Urkunde Graf Engelbert II. von der Mark an die Bürger in Bochum

In seiner monatlichen Reihe „Schaufenster Stadtgeschichte“ präsentiert das Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte im Monat Juni 2021 eine Urkunde aus dem Jahr 1321.

Eine Stadt zu sein brachte im Mittelalter einige Privilegien mit sich, die sich auch auf die Bewohner auswirkten. Stadtrechte erhielt ein Ort aber nicht allein aufgrund seiner Größe, sondern sie mussten vom Landesherrn vergeben werden. Diese Vergabe wurde mithilfe einer Urkunde belegt, welche die erteilten Rechte an die Einwohner der Stadt festhielt.


Abb.: Urkunde vom 8. Juni 1321 (Quelle: Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte)

Für Bochum ist eine Urkunde vom 8. Juni 1321 erhalten, welche Graf Engelbert II. von der Mark den Bürgern Bochums ausstellte. Der Inhalt der Urkunde legt fest, welche Rechte und Gewohnheiten die Bürger Bochums selbst wahrnehmen dürfen und welche sich weiterhin der Graf vorenthält. So regelt die Urkunde u.a. die Kontrolle von Maßen und Gewichten, das Brauen und Backen, den Verkauf von Waren auf dem Bochumer Markt und das Erbrecht.

Geschrieben wurden diese Rechte mit Tinte auf Pergament. Leider hat die Urkunde im Laufe der Zeit einige Beschädigungen erlitten. So ist das Siegel mitsamt einem Stück des unteren Rands des Pergaments verloren gegangen. Auch weist die Urkunde deutliche Faltspuren und vereinzelte Beschädigungen auf.

Ob die Urkunde nun tatsächlich als Beleg der Stadtwerdung Bochums angesehen werden kann, war lange Zeit umstritten. Namhafte Historiker kamen hierüber zu gegensätzlichen Ansichten. Im Rechtssystem des Mittelalters war Bochum bislang als Hof angesehen worden. Die Urkunde von 1321 nun verleiht dem Ort sowohl Rechte, die traditionell einem Hof zuzuschreiben sind, als auch solche, welche einer Stadt zukommen würden. Engelbert II. verlieh den Bochumern somit nicht eindeutig Stadtrechte.

Auch wenn sie keine Stadtrechtsurkunde im eigentlichen Sinne ist, so legt sie doch manches fest, das zu einer Stadtwerdung gehörte. So kann die Urkunde als ein Meilenstein des Stadtwerdungsprozesses betrachtet werden, auf den eine Phase wirtschaftlicher wie räumlicher Ausdehnung folgte, bis Bochum Anfang des 15. Jahrhunderts endgültig als Stadt bezeichnet wurde. Ein Grund zum Feiern ist es also allemal!

Kontakt:
Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
Wittener Straße 47
44777 Bochum
Tel.: 0234 / 910-9510
stadtarchiv@bochum.de

Quelle: Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, „Schaufenster Stadtgeschichte“, Juni 2021

Der »Codex Maximilianeus« in Traunstein

Am 21. März 2021 starb nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren Dr. h. c. Dietrich Freiherr von Dobeneck. Der erfolgreiche Unternehmer und begeisterte Bergsteiger avancierte in den letzten Jahren seines erfüllten Lebens zu einem großzügigen und selbstlosen Mäzen des Traunsteiner Kulturlebens, wie es ihn in der langen Geschichte der Stadt wohl kaum gegeben hat. „So unterstützte er die Anlage des Salinenparks in der Au und stellte eine Million Euro zur Verfügung. Er förderte das Heimathaus Traunstein und überwies 500 000 Euro. Und Dietrich von Dobeneck spendete schließlich sein gesamtes Vermögen an die Stadt Traunstein“ [Pültz, Gernot: Unternehmer und Mäzen, in: Traunsteiner Wochenblatt, Nr. 72, 27.3.2021, S. 9] – mit der Auflage, es vorrangig in Projekte zu investieren, die das reichhaltige kulturelle Erbe der Stadt attraktiver zu machen. „Es war ihm wichtig, in Traunstein etwas zu bewegen und Spuren zu hinterlassen. Ich denke, das ist ihm gelungen.“ [ebd.] Mit dieser Einschätzung liegt Otto Huber, sein Weggefährte und enger Freund, ohne jeden Zweifel richtig.

Auch das Stadtarchiv Traunstein profitierte von der Großzügigkeit dieser außerordentlichen Persönlichkeit. Wertvolle Fotodokumentationen seiner bergsteigerischen Pioniertaten, darunter ein Album der legendären „Traunsteiner Hindukusch-Expedition“ 1961, sowie einige historische Dokumente, Bücher und Nachschlagewerke konnte das Stadtarchiv Traunstein vor Kurzem übernehmen. Darunter befindet sich auch ein Kleinod zur bayerischen Rechtsgeschichte, das in der Bibliothek des Stadtarchivs bislang fehlte und das auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen über dessen Schwester Lore von Dobeneck und den Traunsteiner Kreisarchivar Albert Rosenegger den Weg hierher gefunden hat: Der „Codex Maximilianeus“, das Bayerische Landrecht von 1616, eines der bedeutendsten Gesetzgebungswerke des Alten Reichs, das das gesamte bürgerliche und öffentliche Recht für Ober- und Niederbayern zusammenfasst.


Abb.: Die als kunstvoller Kupferstich gestaltete Titelseite („Titelkupfer“), eine Allegorie auf die Rechtsprechung (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Benannt ist es nach Herzog Maximilian (seit 1623 Kurfürst; * 17. April 1573, † 27. September 1651), dem politisch bedeutendsten Herrscher der altbayerischen Linie der Wittelsbacher, einem der hochrangigsten Fürsten seiner Zeit. Maximilian sanierte das Land finanziell und machte es wirtschaftlich leistungsfähig. Durch die Ausschaltung der ständischen Mitwirkungsrechte [Als Landstände bezeichnet man die politischen Vertretungen der Stände (Klerus, Adel und Bürger) in den europäischen Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit gegenüber dem jeweiligen Landesherrn] wurde er der eigentliche Begründer der absolutistischen Herrschaft in Bayern. Gleichzeitig war er eine prägende Person der Gegenreformation und der katholischen Reform. Seine innere Konsolidierungspolitik vergrößerte die außenpolitischen Spielräume des Landes. Und zu seinen zahlreichen herausragenden Leistungen gehörte eben auch das Landrecht von 1616.

