1. FC Nürnberg findet jüdische Mitglieder-Kartei

In einem Kellerraum des Fußballclub-Geländes des 1. FC Nürnberg am Valznerweiher (s. Abb.) wurde die Mitgliederkartei von 1928 bis 1955 gefunden. Sie galt bislang als verschollen. „Damit ist es jetzt endlich möglich, die Rolle jüdischer Bürger beim 1. FC Nürnberg zu erforschen“, sagt Niels Rossow, Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg, im Rahmen der Pressekonferenz des 1. FC Nürnberg am 15.6.2021, zur Vorstellung des Fundes der Mitgliederkartei. „Es freut uns besonders, dass gerade im bundesweiten Gedenkjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘ und in Zeiten zunehmenden Antisemitismus‘ der Club nun die Grundlage besitzt, den in der NS-Zeit zu Unrecht aus dem Verein ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern ein Gesicht zu geben und ihre Biografien öffentlich zu machen“, so Rossow.

In einem ungenutzten Keller lagerten unscheinbare Kartons, gefüllt mit den für verschollen gehaltenen rund 12.000 Karteikarten von Mitgliedern des 1. FC Nürnberg. Die Kartei deckt den Zeitraum von Januar 1928 bis November 1955 ab und damit auch die Zeit des Nationalsozialismus. Kaum ein Fußballverein der 1. und 2. Bundesliga verfügt über eine solch vollständige Mitgliederkartei, die die NS-Zeit umfasst. „Der 1. FC Nürnberg wird durch einen Antrag zur Mitgliederversammlung 2021 darauf hinwirken, dass der Ausschluss der jüdischen Mitglieder für unrechtmäßig erklärt und rückgängig gemacht wird“, ergänzt Niels Rossow.

Stellung des Vereins zur „Judenfrage“
Jüdische Bürger durften im Nationalsozialismus nicht mehr länger Mitglied in „deutschen“ Sportvereinen sein. Bis 1933 waren rund 7% der 520.000 Juden in Deutschland in konfessionsneutralen Sportvereinen organisiert. Bei einem Treffen in Stuttgart am 9. April 1933 verabschiedeten dann 14 Vereine des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbands – darunter der 1. FC Nürnberg, Bayern München, 1860 München, Eintracht Frankfurt, die SpVgg Fürth, der 1. FC Kaiserslautern und die Stuttgarter Kickers – eine Resolution, wonach sie sich „freudig und entschieden der nationalen Regierung zur Verfügung“ stellten. Sie taten dabei ihren Willen kund, die jüdischen Mitglieder aus den Vereinen zu entfernen.

Schon knapp drei Wochen später, am 27. April 1933, beschloss der Verwaltungsausschuss des 1. FC Nürnberg einstimmig die oben abgebildete „Stellung des Vereins zur Judenfrage“. Der 1. FCN strich demnach „die jüdischen Mitglieder mit Wirkung vom 1. Mai 1933 aus seiner Mitgliederliste“. Schon am nächsten Tag, am 28. April 1933, setzte der 1. FCN per Brief seine jüdischen Mitglieder davon in Kenntnis. Ein solches vom 2. Vorsitzenden Karl Müller unterzeichnetes Schreiben – adressiert an den jüdischen Kaufmann Franz Anton Salomon („Wertes Mitglied … mit sportlicher Hochachtung“) – findet sich im Leo Baeck Institute in New York.


Abb.: Franz Anton Salomon (Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Hinter den Namen verbergen sich bewegende Biografien
Bislang war Franz Anton Salomon das einzig bekannte jüdische Mitglied, das 1933 aus dem Club ausgeschlossen wurde. Auch in den Folgejahren schloss der 1. FC Nürnberg jüdische Mitglieder aus. „In der Kartei sind insgesamt 143 Mitglieder aufgelistet, bei denen es sich aufgrund des Stempels ‚30. APR. 1933‘ in der Rubrik ‚Austritt‘ um jüdische Mitglieder handeln dürfte“, erläutert Club-Historiker Bernd Siegler. Bei 121 konnte dies bislang verifiziert werden. Von diesen gehörten 86 zur Abteilung Tennis und je fünf zu Fußball, Leichtathletik und Schwimmen, 11 waren passive Mitglieder. 34 waren Frauen.

Von den Mitgliedern, bei denen in der Kartei per Hand ‚Jude‘, ‚Soll Jude sein‘ oder ,Nicht-Arierin‘  vermerkt wurde oder bei ‚Austritt‘ per Stempel ‚31.DEZ.1933‘ eingedruckt worden war, dürften auch etliche jüdischen Glaubens sein.  Der 1. FCN hatte, so Siegler, 1933 knapp 2.000 Mitglieder (1920 3.336 Mitglieder).

„Erste Recherchen ergaben, dass sich hinter den Namen sehr bewegende Biografien verbergen“, berichtet Siegler. Viele der jüdischen Club-Mitglieder wie beispielsweise Franz Anton Salomon, Ilse Bechhold und Werner Gruber konnten emigrieren, meist in die USA, nach Großbritannien oder Palästina, und überlebten oft erst nach einer wahren Odyssee. Fritz Löb und Justin Isner sowie weitere sechs jüdische Club-Mitglieder wurden in den Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern Auschwitz, Riga-Jungfernhof, Majdanek, Theresienstadt, Stutthof sowie im Ghetto Izbica ermordet bzw. für tot erklärt. Ein jüdisches Club-Mitglied wurde im Rahmen der Euthanasie in Hadamar ermordet.

Kooperationen mit IGKN und Stadtarchiv Nürnberg
„Der 1. FC Nürnberg wird dieses dunkle Kapitel der Vereinsgeschichte weiter aufarbeiten und die Möglichkeit schaffen, universitäre Forschungsprojekte zu realisieren“, kündigt Niels Rossow an. „Schon in der Vergangenheit konnte der FCN klare Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus setzen – zum Beispiel durch interne Schulungen mit Nachwuchs-Spielern des FCN, der Fahrt mit Fans zur Gedenkstätte Flossenbürg, der dritten Auflage des ‚Jenö-Konrad-Cups 2021‘ mit Nürnberger Schülern oder den derzeit digital stattfindenden ‚Clubverführungen‘ auf unserer sozialen Community-Plattform UnserClub.de, u. a. über das Reichsparteitagsgelände oder die NS-Geschichte des 1. FC Nürnberg.“

Der Club freut sich, dass das Stadtarchiv Nürnberg Unterstützung signalisiert hat und die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg mit im Boot ist. „Wir unterstützen die Recherchen durch die Arbeit unseres Historikers und Archivars Leibl Rosenberg“, verspricht IKGN-Vorsitzender Jo-Achim Hamburger. Ihm geht es auch um die Erforschung der Rolle jüdischer Bürger beim Club, seinem „Herzensverein“. Hamburger erinnert dabei an den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Leopold Neuburger, der als Präsident des 1. FCN von 1912 bis 1914 und von 1919 bis 1921 wichtige Weichen für die erfolgreiche Entwicklung des Vereins gestellt und Sport immer als Instrument zur Völkerverständigung verstanden hatte.

