch für Palästina, hätten die Juden oft jahrelange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
Obwohl Celle für fast alle nur eine Durchgangstation war, richteten sich die Ex-Häftlinge in ihrer neuen „Heimat“ ein: Allein bis Anfang der 50er wurden 31 Kinder von in Celle lebenden Juden geboren. Ein Zeichen für den ungeheuren Drang nach Zukunft, Familie und gesicherte Existenz. Außerdem wurden Gewerbe angemeldet, eine Lagerzeitung herausgebracht und ein jüdisches Komitee gefür Celle gründet.
Weitere Aufschlüsse über das Leben der Juden in Celle verspricht sich Rahe nun aus den Berichten von Zeitzeugen. Dafür, dass die Gedenkstätte den Aufruf erst jetzt startet hat Rahe eine Erklärung: „Wir haben erst 1987 mit der Arbeit begonnen und mussten zunächst eine Grundlage für die Forschung schaffen“, sagt er. „Das kostet Zeit und Geld.“ Erst seit drei Jahren stelle der Bund Mittel für Forschungsprojekte dieser Art zur Verfügung.
Zeitzeugen gesucht
Sabine Maehnert, Leiterin des Celler Stadtarchivs, und Thomas Rahe, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, bitten Zeitzeugen, die Juden nach der Befreiung aufgenommen haben oder anderweitig mit ihnen in der Zeit von 1945 bis Anfang der 50er in Celle in Kontakt gekommen ist, sich zu unter Telefon (05141) 936000 oder 9360010 sowie via Internet unter sabine.maehnert@celle.de zu melden. Rahe plant, zu Forschungszwecken ihre Erinnerungen von einem professionellen Videoteam in Bergen-Belsen aufzeichnen zu lassen. Mitarbeiter der Gedenkstätte bieten sich an, Zeitzeugen, die nicht mobil sind, abzuholen oder zu Hause zu besuchen.
Kontakt:
Stadtarchiv Celle
Westerceller Str. 4
29227 Celle
Tel. 05141/936 00 0
Fax 05141/936 00 29
stadtarchiv@celle.de
http://www.celle.de/kultur/archiv.htm
Quelle: Cellesche Zeitung, 7.8.2003
Schimmelpilze im AdK-Archivkeller
Die Akademie der Künste scheint beim Bau ihres neuen Hauses am Pariser Platz vom Pech verfolgt zu sein. Nach dem Streit um ausstehende Zahlungen für das Projekt und den Stopp der Arbeiten durch die Baufirma wurde gestern bekannt, dass die Archivräume von Schimmelpilzen befallen sind.
Ein Mitarbeiter habe am 31. Juli im vierten Untergeschoss „einen massiven Befall der Wände mit Schimmelpilzen entdeckt“, heißt es in einer Erklärung der Akademie. „Als Sofortmaßnahme versucht man, die Luftfeuchtigkeit rauszukriegen“, sagte der Präsidialamtssekretär der Akademie, Hans Gerhard Hannessen, der Berliner Zeitung. Die Akademie sieht sogar den Sinn des Neubaus am Pariser Platz in Frage gestellt. Denn am Dienstag wurde ihr ein Schreiben des Generalunternehmers, der Firma Pegel & Sohn, an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bekannt. Darin heißt es: „Weiterhin machen wir – wie schon in der Vergangenheit – darauf aufmerksam, dass die Untergeschosse nicht für Archive geeignet sind.“ Die Menge der Luftumwälzung sei für „ein hochwertiges Archiv nicht geeignet“.
In der Erklärung der Akademie heißt es dazu, dies sei ihr bisher verschwiegen worden. Für die Akademie sei es aber gerade entscheidend, dass die Untergeschosse voll nutzbar sind. „Sonst hat das Gebäude keinen Sinn“, sagt Hannessen. Bis in zwölf Meter Tiefe reichen die Untergeschosse, die Platz für die wertvollen Bestände der Akademie bieten sollen. „Der Auftrag war, vier Magazinetagen anzulegen – für hochwertiges Archivmaterial“, sagt Hannessen. „Wir müssen gewährleisten, dass die Kunstsammlungen konservatorisch korrekt bewahrt werden.“ Es komme ihm vor, „als wenn man ein Opernhaus baut und nicht bedenkt, dass dort ein Orchester spielen muss“, ärgert er sich.