Begonnen hatte diese Gesetzesrevision bereits unter seinem Vater Wilhelm V. [* 29. September 1548, † 7. Februar 1626; von 1579 bis zu seiner Abdankung 1597 Herzog von Bayern]. 1612 war ein erster Entwurf erschienen. Maßgeblich an der Entstehung dieses Codex, bei dem die Elemente des römischen gegenüber denen des germanischen Rechts in den Vordergrund traten, waren die Hofkanzler Johann Gailkirchner und Simon Wangnereck sowie der Münchner Stadtschreiber [heute einem geschäftsleitenden Beamten vergleichbar] Georg Lochner.

Er besteht aus insgesamt neun Teilen:

  1. Summarischer Prozess = beschleunigter Zivilprozess ohne umständliche Längen;
  2. Gantprozess = Verfahren bei Versteigerung und Konkurs;
  3. Gerichtsordnung = ordentlicher Zivilprozess;
  4. Landrecht = meist privatrechtliche Normen, eng an das reformierte Landrecht von 1518 angelehnt;
  5. Landesfreiheitserklärung = nahezu identisch mit der von 1516, hier wurden vor allem die Rechte des Adels, insbesondere der Umfang der in den adeligen Hofmarken ausgeübten Niedergerichtsbarkeit [Aburteilung von geringen Alltagsdelikten, die mit Geldbußen oder geringen Leibstrafen geahndet wurden] festgeschrieben;
  6. Land- und Polizeiordnung = Rechte und Pflichten zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der allgemeinen Wohlfahrt, Aufnahme der Bestimmungen von 1516 und 1553;
  7. Forstordnung = Vorgaben zur Forsterhaltung;
  8. Jagdordnung;
  9. Malefizprozessordnung = Regelung des Strafverfahren – unter einem Malefizverbrechen verstand man eine Gewalttat, die mit dem Tode bedroht war und von der hohen Strafgerichtsbarkeit, auch „Blutgerichtsbarkeit“, geahndet wurde.


Abb.: Teil 6 des Codex, die „Landts- und Policey-Ordnung“, beinhaltete auch eine Fischordnung, wie sie „auff der Thonaw [= Donau], Ihn [Inn], Iser, Salzach und sonst allenthalben in unseren Fürstenthumben gehalten werden soll. An deren Ende sind die Maße festgelegt, die als untere Grenze bei der Entnahme der einzelnen Fischarten sowie von Krebsen einzuhalten waren. Diese Mindestmaß wurde allerdings nicht mit einer der damals üblichen Längeneinheiten in Zahlen angegeben, sondern mit einer Zeichnung im Originalmaßstab bildlich veranschaulicht (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Beigebunden ist diesem monumentalen, mehr als 800 Seiten umfassenden juristischen Standardwerk zudem eine 1665 von dem kurfürstlichen Hof-Buchdrucker, Verleger und Buchhändler Johann Jäcklin († 1710) [Nach ihm ist in München, Bezirk Ramersdorf-Perlach, die „Jäcklinstraße“ benannt] herausgegebene Anleitung (157 Seiten) über das „Feldmessen“ (Landvermessung) [der Originaltitel lautet in voller Länge und im damaligen Wortlaut: „Ein begründter und verständiger Bericht von dem Feldmessen: Wie man Aecker, Wisen, Gärten, Höltzer, Weyer unnd andere Grundstuck ihrer Grösse nach und wievil deren jedes Jucharten, Rueten und Schuech aigentlich in sich halte, messen, auch dieselbige in etliche gleiche oder ungleiche Thail abthailen soll. Deßgleichen, wie solche Gründ nach ihr jedes Form und Gestalt in den Grund gelegt, dem verjüngten Maß nach auffgerissen und folgends auff dem Pappier leichtlicher, als zu Feld mögen, gemessen werden. Item, wie man die Weite von einem Orth zum anderen, als zwischen Stätt, Schlösser, Dörffer und anders, messen, auch derselben Revier und wie sie zu Land gelegen, auff das Pappier reissen soll. Mit einem kurtzen Underricht, wie man dise Messerey an allen Orthen leichtlich brauchen künde.“ – In der Digitalen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek online einsehbar] sowie ein „Repertorium oder General-Register nach Ordnung des Alphabets“ (136 Seiten).


Abb.: Der voluminöse „Neuzugang“ des Stadtarchivs, der „Codex Maximilianeus“ von 1616, mit den beiden beigebundenen Ergänzungen, dem alphabetischen Gesamtregister und der Anleitung zur Landvermessung von 1665 (Foto: Helga Haselbeck, Traunstein)

Einer der Vorbesitzer dieses – man darf es mit Fug und Recht so ausdrücken – prachtvollen und nach mehr als vier Jahrhunderten immer noch gut erhaltenen Bandes war, so kann man einem auf dem Vorsatzblatt hinterlassenen, handschriftlichen Vermerk vom 26. März 1853 entnehmen, Dr. Ferdinand Theodor Hopf, 1846 Rat am Ober-Appellationsgericht des Königreichs Bayern, [Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Bayern, München 1846, S. 137] zuvor Rat am Wechsel- und Merkantilgericht für die Oberpfalz und von Regensburg [Schwarz, Jakob Heinrich: Adreß-Handbuch für den Regierungs-Bezirk der Oberpfalz und von Regensburg im Königreiche Bayern, Regensburg 1840, S. 13]. Wie viele weitere hochrangige bayerischen Juristen ihn zuvor schon in ihren Händen hielten, muss eine offene Frage bleiben, die den Zauber, den jedes Relikt aus längst vergangener Zeit stets umweht, nur verstärkt.

Fakt ist: Als Grundlage der Rechtsprechung hat der „Codex Maximilianeus“ lange schon ausgedient; moderne Rechtsnormen sind an seine Stelle getreten. Für das Verständnis der bayerischen Geschichte aber bleibt er unverzichtbar. Und das Stadtarchiv Traunstein ist mit einigem Recht stolz darauf, ihn – dank der großzügigen Donation Dietrich von Dobenecks – künftig seinen Benutzerinnen und Benutzern bei Bedarf für ihre Forschungen anbieten zu können.

Kontakt:
Stadtarchiv Traunstein
Stadtplatz 39
83278 Traunstein
Tel.: 0861 / 65-250 und 0861 / 65-287
Fax: 0861 / 65-201
franz.haselbeck@stadt-traunstein.de

Postanschrift:
Stadtverwaltung Traunstein
Stadtarchiv
83276 Traunstein

Quelle: Stadtarchiv Traunstein, Archivale des Monats Juni 2021

Nordmünsterland – Forschungen und Funde 7/2020 und 8/2021

Während der Corona-Pandemie ist die Forschungsgemeinschaft zur Geschichte des Nordmünsterlandes e.V. nicht untätig gewesen. In relativ kurzem zeitlichen Abstand erschienen die Bände 7 und 8 der seit 2014 jährlich erscheinenden Zeitschrift.