Kontakt:
1. FC Nürnberg
Valznerweiherstr. 200
90480 Nürnberg
Tel.: +49 91194079100
Fax: +49 91194079510
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https://www.fcn.de/

Quelle: 1. FC Nürnberg, News, 15.6.2021

Neuer Leiter des Staatsarchivs Nürnberg

Mit Wirkung zum 1. Mai 2021 wurde Archivdirektor Dr. Christian Kruse unter gleichzeitiger Beförderung zum Ltd. Archivdirektor zum Leiter des Staatsarchivs Nürnberg bestellt. Er folgte damit Ltd. Archivdirektor Prof. Dr. Peter Fleischmann nach, der mit dem 31. Januar 2021 in den Ruhestand getreten ist.

Prof. Dr. Fleischmann leitete das Staatsarchiv Nürnberg seit 1. Dezember 2012 und kehrte damit nach Stationen im Staatsarchiv Augsburg und Staatsarchiv München – in beiden Staatsarchiven hatte er die Leitung inne – wieder an das Staatsarchiv zurück, in dem seine berufliche Tätigkeit nach seiner Ausbildung an der Bayerischen Archivschule begonnen hatte.

Anlässlich des Amtswechsels betonte Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler: „Archive schlagen Brücken zwischen unserer Geschichte und der Gegenwart. Prof. Dr. Fleischmann hat mit seiner langjährigen, engagierten Arbeit zahlreiche solcher Brücken gebaut. Mit der Generalsanierung des Staatsarchivs hat er zudem ein Projekt angestoßen und begleitet, das nun eine der Aufgaben sein wird, die auf seinen Nachfolger warten. Ich freue mich sehr, dass wir mit Dr. Christian Kruse einen neuen Archivleiter begrüßen dürfen, der einen breiten Erfahrungsschatz mitbringt, um das Staatsarchiv in die Zukunft zu führen und damit das Gedächtnis unseres Landes zu bewahren.“


Abb.: Dr. Christian Kruse, neuer Leiter des Staatsarchivs Nürnberg (Fotografin: Agnes Zettel, Staatsarchiv Nürnberg)

Dr. Christian Kruse, in Kiel geboren, studierte an den Universitäten Erlangen und Wien Geschichte und Deutsch für das Lehramt an Gymnasien. Er wurde mit einer Arbeit über „Franz Friedrich Anton von Sachsen-Coburg-Saalfeld 1750–1806“ in Erlangen promoviert. Nach der Ausbildung zum wissenschaftlichen Archivar an der Bayerischen Archivschule 1988 bis 1991 arbeitete er von 1991 bis 2002 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und von 2002 bis 2007 in den Staatsarchiven Augsburg und Nürnberg.

2007 bis 2008 war er als ständiger Vertreter des Leiters im Staatsarchiv München tätig, von 2008 bis 2018 war er in der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns als Abteilungsleiter für Archivbau, Bestandserhaltung, Veröffentlichungen und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Seit 1. Dezember 2018 leitete er das Staatsarchiv Bamberg.

Das Staatsarchiv Nürnberg hat – von den Auswirkungen der Coronapandemie abgesehen – große Herausforderungen zu bewältigen: Sein Stammquartier an der Nürnberger Archivstraße 17 wird generalsaniert, die Büroräume wurden 2020 in die Rollnerstraße 14 verlagert, die Archivalien in vier Standorten ausgelagert (Außenstelle Lichtenau bei Ansbach, Staatsarchiv Augsburg, Staatsarchiv Landshut, Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern).

Die Generalsanierung des Staatsarchivs Nürnberg – des 1880 errichteten ersten Archivzweckbaus des Königreichs Bayern – soll bis voraussichtlich Herbst 2026 dauern. Das Staatsarchiv Nürnberg hat rund 8,2 Millionen Archivalien im Umfang von 36,8 km in seiner Verwahrung. Es ist zuständig für die Überlieferung aller Behörden, Gerichte und Staatsanwaltschaften der mittleren und unteren Ebene im Regierungsbezirk Mittelfranken. Für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert überliefert das Staatsarchiv die Urkunden, Amtsbücher, Akten und Pläne des Fürstentums Brandenburg-Ansbach, der Reichsstadt Nürnberg, des Hochstifts und Domkapitels Eichstätt sowie der eichstättischen Klöster, des Deutschen Ordens, kleinerer Reichsstädte, von Reichsritterschaften, des Adels und des Patriziats.

Kontakt:
Staatsarchiv Nürnberg
Rollnerstr. 14
90408 Nürnberg
Tel.: 0911/935190
Fax: 0911/9351999
poststelle@stanu.bayern.de

Quelle: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Aktuelles, 29.04.2021 bzw. 10.05.2021

ARCHIV-info 1/2021

Dr. Wilhelm Füßl am Archiv des Deutschen Museums in den Ruhestand getreten.

Das Mitteilungsblatt „ARCHIV-info“ des Archivs des Deutschen Museums in München, das zwei Mal im Jahr über Neuerwerbungen, Projekte und Bestände informiert, erscheint in seiner Ausgabe 1/2021 in erweitertem Umfang und als Würdigung des zum 1.6.2021 in den Ruhestand getretenen Archivleiters Dr. Wilhelm Füßl.

Der stellvertretende Leiter des Archivs des Deutschen Museums, Dr. Matthias Röschner, führt im Editorial zu ARCHIV-info 1/2021 unter anderem aus, dass sich das Archiv des Deutschen Museums in den letzten drei Jahrzehnten unter der Leitung von Dr. Wilhelm Füßl zu einem der führenden Spezialarchive für die Geschichte der Naturwissenschaft und Technik entwickelt habe. in ARCHIV-info 1/2021 kommen externe Autorinnen und Autoren zu Wort, um auf gemeinsame Projekte und die Zusammenarbeit mit dem Archiv des Deutschen Museums und Dr. Wilhelm Füßl in den vergangenen Jahren zurückzublicken.

Die feste Verankerung des Archivs im Deutschen Museum dokumentieren dabei die Beiträge von Generaldirektor Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl und Forschungsdirektor Prof. Dr. Helmuth Trischler sowie von den Leitern des Forschungsinstituts PD Dr. Ulf Hashagen und der Bibliothek Dr. Helmut Hilz. Die Vernetzung des Archivs in der nationalen, regionalen und lokalen Archivlandschaft repräsentieren in diesem Heft der Präsident des Bundesarchivs Dr. Michael Hollmann, die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns Dr. Margit Ksoll-Marcon, der Leiter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums am Deutschen Bergbau-Museum Bochum Dr. Michael Farrenkopf, die Leiterin des Bayerischen Wirtschaftsarchivs Dr. Eva Moser sowie die Leiterin der Abteilung Karten und Bilder an der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Cornelia Jahn.