Sollten die Untergeschosse nicht geeignet für das Archiv sein, wäre damit etwa die Hälfte der Fläche in der neuen Akademie betroffen. Lediglich die Veranstaltungssäle und Ausstellungsflächen in den übrigen Etagen wären dann nutzbar. Die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Petra Rohland, sagte, sie könne die Darstellung, die Untergeschosse seien für ein Archiv ungeeignet, nicht nachvollziehen. Zu dem Schimmelbefall sei es nach Auskunft der Firma Pegel gekommen, weil eine andere Firma die Baustelle vor dem Verlassen abgeschlossen habe, ohne für eine ausreichende Luftzikulation zu sorgen. Jetzt werde der Schaden beseitigt. Vom Architekturbüro Günter Behnisch, der das Gebäude entwarf, war gestern keine Stellungnahme zu erhalten.
Ursprünglich sollte das Archiv am bisherigen Akademie-Standort am Hanseatenweg in Tiergarten erweitert werden. Nach dem Mauerfall wurde diese Planung jedoch geändert und die Akademie sollte an ihren alten Standort am Pariser Platz zurückkehren. Um Geld in die Kassen des Landes Berlin zu spülen, wurde der hintere Teil des Akademie-Grundstücks an der Behrenstraße verkauft. Dort entstand ein Erweiterungsbau des Hotel Adlon. Eigentlich hätte das Archiv in diesem Bereich errichtet werden sollen. Nach dem Verkauf des Grundstücksteils wurden die Untergeschosse bis zu einer Tiefe von zwölf Metern notwendig. Dass dort wertvolle Kunstwerke und Archivalien aufbewahrt werden sollte, habe man den Senatsverwaltungen „in aller Klarheit“ mitgeteilt, teilte die Akademie mit.
Archivare vertreten zwei Glaubensrichtungen
Bei der Wahl der geeigneten Mittel zur dauerhaften Sicherung von Dokumenten gibt es unter Archivaren zwei Glaubensrichtungen: Eine Gruppe setzt auf natürliche Baumaterialien, die andere auf die Technik in Form einer ordentlichen Klimatisierung. Die war besonders bei Bauten, die nach dem nach Zweiten Weltkrieg entstanden, angesagt. Aber die Technikgläubigen bekamen in den siebziger und achtziger Jahren Konkurrenz durch die Naturanhänger. Dabei hat möglicherweise auch die Ölkrise und die damit zusammenhänge Frage, was bei Stromausfällen passiert, eine Rolle gespielt.
Entscheidend für die sachgerechte Lagerung von kostbaren Dokumenten sind zwei banale Werte, erzählt ein promovierter Archivar, der seinen Namen allerdings lieber nicht in Zusammenhang mit den Schimmel-Problemen im unterirdischen Archivtrakt des Neubaus der Akademie der Künste in der Zeitung lesen möchte: eine Temperatur, die zwischen 14 und 16 Grad Celsius liegen sollte, und eine 40- bis 45-prozentige Luftfeuchtigkeit. Kommt es zu Schwankungen, sollten diese gleichmäßig ausfallen.
Ist im Archiv der Schimmel schon drin, darf es nicht mehr zum Sporenflug kommen. Der wird verhindert, indem die Akte luftdicht verpackt wird. Der Nachteil dieser Maßnahme liegt auf der Hand: das Dokument ist nicht mehr einsehbar. Je nachdem, was drinsteht, kann dies natürlich auch ein Vorteil sein. Soll das kontaminierte Werk zugänglich bleiben, kann es durch Begasung von Schimmelpilzsporen befreit werden.