Und wieder finden sich in den beiden Ausgaben aufschlussreiche Beiträge zu Aspekten der Geschichte des Kreises Steinfurt und angrenzender Gebiete, deren zeitlicher Bogen vom Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit reicht.

Besonderes Augenmerk verdienen dabei die Aufsätze von Prof. Dr. Paul Derks (Essen) zur Namengeschichte des Teutoburger Waldes und von Prof. Dr. Manfred Balzer (Münster) zu Abt Castus von Visbek, der in der neueren Geschichtsforschung als Erfindung angesehen wird.

Abb.: Der Teutoburger Wald wird als „Saltus Teutoburgiensis“ auch auf einer Karte in den „Monumenta Paderbornensia“ von 1672 verzeichnet (Bild: Chr. Spannhoff)

Paul Derks geht der Entstehung des Namens „Teutoburger Wald“ für das Osning-Gebirge nach und kann zeigen, dass diese Benennung keineswegs erstmals in den „Monumenta Paderbornensia“ von 1669 des Paderborner Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg (1626-1683) und seines Gehilfen Nikolaus Schaten (1608-1676) auftritt, wie oft in der Literatur zu lesen ist, sondern schon wesentlich früher erscheint. Der Autor zeichnet detailliert und kenntnisreich die frühe Suche nach dem Ort der Varus-Schlacht im Jahr 9 n. Chr. nach, die bei einem „Teutoburgiensis saltus“ stattgefunden haben soll und stellt die gesamte Entwicklung der frühneuzeitlichen Übertragung des antiken Namens auf den Osning bis zur endgültigen Verfestigung Ende des 19. Jahrhunderts dar. Darüber hinaus bietet er u.a. spannende Schlaglichter auf den Namen des Osnings, Detmolds und Porta Westfalicas sowie auf Orts- und Flurnamen, die angeblich auf den römischen Feldherrn Varus hindeuten sollen.

Manfred Balzer setzt sich am Beispiel der Abtei Visbek und ihres vermeintlichen ersten Abtes Castus mit der Fälschung der Urkunde Ludwigs des Frommen von angeblich 819 auseinander und gelangt hier u.a. über die Methode der Besitzrückschreibung zu neuen Erkenntnissen, die die weitere Forschung zu diesem speziellen Themenkomplex („frühe Missionsstationen“) und dem damit zusammenhängenden Verlauf der Christianisierung Westfalens und Nordwestdeutschlands beschäftigen werden. Gab es also Abt Castus doch?

Mittlerweile sind acht Ausgaben der Zeitschrift und drei Sonderbände zu unterschiedlichen Themen erschienen, z.B. „Tecklenburg um 1750. ‚Geographia Tecklenburgensis‘ und ‚Bereisungs-Protocollum‘ des preußischen Kriegs- und Domänenrats Ernst Albrecht Friedrich Culemann“ aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Inhaltsverzeichnisse aller bislang erschienenen Bände und Publikationen sowie weitere Informationen zur Forschungsgemeinschaft finden sich auf die Homepage des Vereins.

Inhaltsverzeichnis Nordmünsterland Bd. 7:

  • Paul Derks: Osning oder Teutoburger Wald: Zur Namen- Geschichte des westfälischen Gebirgszuges
  • Josef Wermert: Die Nienborger Sage vom „Wilden Bernd“. Dichtung oder Wahrheit?
  • Helmut Lensing: Josef Hagemann. Vom Hörsteler Heuerlingskotten in den Land- und Reichstag
  • Alfred Wesselmann: Das Wikingerschiff – Eine Jugendzeitschrift aus Lengerich während des Nationalsozialismus
  • Sebastian Schröder: Die Landesbeschreibung des Jacob Paul von Gundling für Tecklenburg und Lingen
  • Josef Bröker: Zwietracht um den Zehnten – Wie die Bauern aus Unseligen Leden bei Ibbenbüren zu ihrem Recht kamen
  • Anke Hackethal: Mortalität während der „Spanischen Grippe“ in Emsdetten 1918/19
  • Gerd-Ulrich Piesch: Die Landwehr auf den Hohner Bergen an der Straße von Sudenfeld nach Lengerich-Hohne

Nordmünsterland: Forschungen und Funde, Band 7
Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft zur Geschichte des Nordmünsterlandes e. V.
220 S., Lage 2020, ISBN 978-3-89918-081-7, 17,90 Euro

Inhaltsverzeichnis Nordmünsterland Bd. 8:

  • Manfred Balzer: Abt Castus von Visbek
  • Sebastian Kreyenschulte: Das Bürgertum in einem nordmünsterländischen Kirchspiel 1750–1850. Beobachtungen. Zur Entstehung und Entwicklung der ländlichen Bürgerkultur im nicht- bzw. kleinstädtischen Umfeld
  • Angelika Pries: Von der Gleichschaltung zur Entnazifizierung. Lehrer und Lehrerinnen an den Volksschulen in Rheine 1933 – 1949
  • Peter Ilisch: Schmieden und Schänken. Zur Frage der Standortkontinuität in der Frühen Neuzeit. Eine Fallstudie aus Horstmar
  • Sebastian Schröder: Eine Ordnung schaffen: Der Hörsteler Holzgerichts- und Markenrezess von 1580 („Noitholtinck geholden auer de Horsteler | Woldt vnnd Marcke“).
  • Josef Wermert: Heeker Schlöffken – Aus der frühen Geschichte eines bemerkenswerten Brauches
  • Bernd Hammerschmidt: Entnazifizierung – der Fall des ehemaligen Lengericher Bürgermeisters Steinriede

Nordmünsterland: Forschungen und Funde, Band 8
Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft zur Geschichte des Nordmünsterlandes e. V.
254 S., Lage 2021, ISBN 978-3-89918-082-4, 17,90 Euro

(Sebastian Schröder)

Die Unterschrift Kaiser Wilhelms II. im Goldenen Buch der Stadt Aachen

»In dieses moderne Aachen, verschönt durch seine tausendjährigen Erinnerungen, zieht heute mit seiner hohen Gemahlin der Kaiser, der Herrscher des neuen deutschen Reiches ein, und wie einst zur Königskrönung jubelt das Volk und heißt seinen Kaiser tausendmal willkommen.« – So steht es am 19. Juni 1902 in der Aachener Zeitung „Echo der Gegenwart“. Kaiser Wilhelm II. war an diesem Tage im Salonwagen zu seinem ersten Besuch der Stadt Aachen angereist.