Für die enge und langjährige Verbundenheit mit Bestandsbildnern und StifterInnen, FreundInnen und Förderern des Archivs sowie mit der Familie des Museumsgründers Oskar von Miller stehen Prof. Dr. Michael Dröscher, Schatzmeister und Generalsekretär der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Bernd Junkers, Enkel und Bewahrer des Erbes von Hugo Junkers, Dr. Sabine Rojahn, Vorsitzende des Freundes- und Förderkreises Deutsches Museum, sowie Marie von Miller-Moll im Namen der Familie von Miller.

Aus dem großen Reigen externer und interner Kooperationspartner steuern Dr. Bettina Irina Reimers, Leiterin des Archivs an der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF in Berlin, und Dr. Johannes-Geert Hagmann, Leiter der Hauptabteilung AII Technik im Deutschen Museum, Beiträge bei. Die Sicht eines erfahrenen Archivnutzers, der zugleich mehrere Nachlässe an unser Archiv vermittelt hat, bringt der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Dieter Hoffmann zum Ausdruck, während die Kuratorin für Musikinstrumente im Deutschen Museum Silke Berdux auf das immense Potenzial der historischen Verwaltungsunterlagen des Museums eingeht. Einen Einblick in die internen Abläufe der Archivarbeit gewährt Dr. Matthias Röschner.

Dr. Wilhelm Füßl
(Foto: Archiv des DM)

Zum Schluss kommt Dr. Wilhelm Füßl selbst zu Wort. Er sah die anderen Beiträge in diesem Heft – im Unterschied zu seiner bisherigen Herausgeberschaft von ARCHIV-info – erst beim Erscheinen, das rechtzeitig zum 31. Mai 2021 fertig gestellt werden konnte.

Kontakt:
Deutsches Museum
Archiv
80306 München
Tel.: (089)  2179 220
Fax: (089)  2179 465
archiv@deutsches-museum.de

Stuttgarter Bauten und jüdisches Leben

Die Architekten Bloch und Guggenheimer.

Eine neue Freiluftausstellung im Innenhof des Stadtarchivs Stuttgart zeigt vom 10. Juni bis 14. November 2021 Leben und Werk der Architekten Oscar Bloch (1881-1937)  und Ernst Guggenheimer (1880-1973). Die Ausstellung ist von Montag bis Freitag, 8 bis 20 Uhr, bis Ende September auch sonntags von 11 bis 17 Uhr, frei zugänglich.

Die Lebens- und Schaffenszeit der beiden Architekten ist weit gespannt; sie reicht vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Zeit bis in die Nachkriegszeit und spiegelt die architekturgeschichtliche Entwicklung jener Jahrzehnte.

Sitz des Architekturbüros und Lebensmittelpunkt der Architekten war Stuttgart, weshalb in der Ausstellung der Fokus auf die Stuttgarter Bauten gelegt wird. Das Wirken steht in enger Verbindung mit der jüdischen Gemeinschaft in Stuttgart. Die Bauherren – auch im persönlichen Umfeld – zählten zum Netzwerk der Gemeinde, für die die Architekten Projekte vor und besonders nach 1933 realisierten. Ein städtischer Auftrag gehört zu den wenigen Ausnahmen. Dieses Netzwerk, die Biografien der Bauherren und die Geschichte der jüdischen Gemeinde sind ebenfalls Gegenstand der Ausstellung, die ein Beitrag zum 2021 begangenen bundesweiten Jubiläumsjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ ist.

Bloch & Guggenheimer
Die Architekten Bloch & Guggenheimer, die beide 1909 ihre Zweite Staatsprüfung ablegten, gründeten noch im selben Jahr ein gemeinsames Büro. Zunächst bauten sie Einfamilienhäuser, der Auftrag für die Israelitische Waisenanstalt in Esslingen (1912/13) machte sie bekannt. Es folgten vor allem Wohnbauten, Geschäftshäuser und Entwürfe für Synagogen. Der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 beendete den Erfolg. Als Schweizer konnte Oscar Bloch zwar weiter bauen, aber vieles blieb Projekt. Nach dessen Tod führte Ernst Guggenheimer die Projekte zu Ende und musste für die Israelitische Vereinigung an der Einrichtung von Zwangsaltenheimen mitwirken. Nach Kriegsende wagte Guggenheimer die Neugründung des Büros und konnte mit der Neuen Synagoge in Stuttgart seinen wichtigsten Nachkriegsbau umsetzen.


Abb.: Neue Synagoge, Hospitalstraße 36, 1952 (Stadtarchiv Stuttgart)

Frühwerk
Im Studium lernten Bloch & Guggenheimer die neuen Ideen Theodor Fischers (1862-1938)  kennen, und ihre ersten Einfamilienhäuser von 1910/11 zeigen die malerisch asymmetrischen Merkmale des aufkommenden Heimatstils.

Für die wenige Jahre später gebaute Fabrikantenvilla für Albert Levi griffen sie auf klassizistische Formen zurück und passten sich gestalterisch an kurz vorher errichtete Stuttgarter Adelsvillen an, wie beispielsweise die Villa von Gemmingen-Hornberg.

Hauptwerk
Die weithin beachtete Weißenhofsiedlung und die damit verbundene Akzeptanz des Neuen Bauens in aufgeklärten Kreisen beeinflusste auch die Arbeit von Bloch & Guggenheimer. Mit der Villa Dr. Oppenheimer am Bubenbad (1927/28) wandten sie sich vom bisherigen Stil ab. Noch deutlicher ist die Übernahme der Prinzipien des Funktionalismus am Haus Frankenstein zu sehen. Hier beherrschen verschachtelte Kuben, großzügige Fensterflächen und Terrassen die Gestaltung. In der Zeit bis 1933 konnten sie in Stuttgart und in der Zeit der Wirtschaftskrise auch in der Schweiz etliche moderne Bauten realisieren.

Biographien der beiden Architekten
Oscar Bloch (geb. 4. März 1881, gest. 6. Januar 1937)
Der in Zürich geborene Oscar Bloch zog 1883 mit seiner Familie nach Stuttgart. Nach dem Besuch des Karlsgymnasiums studierte er an Technischen Hochschule Stuttgart Architektur. 1909 gründete er mit Ernst Guggenheimer ein Architekturbüro. Bloch heiratete 1919 Alice Rothschild, das Ehepaar bekam bis 1929 drei Kinder. Nach 1933 wurde Bloch die Zulassung zur Reichskulturkammer verweigert, der Schweizer Staatsbürger konnte dennoch für jüdische Bauherrn und die Jüdische Gemeinde bauen. Er verstarb an den Folgen einer Operation in Stuttgart.