Quelle: BZ, 7.8.2003, Morgenpost, 8.8.2003
Mediensammlungen in Deutschland im internat. Vergleich
Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland lädt ein zu dem internationalen Symposion „Mediensammlungen in Deutschland im internationalen Vergleich. Bestände und Zugänge“, das am 7. und 8. Oktober 2003 in Bonn stattfindet.
Zentrales Anliegen des vom Haus der Geschichte in seiner Funktion als geschäftsführendes Institut des Netzwerkes Mediatheken in Kooperation mit dem Deutschen Rundfunkarchiv veranstalteten Symposions ist es, Zugänge zu dem Kulturgut „audiovisuelle Medien“ zu schaffen. Das Symposion diskutiert die Bedeutung von Mediensammlungen. Hierbei werden die Sicht der Kulturpolitik und die Funktion von Mediensammlungen für die Informationsgesellschaft beleuchtet sowie damit zusammenhängende Fragen des Urheberrechts erörtert.
Ausführliche Informationen zum Programm der Tagung und Anmeldeformulare sind unter der folgenden Adresse abrufbar: http://www.netzwerk-mediatheken.de/html/termine/symp.html
Programm:
Dienstag, 7. Oktober 2003
10.30
Begrüßung
Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Prof. Dr. Hermann Schäfer
10.45
Eingangsreferate
Kulturpolitische Aspekte von Mediensammlungen
Ministerialdirektor bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Dr. Knut Nevermann
Mediensammlungen als Kulturgut
Intendant des WDR
Fritz Pleitgen
Das audiovisuelle Erbe als öffentliches Gut – SCENAA, ein europäisches Netzwerk
Direktor des Tonarchivs der British Library
Crispin Jewitt
Diskussion
Moderation: Prof. Dr. Dieter Wiedemann, Potsdam
12.30 Mittagspause
13.45
Klassische Archive
Zugänge zum Filmarchiv des Bundesarchivs
Karl Griep, Berlin
Aufbau eines nationalen AV-Medien-Zentrums: Neue Ansätze zur digitalen Datensicherung und zum Zugang in der U.S. Library of Congress
Gregory Lukow, Washington, D.C.
Sammlungen audiovisueller Medien in Frankreich
NN
Diskussion
Moderation: Veit Scheller, Mainz
15.45
Hörfunk- und Fernseharchive
Das Deutsche Rundfunkarchiv und seine Einbettung in die Medienarchivlandschaft
Hans-Gerhard Stülb, Frankfurt/Main – Potsdam-Babelsberg
Die Archive des Westdeutschen Rundfunks
Dr. Gisela Süle, Köln
Das Fernseharchiv eines EU-Landes: ORF
Dr. Peter Dusek, Wien
Diskussion
Moderation: Ulrike Leutheusser, München
18.00 Empfang im Palais Schaumburg
Mittwoch, 8. Oktober 2003
9.00
Begleitung durch die Dauerausstellung des Hauses der Geschichte
10.00
Spezielle Mediensammlungen (Teil I)
Das Haus des Dokumentarfilms
Wilhelm Reschl, Stuttgart
Das Haus der Geschichte im Netzwerk Mediatheken
Dr. Dietmar Preißler, Bonn
Die Stiftung Deutsche Kinemathek
Hans-Helmut Prinzler, Berlin
Diskussion
Moderation: Prof. Dr. Peter M. Spangenberg, Bochum
11.30
Spezielle Mediensammlungen (Teil II)
Der Arbeitskreis „Historische Medien – Filmarchive“ der Landesmedienzentren
Rudolf Geisler, Bremen
Das Konzernarchiv der DaimlerChrysler AG
Dr. Harry Niemann, Stuttgart
Memoriav – ein Netzwerk zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz
Kurt Deggeller, Bern
Diskussion
Moderation: Hans-Gerhard Stülb, Frankfurt/Main – Potsdam-Babelsberg
13.00 Mittagspause
14.00
AV-Medien im Spannungsfeld zwischen Urheberschutz und Nutzung des Kulturguts
Von Gütern, Hütern und Nutzern: Urheberrecht und Informationszugang – Ein Widerspruch?