Als amtierendes Staatsoberhaupt hatte Wilhelm II., dessen Todestag sich am 4. Juni zum 80. Male jährt, die alte Reichsstadt Aachen drei Mal besucht: im Juni 1902, am 18. Oktober 1911 und zuletzt am 3. Mai 1918, ein halbes Jahr vor Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ende seiner Regierungszeit. Bei Kriegsende ging er ins niederländische Exil im Haus Doorn.

Dort intensivierte sich sein Kontakt mit Aachen sogar noch, zumindest schriftlich: Bekannt mit dem Aachener Meteorologen Peter Polis, schrieb Wilhelm diesem nun täglich sogenannte Wettermeldungen, die in Aachen zur Verbesserung der Wetterprognosen verwendet wurden. Diese Meldungen werden im Stadtarchiv Aachen aufbewahrt.

Als Kaiser Wilhelm II. und Auguste Viktoria Aachen nach ihrem Besuch am 19. Juni 1902 verließen, prangte in dem eigens für diesen Anlass beschafften Goldenen Buch allerdings nur eine Unterschrift: die der Kaiserin. Wilhelm hatte im Trubel versäumt, sich einzutragen. Das Goldene Buch wurde ihm nachgeschickt, und er holte seinen Eintrag am 15. Juli 1902 nach. Das Stadtarchiv Aachen hat nun die Vorderseite des Goldenen Buchs der Stadt Aachen und die Seite mit den Unterschriften Kaiser Wilhelms II. und Auguste Viktorias als Archivale des Monats Juni 2021 vorgestellt.


Abb.: Seite mit den Unterschriften Kaiser Wilhelms II. und Auguste Viktorias (Stadtarchiv Aachen, Besondere Urkunden, Goldenes Buch)

Das Goldene Buch der Stadt Aachen, das von dem in Düsseldorf ansässigen Maler Alexander Frenz gestaltet wurde, ist prunkvoll ausgestattet und aufwendig gestaltet:


Abb.: Vorderseite des Goldenen Buchs der Stadt Aachen (Stadtarchiv Aachen, Besondere Urkunden, Goldenes Buch)

Auf einem braunen Ganzledereinband finden sich sehr aufwendige Lederschnitt-Verzierungen mit Vergoldungen. Die vier filigranen Eckbeschläge auf dem Vorder- und Hinterdeckel sind aus Silber; in ihnen sind jeweils große blaue geschliffene Halbedelsteine eingefasst. Sie werden begleitet von vielen kleinen grünen und roten, in das Leder eingefassten Halbedelsteinen. Innen sind zunächst Ledervorsätze mit Goldprägung zu sehen; das Papier hat einen dreiseitigen Goldschnitt mit Punzierungen. Das Goldene Buch hat nicht nur stadthistorisch Gewicht: Es wiegt ca. 6-8 Kilogramm und ist 40,5 cm breit, 50 cm hoch und 14 cm dick. Die Stadt Aachen nutzte dieses Goldene Buch von 1902 bis November 1999. Seit April dieses Jahres befindet es sich nun im Aachener Stadtarchiv.

Das Goldene Buch wurde 2016 vom Rathausverein Aachen digitalisiert und kann nun online durchgeblättert werden. Darüber hinaus wurde es dem Stadtarchiv Aachen in einer hochauflösenden digitalen Fassung übergeben.

Kontakt:
Stadtarchiv Aachen
Reichsweg 30 (Nadelfabrik)
52068 Aachen
Tel.: 0241 / 4324972
Fax: 0241 / 4324979
stadtarchiv@mail.aachen.de

Quelle: Stadtarchiv Aachen, Neuigkeiten, Archivale des Monats Juni 2021, 31.05.2021

Einblicke in die Geschichte Niedersachsens anhand von 75 Dokumenten

Am 1. November 2021 wird das Land Niedersachsen 75 Jahre alt. Von der Gründung des Landes im Jahr 1946 bis heute haben die Geschehnisse aus dieser Zeit eine Fülle an Material hinterlassen: Spuren der Vergangenheit, die das Niedersächsische Landesarchiv in seinen sieben Abteilungen verwahrt. Mit 75 ausgewählten Dokumenten gibt das Landesarchiv Einblick in diese umfangreiche und breit gefächerte schriftliche Überlieferung, die vor allem aus den Behörden, Gerichten und sonstigen Stellen des Landes stammt. Sie stehen in besonderer Weise für bedeutende Ereignisse und Entwicklungen in der Geschichte des Bundeslandes und seiner Regionen und werden von Archivar/-innen und Historiker/-innen des Landesarchivs in 75 Beiträgen in ihren historischen Kontext eingeordnet. Daraus entsteht ein Kaleidoskop an Themen, das dazu anregt, die Geschichte von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur in Niedersachsen neu zu entdecken: von der schwierigen Nachkriegszeit über strukturelle und gesellschaftliche Wandlungsprozesse bis hin zu den Auswirkungen der Wiedervereinigung und aktuellen Themen der jüngsten Vergangenheit (hier: Inhaltsverzeichnis).

In einer virtuellen Präsentation wurde am 12. Mai 2021 die neue Veröffentlichung des Niedersächsischen Landesarchivs gut 250 registrierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorgestellt. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Moderator Dr. Ulrich Kühn folgte ein Grußwort des Ministerpräsidenten Stephan Weil.


Abb.: Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil präsentiert die Dokumentation „75 Jahre Niedersachsen“ (Foto: Niedersächsische Staatskanzlei)

Der Ministerpräsident hob hervor, dass ’75 Jahre Niedersachsen — Einblicke in seine Geschichte anhand von 75 Dokumenten‘ geschichtliche Fakten in einer kurzweiligen Form präsentiere, die dazu anrege, sich eingehender mit den vorgestellten Dokumenten zu beschäftigen.

Dr. Henning Steinführer, als Vorsitzender der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen ein ausgewiesener Kenner der Landesgeschichte, ging in seiner Präsentation kurz auf zwanzig ausgewählte Dokumente ein, die in dem Buch in ihrem historischen Kontext vorgestellt werden. Die Dokumente aus den Themenbereichen „Niedersachsen“, „Schatten des Nationalsozialismus“, „Flüchtlinge und Migration, „Wirtschaft und Infrastruktur“, „Besondere Ereignisse“ und „Gesellschaftlicher Wandel“ reichten von dem Gutachten Hinrich Wilhelm Kopfs zur Gründung des Landes (1946) über die Entstehungsgeschichte des Jade-Weser-Ports in Wilhelmshaven (Entwicklungsvorschlag von 1970) und die Rückgliederung des Amtes Neuhaus nach Niedersachsen (1990) bis zum Gleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2010.