Ernst Guggenheimer (geb. 27. Juli 1880, gest. 12. September 1973)
Ernst Guggenheimer wurde in Stuttgart geboren, besuchte die Friedrich-Eugens-Realanstalt und studierte nach dem Abitur Architektur an der Technischen Hochschule Stuttgart. 1915-1918 leistete er trotz eines Gehörleidens freiwillig Kriegsdienst. Guggenheimer heiratete 1919 Frieda Schaper, eine Protestantin aus Hannover; der bis 1939 bestehenden Ehe entstammten zwei Söhne. Guggenheimer überlebte die Shoa in Stuttgart, zuletzt im Versteck. Er war von 1946 bis 1952 im Ausschuss sowie zeitweise im Vorstand der Israelitischen Kultusvereinigung aktiv.

Nähere Informationen zu Führungen und weiteren Veranstaltungen im Rahmen des Begleitprogramms sind auf der Webseite des Stuttgarter Stadtarchivs oder im Blog des Stadtarchivs Stuttgart zu finden. Einen Eindruck vom „Making of“ der Ausstellung bekommt man außerdem durch einen Film auf dem Archiv Blog:

Das „Making of“ einer Ausstellung – „Bloch & Guggenheimer – Stuttgarter Bauten und jüdisches Leben“

Kontakt:
Stadtarchiv Stuttgart
Bellingweg 21
70372 Stuttgart
Tel.: 0711 / 216-91512
Fax: 0711 / 216-91510
poststelle.stadtarchiv@stuttgart.de

Postanschrift
Kulturamt, Stadtarchiv
70161 Stuttgart

Quelle: Stadtarchiv Stuttgart, Aktuelle Veranstaltungen; Stadt Stuttgart, Pressemitteilung, 01.06.2021

Mainzer Archivdirektor a.D. Dr. Ludwig Falck verstorben

Das Stadtarchiv Mainz trauert um Ltd. Archivdirektor a.D. Dr. Ludwig Falck (5.2.1928 – 6.6.2021). Als erster fachlich ausgebildeter Archivar der Stadt Mainz sorgte er seit 1957 und seit 1980 in leitender Position dafür, dass moderne archivfachliche Standards im Stadtarchiv Mainz Einzug hielten.


Abb.: Ltd. Archivdirektor a.D. Dr. Ludwig Falck (Stadtarchiv Mainz)

Auch nach seiner Pensionierung 1993 blieb Dr. Falck dem Archiv eng verbunden. Jeden Vormittag kam er weit über 20 Jahre lang in steter Regelmäßigkeit ins Archiv, um an seinem Schreibtisch im 7. Stock des Magazins an der Quellensammlung zur Mainzer Geschichte zu arbeiten. Dabei beantwortete er als wandelndes Lexikon der Mainzer Geschichte und der Geschichte des Stadtarchivs auch immer gerne Fragen der Kolleginnen und Kollegen. Als Frucht seiner Forschungen konnte Dr. Falck noch 2007 und 2014 zwei Bände mit 2.000 Urkundenregesten zur Geschichte der Stadt Mainz 1200-1260 publizieren. Für sein großes ehrenamtliches Engagement wurde er von der Stadt mit dem Kaisermedaillon „Mogontiacum“ geehrt.

Kontakt:
Stadtarchiv Mainz
Rheinallee 3b
55116 Mainz
Tel.: 06131 / 12-2526
Fax: 06131 / 12-3569
stadtarchiv@stadt.mainz.de

Quelle: Stadtarchiv Mainz, Rubrikseite

Ein Plakat zur Modenschau 1961 in Halle (Saale)

Herrliche Stoffe und bezaubernde Modelle.

Mit einer Festwoche, zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen begeht die Stadt Halle im Juni 1961 ihr Stadtjubiläum. Dazu kündigt das heute in der Plakatsammlung des Stadtarchivs Halle (Saale) aufbewahrte Schriftplakat für den 28. Juni 1961 ein besonderes Ereignis in der HO-Gaststätte Wittekind an. Dieses Plakat stellt das Stadtarchiv Halle als Archivale des Monats Juni 2021 vor.


Die einfache Gestaltung auf rot-weißem Untergrund und mit schwarzer Schrift ist ganz der Vermittlung der Information verpflichtet und kommt ohne figürliche Darstellung aus. Durch Verschnitt des unteren Randes sind Angaben zur Herstellung nicht möglich. Ein Schrift-Logo verrät jedoch den hinter der Modenschau stehenden Namen.

Kein Geringerer als der damals bekannte Heinz Bormann, der „Modezar der DDR“ präsentiert seine neuesten Sommermodelle. Das kurz nach Kriegsende gegründete Unternehmen gehört in den 1950er Jahren zu den größten der DDR. Bormanns Bekleidung bestimmt die exklusive DDR-Mode der 1960er Jahre und findet auch international Beachtung. So zählen Künstler und Persönlichkeiten der Partei- und Staatsführung der DDR genauso wie westdeutsche Versandhäuser zu den Kunden. In Halle stellt Bormann später nochmals im Steintor-Varieté neue Kreationen vor. Mit Verstaatlichung des Betriebes Anfang der 1970er Jahre gerät sein Name in Vergessenheit.

An jenem Donnerstag im Juni 1961 strömen die Hallenser zu der angekündigten Modenschau. Bis auf den letzten Platz ist der weite Garten der Gaststätte „Bad Wittekind“ zu den beiden Vorstellungen besetzt. „Modisch ins neue Jahrtausend“, unter diesem, dem Stadtjubiläum verpflichteten Motto präsentiert Heinz Bormann Modelle seiner Kollektion 1961. Den Besuchern wird eine breite Palette vom Hausanzug über Sommermode bis hin zu Tages-, Cocktail- und Abendkleidern geboten. Begeistert berichten Reporter in den halleschen Tageszeitungen von bezaubernden Modellen, Brokat, Seide sowie anderen herrlichen Stoffen und Bekleidung von schlichter, vornehmer und doch farbenfroher Schönheit.

Kontakt:
Stadtarchiv Halle (Saale)
Rathausstraße 1
06108 Halle (Saale)
Tel.: 0345 / 221-3300

Postanschrift:
Stadt Halle (Saale)
Stadtarchiv
06100 Halle (Saale)

Quelle: Stadtarchiv Halle (Saale), Archivale des Monats Juni 2021

Geschichte eines Sportplatzes in Fallingbostel

Vom „Gemeindeplatz“ zum „Sportplatz“ an der Soltauer Straße in Bad Fallingbostel.

Heutzutage ist es selbstverständlich, dass die Kommunen erhebliche Summen aufwenden, um ihrer Einwohnerschaft gute Sportmöglichkeiten zu bieten. Doch auch schon vor mehr als 100 Jahren war es der Gemeinde Fallingbostel wichtig, einen Sportplatz zu schaffen. 1913 wurde der Platz eingeweiht.