Prof. Dr. Thomas Dreier, Karlsruhe
Urheberschutz zwischen Archivierungspflicht und Werkzugang
Prof. Dr. Tomas Brinkmann, Frankfurt/Main
Datenschutzrechtliches Medienprivileg
Christoph Bach, Mainz
Die europäische Rechtsdimension
NN
Diskussion
Moderation: Dr. Axel Bussek, Straßburg
16.30
Abschlussdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Hermann Schäfer, Bonn
Kontakt:
Claudia Wagner
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee 14,
53113 Bonn
+49 (0)228 / 9165-0
+49 (0)228 / 9165-302
wagner@hdg.de
Zentraler Bergungsort der BRD
In Oberried bei Freiburg wird das kulturelle und politische Vermächtnis der deutschen Nation verwahrt. Im Stollen eines alten Silberbergwerks lagern mehr als 600 Millionen Mikrofilmfotografien, auf denen Dokumente deutscher Geschichte gespeichert sind, verpackt in luftdichten Edelstahlcontainern, geschützt vor saurem Regen und radioaktiver Strahlung. Die Dokumente legen Zeugnisse vom Leben, Denken und Wirken unserer Zivilisation ab, wenn Deutschland längst von der Landkarte verschwunden sein wird. 1972 hatte das Bundesamt für Zivilschutz mit dem Stollenausbau unterm Schauinsland begonnen, knapp drei Jahre später trafen unter Ausschluss der Öffentlichkeit die ersten Mikrofilmbehälter ein.
Ein Schild mit drei nach unten spitz zulaufenden Emblemen in Blau und Weiß am Eingang des Stollens besagt: Hier lagert unter besonderem Schutz der Haager Konvention stehendes Kulturgut. Nur fünf Objekte weltweit fallen bisher unter diese Kategorie: der Vatikanstaat, drei Lagerstätten für Kulturgut in den Niederlanden und eben der „Zentrale Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland„.
Die Vereinten Nationen hatten 1954 einen Vertrag zum Schutz von Kulturgütern ausgearbeitet. Darin verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, im Kriegsfall Kulturgut weder zu zerstören noch sich widerrechtlich anzueignen. Bis heute sind 103 Staaten der Haager Konvention beigetreten, darunter die meisten europäischen Länder. Die Bundesrepublik hat das Abkommen 1968 ratifiziert. „Während des jugoslawischen Bürgerkriegs wurden ganz bewusst Archive angegriffen“, sagt der Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber, „um Identitäten zu zerstören. Die Europäische Union versucht jetzt, den Archivaren zu helfen. Beispielsweise um Sterbe- und Geburtsregister zurückzusichern, um den Bewohnern Identität zu geben, damit man nachweisen kann, welcher ethnischen Gruppe wer angehört.“
Zuständig für die Anlage ist das Bundesverwaltungsamt, Abteilung Zivilschutz, das stolz von der „Schatzkammer der Nation“ spricht. Sie liegt im Barbara-Stollen unter einigen hundert Metern Granit. Er ist etwa 850 Meter lang, von denen 450 Meter ausgebaut sind. Parallel zum Hauptstollen verlaufen die beiden Lagerstollen, gesichert durch Stahltüren mit Zahlenkombinationsschlössern. Hier unten liegt die Temperatur konstant das ganze Jahr über bei bis zu zehn Grad, die relative Luftfeuchtigkeit bei durchschnittlich 75 Prozent. Das Filmmaterial ist in 1.400 luftdichten Edelstahlbehältern verwahrt, die in doppelstöckigen Regalen lagern. In dem staub- und schadstofffreien Mikroklima können die Filme mindestens 500 Jahre liegen.