In der anschließenden Podiumsdiskussion erläuterte die Präsidentin des Landesarchivs Dr. Sabine Graf die Entstehungsgeschichte der Veröffentlichung, die an die erfolgreiche Publikation „Geschichte Niedersachsens in 111 Dokumenten“ aus Anlass des 70. Landesjubiläums anknüpft.

Lavinia Francke, Generalsekretärin der Stiftung Niedersachsen, hob hervor, dass die Vielschichtigkeit der in dem Band vorgestellten Dokumente mit dazu beigetragen hat, dass die Stiftung dieses Projekt gefördert hat. Prof. Thedel von Wallmoden, Geschäftsführer des Wallstein Verlages, zeigte sich beeindruckt von der Kenntnis der Autorinnen und Autoren, allesamt Mitarbeitende des Niedersächsischen Landesarchivs, die es ermögliche „Details zum Leuchten zu bringen“. Es gelinge, den Facettenreichtum der Zugehörigkeit zum Raum Niedersachsen abzubilden, der sich doch ganz anders darstelle, als in dem zuvor erwähnten Gutachten Kopfs, in dem von der Eigenart des niedersächsischen Stammes gesprochen wurde.

Die in dem Buch erzählten Geschichten werden immer wieder in ihren historischen Kontext gestellt, so Henning Steinführer, da durch Literaturverweise dem interessierten Leser die Möglichkeit zur vertieften Betrachtung gegeben wird. Die Herausgeber, neben Dr. Sabine Graf auch die Leitungen der Abteilungen Stade und Aurich des Landesarchivs Dr. Gudrun Fiedler und Dr. Michael Hermann, betonten, dass die Auswahl der Dokumente nicht nur die historische Entwicklung des Landes seit 1946, sondern auch die regionale Vielfalt Niedersachsens widerspiegelt. Sabine Graf unterstrich die Vertrauenswürdigkeit der archivischen Quellen, die Forschung und Lehre zur Verfügung stehen und die durch diese Veröffentlichung auch allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern nähergebracht werden.

Die aufgezeichnete Veranstaltung ist auf dem Youtube-Kanal der Landesregierung abrufbar.

Info:
75 Jahre Niedersachsen Einblicke in seine Geschichte anhand von 75 Dokumenten,
herausgegeben von Sabine Graf, Gudrun Fiedler und Michael Hermann,
407 S., 135, z.T. farb. Abb., geb., Leinen, Schutzumschlag, 17 x 24 cm
ISBN 978-3-8353-3873-9 (2021), € 29,90

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Hannover
Am Archiv 1
30169 Hannover
Tel.: 0511 / 120 66 01
Fax: 0511 / 120 66 99
Hannover@nla.niedersachsen.de

Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv, Aktuelles, Neuigkeiten; Niedersächsisches Landesarchiv, Aktuelles, Neuigkeiten

Als der Zeppelin zweimal über Bingen flog

Aus seiner Reihe „Archivalien erzählen Geschichte(n)“ stellt das Stadtarchiv Bingen das Ereignis aus dem Jahr 1909 vor, als der Zeppelin zweimal über Bingen flog.

Was für eine festliche, feierliche Stimmung herrschte am 2. August 1909 in Bingen! Und was für ein wunderbarer Sommermorgen! Alle Häuser sind mit Fahnen geschmückt, alle Menschen auf der Straße mit hoffnungsvollem Blick nach oben. Es waren nicht nur Einheimische auf den Straßen, sondern auch Menschen aus dem Hunsrück, dem Naheland und dem heutigen südlichen Rheinhessen nach Bingen gekommen. Und sie schauen nicht nur aus ihren Wohnungen und von den Straßen gen Himmel, sondern auch auf allen Flachdächern, vielen Schornsteinen und dem Turm der Pfarrkirche saßen und standen Menschen. Immer wieder ruft jemand, der etwas schemenhaft am Himmel zu erkennen oder zu hören vermutet.

Im 60 Kilometer entfernten Frankfurt am Main fand seit Ende Juli die Internationale Luftfahrtausstellung statt. Hier hatte auch das neueste Luftschiff des Grafen Zeppelin kurz Halt gemacht. Am Montag, dem 2. August 1909, startete der Zeppelin Z II kurz nach zehn Uhr Richtung Köln. Graf Zeppelin, der Namensgeber und Erfinder des markanten Luftschiffes, war höchstpersönlich der Kapitän für die Reise entlang von Main und Rhein nach Köln.

Zeppeline waren am Anfang des 20. Jahrhunderts noch etwas Seltenes. Der erste Zeppelin hatte sich vor damals ziemlich genau neun Jahren zum ersten Mal vom Boden in die Luft erhoben. Der LZ 5 war eine deutliche Verbesserung des ersten Zeppelins. Wenige Tage nach seinem Jungfernflug, unternahm er die sensationelle 38-Stunden-Rekordfahrt vom Bodensee nach Bitterfeld. Kurz danach wurde der Zeppelin vom deutschen Heer übernommen und von LZ 5 in Z II umbenannt. Auf seiner Überführung vom Bodensee nach Köln machte er bei besagter Internationalen Luftfahrtausstellung in Frankfurt am Main Halt und war nun auf seiner Weiterfahrt nach Köln auf dem Weg Richtung Bingen.

Abends zuvor um 21:00 Uhr hatte die Binger Stadtverwaltung ein Telegramm an den Grafen Zeppelin in Frankfurt verschickt.


Abb.: Telegramm der Stadtverwaltung Bingen an Graf Zeppelin (Stadtarchiv Bingen, Best. 13, Nr. 15)

„Exzellenz Graf Zeppelin. Frankfurt am Main
Tausende Bewohner des Rheinstromes in der Umgebung des Nationaldenkmals erwarten mit Begeisterung Eur. Exzellenz hohen Besuch.
In froher Erwartung verharrt
Namens der Stadt Bingen
Großherzogl. Bürgermeisterei.“

Eigentlich flog das 136 m lange Luftschiff mit 15.000 m³ Wasserstoff und zwei Daimler-Motoren mit je 105 PS knapp unter 50 km/h. Aktuell, bei dem zweiten Teil seiner Überführung, bewegte es sich mit etwa 35 km/h auf Bingen zu. Da kam es wirklich aus Osten auf Bingen zu!

Viele harrten seit den frühen Morgenstunden in Bingen aus, weil unklar war, wann das Luftschiff die Reise beginnen werde. Um halb zwölf krachten auf dem Rochusberg zur Begrüßung die Böller und alle Glocken der Rochuskapelle läuteten. Von der Erhebung konnte man Z II schon ein gutes Stück entfernt sehen. Zwanzig Minuten später hörte man die Propeller surren und weitere 25 Minuten später, um 12:15 Uhr, flog der Zeppelin zuerst auf das Nationaldenkmal im Rheingau zu, führte dann über dem Rhein einige Manöver zur Schau aus und flog dann genau über die Binger Dächer.