Das Protokollbuch des Fallingbosteler Gemeindeausschusses, das sich im Besitz des Stadtarchivs Bad Fallingbostel befindet, verzeichnet als 3. Tagesordnungspunkt seiner Sitzung am 8. September 1913 im Köningschen Gasthaus die Beratung über einen „Gemeindeplatz“:


Abb.: Beginn der Protokollierung der „Besprechung über Ankauf eines Gemeindeplatzes“ am 8. September 1913 (Stadtarchiv Bad Fallingbostel, Bestand 1, Nr. 354)

III Besprechung über Ankauf eines Gemeindeplatzes

Wegen Beschaffung eines Gemeindeplatzes hat sich der Gemeindevorsteher [Kruse] mit dem Königl Domainenrentmeister Wittern in Harburg in Verbindung gesetzt um den seitens des Domänenfiskus an den Anbauer Fr. Wildung in Adolfsheide verpachteten Friedkamp östlich des Weges von der Chaussee nach Adolfsheide, Parzelle 206 Kartenblatt 10 von Fallingbostel, groß 2.4051 ha zu pachten.

Anbauer Wildung hat den Kamp bis zum 1 Oct. 1924 gepachtet für den jährlichen Pachtpreis von 93 M.

Der Gemeindevorsteher hat mit dem Pächter Wildung folgendes vereinbart: Wildung tritt an die Gemeinde cirka 4 ½ Morgen unter der Bedingung ab, daß ihm für Ganzes eine Abfindungssumme von 350 M gezahlt wird und dann der Rest des Grundplatzes ihm bis zum Ablauf der Pachtung 1 Oct. 1924 unkündbar gelassen werde für eine jährlich Pacht von 45 M. Der Vertrag soll vom Gemeindevorstand Herrn Direktor Helmke abgeschlossen werden.

Der Gemeindeausschuß beschließt einstimmig, diesen Vertrag mit Wildung anzunehmen.

Die Gemeinde stellt den Platz dem Ortsausschuß für Jugendpflege unter der Bedingung zu Verfügung, daß derselbe die Abfindungssumme von 350 M an Wildung und eine jährliche Pacht von 48 M an die Gemeinde zahlt, um Jugendspiele ausführen zu können.

Im Uebrigen steht der Platz der Gemeinde zur anderweitigen Benutzung frei.

Der Gemeindeausschuß beschließt einstimmig den vorliegenden, vom Vorsteher und dem Domänenrat Wittern Harburg gemachten Pachtvertrag anzunehmen und so bald wie möglich rechtskräftig zu machen.


Abb.: Abschluss der Protokollierung der „Besprechung über Ankauf eines Gemeindeplatzes“ am 8. September 1913 (Stadtarchiv Bad Fallingbostel, Bestand 1, Nr. 354)

Tatsächlich muss dies äußerst schnell gegangen sein, verzeichnet Wilhelm Westermann doch in seiner Ortschronik schon sechs Wochen nach der Gemeindeausschusssitzung unter dem Datum des 18. Oktober 1913 in seiner Ortschronik von Fallingbostel:

18. Oktober [1913]. Die Hundertjahrfeier der Völkerschlacht wird mit Einweihung des jetzt fertigen Sportplatzes und des Gedenksteins 1813/1913 begangen. [Der Gedenkstein befindet sich heute im Kurpark an der Quintus-Brücke.] Der Platz ist von dem Domänenfiskus gepachtet. Die Planung und Beleuchtung des Platzes ist 1927 durchgeführt. Lehrer W.[estermann] pflanzte 1912* mit den Schulkindern eine doppelte Reihe von verschiedenen Tannen zum Abschirmen nach der Straße hin.

*[Die Jahreszahl 1912 irritiert, denn der seit 1907 an der Fallingbosteler Schule tätige Lehrer Westermann müsste demnach schon ein Jahr vor dem Beschluss des Gemeindeausschusses tätig geworden sein!]

Das meiste Pflanzgut brachte der heutige Revierförster Otto Heidemann aus seines Vaters Revier in Oerbke mit. Leider ist der größte Teil dieser Pflanzung in den ersten Jahren zerstört. Die Feier am 18. Oktober schloß mit einem großen Freudenfeuer und geordnetem Rückmarsch zum Schulhof. Dort wurde der Marsch von dem Führer des Zuges, Lehrer W., mit dem Schillerwort geschlossen: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Viele Teilnehmer ahnten damals Gewitterschwüle am politischen Horizont.

Westermanns Schlussbemerkung bezieht sich auf den 1. Weltkrieg, der ein Jahr später beginnen sollte. Wie Westermann in der Chronik weiter berichtet, begannen dann am 11. September 1914 militärische Übungen der Jugendlichen auf dem Sportplatz und in der Turnhalle, zu der eine Scheune des „Hotels zur Lieth“ ausgebaut worden war (Fertigstellung des Umbaus am 20. März 1914).

Fußball wurde auf dem – nun auch als Sportplatz – bezeichneten Gelände dann ab 1916 gespielt. Wenige Monate, nachdem in Walsrode der Verein „Germania“ gegründet worden war, entstand im Kreisort am 16. September 1916 die „Sportvereinigung Fallingbostel“, deren erster Vorsitzender Hermann Linnemann war. Beide Vereine spielten noch im September 1916 in Walsrode gegeneinander, wobei die „Germania“ einen 4:0-Sieg errang. Über das Rückspiel am 6. November 1916 berichtete die Walsroder Zeitung:

Am gestrigen Sonntage fand in Fallingbostel auf dem dortigen Sportplatz das Rückspiel des Sportvereins Fallingbostel und „Germania Walsrode“ statt. Die letzteren konnten den Platz als Sieger mit 2:0 verlassen. Das erste Tor fiel vor der Halbzeit nach 25 Minuten, das zweite 5 Minuten vor Schluß des Spieles. Walsrode konnte mit einer überlegenen Mannschaft antreten und daher mußte Fallingbostel einen harten Kampf kämpfen. Ein gemütliches Beisammensein der Vereine im Gasthof zur Lieth schloß den anregend verlaufenen Nachmittag.

Vergleichbar mit einem modernen Sportplatz waren die Bedingungen für Fußballspieler nicht.


Abb.: Fußballspiel auf dem Sportplatz an der Soltauer Straße 1941 (Quelle: Stadtarchiv Bad Fallingbostel)


Abb.: Fußballspiel auf dem Sportplatz an der Soltauer Straße 1941 (Quelle: Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Das lassen auch die Aufnahmen erahnen, die von einem Spiel gemacht wurden, das 1941 auf dem Sportplatz an der Soltauer Straße stattfand.