Seit 1960 werden in der Bundesrepublik Archivalien abgefilmt, schriftliche oder graphische Zeugnisse der Geschichte, die nur in einem Exemplar existieren. Sie könnten im Zuge bewaffneter Konflikte, durch Naturkatastrophen, Tintenfraß oder Papierzerfall zerstört werden. Schützenswerte und mithin verfilmte Dokumente sind beispielsweise die Baupläne des Kölner Doms, die Bannandrohungsbulle von Papst Leo X. gegen Martin Luther, ein Schreiben von Voltaire an Herzog Karl Eugen von Württemberg, der Vertragstext des Westfälischen Friedens oder das Protokoll der Wannsee-Konferenz.
Fast alle europäischen Länder sind wie Deutschland dabei, eigene Archiv- und Bibliotheksbestände auf Sicherungsfilm zu übertragen. Doch nur die Deutschen und die Schweizer haben schon Endlager eingerichtet – oder auch die Mormonen, die in den Rocky Mountains bei Salt Lake City in einem Stollen ihre Stammbäume für die Ahnenforschung lagern.
Was in Deutschland verfilmt wird, entscheiden die Archivverwaltungen des Bundes und der Länder. Die Richtlinien für den Schutz von Kulturgütern schreiben einen „repräsentativen Querschnitt in zeitlicher, regionaler und sachlicher Hinsicht“ vor. Das ist ziemlich unpräzise, doch man habe „die Formulierung nicht umsonst so allgemein gehalten, weil sich Archivgut vom Inhalt her nur schwer normieren lässt. Vorschriften sind dazu da, um flexibel gehandhabt zu werden“, sagt Uwe Schaper, stellvertretender Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam und zuständig für die Sicherungsverfilmung.
Die zuständigen Kommissionen pflegen einen Archivbegriff, der sich ausschließlich am Staat orientiert, das heißt, was der Staat nicht selbst archivalisch produziert und erfasst hat, bleibt außen vor, private Archive also, Bibliotheken und Sammlungen. Weder das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut, das sich mit Geschichte und Wirkung des Holocausts beschäftigt, ist im Oberrieder Stollen vertreten noch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das Geschichte und Kultur, Kunst und Literatur des deutschen Sprachraums sammelt und erforscht.
Lässt sich da überhaupt von einem „repräsentativen Querschnitt“ sprechen? Und verkommt die Sicherungsverfilmung für den Barbara-Stollen nicht zur Sisyphusarbeit angesichts der Dokumentationsflut staatlicher Organe? Muss man als Archivar nicht verzweifeln? „Als Archivar lernen Sie, mit der eigenen Endlichkeit zu leben“, sagt Schaper, „Sie bewegen sich mit den Unterlagen, die Sie verwalten, in mehreren Jahrhunderten. Sie lernen Leute kennen, wie sie gehandelt haben, auf dem Höhepunkt ihres Seins und wie sie von der Bildfläche verschwinden. Wir können nicht alles hinterlassen. Wobei die Frage auch ist: Müssen wir unseren Nachfolgern alles hinterlassen?“
Der Etat für den unterirdischen Kulturgutbunker ist lächerlich gering: drei Millionen Euro. „Wir haben keine Lobby“, klagt Roland Stachowiak, verantwortlich für „Kulturgutschutz“ beim Bundesverwaltungsamt, „wir haben eine konstante Mangelverwaltung.“ Das archivarische Über-lieferungsbedürfnis ist gigantisch, doch nur was der „Dringlichkeitsstufe 1“ entspricht, kommt auf Film. Die Gesellschaft mutet allein den Archivaren die Entscheidung darüber zu, was Historikern als relevant erscheinen könnte.