Abb.: Der Zeppelin Z II am 2. August 1909 über Bingen (Stadtarchiv Bingen, Fotosammlung)

Mittlerweile läuteten auch alle anderen Kirchenglocken und die zahlreichen Böllerschüsse vermischten sich mit dem ohrenbetäubenden Jubel. Graf Zeppelin reagierte auf die Begrüßung und schwenkte zum Gruß seine gut sichtbare weiße Mütze aus der Zeppelingondel.

Noch eine Weile sah man das Luftschiff am Himmel, bevor es hinter dem Binger Loch und der Burg Rheinstein verschwand.

Was Bingen nicht wusste: Der Zeppelin flog direkt in ein Gewitter hinein. Schon ab Boppard wurde der Flug durch die Windböen sehr beschwerlich und das Luftschiff konnte nur noch mit 10 km/h weiterreisen. Als sich hinter Koblenz die Rheinebene öffnete, war das Gewitter am stärksten. Über Neuwied kam der Zeppelin für eine halbe Stunde nicht weiter. Und als es das Gewitter durchquert hatte und ein Stück voran kam, waren die Windböen über Oberwinter bei Bonn so stark, dass sie das Luftschiff mit achtköpfigen Mannschaft schlicht zurücktrieben.

Das war schade für die Menschen zwischen Oberwinter und Köln, die wider Erwarten nicht den Zeppelin zu sehen bekamen. Dafür konnten die Menschen zwischen Oberwinter und Frankfurt überraschenderweise erneut den Z II über den eigenen Dächern bewundern. So auch 19:15 Uhr Bingen, wo das Luftschiff allerdings durch den Gewitterwind getrieben mit gut 100 km/h vorbeiflog.

Drei Tage später, am 5. August 1909, wurde ein neuer Versuch unternommen, den Z II nach Köln zu überführen – diesmal war er erfolgreich. Und Bingen kam noch ein drittes Mal in den Genuss, einen Zeppelin mit seinem Erfinder höchstpersönlich über Bingen surren zu sehen und hören.

Im Luftfahrtarchiv von Köln gibt es über diese Reise von Frankfurt am Main nach Köln einen ausführlichen, mit zahlreichen Fotos, Zeichnungen und Postkarten illustrierten Bericht.

Kontakt:
Stadtarchiv Bingen
Herterstraße 35
55411 Bingen-Bingerbrück
Tel.: 06721 / 184-354
Fax: 06721 / 184-35

Quelle: Stadtarchiv Bingen, Archivalien erzählen Geschichte(n)

175 Jahre Deutscher Bühnenverein

Erste Virtuelle Ausstellung des Niedersächsischen Landesarchivs.

Im Mai 1846 schlossen 19 Hof- und Stadttheater in ganz Deutschland einen epochemachenden Vertrag, in dem sie Rechte und Pflichten untereinander festlegten. Weitere Theater schlossen sich bald an. Ferdinand von Gall (1809-1872), einer der beiden Initiatoren, war von 1842 bis 1846 Intendant des Hoftheaters in Oldenburg.


Abb.: Vertragsentwurf von 1846 (Niedersächsisches Landesarchiv)

Dieser Vertrag stellt die Gründungsurkunde des heutigen „Deutschen Bühnenvereins“ dar. Der Deutsche Bühnenverein ist der Interessen- und Arbeitgeberverband der Theater und Orchester. Er thematisiert alle künstlerischen, organisatorischen und kulturpolitischen Fragen, die die Theater und Orchester betreffen. Dazu gehören Themen wie die Bedeutung der Theater und Orchester für die Städte, die Entwicklung des Publikums sowie die Gestaltung juristischer Rahmenbedingungen bis hin zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen.

Weitere Inhalte sind die Ausbildung für die künstlerischen und künstlerisch-handwerklichen Berufe, die Finanzsituation der Theater und Orchester sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Grenzen des künstlerischen Schaffens. Auch die Optimierung von Organisationsstrukturen sowie das Verhältnis zwischen Rechtsträger und Theaterleitung sind wichtige Aufgabengebiete. Darüber hinaus ist der Bühnenverein beratend an den Gesetzgebungsverfahren von Bund und Ländern beteiligt.

Der Verband blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, in der er sich immer wieder als wichtiger Partner von Politik und Öffentlichkeit für die Belange der Theater und Orchester einsetzte. Mit der Jubiläumsveranstaltung hat der Bühnenverein deutlich gemacht, dass er auch künftig gemeinsam mit den Partnern daran arbeiten wird, dass die Theater und Orchester eine gute Zukunftsperspektive haben werden.

Angesichts der aktuellen Debatten über Rassismus und Machtmissbrauch, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in den Theater- und Orchesterbetrieben hat der Deutsche Bühnenverein sich im Rahmen seines Jubiläumsjahres zum Ziel gesetzt, den 2018 beschlossenen Verhaltenskodex vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zu aktualisieren und sich gemeinsam mit den Mitgliedern und der Politik noch stärker für die betriebliche Implementierung einzusetzen. Als Organisation der institutionalisierten Theater und Orchester ist der Bühnenverein von allen diesen Themen unmittelbar berührt. Gemeinsam mit den Rechtsträgern soll damit der wachsenden Bedeutung von Führung und Führungsqualifikationen bei der Auswahl von Leitungspersonen und beim Betrieb Rechnung getragen werden.

Dr. Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins: „Der Deutsche Bühnenverein ist seit 175 Jahren eine wichtige Stimme in der Kultur und hat seit seiner Gründung die einheitliche Regelung der Arbeitsverhältnisse an den deutschen Theatern zum Ziel. Die aktuellen Debatten zeigen, dass das eine dauerhafte Aufgabe ist. Kunst und Kultur stoßen notwendige gesellschaftliche Debatten an. Dieser Diskurs ist immer wieder auch nach Innen notwendig, um in den Kulturbetrieben gute Arbeitsbedingungen und einen fairen und solidarischen Umgang zu leben. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten Leitlinien für das Theater der Zukunft erarbeiten und gemeinsam mit unseren Mitgliedern in die Praxis umsetzen.“

Unter den Leitlinien Verortung, Verantwortung und Vision möchte der Bühnenverein seine Positionen nach innen und nach außen neu verhandeln. Ziel dabei ist es, eine Vorstellung von einem Theater der Zukunft zu entwickeln, das die Vielfalt und Offenheit unserer Gesellschaft in künstlerischen Positionen erfahrbar macht und zuspitzt und das zugleich ein guter Arbeitgeber ist.