Kontakt:
Stadtarchiv Bad Fallingbostel
Dr. Wolfgang Brandes
Vogteistraße 1
29683 Bad Fallingbostel
Tel.: 05162 / 40118
stadtarchiv@badfallingbostel.de

Quelle: Stadtarchiv Bad Fallingbostel, Archivalie des Monats Juni 2021

Mittelalterliche Pergamenturkunden und deren Erhaltung

Ein Beitrag zur Sicherung von Kulturgut im Stadtarchiv Siegen.

In seinem „Klick in die Vergangenheit“ widmet sich das Stadtarchiv Siegen regelmäßig unterschiedlichen Episoden der städtischen Geschichte. Besondere Anlässe, historische Ereignisse, bislang unbekannte Aspekte oder bemerkenswerte Stücke aus den Archivbeständen sollen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In der neuen Ausgabe stellt Siegens Stadtarchivar Dr. Patrick Sturm die mittelalterlichen Pergamenturkunden im Bestand A des Stadtarchivs vor, die zu den zentralen Quellen der städtischen Geschichte zählen, und erläutert das 2020 durchgeführte Drittmittelprojekt zu deren Erhaltung.

„Das älteste Stück stammt aus dem Jahr 1276. Es handelt sich um eine Bestätigung der städtischen Privilegien durch den Erzbischof Siegfried von Köln. Damit begann eine Reihe von Privilegienbestätigungen für die Stadt Siegen. Darunter finden sich abgesehen von Urkunden der Stadtherren, das waren neben den Erzbischöfen von Köln die Grafen zu Nassau, auch königliche Privilegien, ausgestellt durch Ludwig den Bayern (1314-1347), Karl IV. (1346-1378), dessen Sohn Wenzel (1376-1400) sowie Ruprecht von der Pfalz (1398-1410) und Sigismund (1410-1437)“, wie der Stadtarchivar erläutert.

Darüber hinaus ist im Urkundenbestand des Stadtarchivs Siegen ein breites Portfolio an privaten und öffentlichen Rechtsgeschäften überliefert. So finden sich Urkunden über Geld- und Liegenschaftsgeschäfte, religiöse Stiftungen und Zunftordnungen. Die Urkunden eröffnen damit Einblicke in das Leben, die Gebräuche und die Gesellschaft in der Stadt Siegen während des späten Mittelalters – und der Frühen Neuzeit. Siegens Stadtarchivar beschreibt den Erhaltungszustand und die Schadensbilder der mittelalterlichen Urkunden. Auch erläutert er die Restaurierungsmaßnahmen, die dank der finanziellen Förderung durch die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) in Berlin im Rahmen eines Modellprojekts 2020 realisiert werden konnten und vom Zentrum für Bucherhaltung (ZfB) in Leipzig durchgeführt wurden.


Abb.: Ergänzen des Siegels an der ältesten Urkunde im Stadtarchiv Siegen aus dem Jahr 1276 (Quelle: Zentrum für Bucherhaltung (ZfB Leipzig)

Die wichtigsten Stationen des Modellprojekts zur Sicherung von Kulturgut im Stadtarchiv Siegen hat Dr. Sturm in einer Dokumentation zusammengestellt. Parallel werden ausgewählte Exponate bis Ende September 2021 im Lesesaal des Stadtarchivs Siegen (KrönchenCenter, 3. Etage) und im Foyer der Volkshochschule (KrönchenCenter, 2. Etage) präsentiert. Der Zugang zum Ausstellungsteil im Lesesaal des Stadtarchivs ist seit dem 1.6.2021 von Dienstag bis Donnerstag 10.00 bis 14.00 Uhr sowie auf Anfrage möglich. Der Eintritt ist frei. Es gelten im KrönchenCenter die coronabedingten Abstandsregeln sowie das Tragen einer medizinischen Maske.

Einen detaillierten Bericht zu diesem Thema findet man in der Dokumentation zu „Mittelalterlichen Pergamenturkunden und deren Erhaltung – Ein Beitrag zur Sicherung von Kulturgut im Stadtarchiv Siegen“.

Kontakt:
Stadtarchiv Siegen
KrönchenCenter
Markt 25
57072 Siegen
Tel.: 0271 / 404-3095
Fax: 0271 / 404-3099
stadtarchiv@siegen.de

Quelle: Stadt Siegen, Meldungen aus dem Stadtarchiv, 01.06.2021

Das Marienwunder vom Rupertsberg

»Ein Marienbild „aus dem Milch und Blut gerunnen«.

In seiner Reihe „Archivalien erzählen Geschichten“ stellt das Stadtarchiv Bingen das Marienwunder vom Rupertsberg vor. – Die nachfolgende Erzählung des Johannes Trithemius von Sponheim (1462-1516), Abt des Klosters Sponheim bis 1506, danach Abt des Schottenklosters Würzburg, stammt aus dem Jahr 1495.
Es begab sich Anno 1301. Bingen wurde ab dem 13. August durch die Truppen König Albrecht I. belagert, als dieser gegen den Mainzer Erzbischof und Kurfürsten Gerhard II. von Eppenstein kämpfte. Da sich Gerhard II. vorwiegend nicht in Mainz, sondern in Bingen aufhielt, hatte er die Mannschaft zum Schutz der Stadt um 500 Mann verstärkt.

Als Albrecht I. auf Bingen vorrückte, waren die Stadttore natürlich geschlossen und die Mauern und Türme durch die Wachmannschaften bewehrt. So bemächtigte sich Albrecht des Klosters Rupertsberg auf der anderen Naheseite und nahm dort Quartier. Die Klostergebäude wurden als Pferdeställe benutzt und auf den Mauern Vorrichtungen für Wurfgeschosse zum Abschleudern auf die Stadt Bingen angebracht.

Die Nonnen hatten gerade noch rechtzeitig nach Eibingen flüchten können und auch der Erzbischof hatte sich aus Bingen abgesetzt. Letztendlich war die Stadt der Übermacht der königlichen Truppe und dem Beschuss nicht gewachsen. Nach sechs Wochen öffneten die Bürger und Bürgerinnen am 25. September 1301 die Stadttore. Der Schaden und die Spur der Verwüstungen waren groß, als die plündernde Truppe nach der Einnahme der Stadt das Kloster Rupertsberg verließ.


Abb.: Eine Darstellung der 1778 wiedererbauten Marienkapelle. „Prospect“ meint Ansicht, Blickrichtung (Titelbild: Landeshauptarchiv Koblenz)

Zwei Soldaten waren allerdings auf dem Rupertsberg zurückgeblieben. In einer Seitenkapelle, der Marienkapelle, entdeckten sie ein Wandbild der Heiligen Jungfrau Maria, das mit fünf kristallenen Steinen auf der Krone und auf der Brust verziert war. Flugs stieg einer auf den Altar, um die Steine herauszubrechen. Den zweiten befielen aber Skrupel, und er soll gerufen haben „Was machst du, o Elender, was machst du? Höre auf die Mutter der Barmherzigkeit zu berauben“. Doch der erste ließ sich nicht beirren und war gerade am fünften Stein angelangt, der über dem Herzen von Maria angebracht war, als das Bild angefangen habe über und über zu schwitzen. Als der Landsknecht jenen fünften Stein herausriss, floss Blut und Milch in großer Menge aus der Wunde. Vor Schreck bebend versuchte nun der Unglückliche die Stelle mit Staub zu schließen. Doch je stärker er sich darum bemühte, umso reichlicher flossen Blut und Milch aus der Stelle. Geschockt über seinen Frevel, stürzte er sich in den nahen Fluss und ertränkte sich.