Die in Konstanz lehrende Literaturwissenschaftlerin und Gedächtnisforscherin Aleida Assmann hält „das für völlig absurd. Das ist eine Frage, die man ihnen nicht allein überlassen sollte. In einer demokratischen Gesellschaft müssten die Auswahlkriterien viel stärker Gegenstand einer öffentlichen Debatte sein. Und die Archivare wünschen sich auch nichts Besseres, als dass man ihnen unter die Arme greift. Aber sie machen ihre Probleme nicht öffentlich. Das ist ein sehr unbefriedigender Zustand.“
Wofür wird man den unterirdischen Archivbunker der Bundesrepublik Deutschland in 500 Jahren halten? Nirgendwo findet sich eine Benutzerordnung oder eine Gebrauchsanleitung, nur kalte Edelstahlcontainer voller Mikrofilme; nicht einmal ein Lesegerät gibt es. Die Unesco in Paris führt ein internationales Register, in dem der Barbara-Stollen eingetragen ist. Aber wer kann den Erhalt des Registers garantieren? Wer weiß den Ort des geheimen Schatzes zu nennen, wenn Deutschland einmal von der Landkarte verschwunden sein sollte? Wer kann die Eingangstür zum Stollen überhaupt öffnen – nach der Katastrophe?
Quelle: FR, 8.8.2003.
Stadtarchiv Grimmen wurde 1954 ausgelagert
In einer Nacht- und Nebelaktion wurde das Grimmener Stadtarchiv 1954 an das Staatsarchiv Greifswald ausgelagert. Es handelte sich um etwa 50 laufende Meter Akten. Als Begründung wurde angegeben, dass die Verantwortlichen Grimmens auf die unzureichende Sicherheit und mangelnde fachliche Betreuung hinwiesen. Andere Unterlagen mussten auf Weisung nach Schwerin abgegeben werden. Die Grimmener Heimatfreunde des Kulturbundes und der Erweiterten Oberschule, die sich intensiv mit der Stadtgeschichte beschäftigten, wurden darüber nicht informiert.
Links:
Quelle: Ostsee-Zeitung, 7.8.2003
750 Jahre Werner Bund
Im Stadtarchiv Lippstadt läuft derzeit und noch bis zum 19. September die Ausstellung „750 Jahre Werner Bund. Eine Urkunde erzählt“. Die Zeit um 1250 war eine unruhige und unsichere Zeit. Stadtbürger, vor allem Kaufleute, wurden von Rittern und Knappen überfallen, beraubt, nicht selten gefangen genommen und erst gegen ein ansehnliches Lösegeld wieder freigelassen.
Diese Situation wollten und konnten die Städte nicht länger hinnehmen. Deshalb schlossen am 17. Juli 1253 auf einer Brücke über der Lippe bei Werne Vertreter der Städte Münster, Dortmund, Soest und Lippstadt einen Bund. Gemeinsam wollten sie gegen das 'Raubrittertum' vorgehen, das den für die Städte so wichtigen Handel immer stärker bedrohte. Ihre Gegner waren ihnen an Waffen und militärischer Gewalt überlegen. Welche Möglichkeiten hatten da die Städte überhaupt, um Frieden und Handel zu sichern?
Darüber berichtet die im Stadtarchiv Lippstadt überlieferte Urkunde des Werner Bundes:
- die Vorgeschichte, also die Gründe für den Bündnisschluss,
- die einzelnen Vereinbarungen,
- und sogar einen Teil der Folgen.
An diesen Bund erinnert das Stadtarchiv Lippstadt mit der Präsentation der Bundesurkunde. Die Urkunde ist mit vielen Erläuterungen noch bis zum 19. September 2003 im Foyer des Stadtarchivs zu sehen.
Kontakt:
Stadt Lippstadt, Fachdienst Archiv und Museum
Dr. Claudia Becker
Soeststr. 8
59555 Lippstadt
Tel. 02941/980-262
mail: stadtarchiv-lippstadt@web.de
Öffnungszeiten:
Mo, Di, Do, Fr 8.30 – 12.30 Uhr sowie Di 14.00 – 16.00 und Do 14.00 – 17.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Nürnberger Prozesse im Internet
Die Elite-Universität Harvard stellt erstmals Dokumente und Fotos von den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen ins Internet. Rund eine Million Seiten werden veröffentlicht.