„Wir spüren die Auswirkungen einer sich verändernden Gesellschaft und sind gefordert, mit diesen Veränderungen nicht nur mitzuhalten, sondern sie aktiv zu gestalten. Das muss der Anspruch an moderne Kulturbetriebe sein. Dass es in solchen Umbruchphasen zu Reibungen kommt, ist unausweichlich, denn lange haben uns bestimmte Eigenschaften des öffentlichen Kulturbetriebs geschützt. Wenn ein Ensemble nun so divers aufgestellt wird wie unsere Gesellschaft, spüren wir die Aushandlungsprozesse in unserer eigenen Welt, die draußen seit Jahren bestehen. Es ist so unruhig, weil sich etwas ändert. Es kommt darauf an, den Wandel jetzt aktiv zu gestalten, sagte der Geschäftsführende Direktor, Marc Grandmontagne, in Oldenburg.

Das Jubiläum des Deutschen Bühnenvereins wurde am 27. Mai 2021 am Oldenburgischen Staatstheater gefeiert, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Festrede. Weitere Informationen zu dem Festakt finden sich auf der Website 175 Jahre Bühnenverein.

Anlässlich dieses Jubiläums des Deutschen Bühnenvereins plante das Niedersächsische Landesarchiv, eine Ausstellung zur Gründungsgeschichte im Oldenburgischen Staatstheater zu zeigen.


Abb.: 1834 errichtetes Theatergebäude in Oldenburg (Niedersächsisches Landesarchiv)

Dr. Wolfgang Henninger und Christian Meyer vom Niedersächsischen Landesarchiv haben Originaldokumente, Reproduktionen und Fotos aus dem Besitz des Landesarchivs und der Landesbibliothek Oldenburg zusammengestellt. Schwerpunkte sind die bisher weniger bekannten Gründungsjahre 1846-1851 und die Verdienste des Oldenburger Hoftheaterintendanten Ferdinand Freiherr von Gall.

Die in Zusammenarbeit mit der Musikdramaturgin des Oldenburgischen Staatstheaters, Stephanie Twiehaus, entstandene kleine Ausstellung wurde anlässlich des Festakts im Foyer des Theaters gezeigt. Da das Gebäude des Oldenburgischen Staatstheaters für die Öffentlichkeit noch geschlossen ist, entstand die Idee, eine Virtuelle Ausstellung zu zeigen.

Das Niedersächsische Landesarchiv freut sich daher, seine erste Virtuelle Ausstellung mit dem Titel „… die Bühne in das gehörige Licht zu stellen … – 1846-2021: 175 Jahre Deutscher Bühnenverein“ zu präsentieren.

Parallel zur Ausstellung und zum 175-jährigen Bestehens des Deutschen Bühnenvereins ist auch eine Festschrift mit dem Titel „Struktur und Ereignis – Ein Arbeitsbuch zur Situation des Theaters der Gegenwart“ erschienen. Neben Gesprächen, Essays, historischen Skizzen und vielen weiteren Beiträgen zeigt eine Bilderserie Eindrücke aus 175 Jahren Verbandsgeschichte.

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Hannover
Am Archiv 1
30169 Hannover
Tel.: 0511 / 120 66 01
Fax: 0511 / 120 66 99
Hannover@nla.niedersachsen.de

Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Oldenburg
Damm 43
26135 Oldenburg
Tel.: 0441 / 92 44 100
Fax: 0441 / 92 44 292
Oldenburg@nla.niedersachsen.de

Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv, Aktuelles, Neuigkeiten; Deutscher Bühnenverein, Pressemitteilung, 27.05.2021; 175 Jahre Bühnenverein.

Kreisarchiv des Enzkreises an neuem Standort in Pforzheim

Das Kreisarchiv des Enzkreises ist umgezogen. Von der Pforzheimer Nordstadt ging es in die dortige Oststadt, wo das Team um Archivleiter Konstantin Huber nun mit wesentlich größeren Räumlichkeiten sowohl im Büro- als auch im Magazinbereich über deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen verfügt. Zwei Monate nahm der von einer Fachfirma ausgeführte Umzug der knapp zwei Regalkilometer umfassenden Bestände in Anspruch – eine logistische Herausforderung!

Abb.: Rollregalanlage des Kreisarchiv des Enzkreises (Foto: Enzkreis)

Nun sind die dauerhaft aufbewahrenswerten Unterlagen der Kreisverwaltung ebenso wie umfangreiche archivische Sammlungsbestände (z.B. Nachlässe) auf über 500 Quadratmetern Lagerfläche gut klimatisiert in großen Rollregalanlagen untergebracht. Erstmals verfügt das Kreisarchiv auch über Sondermagazine wie einen Kartenraum und ein Fotoarchiv, das besonders kühl und trocken klimatisiert wird.

Jetzt gibt es auch einen Besucherraum, der - nach Aufhebung der Kontaktbeschränkungen – mehreren Personen gleichzeitig die Einsichtnahme in Archiv- und Bibliotheksgut erlauben wird.

Die neue Adresse lautet:
Kreisarchiv des Enzkreises
Östliche-Karl-Friedrich-Straße 58
75175 Pforzheim
(Postfach 101080, 75110 Pforzheim)
Tel.: 07231/308-9423
Kreisarchiv@enzkreis.de

Quelle: Konstantin Huber, eig. Bericht, 2021; Pforzheimer Zeitung, 19.2.2021

 

Einblicke in die Gartensaison auf Schloss Ivano

In seiner Archivale des Monats Mai 2021 gewährt das Südtiroler Landesarchiv Einblicke in die Gartensaison auf Schloss Ivano aus dem Jahr 1847. Noch heute beeindruckt das Castel Ivano über dem gleichnamigen Ort in der Bassa Valsugana in den alten Welschen Konfinen, einer kleineren Region im Trentino.