Fake News oder einfach eine gute Story?
Ob sich alles so zugetragen hat, wie es Trithemius fast zweihundert Jahre später niedergeschrieben hatte, ist zu bezweifeln. Historiker und Historikerinnen vermuten, dass Trithemius aus zwei Elementen eine Legende schuf: Einerseits die Belagerung 1301 und auf der anderen Seite eine päpstliche Urkunde von 1342, die ein Blutwunder am Rupertsberg dokumentiert. Der Rest ist eine hollywoodreife Legende. Eine Legende, wie sie vielfach am Ende des Mittelalters entstand.

Bildfrevellegenden waren ein fester Bestandteil der damaligen Volksfrömmigkeit. Die Erzählung des Trithemius‘ folgt einem damals gängigen Erzählmuster. Die Bildfrevler wurden unmittelbar durch einen Blut- oder Milchfluss mit ihrer Tat konfrontiert und drastisch bestraft. Allerdings ist nur im Fall des Rupertsberger Bildes die Rede von Blut und Milch, also mit einer sehr heftigen „Körperreaktion“ eines Heiligenbildes und damit auch mit einer besonders starken Mirakelgeschichte.

Wunder sind schon länger Forschungsgegenstand der Medizingeschichte, die insbesondere in den letzten Jahren durch neue Untersuchungsmethoden an Fahrt aufnahm. Sofern kein bewusster Betrug vorlag, waren die verwendeten Materialien entscheidend – und die Ursachen sind entsprechend sehr vielfältig. Relativ häufig war Pilzbefall für Blutwunder (insbesondere im Teig für Hostien) und Kondenswasser für Milchwunder entscheidend.


Abb.: Eine päpstliche Urkunde von 1342 beglaubigt ein Blutwunder am Rupertsberg (Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 164, Nr. 65)

Am 12. Juni 1342 wurde den Nonnen des Klosters Rupertsberg von der päpstlichen Kurie eine Ablassurkunde mit prächtigen Miniaturen ausgestellt, wo auf wundersame Weise – wie es in der Ablassurkunde wörtlich heißt – aus dem Herzen eines Marienbildes Blut geflossen war („ubi sanguis fluebat ex corde ymaginis beate Marie“). Anlass und Zeitpunkt hier erstmals belegter mirakulöser Ereignisse, die dem Bild widerfahren seien, überliefern die zeitgenössischen Quellen indes nicht. Bereits 1324 hatte das Kloster um ein Ablassprivileg beim Papst nachgesucht. Von einem besonders heilsvermittelnden, mirakulösen Marienbild in den Mauern ihres Klosters ist in dem Gesuch keine Rede.

Es wird daher heute vermutet, dass sich die damalige außerordentliche Bedeutung, die der Rupertsberger Madonna im Jahre 1342 mit der Ablassurkunde erwiesen wurde, wohl noch nicht allzu lange vor jenem Jahr ergeben hat.

Inhalt der Urkunde: Eine Zusammenfassung (Landeshauptarchiv Koblenz)

„Eine Gruppe von 12 genannten Erzbischöfen und Bischöfen gewährt der Marienkapelle des Benediktinerklosters Rupertsberg, wo auf wundersame Weise aus dem Herzen eines Marienbildes Blut geflossen war, einen Ablass, damit die Kapelle von zahlreichen Gläubigen besucht werde. Alle Büßer, die an den Festen der Kirchenpatrone, am Kirchweihtag und an weiteren Festen, nämlich Weihnachten, Beschneidung des Herrn, Erscheinung des Herrn, Karfreitag, Pfingsten, Trinitatis, Fronleichnam, Kreuzauffindung, Kreuzerhöhung, allen Marienfesten, den Festen Johannes d. Täufers und Johannes d. Evangelisten, der Apostel Petrus und Paulus und aller Apostel und Evangelisten sowie namhafter aufgezählter Heiliger und während der Oktav der genannten Feste, die Kapelle zum Gebet und als Pilger aufsuchen oder die Messen, Predigten, die Matutin, die Vesper oder andere Gottesdienste besuchen, ferner die, die den Leib Christi oder das heilige Öl als Kranke empfangen, diejenigen, die mit gebeugten Knien dreimal Ave Maria beten, die zum Bau, zur Beleuchtung und zum Kirchenschmuck der Kapelle beitragen oder sie irgendwo anders unterstützen, diejenigen, die ihr in Testamenten Gold, Silber und Paramente vermachen oder andere mildtätige Stiftungen an die Kapelle leisten, alle die, die vor dem Marienbild knien und es mit Gebeten grüßen oder Spenden geben, also jeden, der das Vorgenannte oder etwas davon ehrerbietig vollzieht, erhält 40 Tage Ablass von allen auferlegten Bußen.
Siegler: die 12 Aussteller“ (zitiert nach dem Regest des Landeshauptarchivs Koblenz)

Glasreliquiar heute noch im Rupertusschrein?
Den Pilgern und Pilgerinnen, die in den folgenden Jahrhunderten zu dem wundertätigen Marienbild wallfahrten, wurde auch ein Glasreliquiar gezeigt mit der – wie Trithemius in seiner Schrift wörtlich festhält – „schon […] lange Zeit eingetrockneten[n] Flüssigkeit […] aus der verwundeten Brust“ gezeigt.

Wie der Chronist weiterhin berichtet, sei kurze Zeit nach der Freveltat ein Geistlicher in die Kirche gekommen und habe den Strom von Blut und Milch in einem Corporale (Kelchtuch) aufgefangen. Das getränkte Tuch werde in jenem Glas aufbewahrt, das er, Trithemius, auf Bitten der damaligen Äbtissin habe neu fassen lassen. Es wird vermutet, dass der Inhalt des Reliquiars eine weißliche sowie rötliche Färbung aufwies und so die Assoziation von Milch und Blut stützte oder ihren Grund haben dürfte.

Anders als das Rupertsberger Marienbild ist das Glas offenbar erhalten geblieben. Im Eibinger Reliquienschatz von 1709 ist es als „Milch und Blut“ aufgeführt. Seit 1814 soll es sich im Rupertusschrein der Rochuskapelle befinden.