Die Veröffentlichung dieser Unterlagen helfe, die Wahrheit zu dokumentieren und mache es für Revisionisten schwieriger, die Geschichte zu verändern, sagte Harvard-Professor Harry Martin. Es gebe bei einigen Leuten die Tendenz, die Ereignisse in der Nazi-Zeit vergessen zu wollen, sie ungeschehen zu machen, sagte der Jurist Martin. Wenn man die Dokumente gesehen habe, sei dies schwerer.
Das Projekt koste zwischen sieben und acht Millionen Dollar, teilte Martin mit. Veröffentlicht würden Abschriften der Verhandlungen, dokumentierende Bücher und Akten mit Beweisen.
Die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Führer begannen 1945 und dauerten bis 1949.
Quellen: Der SPIEGEL, 4.8.2003; AP, 31.7.2003.
Jüdisches Leben in Blankenese
Martin Schmidt, promovierter Historiker und langjähriger Bürgerschaftsabgeordneter der GAL, und dreizehn weitere Blankeneser, darunter der Reeder Engelbert Büning, der ehemalige Richter am Hamburger Verfassungsgericht Wolf Dieter Hauenschild, Monika Lühmann und der ehemalige Staatsanwalt und Autor Dietrich Kühlbrodt, haben den „Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ gegründet.
Zusammen wollen sie zwischen Ostern und Pfingsten 2004 eine Ausstellung im Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde auf die Beine stellen. Kern der Ausstellung sind die Schicksale von vier prominenten Blankeneser Juden: des Kaufmannes Julius Asch (1875-1939), der Autorin Sophie Jansen (1862-1942), der Malerin Alma del Banco (1862-1943) und der Witwe des Lyrikers Richard Dehmel, Ida Dehmel (1870-1942). Sie alle nahmen sich aus Angst vor der Deportation das Leben.
Für Susanne Boehlich (53), die ehemalige GAL-Bürgerschaftsabgeordnete, ist die Arbeit an der Ausstellung eine aufwühlende persönliche Erfahrung. Sophie Jansen ist ihre Urgroßmutter. Im Staatsarchiv fand sie die dicke Akte mit den Dokumenten des Lebens ihrer Ahnin. Von der Geburtsurkunde bis zu den abstoßenden Fotos der Polizei. Motiv Freitod durch austretendes Gas in der Küche der Wohnung. Zwischen den amtlichen Formularen tauchte selbst der Abschiedsbrief der Jansen auf. „Den haben sie damals eingezogen, in den Akten verschwinden lassen. Die Familie hat ihn bis heute nie zu Gesicht bekommen“, sagt Boehlich.
77 weitere Blankeneser Juden und ihre Schicksale sind im Staatsarchiv dokumentiert. Ihre Geschichte ist der zweite Schwerpunkt der Ausstellung. „Von jüdischem Leben kann in Blankenese trotzdem kaum gesprochen werden“, sagt Martin Schmidt. Viele der Juden hatten sich assimiliert, waren zum evangelischen Glauben konvertiert und wurden erst von den Nazis zu Viertel-, Halb- oder Volljuden erklärt.
Der Verein setzt in der Dokumentation auf „Oral History“: Zeitzeugen, die erzählen können. Etwa vom „Stürmer-Kasten“ mit den neuesten Ausgaben des antisemitischen Hetzblattes am Blankeneser Bahnhof, von der Richard-Dehmel-Schule, die seit dem Dritten Reich und bis heute Gorch-Fock-Schule heißt, oder von den Blankeneser Ortspolizisten, die Juden im Sommer am Baden in der Elbe hinderten. Schmidt will auch Schüler und Schulen in die Recherchen einbeziehen, die den Schicksalen ehemaliger Schüler und Lehrer nachgehen sollen. „Die Ausstellung ist ein wichtiger Schritt hin zur Herstellung eines besseren Selbstverständnisses von Blankenese“, sagt Schmidt.