Im späten 12. Jahrhundert erstmals in den Schriftquellen erwähnt, war die Burg längere Zeit in der Hand wechselnder Besitzer mit zum Teil sehr klingenden Namen, wie Ezzelino III. da Romano (†1259) oder Cangrande della Scala (†1329); später fiel Ivano an die Tiroler Landesfürsten, zeitweise aber auch an die Mailänder Signoren, die Visconti, und an die Republik Venedig, bevor es habsburgisch wurde und durch tirolische Amtleute verwaltet wurde. Im Juli 1527 kam hier als ältester Sohn des Martin von Boimont-Payrsberg Jakob (†1581) zur Welt, der dieses Faktum in seinen autobiographischen Aufzeichnungen festhalten sollte (Am fü[n]fften tag jullÿ des 1527 jars hat herr Martin beÿ der frauen in schlosß Ÿffan in Valzigan zwischen acht und neinn uhr vormitag ein son gehabt und im Jacob genandt). Vom späten 17. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg war es zunächst Lehen, später Eigentum der Grafen von Wolkenstein-Trostburg. Deren Trienter Zweig nutzte die schlossartig ausgebaute Burg gerne als Aufenthaltsort, zumal sie auch über eine schöne Gartenanlage verfügte.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_2, Südtiroler Landesarchiv


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_3, Südtiroler Landesarchiv

Von der akribischen Planung und auch den beträchtlichen Kosten, die die Familie für die Bepflanzung aufwandte, zeugen Pflanzenlisten, Pflanzenkataloge von Versandgärtnereien sowie handgezeichnete Pläne im Archiv der Familie.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_5, Südtiroler Landesarchiv

Eine dieser Listen verzeichnet insgesamt 27 verschiedene Pflanzenarten, darunter Tilia argentea (Silberlinde), Cornus florida (Blüten-Hartriegel), Ptelea trifoliata (Kleeulme), Syringa persica alba (weißer Persischer Flieder), die – vermutlich – Leopold Graf von Wolkenstein-Trostburg für die Gartensaison 1847 beim Mailänder Versandhaus Burdin Maggiore bestellt hatte.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_4, Südtiroler Landesarchiv

Auf einer anderen Liste sind für eine weitere Bestellung bei Burdin eine Trauerweide und Glyzinien aufgezählt, doch wurde dieser Gedanke fallengelassen, ebenso die Bestellung von Schlingpflanzen bei Franz Schober in Wien.


Abb.: Archiv Wolkenstein-Trostburg, Bestand Trostburg, Nr. 547_1, Südtiroler Landesarchiv

Dafür wurden aus Wien und aus einer Gärtnerei in Mühlbach Ende Februar/Anfang März 1847 zahlreiche Rosensorten, Silberklee, Immergrün und verschiedene Kletterpflanzen bestellt. Neue Bepflanzungen wurden penibel unter Berücksichtigung von Sichtachsen und unter Verwendung von Zypressen, Wacholderbüschen, Rotbuchen usw. mit detaillierten Zeichnungen geplant. In diesen Gärten lustwandelte später eine Reihe illustrer Gäste wie Cosima und Richard Wagner, Franz von Lenbach, Eleonora Duse oder die deutsche Kaiserin Auguste Viktoria.

Nach dem 1913 erfolgten Tod von Anton Graf Wolkenstein verkauften die Erben das vom Krieg schwer beschädigte Schloss an den seinerzeitigen Verwalter Franz Staudacher, der es wieder instand setzte und dessen Nachfahren es heute noch besitzen.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8/B
39100 Bozen
Tel.: +39 0471/ 411940
Fax: +39 0471 / 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Aktuelles, Archivale des Monats Mai 2021, 06.05.2021

Monographie über Architekturhistoriker Richard Krautheimer

In der Reihe Academia Marburgensis hat Prof. Dr. Ingo Herklotz eine Monographie über die frühe wissenschaftliche Karriere des Architekturhistorikers Richard Krautheimer (1897-1994) veröffentlicht. Richard Krautheimer, einer der bedeutendsten Architekturhistoriker des 20. Jahrhunderts, habilitierte sich 1928 in Marburg bei Richard Hamann. Er lehrte vom Sommersemester 1929 an als Privatdozent an der Universität Marburg – bis zu seiner Emigration im Sommer 1933, die ihn zunächst nach Rom und Ende 1935 in die USA führte.


Abb.: Richard Krautheimer um 1930 in einer Abbildung im Fotoalbum der Philosophischen Fakultät Marburg (Foto: Archiv der Philipps-Universität Marburg)

Dies war der Ausgangspunkt für Prof. Ingo Herklotz, sich dem aus Fürth stammenden jüdischen Gelehrten und seinen Forschungen zuzuwenden, die nun unter dem Titel „Richard Krautheimer in Deutschland. Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere 1925-1933“ als Band 17 der Schriftenreihe „Academia Marburgensis“ im Waxmann-Verlag erschienen sind.

Krautheimer ist vor allem durch das Corpus Basilicarum Christianarum Romae, seine Forschungen zur frühchristlichen und byzantinischen Baukunst und seine Biographie über Lorenzo Ghiberti bekannt geworden, alle im amerikanischen Exil verfasst. Nach seiner Emeritierung 1971 kehrte er nach Europa zurück und lebte in Rom, dessen frühmittelalterlicher Architekturgeschichte er sich sein ganzes Forscherleben gewidmet hatte. Krautheimer starb 1994 in Rom.

Herklotz vertritt die These, dass Krautheimer für sein in den USA entstandenes Werk „entscheidende Impulse und Grundlegungen“ in Marburg beziehungsweise in Deutschland erhielt. Krautheimer promovierte 1925 mit einer Arbeit über „Die Kirchen der Bettelorden in Deutschland“ und verfasste dann eine Schrift über „Mittelalterliche Synagogen“. Mit dieser Arbeit wurde er in Marburg habilitiert, obwohl er zunächst zur europäischen Plastik um 1400 arbeitete und wohl auch ein sehr umfangreiches Manuskript erstellt hatte.
Im Habilitationsverfahren wurde die Untersuchung zur Plastik zwar berücksichtigt, sie ging dann aber unter ungeklärten Umständen verloren. Eine weitere in dieser Zeit verfasste, wegen der Zeitumstände jedoch nicht publizierte Arbeit Krautheimers, die „Geschichte der deutschen Baukunst des Mittelalters“, konnte Herklotz in Teilen in dessen Nachlass in der Bibliotheca Hertziana in Rom auffinden. Sie ist im Anhang des Bandes abgedruckt.

Nicht nur die Entstehung dieser Untersuchungen stellt Herklotz in der Monographie dar, sondern damit im Zusammenhang auch Krautheimers Lebensumstände im Deutschland der 1920er Jahre und die Verhältnisse am Kunstgeschichtlichen Seminar in Marburg – vor allem mit Blick auf Richard Hamann.

Kontakt:
Archiv der Philipps-Universität Marburg (im Hessischen Staatsarchiv Marburg)
Friedrichsplatz 15
35037 Marburg
Tel.: 06421 / 9250 – 176
Fax: 06421 / 161125
Universitaetsarchiv.Marburg@hla.hessen.de

Quelle: Archiv der Philipps-Universität Marburg, Aktuelles, Neuigkeiten, 03.05.2021