Abb.: Das spätgotische „Portal“ an der Villa Rupertsberg ist ursprünglich wohl die Umfassung des Gnadenbildes (Quelle: Stadt Bingen)

Zeichnungen von dem originalen Marienbild existieren nicht. Erhalten blieb aber wohl seine Umfassung, wie die heutige Forschung annimmt. Sie ist heute in der Villa am Rupertsberg verbaut.

30 Wunder wurden dokumentiert
Die Verehrung des Rupertsberger Marienbildes blieb bis in das 15. Jahrhundert überaus populär. Insgesamt 30 Wunder aus den Jahren 1465 bis 1469 werden in einem Heft dokumentiert, das sich im Landeshauptarchiv in Koblenz befindet. Berichtet wird dort von Blinden, die plötzlich wieder sehen oder Gelähmten, die wieder gehen konnten, Schwerkranken, die wieder Genesung fanden und viele andere Heilungen von Gebrechen und Hilfe in großer Not sind dort notiert.

Ob es diese Wunder wirklich gab und auf die Heilwirkung des Bildes zurückzuführen lassen? Das werden wir nicht mehr erfahren. Die besagte Urkunde sowie viele weitere Urkunden des Klosters Rupertsberg wurden seitens des Landeshauptarchives eingescannt und über den virtuellen Lesesaal der staatlichen Archive von Rheinland-Pfalz öffentlich zugänglich gemacht (der dortige Bestand 164 enthält alle Archivalien des Klosters Rupertsberg, die im Landeshauptarchiv in Koblenz aufbewahrt werden).

Kontakt:
Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz
Landeshauptarchiv Koblenz
Karmeliterstr. 1/3
56068 Koblenz
Tel.: 0261 / 9129-0
Fax: 0261 / 9129-112
post@landeshauptarchiv.de

Stadtarchiv Bingen
Herterstraße 35
55411 Bingen-Bingerbrück
Tel.: 06721 / 184-354
Fax: 06721 / 184-35

Quelle: Stadtarchiv Bingen, Archivalien erzählen Geschichte(n)

»Päckchen von drüben«. Historische Dokumente aus beiden deutschen Staaten

Millionen von Bürgern beider deutscher Staaten beteiligten sich am deutsch-deutschen Austausch von Geschenken per Post. Im Jahr 1965 schickten je 100 Einwohner der Bundesrepublik Deutschland 87 Pakete und Päckchen in die DDR. Das bedeutet, dass jeder Einwohner der DDR im Durchschnitt drei Pakete aus der Bundesrepublik erhielt. Umgekehrt schickten je 100 Einwohner der DDR sogar 128 Sendungen in die Bundesrepublik. Damit entfielen auf 100 Bundesbürger immerhin 40 Pakete „von drüben“ [Elisabeth Pollack: Die Verkehrsbeziehungen zwischen der BRD und der DDR auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens. Diplomarbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1967 (Bundesarchiv, B 257/21529)].


Abb.: Plakat zur Aktion „Dein Päckchen nach drüben“, Osthilfekreis, ca.1949/1969 (Foto: Bundesarchiv, Plak 005-048-048)

Während die Bundesrepublik den Postverkehr mit der DDR als Inlandsverkehr begriff, reglementierte die DDR Form und Inhalt der Pakete mit der „Verordnung über den Geschenkpaket- und -päckchenverkehr auf dem Postwege mit Westdeutschland, Westberlin und dem Ausland“ vom 5. August 1954. „Westpakete“ mussten durch die Aufschrift „Geschenksendung, keine Handelsware“ gekennzeichnet werden. Häufige Änderungen hinsichtlich zulässiger Inhalte und Mengen sowie unterschiedliche Auslegungen der Geschenkpaketverordnung sorgten für Irritationen bei den Versendern auf beiden Seiten.

Sender und Empfänger von Päckchen waren in steter Sorge, dass der Inhalt durch Post, Zoll und Staatssicherheit der DDR beanstandet werden könnte.


Abb.: DDR-Zoll bei der Kontrolle von Päckchen von oder nach „drüben“, [um 1960] (Foto: Bundesarchiv, DL 203 BILD-0046 (Ausschnitt) – Zollverwaltung der DDR)

Zugelassen waren zum Beispiel Grundnahrungsmittel wie Butter und Margarine sowie Genussmittel wie Kaffee und Schokolade, wobei bestimmte Höchstmengen festgelegt waren. Einschränkungen gab es beim Versand von Kleidung (Desinfektion), Medikamenten (durch einen Arzt in der DDR verschrieben) und Büchern (Literatur durfte aus DDR-Sicht weder „dekadent“ sein noch einen „antidemokratischen Charakter“ haben). Untersagt war es, Zahlungsmittel, Schallplatten, Landkarten und luftdicht verschlossene Behältnisse zu verschicken.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Kontrolle des Postversands zwischen der DDR und der Bundesrepublik durch die Deutsche Post der DDR ungenügend war, wurde sie im Juni 1952 dem Amt für Kontrolle des Warenverkehrs (seit 1954 Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs) übertragen, wobei die Post mitzuwirken hatte. Hierfür wurden acht Kontrollpostämter eingerichtet.

In Zusammenarbeit mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv hat das Bundesarchiv Koblenz die virtuelle Ausstellung „Päckchen von drüben“ zusammengestellt, in der Dokumente von bundesdeutschen Behörden mit solchen von Stellen der DDR – darunter des Ministeriums für Staatssicherheit – in Beziehung gesetzt werden. Auf diese Weise wird es möglich, das Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Zwei Wochenschau-Beiträge geben zeitgenössische Stimmen und Stimmungen wieder.

Der Schwerpunkt liegt auf dem Austausch von Päckchen und Paketen zwischen Privatpersonen in der Bundesrepublik und der DDR. Dabei werden besonders die Jahre zwischen 1950 und 1970 in den Blick genommen.

Was wurde in den Päckchen verschickt? Welche Hürden waren zu überwinden, bis das Geschenk den Empfänger erreichte? Welche politischen Implikationen waren mit den Sendungen verbunden?

Anmerkung:

  • Elisabeth Pollack: Die Verkehrsbeziehungen zwischen der BRD und der DDR auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens. Diplomarbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1967 (Bundesarchiv, B 257/21529)

Literatur:

  • Konstanze Soch: Eine große Freude? Der innerdeutsche Paketverkehr im Kalten Krieg (1949-1989), Frankfurt/Main 2018
  • Josef Foschepoth: Überwachtes Deuschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2012
  • Konstanze Soch: „Päckchen von drüben“ – Der Päckchen- und Paketverkehr als trennendes und verbindendes innerdeutsches Phänomen. Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschland Archiv, 20.03.2017

Filme zum Thema:

Kontakt:
Bundesarchiv
Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Tel.: 0261 / 505-0
Fax: 0261 / 505-226
koblenz@bundesarchiv.de

Quelle: Bundesarchiv, Aktuelle Meldungen, 29.05.2021; Virtuelle Ausstellung, „Päckchen von drüben“.