Ausgerichtet und wissenschaftlich begleitet wird die Ausstellung von Hannes Heer, der auch schon die Wehrmachtsausstellung leitete. Finanziert wird sie von Gönnern, die Schmidt in der betuchten Blankeneser Gesellschaft sucht. Schmidt: „Die Arbeit soll nach der Ausstellung weitergehen. Ein Archiv könnte entstehen, und vielleicht sollte auch jemand ein Buch darüber schreiben.“ Zeitzeugen können sich beim Verein unter 040 / 86 53 58 melden.
Quelle: Hamburger Abendblatt, 4.8.2003
Staatliches Archivwesen in NRW erhält neue Struktur
Das staatliche Archivwesen in Nordrhein-Westfalen wird zum 1. Januar 2004 umgestaltet: Die vier bisherigen Staats- und Personenarchive in Düsseldorf, Münster, Detmold und Brühl werden unter dem Dach des zentralen Landesarchivs zusammengefasst. Ihre fachlichen Aufgaben und regionalen Zuständigkeiten bleiben an den derzeitigen Standorten erhalten; hinzu kommen drei übergreifende Abteilungen, darunter das technische Zentrum mit einer zentraler Restaurierungswerkstatt. „Mit dem Landesarchiv schaffen wir eine moderne Dienstleistungseinrichtung für die Landesverwaltung, die wissenschaftliche Forschung und nicht zuletzt für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“, erklärte Kulturminister Dr. Michael Vesper.
Präsident des zukünftigen Landesarchiv wird, wie vor einigen Wochen berichtet, Prof. Dr. Wilfried Reininghaus (Bericht). Er leitet zurzeit das Nordrhein-Westfälische Staatsarchiv Münster. Am 1. September 2003 wird er als Leiter eines Aufbaustabes in das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport nach Düsseldorf wechseln und am 1. Januar 2004 sein Amt beim Landesarchiv antreten.
Quelle: Pressemitteilung des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, 5.8.2003.
Bertelsmannarchiv wieder zugänglich
Das im Oktober 2002 in München eröffnete Unternehmensarchiv der Bertelsmann AG ist nun auch nach seinem Umzug nach Gütersloh wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Seit dem 1. August 2003 stehen die Bestände den Nutzern in den Räumen des Gütersloher Corporate Center zur Verfügung.
Der Kern des Archivs, die während der Forschungsarbeiten der „Unabhängigen Historischen Kommission“ zusammengetragenen Akten vornehmlich aus der Zeit des Nationalsozialismus, wird nun kontinuierlich erweitert. Seit der offiziellen Eröffnung konnten weitere Bestände integriert werden. Neben den bereits vorhandenen Akten aus den Geschäftsvorgängen der Verlage C. Bertelsmann, Der Rufer sowie der Unternehmenseinheiten Universum Film Aktiengesellschaft und Bertelsmann-Lesering (teilweise noch in Bearbeitung) ist jetzt auch der Bestand des Chr. Kaiser-Verlags (1930-1960) erschlossen und für die Benutzung freigegeben; dieser traditionsreiche protestantisch-theologische Buchverlag war in den 1990er Jahren von dem zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Gütersloher Verlagshaus akquiriert worden.
Darüber hinaus hat das Unternehmensarchiv vor allem auch seine Sammlung von internen Medien und Publikationen erweitern können. Mitarbeiterzeitschriften sind seit den frühen 1950er Jahren nahezu lückenlos überliefert. Auch die Bibliothek, die seit der Verlagsgründung 1835 einen großen Teil, seit 1955 nahezu komplett die Verlagsproduktion des Hauses dokumentiert, kann mitgenutzt werden.
Kontakt:
Unternehmensarchiv Bertelsmann AG
Dr. des. Helen Müller
Carl-Bertelsmann-Str. 270
33311 Gütersloh
Phone +49 (0) 5241-80-89992
email: archiv@bertelsmann.de
